Abtreibung - eine außergewöhnliche Geschichte
Macht-Kämpfe
Sara war 17, als sie unerwartet schwanger wurde. Im Gespräch mit unserer Vorsitzenden Sonja Dengler schüttete sie ihr Herz aus und erzählte offen über ihre Haltung zum Thema Abtreibung, ihren Schwangerschaftskonflikt und die Auseinandersetzung mit ihrem Vater, einem Gynäkologen.
Sie sind erst nach der Geburt Ihres Sohnes volljährig geworden - wie hat denn Ihre Umgebung, insbesondere Ihre Familie auf die unerwartete Schwangerschaft reagiert und wie kam es, dass Sie nicht an das für viele leider Naheliegende gedacht haben - nämlich eine Abtreibung zu machen?
SARA: Oh! Ich habe natürlich daran gedacht, immer wieder, besonders in der ganz verzwickten Lage, in die ich mich da hineinmanövriert hatte. Ich muss da etwas weiter ausholen ... Die Sache ist so, dass ich eigentlich [verzieht das Gesicht und kämpft mit den Tränen] auf meinen Namen stolz war, auf meine Heimatstadt Berlin, auf meine Familie und überhaupt ist es mir einfach gut gegangen! Ich bin auch nie besonders unangenehm aufgefallen, habe meine Schule mal besser, mal schlechter geschafft, insgesamt bin ich aber gern zur Schule gegangen, wir hatten da eine feste communitiy. Bis sich eben mit einem Schlag alles verändert hat. Wir nahmen in der Schule die Themen Schwangerschaft, Abtreibung, Geburt usw. durch.
Und da beging ich einen verhängnisvollen Fehler, als ich mich zusammen mit meiner Freundin meldete, ein Referat zum Thema „Abtreibung" vorzubereiten. Mir war das deshalb besonders wichtig, weil mein Vater Gynäkologe ist und ich in der festen Meinung aufwuchs, mein Vater ist ein guter Mensch, was sage ich: er ist der beste Mensch schlechthin! Immer hat er mir geholfen, immer mir den Rücken gestärkt, sich immer im Streit mit meiner Mutter vor mich gestellt. Meine Mutter trank viel und die Ehe lief entsprechend holperig, sag' ich mal ...
Was hat die Ehe Ihrer Eltern mit dem Thema Abtreibung zu tun?
SARA: Ganz einfach, ich habe am Ende verstanden, dass es nicht meine Mutter war, die unausstehlich war durch die Trinkerei, sondern dass es mein Vater war, der das Familienleben systematisch kaputt geritten hat. Mein Vater hat alles gemacht, damit ich denken soll, meine Mutter wäre die Böse und deshalb war mein Aufwachen so grausam ...
Wie das?
SARA: Ja, wir müssen zum Anfang, genauer zum Referat zurück. Ich ging also nach Hause, verkündete beim Abendessen stolz mein Thema „Abtreibung" und erlebte staunend, was dann ablief: Meine Mutter fragte blitzschnell, wie ich denn dazu stünde, und ich erklärte natürlich stolz wie Bolle, dass ich GEGEN Abtreibung bin, weil das ja ein kleiner Mensch ist und egal, welche Probleme damit auftauchen, der kleine Mensch nichts, aber auch gar nichts dafür kann und er, der winzige kleine Mensch aber der einzige ist, der mit seinem Leben bezahlt. Auf meine kleine rhetorische Einlassung war ich sehr stolz, weil Deutsch mein Lieblingsfach ist, und ich guckte meinen Vater an, der aber böse die Wand anstarrte, während meine Mutter ihr Besteck klirrend auf den Glastisch knallte und meinen Vater anzischte, schon ein wenig torkelnd: „Das MUSSTE dir ja mal passieren ...!" Erst merkte ich gar nicht, was los war, weil ich ja mit mir bzw. mit meinem Thema beschäftigt war, ich dachte, dass wir das Referat schnell fertigkriegen, weil Vati uns die wichtigsten Eckdaten nennen kann.
Warum hat das denn nicht geklappt?
SARA: Weil mein Vater ausgerastet ist, als er mit mir alleine blieb. Meine Mutter verschwand einmal mehr im Schlafzimmer, dort trank sie. Sichtlich wütend fuhr mich mein Vater an: „Wieso bist du denn gegen Abtreibung? Denk doch mal an die armen Frauen!" Ich merkte immer noch nicht, dass ich grundsätzlich in die ganz falsche Richtung rannte und wiederholte im wesentlichen, was ich schon gesagt hatte: „Man kann doch nicht einfach ein kleines Mini-Kind umbringen, wer macht denn sowas?"
Und dann kam der absolute Schocker für mich, denn mein Vater wurde ganz kalt und antwortete: „Ich!" Das ging noch ein paar Mal so her und hin, war mir unverständlich, schließlich habe ich es verstanden, dass mein Vater Abtreibungen macht und im Laufe des immer lauter werdenden Streites warf er mir vor: „Was denkst du, wer oder was dir unseren guten Lebensstil ermöglicht? Dreimal im Jahr in Urlaub fliegen, alle deine Klamotten bezahlen, ein großes Haus, alle deine Wünsche erfüllen usw., was glaubst du denn, wo das Geld dafür herkommt?!"
