Stellungnahme von Pfarrer Winfried Abel, Studentenpfarrer im Priesterseminar im  Leopoldinum in  Heiligenkreuz bei Wien an seinen Bischof

 

Lieber Herr Bischof!

 

Heute erhielt ich per elektronische Mail die "Anweisung für Geistliche, kirchliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie im Bereich der kirchlichen Vereine und Verbände zur Bekämpfung des Coronavirus", die Sie mit dem Datum 17. Juni als "Diözesangesetz" erlassen haben.

Rein juristisch-formal hätte ich die Frage, welche Rechtsverbindlichkeit ein Diözesangesetz überhaupt hat. Was geschieht mit den Gesetzesübertretern? Ich habe in Erinnerung, dass ein Gesetz nur dann sinnvoll ist, wenn es – nötigenfalls unter Strafandrohung – auch durchgesetzt werden kann.

Doch es ist nicht diese juristische Frage, die mich umtreibt. Ehrlich gesagt: beim Lesen dieses 14-seitigen, bis ins kleinste Detail die Liturgie regelnde Werk bekam ich ein derartiges Bauchgrimmen, dass ich mich von dem inneren Groll nur befreien kann, indem ich Ihnen diesen Brief schreibe.

Schon der Titel dieses "Diözesangesetzes" geht von einer fragwürdigen Prämisse aus. Er suggeriert, dass es Aufgabe der Seelsorger sei, das Coronavirus zu bekämpfen. Hier maßt sich das Bistum eine Aufgabe an, die eindeutig Sache des Staates und der Gesundheitsämter ist!

Gegen wen oder was hat die Kirche den Kampf zu führen?

Der heilige Paulus würde das wohl so formulieren (Ep.6,12): "Wir haben nicht gegen Menschen aus Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern gegen die Fürsten Gewalten, gegen die Beherrscher dieser finsteren Welt, gegen die bösen Geister des himmlischen Bereichs…"

Der Evangelist Lukas berichtet (Lk.11,38ff), wie die Pharisäer Jesus den Vorwurf machten, dass er sich vor dem Essen nicht die Hände wusch. Ich nehme an, Sie kennen die Antwort, die Jesus den Gesetzestreuen gab. Was würde ER zu dem diözesanen Hygiene-Liturgie-Regelwerk sagen?

Vor drei Tagen hatte ich am Bahnhof in St. Pölten eine eher zufällige Begegnung mit dem dortigen emeritierten Bischof Küng. Wir kamen auch auf die kirchlichen Reaktionen auf die sog. Corona-Krise zu sprechen und waren beide einvernehmlich der Meinung, dass hier irgendetwas falsch gelaufen ist bzw. durch CORONA der erschreckenden Zustand unserer Kirche offenbar geworden ist, - nämlich die Tatsache, dass die Kirche sich zum Knecht des Staates gemacht hat und die Prioritäten vertauscht hat:

Die Gesundheit des Leibes hat absoluten Vorrang vor der Gesundheit der Seele.

Das Wort Jesu "Suchet zuerst das Reich Gottes, dann wird euch alles andere dazugegeben" wird damit für obsolet erklärt.

Ich kann mich nicht erinnern, dass es ein Diözesangesetz gibt, dass die Priester und Gläubigen auf eine spirituelle Mit-Feier der Liturgie und den würdigen Empfang der heiligen Kommunion so detailliert einschwört! Selbst im "katholischen" Fulda werden Eucharistiefeiern (!!) – z.B. auf dem Frauenberg in der Faschingszeit – unter das Thema "Jubel, Trubel Heiterkeit" gestellt, in der Stadtpfarrkirche werden Familiengottesdienste gefeiert, bei denen nach einem modern geklampften "Herr erbarme Dich" - ohne Tagesgebet oder vorausgehende Lesung ein "Evangelium" aus einem Kinder-Erzählbuch vorgelesen wird. Ich kenne einige Priester in unserem Bistum, die sich an keine vorgeschriebenen liturgischen Texte halten, ihre eigenen Hochgebete formulieren… Ganz zu schweigen von den Exzessen mit häuslichen Mess-Simulationen etc…, die diese Corona-Krise hervorgebracht hat.

Eine Frucht der Corona-Liturgie scheint mir zu sein, dass nach Meinung von manchen Gläubigen die nicht desinfizierten Hände des Priesters die Gültigkeit des Sakramentenvollzugs tangieren. Das Denunziantentum hat in diesen Tagen übrigens horrende Ausmaße angenommen.

