Er sieht die Spätfolgen der Covid-19-Patienten
Medizin— Stefan Waibel ist Neurologe und praktiziert in Günzburg. Ihm gehört außerdem seit über fünf Jahren eine Rehaklinik im Schwarzwald. Dort hat er mit Patienten zu tun, die kaum einer zu Gesicht bekommt.
VON TILL HOFMANN
Günzburg/Bad Wildbad An sich ist Stefan Waibel ein fröhlicher Mensch. Kürzlich hat der Reißensburger Neurologe mit Praxis in Günzburg den zehnten Hochzeitstag mit seiner Ehefrau gefeiert. Das sei ein sehr entspannender Tag gewesen, sagt er und lacht. Der Doktor vermittelt den Eindruck, dass er gerne lacht.
Dann aber wird er im Gespräch mit unserer Redaktion ernst. Das hat mit Menschen zu tun, die vom Coronavirus infiziert worden sind und nach einer Akuttherapie längst nicht wieder gesund sind. Seit Mai hat Waibel an seinem anderen Dienstort, der Rehaklinik Olgabad im baden-württembergischen Bad Wilbad, mit 20 Corona-Patienten zu tun: Solchen, die schwer erkrankt waren und nach wie vor an den Folgen des tückischen Virus leiden. Dabei will er gleich mit einem Märchen aufräumen, dass schwererkrankte Covid-19-Patienten ausschließlich unter hochbetagten, jedenfalls alten Menschen zu finden seien. Die Jüngste unter denjenigen, die im Olgabad wegen des Coronavirus behandelt werden, ist 38 Jahre alt und zweifache Mutter.
Für das Gespräch hat Waibel eine Liste derjenigen zusammengestellt, die die Corona-Infektion eigentlich überwunden haben. Drei der 20 Patienten benötigen nach wie vor Sauerstoff. Zwölf haben eine sogenannte Trachealkanüle. Der Luftröhrenschnitt erleichtert den Betroffenen das Atmen, da der Weg zur Lunge eingespart wird und sie an diesem Punkt auch von einer Maschine beatmet werden können. „In der Akutklinik sind die Patienten zum Teil wochenlang beatmet worden“, sagt der Chefarzt, der zugleich geschäftsführender Ärztlicher Direktor der Olgabad-Rehaklinik (insgesamt 75 Betten) ist, die ihm seit fünfeinhalb Jahren auch gehört. Neben der obligatorischen Lungenentzündung (Pneumonie), die das Virus in der Regel hervorruft, haben die Menschen noch ganz andere Begleiterkrankungen. Vier Patienten litten an Herzmuskelentzündungen. Dabei machte sich bei zweien ein Vorhofflimmern bemerkbar mit der Folge, dass Blut im Herzen gerinnen könne. Damit ist die Gefahr eines Schlaganfalls, einer Lungenembolie oder eines Herzinfarkts verbunden. Blutverdünnende Medikamente sind essenziell. Fünf der 20 seit Mai aufgenommenen Patienten hatten durch die Akutbehandlung lagerungsbedingte Wunden. Das habe nichts mit einer Nachlässigkeit im Akutkrankenhaus zu tun, stellte Waibel klar. „Wenn man ein Leben retten will, werden auch Wunden in Kauf genommen, um die man sich später kümmert." Der Arzt berichtet von einer Frau, die acht Wochen auf dem Bauch liegend beatmet werden musste.
Zwölf Patienten hatten Nierenversagen und sind dialysepflichtig. Keiner von ihnen hatte im Vorfeld eine Nierenerkrankung, sagt Waibel und führt sich die Zahlen dieser 20 Personen umfassenden Gruppe noch einmal vor Augen. Zwar sei eine repräsentative Aussage nicht möglich: „Aber man muss sich das einmal vorstellen: 60 Prozent haben wegen dieser Langzeiterkrankung keine andere Wahl, als sich an die Dialyse anschließen zu lassen. Diesen Anteil halte ich für hoch.
Damit nicht genug: Vier Rehabilitanten werden mittels einer PEG-Sonde künstlich ernährt„ weil sie nach der Corona-lnfektion nicht mehr schlucken können. Drei haben eine Leberentzündung (Hepatitis) davongetragen, nachdem sie durch den Corona-Erreger angesteckt worden sind. „Das ist jetzt eine Art Covid-Hepatitis und von der Behandlung her sehr schwierig." So wie alles schwierig zu sein scheint, was mit heftigen Corona-Verläufen zu tun hat. „Diese Spätfolgen sind ja völliges Neuland. Jeden Tag gibt es neue Meldungen dazu“, sagt der Neurologe. Sechs Patienten trugen neben dem Corona-Virus weitere Keime in sich - in einem Fall einen Pilz, in anderen Fällen multiresistente Bakterien. Das Immunsystem ist damit überfordert. Infolge von Corona hatten vier der 20 Patienten Schlaganfälle und einer eine Hirnblutung. Bei den genannten Folgeerkrankungen muss niemand ein Rechenkünstler sein, um daraus zu schließen, dass die Patienten großteils mit mehreren Krankheiten und Komplikationen zu kämpfen haben.
Waibel fährt zweimal in der Woche in seine Klinik in den Schwarzwald, um dort und in der Heimat Günzburg behandeln zu können. Er kann nachvollziehen, wenn Menschen demonstrieren, weil sie sich in ihrer Lebensqualität eingeschränkt fühlen. Die wirtschaftlichen Folgen seien nicht zu unterschätzen. Kurzarbeit und drohende Arbeitslosigkeit befeuerten existenzielle Ängste.
Aber Waibel hat auch immer diejenigen vor Augen, die gesundheitlich durch Corona völlig aus der Bahn geworfen worden sind. Er sagt: „Als kultivierter Mensch muss ich mich um die Schwächsten kümmern.“ Damit meint er nicht nur sich. Jeder trage dazu bei, der Abstand, Handhygiene und das Tragen von Mund-Nasen-Masken ernst nehme. Der Günzburger Arzt ist der festen Überzeugung, dass die Regelungen in Deutschland und deren Einhaltung „dazu beigetragen haben, Menschenleben zu retten“.
Vor Rückkehrern aus problematischen Urlaubsregionen hat er Bammel und vor denen, die glauben, man könne in den Sommerferien alles lockerer angehen und Hygieneregeln nicht so konsequent beachten. Das sei mitnichten so.
Augsburger Zeitung, 11. August 2020
Anmerkung: Bester Schutz gegen das Virus und vieles andere ist Psalm 91, früh und abends gebetet, täglich.