Feigheit oder Heldentum
Der religiöse Krieg des 4. Jahrhunderts und unsere Zeit
25. April 2018
https://www.katholisches.info/2018/04/der-religioese-krieg-des-4-jahrhunderts-und-unsere-zeit/
Der Heiliger Athanasius und die Krise der Kirche
Von Roberto de Mattei*
Die Kirche schreitet in der Geschichte, nach den unerwarteten Plänen Gottes, immer siegreich voran. In den ersten drei Jahrhunderten erreichte die Verfolgung unter Kaiser Diokletian (284–305) ihren Höhepunkt. Alles schien verloren.
Die Entmutigung war für viele Christen eine Versuchung und es fehlte nicht an jene, die den Glauben verloren. Wer ihn aber bewahrte, erlebte nur wenige Jahre später die größte Freude, als das Kreuz Christi in der Schlacht an der Milvischen Brücke (312) auf den Standarten Konstantins erstrahlte. Dieser Sieg veränderte den Lauf der Geschichte. Das Edikt von Mailand-Nikomedia von 313 gewährte den Christen die Freiheit der Religionsausübung und hob das Senatskonsult von Nero auf, mit dem das Christentum superstitio illicita erklärt worden war.
Der „dritte Weg“ der Halbarianer
Die öffentliche Christianisierung der Gesellschaft nahm ihren Anfang in einem Klima der Begeisterung und des Eifers. 325 schien das Konzil von Nicäa mit dem Verurteilung des Arius, der die Gottheit des Wortes leugnete, die doktrinelle Wiedergeburt der Kirche anzuzeigen. In Nicäa wurde, dank des entscheidenden Beitrages des Diakons Athanasius (295–373), dem späteren Bischof von Alexandria, die Lehre der Konsubstantialität, der Wesensgleichheit des Sohnes mit dem Vater, also zwischen den drei Personen der Heiligsten Dreifaltigkeit definiert.
Trinität von Jerónimo Cósida (1510-1592)
In den folgenden Jahren bahnte sich zwischen der orthodoxen Position und jener der arianischen Häretiker eine „dritte Partei“ einen Weg, jene der „Halbarianer“, die ihrerseits wieder in verschiedene Strömungen zerfielen. Sie erkannten eine gewisse Ähnlichkeit zwischen dem Vater und dem Sohn an, leugneten aber das „gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater“, wie es das Glaubensbekenntnis von Nicäa bekräftigte1). Sie ersetzten das Wort homousion, was heißt „gleichen Wesens“, durch den Begriff homoiusios, was bedeutet „ähnlichen Wesens“.
Die Häretiker, Arianer und Halbarianer, hatten erkannt, daß ihr Erfolg von zwei Faktoren abhängen würde. Der erste Faktor war, in der Kirche zu bleiben. Der zweite war, die Unterstützung durch die politische Macht zu erlangen, also von Konstantin und seiner Nachfolger. Und so geschah es auch. Es kam zu einer bis dahin beispiellosen Krise in der Kirche, die mehr als 60 Jahre andauern sollte.
Niemand hat diese Krise besser beschrieben als Kardinal Newman in seinem Buch „Die Arianer des vierten Jahrhunderts“ (1833), in dem er alle Schattierungen der Lehrfrage ausleuchtete. Ein italienischer Wissenschaftler, Prof. Claudio Pierantoni, zog jüngst eine erhellende Parallele zwischen dem Arianischen Streit und dem aktuellen Streit über das Apostolische Schreiben Amoris laetitia.
Der heilige Athanasius
Bereits 1973 verglich Msgr. Rudolf Graber (1903–1992), Bischof von Regensburg, durch Verweis auf den heiligen Athanasius zu seinem 1600. Todestag, die Krise im 4. Jahrhundert mit jener, die auf das Zweite Vatikanische Konzil folgte.2) Athanasius wurde wegen seiner Treue zur Orthodoxie von seinen Mitbrüdern verfolgt und ganze fünfmal zwischen 336 und 366 gezwungen, seine Bischofsstadt zu verlassen. Viele Jahre mußte er im Exil leben und für den Kampf zur Verteidigung des Glaubens in der Kirche aufwenden. Von zwei Bischofsversammlungen in Caesarea und in Tyros (334–335) wurde er wegen Ungehorsam und Fanatismus verurteilt.
Während 341 ein Konzil aus 50 Bischöfen in Rom Athanasius für unschuldig erklärte, bestätigte ein Konzil in Antiochien, an dem mehr als 90 Bischöfe teilnahmen, die Beschlüsse der Synoden von Caesarea und Tyros und setzten einen Arianer auf den Bischofsstuhl des Athanasius.
Das folgende Konzil von Sardica im Jahr 343 endete mit einem Schisma: die Konzilsväter des Westens erklärten die Absetzung des Athanasius für illegal und bekräftigten die Beschlüsse des Konzils von Nicäa. Die Konzilsväter des Ostens verurteilten nicht nur Athanasius, sondern auch Papst Julius I., der später heiliggesprochen wurde, weil er Athanasius unterstützt hatte.
Der falsche Kompromiß
Das Konzil von Sirmium von 351 versuchte einen Mittelweg zwischen katholischer Orthodoxie und dem Arianismus zu gehen.
Athanasius von Alexandria
Beim Konzil von Arles, 353, unterzeichneten die Konzilsväter einschließlich des Legaten von Liberius, der dem heiligen Julius I. als Papst nachgefolgt war, eine erneute Verurteilung von Athanasius. Die Bischöfe hatten sich laut kaiserlichem Edikt zu entscheiden, entweder für die Verurteilung zu stimmen oder ins Exil gehen zu müssen. Allein der heilige Paulinus, Bischof von Trier, verteidigte das Bekenntnis von Nicäa und unterschrieb nicht. Dafür wurde er nach Phrygien in Kleinasien verbannt, wo er an den Mißhandlungen durch die Arianer starb.
Zwei Jahr später unterschrieben auf dem Konzil von Mailand (355) mehr als 300 Bischöfe des Westens die Verurteilung des Athanasius. Ein weiterer rechtgläubiger Bischof, der heilige Hilarius von Poitiers, wurde wegen seiner unbeugsamen Treue zur Rechtgläubigkeit und seiner Weigerung, Athanasius zu verurteilen, nach Phrygien verbannt.
357 unterzeichnete auch Papst Liberius, von der Verbannung gebeugt und auf Druck seiner Freunde, aber auch aus „Friedensliebe“, die halbarianische Formulierung von Sirmium und zerbrach damit die Gemeinschaft mit dem heiligen Athanasius. Diesen erklärte er aus der Kirche für ausgeschlossen wegen des von ihm verwendeten Begriffs Wesensgleichheit, wie vier erhalten gebliebene Briefe des heiligen Hilarius überliefern3). Unter dem Pontifikat von Liberius gaben die Konzile von Rimini (359) und Seleukia (359), die ein gemeinsames Konzil des Westens und des Ostens bildeten, den nicänischen Begriff Wesensgleichheit auf und wählten einen zweideutigen „Mittelweg“ zwischen den Arianern und dem heiligen Athanasius. Es schien, als hätte die sich ausbreitende Häresie in der Kirche gesiegt.
Es kam ganz anders
Die Konzile von Seleukia und Rimini zählen heute nicht zu den acht ökumenischen Konzilen der Antike, obwohl bis zu 560 Bischöfe daran teilnahmen, fast die Gesamtheit der damaligen christlichen Väter, und sie von den Zeitgenossen als „ökumenisch“ bezeichnet und gesehen wurden. Damals prägte der heilige Hieronymus die Aussage: „
Die ganze Erde stöhnte und stellte mit Staunen fest, arianisch geworden zu sein“4).
Es ist von Bedeutung, zu betonen, daß es sich dabei weder um einen Lehrstreit handelte, der sich auf einige Theologen beschränkte, noch um einen einfachen Konflikt zwischen Bischöfen, bei dem der Papst als Vermittler auftreten konnte. Es handelte sich um einen religiösen Krieg, von dem alle Christen betroffen waren, von den Päpsten bis zu den letzten Gläubigen. Niemand verriegelte sich im eigenen geistigen Bunker, niemand blieb als stummer Zeuge des Dramas am Fenster stehen.
Alle stiegen in die Schützengräben, um zu kämpfen. Auf der einen wie auf der anderen Seite. Es war in jenem Augenblick nicht leicht, zu verstehen, ob der eigene Bischof rechtgläubig war oder nicht. Der sensus fidei war der Kompaß für die Orientierung. Kardinal Walter Brandmüller erinnerte in seiner Ansprache am 7. April 2018 in Rom, daß
„der sensus fidei als eine Art geistliches Immunsystem wirken kann, der die Gläubigen instinktiv jeden Irrtum erkennen und zurückweisen läßt. Auf diesem sensus fidei stützt sich daher – neben der göttlichen Verheißung – auch die passive Unfehlbarkeit der Kirche, anders gesagt, die Gewißheit, daß die Kirche in ihrer Gesamtheit nie in eine Häresie fallen kann.“
Der heilige Hilarius schrieb, daß während der arianischen Krise die Ohren der Gläubigen, die zweideutige Aussagen halbarianischer Theologen in orthodoxem Sinn interpretierten, heiliger waren als die Herzen der Priester. Die Christen, die drei Jahrhunderte den Kaisern widerstanden hatten, widerstanden nun den eigenen Hirten, in manchem Fällen sogar dem Papst, die sich wenn schon nicht der offenen Häresie so doch einer schweren Unterlassung schuldig machen.
Die Entscheidung zwischen Feigheit und Heldentum
Bischof Graber erinnert an die Flugschrift Athanasius (1838) von Joseph von Görres (1776–1848), die dieser anläßlich der Verhaftung des Kölner Erzbischofs geschrieben hatte, die aber auch heute von größter Aktualität ist:
„Die Erde wankte unter den Füßen; die Werkzeuge, auf die man mit gerechnet, versagen ihren Dienst; irgend eine Katastrophe, die man nicht erwartet, tritt ein, und das ganze längst unterhöhlte Gebäude bricht zusammen. Daß aus einem solchen Einsturz die Kirche unversehrt hervorgehen werde, kann man mit Gewißheit voraussehen; was aber sonst noch ihn überdauern würde, kann niemand wissen noch ermessen. Also mahnen, warnen, winken, wehren, rufen alle Zeichen; selbst die Tiere, auf denen die falschen Propheten voraus reiten, bäumen, wenden sich zurück, und reden zürnend in der Menschensprache zu ihren Treibern, die das in ihrem Wege gezuckte Flammenschwert (Gottes) nicht sehen… (Numeri 12,22–25). Darum wirke man, wenn’s noch am Tage ist, in der Nacht kann Niemand wirken. Zuwarten ist auch nichts, denn alles Zuwarten hat seither nur die Lage der Dinge in einem rasch zunehmenden Verhältnisse zu verschlimmern gedient.“5)
Es gibt Momente, in denen ein Katholik gezwungen ist, zwischen Feigheit und Heldentum, zwischen Apostasie und Heiligkeit zu entscheiden. Das geschah im vierten Jahrhundert und das geschieht auch heute.
*Roberto de Mattei, Historiker, Vater von fünf Kindern, Professor für Neuere Geschichte und Geschichte des Christentums an der Europäischen Universität Rom, Vorsitzender der Stiftung Lepanto, Autor zahlreicher Bücher, zuletzt in deutscher Übersetzung: Verteidigung der Tradition: Die unüberwindbare Wahrheit Christi, mit einem Vorwort von Martin Mosebach, Altötting 2017.
Übersetzung: Giuseppe Nardi