Ich habe fast den Eindruck, dass in den Augen mancher Hygiene-Fanatiker die desinfizierte Hand des Priesters wichtiger ist als die innere Verfassung der Kommunionempfänger. Es gibt Bischöfe, die dafür eintreten, dass Menschen, die im Ehebruch oder in einer eingetragenen gleichgeschlechtlichen Beziehung leben zur Kommunion zugelassen werden sollten, - ja auch das Seelsorgeamt in Fulda plädiert für "wertschätzende Anerkennung" anderer Lebensformen… Doch wehe, wenn der Priester vor der Feier der Eucharistie seine Hände nicht desinfiziert! Wehe, wenn die Gemeinde es wagt, Gott mit Gesang und frohem Herzen zu loben und zu preisen!

Gestern rief mich eine mir gut bekannte 93-jährige Seniorin aus dem vom Caritasverband in Fulda geführten Josefsheim an und klagte: "Wir Alten sind abgeschrieben!" Seit März keine Heilige Messe, keine heilige Kommunion!

Der italienische Philosoph und Buchautor Giorgio Agamben schrieb kürzlich in einem Kommentar:

"…Ich komme nicht umhin, die noch schlimmere Verantwortung derjenigen zu erwähnen, die die Aufgabe gehabt hätten, über die Würde des Menschen zu wachen, Vor allem die Kirche, die – indem sie sich zur Magd der Wissenschaft gemacht hat, welche mittlerweile zur neuen Religion unserer Zeit geworden ist – ihre wesentlichen Prinzipien radikal verleugnet. Die Kirche unter einem Papst, der sich Franziskus nennt, hat vergessen, dass Franziskus die Leprakranken umarmte. Sie hat vergessen, dass eines der Werke der Barmherzigkeit ist, die Kranken zu besuchen…"

In Ihrem Hygiene-Liturgie-Regelwerk steht wörtlich (Nr.14): "Gläubige können unabhängig von Alter oder Erkrankung die heilige Kommunion und die Krankensalbung empfangen, wenn sie von sich aus darum bitten, nicht am Coronavirus erkrankt sind und nicht unter Quarantäne stehen."

War dann das Martyrium der seliggesprochenen Priester Richard Henkes, Engelmar Unzeitig und Alojs Andritzki, die freiwillig in Dachau Typhuskranke pflegten und sich dabei infizierten, sinnlos??

Wussten nicht alle Missionare, die im 19. Jahrhundert nach Afrika gingen, dass ihnen dort nur eine Durschnittlebensdauer von 3 Jahren verblieb?

Hat der hl. Aloysius von Gonzaga eine Dummheit begangen, als er Pestkranke pflegte und daran starb?

…Und… horribile dictu: Jesus hat – ohne Mundschutz! – Menschen angehaucht, Blinde mit Speichel bestrichen, ja sogar Aussätzige berührt, ohne sich zu desinfizieren!

Jesus war so etwas wie ein "Prophet der Distanzlosigkeit"!

Er hielt keinen Abstand und er verordnete auch seinen Jüngern keinen Abstand! Er suchte die Nähe, weil er mehr zu geben hatte als die Gesundheit des Leibes! - Und die Kirche?....??

Hätten die Verfasser der "Anweisung …zur Bekämpfung" ein paar einsame Alte im Pflegheim besucht, dann hätten sie ihre Zeit sinnvoller und segensreicher verbracht als mit der Formulierung dieser zum Teil lächerlichen Einzelheiten. – Kann man einem verantwortlich denkenden Seelsorger nicht mehr Spielraum zumuten?

Wussten Sie, dass im 1. Quartal dieses Jahres 20.000 Menschen weltweit an Corona gestorben sind, während in demselben Zeitraum 9 Millionen Kinder im Mutterleib getötet wurden? Wir, die wir am irdischen Leben kleben, gönnen den Neuankömmlingen das Leben nicht – und kümmern uns auch nicht um die kranken Seelen derer, die die Verantwortung für diesen millionenfachen Mord tragen!!

Lieber Herr Bischof, ich musste mir das alles von der Seele schreiben!

Ich bin so traurig über das Versagen der Kirche, die sich so wenig um das Wesentliche sorgt, das ihr von ihrem Stifter aufgetragen ist, - sich aber allzu gefällig denen gegenüber zeigt, deren Applaus sie erhofft.

Ich wünsche Ihnen für Ihr schweres Amt viel Mut und vom Geist geführte Entscheidungen!