Wie ist es möglich, dass Sie bis dahin nicht wussten, dass Ihr Vater Abtreibungen macht, so etwas kann man doch nicht verheimlichen?
SARA: Doch, wir haben zu Hause niemals über dieses Thema gesprochen, jedenfalls nicht, wenn ich dabei war. Zu Hause galt die Maxime, keine beruflichen Frauengeschichten, auch nicht über Geburt oder so. Das allerhöchste war dann immer, wenn mein Vater zu meiner Mutter sagte: „Trine, ich muss mal eben ins Krankenhaus ..." Stellen Sie sich mal vor, wie das für mich gewesen wäre, wenn er am Esstisch oder im Urlaub da über anatomische weibliche Details redet - also: für MICH wäre das mega-mega-peinlich gewesen. Das Thema Gynäkologe war also außen vor. Immer.
Wie ging das Abendessen dann weiter, nachdem Sie verstanden haben, was Ihr Vater tut?
SARA: Er verlangte von mir, dass ich das Referatsthema ändern soll - ich verstand ihn noch immer nicht und dachte mir so im Hinterstübchen, dass er heute schlechte Laune hat oder sowas ... Jedenfalls habe ich meiner Freundin gesagt, dass mein Vater uns nicht hilft (mehr nicht), und dann haben wir beide gemeinsam uns angeschaut, WAS Abtreibung ist [weint] und wir fanden, dass unsere Position die richtige war. Niemand durfte ein kleines Kind totmachen, egal warum, egal wie ... Wir bekamen für unser Referat eine 1, vor allem, weil ich auch die Modelle aus der Praxis meines Vaters mitgebracht habe und anhand derer haben wir dann demonstriert, was da abgeht.
Hat Ihr Vater die gute Benotung gelobt oder wie ist er damit umgegangen?
SARA: Nein! Er wollte sogar, dass ich die Schule wechsle, es wurde immer abstruser und die 4 Wochen vor dem Referat waren sowieso die Hölle. Ich erkannte ihn nicht wieder, sag ich mal. Auch meine Mutter übrigens nicht, die Rollen vertauschten sich: Er schwieg mich an und Mama redete. Stur erklärte ich bei jedem Abendessen, wie weit wir beim Referat vorangekommen waren und sparte nicht mit Details und mit meiner Missachtung für die 2 Täter (Schwangere und Gynäkologe). Diese beiden Täter waren MEIN Hauptthema, während meine Freundin die Abtreibung an sich erklärte und darstellte.
Aber schließlich waren die 4 Wochen vorbei ... und dann?
SARA: Ja, letztendlich waren die 4 Wochen auch mal vorbei. Wenn ich heute zurückblicke, dann denke ich, dass es beinahe zeitgleich war, als ich anfing, mit Alex ins Bett zu gehen und mal auszuprobieren, wie, was, warum. Naja. Natürlich ohne Verhütung, immer heimlich bei ihm, seine Eltern waren beide den ganzen Tag außer Haus. Also ich muss sagen: ICH fand es ja nicht sooo toll [Tränen in den Augen], aber Alex fand ich toll, ich habe ihn ganz doll lieb gehabt. Es kam, wie es kommen musste, ich wurde schwanger.
Was sagte Alex dazu?
SARA: Oh Mann, das war das erste Problem, das mir nur so um die Ohren flog, er war entsetzt, weil er einfach angenommen hat, dass ich selbstverständlich die Pille nehme. Dieses 'selbstverständlich' hat mich geärgert und auch gedemütigt. Wie kommt er mir denn vor?
Wann haben Sie es zu Hause gesagt?
SARA: Ach, das habe ich alles, alles falsch gemacht, ich hatte mir vorgenommen, wann und in welcher Situation ich das mit dem Baby sage und gehofft, meine Mutter steht mir dann bei und mein Vater kriegt die Kurve. Aber der Ort, der Zeitpunkt und ich glaube auch meine Art, wie ich es ihnen auf den Teller geknallt habe, ließen eine Detonation ertönen, die ich nicht erwartet hatte. Also rannte ich in mein Zimmer, drehte den Schlüssel um und dachte, dass ich erst zur Geburt wieder rauskomme und bis dahin mit niemand rede, außer, die beiden würden sich wieder einkriegen. Klar war, dass ich ganz bestimmt und unter keinen Umständen abtreiben würde. Ich nicht.
Haben Sie es auch in der Klasse oder Ihren Freundinnen gesagt?
