Interview: Vatikanexperte Marco Tosatti über Fatima

By Maike Hickson on May 19, 2016 Fatima, Featured

http://www.onepeterfive.com/interview-vatican-expert-marco-tosatti-on-fatima/

 

Anmerkung des Herausgebers: Der italienische Journalist und Vatikanexperte Marco Tosatti schrieb in der italienischen Zeitung La Stampa über einen kürzlich veröffentlichten Artikel von Dr. Maike Hickson über Fr. Ingo Dollinger, Kardinal Ratzinger und das Dritte Geheimnis von Fatima. Daraufhin nahm Dr. Hickson Kontakt zu Tosatti  auf^— der übrigens selbst ein Buch über Fatima geschrieben hat — und es entstand das folgende Interview.

Maike Hickson (MH): Sie schrieben bereits 2002 ein Buch über das Dritte Geheimnis von Fatima mit dem Titel Il Segreto Non Svelato („Das unenthüllte Geheimnis”). Schon der Titel weist ja darauf hin, dass Sie bereits damals zu dem Schluss kamen, dass das Dritte Geheimnis von Fatima im Jahr 2000 nicht in vollem Umfang veröffentlicht wurde. Stimmt das?  Glauben Sie, dass der Text, der im Jahr 2000 tatsächlich veröffentlicht wurde, ein authentischer Bestandteil des Dritten Geheimnisses von Fatima ist? Und wenn ja, warum?

Marco Tosatti (MT): Ja. Ich glaube, dass das, was wir zum Lesen bekommen haben, authentisch ist; Schwester Lucia hat ja persönlich die Authentizität der veröffentlichten Seiten bestätigt. Und genau  diese veröffentlichten Seiten können Zweifel aufkommen lassen.

MH: Welches ist der Hauptgrund dafür, dass Sie glauben, dass das Dritte Geheimnis noch nicht vollständig enthüllt wurde?

MT: In dem uns vorliegenden Dokument endet die Erzählung an einem gewissen Punkt mit einem „et cetera.” Erstens kommt es mir merkwürdig vor, dass die Jungfrau Maria diesen Begriff verwendet. Und zweitens haben wir denjenigen Teil des Geheimnisses, auf den sich dieses „et cetera“ bezieht, nie zu Gesicht bekommen.

Und dann gibt es da noch das Problem mit den Umschlägen; es würde jetzt zu weit gehen, diesen Punkt in aller Ausführlichkeit zu erörtern, es gibt aber zum Einen Probleme, was das Format der Umschläge anbelangt, die von Portugal nach Rom geschickt wurden, und zum Andern ein Problem mit dem Umschlag, auf dem Papst Johannes XXIII seinen persönlichen Kommentar zu diesem Geheimnis hinterließ, nachdem er es gelesen hatte.

Und dann gibt es diese Unterhaltung zwischen Solideo Paolini, dem persönlichen Sekretär von Papst Johannes XXIII, und Erzbischof Capovilla. Solideo Paolini erklärte:

„Ich traf Erzbischof  Loris Francesco Capovilla am 5. Juli 2006 in seinem Haus in Sotto il Monte [Name eines Ortes]. Während unseres Gesprächs bei diesem ersten Treffen gab er mir unmissverständlich zu verstehen, dass zwei Texte existierten, oder dass zumindest gewisse Dinge im Dritten Geheimnis nicht enthüllt worden waren. Als ich ihm die Frage [über das Geheimnis] stellte, antwortete er wörtlich: ‘Nein, sehen Sie, da es offiziell so veröffentlicht wurde, muss ich mich an das halten, was in den offiziellen Dokumenten erklärt wurde, auch wenn ich vielleicht etwas mehr weiß.’ Und an dieser Stelle, als er die Worte ‘auch wenn ich vielleicht etwas mehr weiß’  sagte, lächelte er ironisch. Da ich selbst anwesend war, konnte ich aus seiner Gestik ablesen, dass es ganz klar mehr gab, als im Heiligen Jahr 2000 [vom Vatikan] veröffentlicht wurde. Was aber Erzbischof  Capovilla zu mir am Telefon sagte, war für mich ein todsicheres Zeichen. Als er mir seine Antworten [per E-mail, auf Fragen, die ich ihm zugeschickt hatte] zukommen ließ, rief ich ihn daraufhin an und er antwortete mir auf eine meiner Fragen, die wörtlich lautete: ‘So sind also, Exzellenz, beide Daten (nämlich der 27. März 1965 und der 27. Juni 1963), an denen Papst Paul VI. das Dritte Geheimnis gelesen haben soll und die von verschiedenen Quellen bestätigt wurden, korrekt, weil tatsächlich zwei Texte über das Dritte Geheimnis existieren?’ Ich fragte ihn das frei weg. Einen Moment lang herrschte Stille, während er über meine Frage nachdachte, dann sagte er zu mir wörtlich: ‘Genau so ist es (Per l’appunto)’. Das ist wohl die deutlichste Bestätigung, die man bekommen kann.”

Diese Worte schienen mir eine Bestätigung für das zu sein, was ich in meinem Buch geschrieben hatte.

MH: Sie haben kürzlich über meinen eigenen Bericht bezüglich Pater Ingo Dollinger geschrieben, der behauptet, dass der damalige Kardinal Ratzinger ihm mitteilte, er habe nicht das ganze Geheimnis veröffentlicht. Haben Sie eine mögliche Erklärung dafür, weshalb sie nicht den vollständigen Text veröffentlicht haben? Könnte es dafür eine Art geistige Vorbehalte geben?

MT: Ich werde Ihnen sagen, was der persönliche Sekretär [Erzbischof Stanislaw Dziwisz] des Hl. Johannes Paul II. mir einst mitteilte, als ich ihn über Fatima befragte. Er antwortete mir: „Das Problem liegt darin, zu verstehen, was die Hl. Jungfrau und was Schwester Lucia sagte.” Ich persönlich bin der Meinung, dass alle Probleme in Zusammenhang mit Fatima, den Päpsten, dem Vatikan ihren Ausgangspunkt in dieser Frage haben. Hat Schwester Lucia – wenn auch nur unabsichtlich – der Botschaft etwas hinzugefügt? Und wenn ja, was? Ich glaube, das ist es, was so viele Angehörige des Klerus so vorsichtig sein lässt im Umgang mit diesem globalen Phänomen.

MH: Finden Sie persönlich es wichtig, dass wir Katholiken die volle Wahrheit über das Dritte Geheimnis erfahren?

MT: Ja natürlich. Wenn die Enthüllung durch solche Fakten untermauert wird….

MH: Was könnte Ihrer Meinung nach der Inhalt des unveröffentlichten Teils des Dritten Geheimnisses sein?

MT: Ich habe wirklich keine Ahnung.

MH:  Haben Sie eine Idee, wie wir erreichen könnten, dass Rom endlich das vollständige Geheimnis bekannt gibt?

MT: Ich glaube, für den Heiligen Stuhl  ist die Angelegenheit abgeschlossen. Ich erwarte nicht, dass sich zu meinen Lebzeiten von Seiten des Vatikans noch etwas tut.