Word: Galater

 

Der Brief an die Galater

Einleitung

Im dritten vorchristlichen Jahrhundert siedelte sich eine Gruppe keltischer, aus Europa nach dem Südosten ausgewanderter Volksstämme im Hochland Kleinasiens an. Nach diesen Kelten wurde das Gebiet fortan Galatien und die Bewohner Galater genannt. Angora (Ankyra), der heutige Sitz der türkischen Regierung, gehörte zu den Hauptstädten der Galater. Hieronymus berichtet aus eigener Beobachtung, daß die galatische Sprache mit der Sprache des Trierer Landes verwandt sei. Auf seiner zweiten und dritten Missionsreise wirkte der heilige Paulus mit großem Erfolg unter den Galatern. Als er aber danach sich in Ephesus aufhielt, kamen beunruhigende Nachrichten aus den jungen Christengemeinden. Judaistische Irrlehrer brachten die noch nicht genügend im Glauben befestigten, aber auch ihrem keltischen Temperament entsprechend leicht beeinflußbaren Christen in Verwirrung (1,7; 3,1). Sie forderten als Bedingung der Rechtfertigung die Beobachtung des mosaischen Gesetzes. namentlich die Beschneidung. Der Glaube an Christus allein genüge nicht; der rechte Weg zum Christentum führe nur über das Judentum. Paulus, der Spätberufene unter den Aposteln, sei nicht maßgebend; denn er lehre anders als die „Altapostel“ Petrus, Jakobus und Johannes.

 

Die Gefahr für das Glaubensleben der Galater war groß. Um sie abzuwehren, schrieb Paulus um das Jahr 55 von Ephesus aus unsern Brief an die Galater. Darin stellt er mit allem Nachdruck „sein Evangelium“, das Evangelium von der Rechtfertigung des Menschen aus dem Glauben an Christus, dem „andern Evangelium“ der Judaisten gegenüber. Er weist den göttlichen Charakter seiner Lehre nach aus ihrem Ursprung (1,6 bis 2,21) und aus ihrem Inhalt (3,1-5,12). Nach diesem echten Evangelium muß sich das christliche Leben formen (5,13-6,18). Der Anlaß des Briefes und sein Inhalt machen die Schärfe des Tones begreiflich. Wie ein reinigendes Gewitter fahren diese Sätze zwischen die Galater. Als echter Streiter Christi führt Paulus die siegreiche Waffe der Wahrheit. Dennoch bleibt er der fast mütterlich um seine Kinder besorgte Apostel (4,12-20).

 

1 Gruß des Apostels. Paulus, nicht von Menschen noch durch einen Menschen zum Apostel bestellt, sondern durch Jesus Christus und Gott den Vater, der ihn von den Toten auferweckt hat, und alle Brüder bei mir an die Gemeinden von Galatien.

 

Gnade und Friede euch von Gott dem Vater und unserem Herrn Jesus Christus! Um uns aus dieser schlimmen Welt zu erretten, hat er sich selbst für unsere Sünden dahingegeben. So war es der Wille unseres Gottes und Vaters. Ihm sei Ehre in alle Ewigkeit! Amen. 1-5: Die sonst im Eingang übliche Danksagung an Gott für die den Lesern geschenkten Gnaden und den guten Stand des Glaubenslebens fehlt aus naheliegenden Gründen in diesem Brief.

 

Das Evangelium ist göttlichen Ursprungs

 

Sein Evangelium nicht Menschenwerk

Mich wundert, daß ihr euch so rasch von dem abwendig machen lasset, der euch durch die Gnade Christi berufen hat, und euch einer andern Heilsbotschaft zuwendet. Es gibt doch gar keine „andere“, sondern etliche Leute wollen euch nur verwirren und die Heilsbotschaft Christi umkehren. Aber sollten auch wir oder ein Engel vom Himmel euch eine andere Heilsbotschaft verkünden wollen, als wir euch verkündet haben, der sei verflucht! Was wir eben gesagt, das wiederhole ich jetzt: Sollte jemand euch eine andere Heilsbotschaft verkünden, als die ihr erhalten habt, so sei er verflucht! 6-9: Das eine und einzige Evangelium Christi darf nicht dem Zeitgeschmack angepaßt werden, jede Zeit hat sich nach ihm zu richten, sonst geht sie des Heils verlustig. Die Wahrheit ist ihrem Wesen nach intolerant.

 

Wandel im Judentum. 10 Rede ich etwa jetzt Menschen zulieb oder Gott, oder suche ich Menschen zu gefallen? Wenn ich noch Menschen gefallen wollte, könnte ich Christi Diener nicht sein. 10. Vgl. Lk 16,13; Mt 12,30. 11 Ich tue euch nämlich kund, meine Brüder, daß die von mir verkündete Heilsbotschaft nicht Menschenwerk ist. 12 Ich habe sie ja von keinem Menschen bekommen, noch bin ich darin von jemand unterwiesen worden, sondern Jesus Christus hat sie mir geoffenbart. 13 Ihr habt ja von meinem einstigen Wandel im Judentum gehört: Ich verfolgte die Kirche Gottes über die Maßen und suchte sie zu vernichten. 14 Vor vielen meiner Altersgenossen in meinem Volke tat ich mich hervor in meiner Leidenschaft für das Judentum und zeigte mich als übertriebenen Eiferer für die Überlieferungen meiner Väter.

 

Berufung zum Apostel von Gott. 15 Da gefiel es dem, der mich vom Mutterschoß an erwählt und durch seine Gnade berufen hat, 16 seinen Sohn in mir zu offenbaren. 15: Die plötzliche Bekehrung bei der Erscheinung vor Damaskus war ein Wunder der Gnade, lag aber von jeher im Plane Gottes. Ich sollte unter den Heiden die Frohbotschaft von ihm verkünden. Ich zog nicht Fleisch und Blut zu Rate 17 und reiste deswegen auch nicht nach Jerusalem hinauf zu denen, die vor mir Apostel waren, sondern ging sofort nach Arabien und kehrte dann wieder nach Damaskus zurück. 18 Erst drei Jahre später reiste ich nach Jerusalem, um den Petrus zu besuchen. Bei ihm blieb ich fünfzehn Tage. 18: Es ist ein deutlicher Beweis für den Vorrang des heiligen Petrus, daß der heilige Paulus es für notwendig hielt, ihn aufzusuchen, obwohl er einer Belehrung und Sendung von ihm nicht bedurfte; denn ein Apostel kann seine Berufung und Sendung. Nur unmittelbar von Gott empfangen. (vgl. 1,1.) 19 Sonst sah ich von den Aposteln keinen, außer dem Jakobus, dem Bruder des Herrn. 19: Der Vater dieses Apostels Jakobus ist Alphäus, seine Mutter die Schwester der Mutter Jesu. Das beweist klar, daß der Titel „Bruder des Herrn“ hier und an den anderen Stellen nur einen Verwandten (Vetter), keinen leiblichen Bruder Jesu bezeichnet. 20 Was ich euch da schreibe — siehe, Gott ist mein Zeuge, daß ich nicht lüge. 21 Hierauf ging ich in die Gegenden von Syrien und Cilicien. 22 Den Christengemeinden Judäas war ich persönlich noch unbekannt. 23 Sie wußten nur vom Hörensagen: Unser einstiger Verfolger predigt jetzt den Glauben, den er ehemals vernichten wollte. 24 Sie priesen darum Gott um meinetwillen.

 

Sein Evangelium und die Apostel

2 Gutheißung des Evangeliums Pauli durch die Apostel. Vierzehn Jahre später reiste ich wieder nach Jerusalem; ich hatte den Barnabas und auch den Titus bei mir. Meine Reise erfolgte auf eine Offenbarung hin. Damals legte ich ihnen die Heilsbotschaft, die ich unter den Heiden verkünde, vor, insonderheit den angesehenen Männern. Ich wollte nicht ins Leere laufen oder gelaufen sein. 2: Als Apostel brauchte Paulus keine Bestätigung; aber den Hetzern gegenüber konnte er sich nun auf die volle Übereinstimmung mit den Aposteln berufen. Aber nicht einmal Titus, mein Begleiter, ein geborener Grieche, wurde zur Beschneidung gezwungen. Hatten sich doch falsche Brüder eingeschlichen; sie drängten sich herzu, unserer Freiheit, die wir in Christus Jesus haben, aufzulauern, in der Absicht, uns unter das Joch der Knechtschaft zu beugen. Ihnen wollten wir auch nicht für einen Augenblick nachgeben; wir haben uns deswegen nicht unterworfen, damit die Wahrheit der Heilsbotschaft bei euch erhalten bleibe. 5: Im Grundsätzlichen hat Paulus, der sich sonst gern den gegebenen Verhältnissen anpaßte (vgl. 1 Kor 9,19-22), nie nachgegeben. Von seiten der angesehenen Männer aber — wer sie einst gewesen, geht mich nichts an; Gott sieht nicht auf das Ansehen der Person —, mir haben die Angesehenen nichts weiter auferlegt. Im Gegenteil, sie sahen ein, daß ich mit der Heilsbotschaft für die Unbeschnittenen betraut sei, wie Petrus mit der für die Beschnittenen; denn der dem Petrus wirksam beistand zur Ausübung des Apostelamtes unter den Beschnittenen, stand auch mir bei unter den Heiden. Auch erkannten sie, daß mir eine besondere Gnade verliehen sei. Deswegen gaben Jakobus, Kephas und Johannes, die als Säulen gelten, mir und dem Barnabas den Handschlag zum Zeichen der Gemeinschaft: Wir sollten zu den Heiden, sie selbst zu den Juden gehen. 10 Nur sollten wir der Armen eingedenk sein, was zu tun ich mich eifrig bemüht habe.

 

Anerkennung durch Petrus. 11 Als aber Kephas nach Antiochien kam, widerstand ich ihm ins Angesicht, weil er Tadel verdiente. 12 Bevor nämlich Leute von Jakobus her gekommen waren, pflegte er Tischgemeinschaft mit den Heiden; nach ihrer Ankunft aber zog er sich zurück und sonderte sich von ihnen ab aus Furcht vor den Judenchristen. 13 Auch die andern Juden schlossen sich seiner Verstellung an, so daß sogar Barnabas sich von ihnen zu jener Verstellung bewegen ließ. 14 Da ich aber sah, daß ihr Wandel der Wahrheit der Heilsbotschaft nicht entsprach, sagte ich vor allen zu Kephas: Wenn du, obwohl Jude, nach Art der Heiden und nicht der Juden lebst, wie magst du die Heiden nötigen, nach der Weise der Juden zu leben? 14: Die Heidenchristen wollten in Gemeinschaft mit Petrus bleiben; da dieser aber zeitweilig sich zu den Judenchristen hielt, mußten sie sich den jüdischen Bräuchen anpassen. 11-14: Paulus trat dem Petrus nicht entgegen, weil er etwa mit dessen Lehre nicht einverstanden war; auch warf er ihm nicht Unwahrhaftigkeit vor, sondern er fand die gutgemeinte Anpassung Petri an die Judenchristen (Fernbleiben von der Tischgemeinschaft mit den Heidenchristen) für unvereinbar mit seiner Überzeugung von der Gleichheit der Juden- und Heidenchristen. Wir lesen nirgendwo, daß Petrus seinem Mitapostel Paulus diesen Freimut verübelt habe. Wem es nur um die Sache zu tun ist, der soll auch dem Vorgesetzten gegenüber ein offenes Wort nicht scheuen.

 

Freiheit der Christen vom Gesetz. 15 Zwar sind wir von Geburt Juden und nicht von Heiden stammende Sünder. 16 Aber wir wissen, daß der Mensch nicht durch Gesetzeswerke gerechtfertigt wird, sondern durch den Glauben an Jesus Christus. Deswegen haben wir den Glauben an Jesus Christus angenommen; wir wollten auf Grund des Glaubens an Christus gerechtfertigt werden, nicht um der Gesetzeswerke willen; denn durch Gesetzeswerke wird kein Mensch gerechtfertigt. 17 Wenn wir bei dem Bestreben, in Christus gerechtfertigt zu werden, doch selbst als Sünder erfunden würden, wäre da nicht Christus Diener der Sünde? Das sei ferne! 18 Wenn ich nämlich das wieder aufbaue, was ich niedergerissen habe, bekenne ich mich selbst als Übertreter. 17-18: Um Christi willen beobachtete Paulus das Gesetz nicht; wäre das Sünde, so hülfe Christus dazu mit. Hat der Christ um Christi willen einmal das Gesetz verlassen, so wäre die nachträgliche Wiederholung desselben ein Beweis, daß die Annahme des Glaubens ein Fehler war. 19 Ich bin ja durch das Gesetz dem Gesetz gestorben, um Gott zu leben. Mit Christus bin ich gekreuzigt. 20 Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir. Sofern ich aber noch im Fleische lebe, lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich für mich dahingegeben hat. 21 Ich setze die Gnade Gottes nicht auf die Seite. Denn käme die Gerechtigkeit durch das Gesetz zustande, so wäre ja Christus umsonst gestorben.

 

Das Evangelium hat göttlichen Inhalt

3 Die Gerechtigkeit eine Frucht des Glaubens, nicht des Gesetzes. Eigene Erfahrung. O ihr unverständigen Galater! Wer hat euch verzaubert? Euch ist doch Jesus Christus als der Gekreuzigte vor die Augen gezeichnet worden! 1: Paulus hat in seinen Predigten mit lebendiger Anschaulichkeit das Leiden Christi geschildert. Die Lehre von der Erlösung am Kreuze bildete das Kernstück seiner Unterweisungen. Vgl. 1 Kor 2,2. