Benedikt XVI. der letzte Papst?
„Alles ist möglich“, meint Benedikt selbst
(Rom) „Wer ist heute Papst und wie viele gibt es eigentlich genau?“ Mit dieser Frage beginnt die Kolumne, die italienische Journalist Antonio Socci, der durch seine akzentuierte Kritik an Papst Franziskus bekannt wurde, am vergangenen Samstag in der Tageszeitung Libero veröffentlichte. In der Kirche herrsche allgemeine Verwirrung, und das neue Gesprächsbuch von Benedikt XVI., „Letzte Gespräche“, verdichte die Nebel noch, anstatt sie zu lichten.
Socci hatte 2014/2015 die Gültigkeit der Papst-Wahl von Franziskus in Frage gestellt. Von dieser These distanzierte er sich zwar, doch so ganz aufgegeben dürfte er sie noch nicht zu haben. Zu sehr wühlt ihn, aber auch andere Katholiken, noch immer der überraschende Amtsverzicht von Benedikt XVI. auf. Eine innere Unruhe, die durch das Pontifikat von Franziskus ständig neu angefacht wird.
Im neuen Aufsatz beschäftigt sich Socci einmal mehr mit der Gültigkeit des Amtsverzichtes von Benedikt und dessen noch überraschenderen Schritt, eine bisher gänzlich unbekannte Figur, die des „emeritierten Papstes“, einzuführen. Ist Benedikt noch immer Papst? Wie kann es zwei Päpste geben? Diese Fragen stellt sich nicht nur Socci, weshalb führende Kirchenrechtler vor der Einführung dieser Figur warnen. Dergleichen tat auch Kardinal Walter Brandmüller, ein enger Vertrauter Benedikts XVI., der dessen Schritt in die „Emeritierung“ aber nicht billigt. Der Kardinal warnte deshalb im vergangenen Juli vor der Institutionalisierung eines „papa emeritus“, auch deshalb, weil es Gruppen in der Kirche gebe, die Benedikt noch immer für den legitimen Papst halten, und damit eine gefährliche Sprengkraft mit der Gefahr einer Kirchenspaltung in der Luft liege (siehe Kardinal Brandmüller: Figur eines „emeritierten“ Papstes birgt „große Gefahren“ für Einheit der Kirche).
„Ich beginne mit dem kuriosesten Detail“, so Socci. Peter Seewald stellte Benedikt XVI. die Frage, ob er die Prophezeiung des Malachias kenne, der angeblich im Mittelalter eine Liste aller künftigen Päpste bis zum Ende der Welt erstellte. Laut dieser Liste würde das Papsttum, und damit die Kirche, mit Benedikt XVI. enden. Seewald stellt die Frage nach dem letzten Papst nicht direkt, sondern bog sie etwas ab: Was, wenn Benedikt XVI. tatsächlich der letzte Papst wäre, der die Gestalt des Petrus-Nachfolgers in der bisher gekannten Form vertreten hat?
„Die Antwort von Ratzinger ist überraschend: ‚Alles kann sein‘. Alles ist möglich? Auch, daß Benedikt der letzte Papst ist, obwohl bereits seit mehr als drei Jahren sein Nachfolger regiert? Im Seewald-Buch fügt Benedikt hinzu: „Wahrscheinlich ist diese Prophezeiung in den Kreisen um Philipp Neri entstanden“.
„Er nennt sie ‚Prophezeiung‘ und führt sie auf einen großen Heiligen und Mystiker der Kirche zurück, um dann zur Auflockerung zwar mit einem Witz abzuschließen, dennoch war das seine Antwort“, so Socci.
„Hält sich Benedikt XVI. also für den letzten Papst (am Ende der Welt oder zumindest am Ende der Kirche)?”, fragt sich Socci. „Wahrscheinlich nicht. Hält er sich dann aber – zumindest nach der Wiedergabe seines Gesprächspartners – für den letzten, der das Papsttum in der zweitausend Jahre lang gekannten Form ausgeübt hat? Vielleicht schon. Auch diese Aussage läßt aufhorchen, weil das Papsttum als göttliche Institution bekanntlich für die Kirche nicht durch menschlichen Willen geändert werden kann.“
Doch um welche Veränderung soll es sich dabei handeln? „Gibt es einen Bruch in der ununterbrochenen Tradition der Kirche? Eine andere Stelle im Buch weist in diese Richtung. ‚Sehen Sie sich als letzten Papst der alten oder als ersten der neuen Welt?‘ lautet Seewalds Frage. Die Antwort Benedikts XVI.: „Ich würde sagen von beiden.‘“
„Was aber soll das heißen“, fragt sich Socci. Was bedeutet „alte“ und „neue Welt“, vor allem für jemanden wie Benedikt XVI., der stets eine Interpretation des Zweiten Vatikanischen Konzils als ‚Bruch‘ mit der Tradition bekämpfte und stattdessen die Kontinuität betonte?
Seewald schreibt Benedikt XVI. eine „revolutionäre“ Handlung zu, mit der er „wie kein anderer Papst der Neuzeit das Papsttum verändert“ habe. Socci fragt sich, ob diese Behauptung, die „offensichtlich auf die Einführung des ‚emeritierten Papstes‘ anspielt“, einen Bezug zu einer konkreten Aussagen von Benedikt XVI. im Buch hat und meint, fündig geworden zu sein.
Socci erinnert daran, daß die Figur eines „emeritierten Papstes“ in der Kirchengeschichte völlig fremd ist und die Kirchenrechtler mit Nachdruck betonen, daß ein Papst, der auf sein Amt verzichtet, automatisch wieder in den Status vor seiner Wahl zurückkehrt, weil das Papstamt im Gegensatz zur Bischofsweihe kein Sakrament ist. Während die Bischöfe daher auch Bischöfe bleiben, auch wenn sie nicht mehr eine bestimmte Jurisdiktion ausüben, sei dies bei einem Papst nicht der Fall.
Dennoch kündigte Benedikt XVI. in den letzten Tagen seines Pontifikats gegen die Meinung aller Kanonisten an, daß er nach seinem Amtsverzicht zu einem „emeritierten Papst“ werde. Eine kirchenrechtliche oder theologische Begründung seines ungewöhnlichen Schrittes, der noch ungewöhnlicher war als der Rücktritt selbst, benannte er nicht. Vielmehr sagte er bei seiner letzten Generalaudienz am 27. Februar: „Meine Entscheidung, auf die aktive Ausführung des Amtes zu verzichten, nimmt dies [sein Papstsein] nicht zurück.“
Er koppelte diese Aussage mit seiner Ankündigung, im Vatikan bleiben und auch weiterhin das Gewand eines Papstes tragen sowie das päpstliche Wappen und seinen Papstnamen führen zu wollen, einschließlich des Ehrentitels „Seine Heiligkeit“.
„Das war ausreichend, um sich die Frage zu stellen, was denn da geschieht, und ob er denn wirklich vom Papstamt zurückgetreten war.“ Deshalb habe sich Socci bereits 2013 in zahlreichen Artikeln mit dem ungewöhnlichen Amtsverzicht und dem darauf folgenden Konklave befaßt.
Inzwischen gelangte der Kirchenrechtler Stefano Violi, der die Declaratio untersuchte, mit der Benedikt XVI. seinen Amtsverzicht bekanntgab, zum Schluß: „Benedikt XVI. erklärt, auf das ministerium [den Dienst] zu verzichten: nicht auf das Papsttum gemäß den Bestimmungen von Bonifaz VIII., nicht auf das munus [Amt] gemäß dem Canon 332, Absatz 2, sondern auf das ministerium, oder wie er in seiner letzten Audienz präzisierte, auf die aktive Ausübung des Dienstes.“
Nachdem Antonio Socci in mehreren Artikeln mit dem Finger auf Ungereimtheiten gezeigt hatte, suchte der Papst Franziskus sehr nahestehende Vatikanist Andrea Tornielli im Februar 2014 Benedikt XVI. auf und fragte diesen, warum er „emeritierter Papst“ geblieben sei. Die Antwort lautete:
„Die Beibehaltung des weißen Gewandes und des Namens Benedikt ist lediglich eine praktische Sache. Zum Zeitpunkt des Verzichts standen keine anderen Gewänder zur Verfügung.“
Es standen keine anderen Gewänder zur Verfügung?
„Tornielli rief seine ‚Sensationsmeldung‘ in alle Himmelsrichtungen, doch bei näherem Hinsehen, mußten sich die Worte als eleganter Witz erweisen, um eine Frage anzudeuten, über die Benedikt XVI. damals noch nicht sprechen konnte ( wer glaubt schon, daß es im Vatikan keine schwarzen Soutanen gegeben hätte?)“, so Socci. „Dafür spricht er nun darüber, drei Jahre später, und erklärt die Gründe seiner Entscheidung, die natürlich nichts mit Schneiderangelegenheiten zu tun haben.
Im neuen Gesprächsbuch gehen die Überlegungen von den Bischöfen aus. Als man eine Begrenzung ihrer Amtszeit bei 75 Jahren festlegte, wurde der „emeritierte Bischof“ geschaffen, weil man sagte, daß ein Vater immer Vater bleibe.
Dasselbe sagt Benedikt XVI. nun auch von sich. Auch wenn die Kinder schon groß seien, bleibe der Vater Vater, auch wenn er nicht mehr die ganze mit dem Vatersein verbundene Verantwortung trage. Er bleibe Vater in einem tieferen, innigeren Sinn, so Benedikt XVI.
Socci spricht von einer “poetische Überlegung”, andere sprechen von einer verklärenden Darstellung. Auf der theologischer Ebene enthalte sie aber „explosives“, denn „es bedeutet, daß er Papst ist“.
Sein persönlicher Sekretär, Kurienerzbischof Georg Gänswein, kündigte im vergangenen Mai in seiner Rede an der Gregoriana bereits an, was Benedikt XVI. nun im Gesprächsbuch darlegt. Gänswein ging sogar noch weiter und ins Detail.
Gänsweins Rede, die von den meisten Medien verschwiegen wurde, „schlug in der Römischen Kurie wie eine Atombombe ein“, so Socci. Gänswein sagte, der päpstliche Dienst sei seit dem 11. Februar 2013 nicht mehr derselbe wie vorher. Das Papsttum sei und bleibe zwar das Fundament der katholischen Kirche, doch sei es von Benedikt XVI. durch sein „Ausnahmepontifikat“ grundlegend und dauerhaft verändert worden.
Sein Amtsverzicht und die Schaffung der Figur des „emeritierten Papstes“, sei ein „gewichtiger Schritt von tausendjähriger historischer Tragweite“ gewesen. Ein Schritt, den es bisher noch nie gegeben habe, denn Benedikt XVI. habe sein Petrusamt nie aufgegeben, sondern „erneuert“.
Die Neuerung liege in der „Erweiterung“ des Papsttums um eine „kollegiale und synodale Dimension“, um ein „quasi gemeinsam“ ausgeübtes Amt. Es gebe zwar nicht zwei Päpste, aber ein de facto „erweitertes“ Papstamt mit einen „aktiven und einen kontemplativen“ Papst.
Ein von zwei Personen ausgeübtes gemeinsames Amt? Man fragt sich ernsthaft, wovon hier eigentlich die Rede ist und reibt sich ungläubig die Augen. Paul Badde hatte Gänswein bereits wenige Tage nach seiner Gregoriana-Rede nach der Malachias-Prophezeiung gefragt. Dergleichen mag einem Interview oder dem Artikel eines Journalisten erst die richtige Würze geben, der Kirche hift es in ihrer aktuellen Situation aber wohl kaum weiter. Gerade Gänswein vermittelte in seiner Gregoriana-Rede und im Badde-Interview für EWTN den Eindruck, als wolle er einen letztlich unverständlichen Schritt Benedikts XVI. verklären und nachträglich durch eine konstruierte Bedeutung aufzuladen, was alles eher verschlimmert. Vor allem Gänsweins Antwort gegenüber Badde, er habe auch mit vier oder fünf emeritierten Päpsten „kein Problem“ läßt es an Ernsthaftigkeit vermissen. Die ganze durch Benedikts Amtsverzicht entstandene Situation ist problematisch genug, da es der Bedarf an salopp-sorglosem Schwadronieren ziemlich eingeschränkt.
Socci hält sich damit nicht auf, da er auf anderes abzielt. Bis zur Gänswein-Rede habe „Bergoglio, der diese Dinge bereits von Benedikt XVI. gehört haben muß, ohne sie zu verstehen, das emeritierte Papsttum wie folgt erklärt“: Der Amtsverzicht von Benedikt XVI. sei eine „Regierungshandlung“ gewesen, vergleichbar einem Bischof, der auf seine Jurisdiktion verzichte und emeritiert.
Seit der Gänswein-Rede vom Mai „ist dem Bergoglio-Hofstaat erst die Tragweite des Problems bewußt geworden“, so Socci Auf dem Rückweg von Armenien erteilte Franziskus daher der These von einem „gemeinsamen Petrusdienst“ eine klare Absage.
Im August veröffentlichte Tornielli („Thermometer der Kurie“) ein Interview mit dem bedeutenden Kanonisten und Vertreter der Römischen Kurie, Titularbischof Giuseppe Sciacca, der vorbehaltlos die Figur eines „emeritierten Papstes“ zerpflückte. „Die Einzigartigkeit der Petrus-Nachfolge erlaubt keine weitere Unterscheidung oder Doppelung des Amtes“ oder auch nur den nominellen Gebrauch als Ehrentitel. Vor allem gebe es keine Unterscheidung zwischen dem Amt und dessen Ausübung (siehe Neue Breitseite gegen „emeritierten Papst“ – Kirchenrechtler Sciacca: „Juristisch und theologisch unhaltbar“).
Damit kommt Socci zum Kern seiner Kolumne, zu einer Frage, die durchaus legitim ist, aber zugleich das, vor dem Kardinal Brandmüller vor kurzem warnte:
„Benedikt XVI. entschied aber kraft seiner Vollmacht, Papst zu bleiben und nur auf die aktive Ausübung des Amtes zu verzichten. Wenn diese seine Entscheidung unzulässig und nichtig ist, bedeutet das, daß auch sein Verzicht null und nichtig ist?“
Text: Giuseppe Nardi