SARA: Ja, das habe ich und ich war tief gerührt über die Anteilnahme. Bloß die Jungs waren neben der Spur, und nach und nach meinten auch die meisten Mädchen, dass es vielleicht doch besser wäre ... dass es für mich doch leichter wäre ohne ein Kind ... Das war eine schlimme Zeit für mich, weil es mir morgens so schlecht ging, dass ich endlos spuckte und dann in der Schule nicht konzentriert arbeiten konnte. Aber dann hat sich eine Lehrerin über mich beschwert und so kam es ans Licht. Ein Chaos, sage ich ihnen, aber das war nichts gegen das Chaos zu Hause… Ich hatte Glück, dass die Vertrauenslehrerin zu mir hielt und mit der Klasse wieder und wieder darüber diskutierte, dass wir doch vor kurzem alle zu der Ansicht gekommen sind, dass Abtreibung Kinder-Tod bedeutet und jetzt, wo es konkret wird ... Schließlich beruhigten sich alle, ich auch.
Wie ging es parallel zu Hause weiter?
SARA: Da wurde es ganz eklig, mein eigener Vater bot mir an, das Kind, sein Enkelkind!, wegzumachen. Wegen meiner Angst und dem Theater in der Schule war ich sehr hin- und hergerissen, an dem einen Tag wollte ich auf gar keinen Fall eine Abtreibung, am anderen Tag wollte ich auf gar keinen Fall ein Kind.
Wie hat Alex sich in der Folge weiter verhalten?
SARA: Der? Der hat die Schule gewechselt und mir eine SMS geschrieben, dass ich ihn in Ruhe lassen soll [weint sehr], das fand ich sooo gemein.
Warum haben Sie das Angebot ihres Vaters nicht angenommen, eine Abtreibung bei ihnen vorzunehmen?
SARA: Ich stellte mir vor, wie ich da vor ihm auf den Stuhl klettere ..., mir wurde schlecht. DAS war ekelig, ekelig, und nochmal ekelig. Am Ende hat es meinem Kind das Leben gerettet, weil ich immer sturer wurde in meiner Angst und mein Vater seinerseits wütend und aufgebracht reagierte. Letztendlich war es ein Macht-Kampf, so im Rückblick gesehen, meine ich. Macht, im Sinne des Wortes zu verstehen. Mittlerweile denke ich sogar, dass er mir unbedingt beweisen wollte, wie wenig ihn das kratzt, unschuldige kleine Kinder umzubringen, und da wäre so ein Enkel natürlich so was wie das Tüpfelchen auf dem i. In der Klasse waren wir uns übrigens völlig im Klaren darüber, dass Abtreibung uncool ist und nach Looser stinkt, Kindkriegen dagegen ist cool, mega-cool. In der Parallelklasse war übrigens ein Mädchen, das abgetrieben hat und jeder kann selber sehen, dass das eine sehr schlechte Idee war. Mein Vater begreift die neue Welt nicht, er ist nicht fähig, sich der Wahrheit zu stellen, er will in seiner Welt bleiben, geht's noch? Ich verachte ihn nur noch, mit einem, der Kinder umbringt und nicht einmal vor seinem eigenen Enkelkind zurückschreckt, will ich nichts mehr zu tun haben. Nie mehr. Niemals.
Wie verhielt sich Ihre Mutter zu Ihnen und dem Kind, das ja auch ihr Enkelkind ist …
SARA: Ja, also DAS war dann die Überraschung. Anfänglich hat sie sich in ihr Schlafzimmer (meine Eltern haben getrennte Schlafzimmer) zurückgezogen, aber so nach und nach redete sie mit mir und machte deutlich, dass sie meine Entscheidung respektiere, dass auch sie immer schon (!) gegen Abtreibung war und dass sie immer (!) schon furchtbar fand, was Vater da tat. So ganz, ganz langsam drang in mein Gehirn vor, dass nicht das Trinken meiner Mutter die Ehe kaputt machte, sondern mein Vater mit seinen Abtreibungen. Das ist nicht zum Aushalten, das geht einfach nicht in mein Hirn, dass der sowas macht und nicht anfängt, selber zu denken.
Wie ist denn der heutige Stand der Dinge, was sagt er heute dazu?
SARA: Ich rede seit zwei Jahren nicht mehr mit ihm. Ich will ihn nicht mehr sehen, der hat Kinderblut an seinen Händen, das ist nun einmal die krasse Wahrheit. Zur Geburt schrieb ich ihm noch eine SMS, aber er kam mich nicht besuchen ... Meine Mutter und ich sind ausgezogen, ich habe mein Abi gemacht und mache jetzt bald meine Prüfung als Krankenschwester. Wir Zwei ziehen Vito groß, und sobald ich meinen Abschluss habe, werde ich versuchen, ein Medizin-Studium zu beginnen. Meine Mutter will mir auf jeden Fall helfen, so lange ich sie brauche. Und sie trinkt nicht mehr. Meinen Vater habe ich abgeschrieben, dass der noch klüger wird, kann ich mir gar nicht vorstellen. Aber er ist sehr einsam, und so meint meine Mutter, dass er vielleicht doch mal damit aufhört ... Dann hätte er den Machtkampf mit mir verloren, aber seine Zukunft gewonnen.
Wir unterstützen Sara bei der Anschaffung der teuren Medizin-Bücher im Studium mit unterschiedlichen Beträgen.
Quelle: Tiqua e.V. Dreikreuzweg 60, 69151 Neckargemünd
(Tiqua setzt sich für die Rettung Ungeborener ein.)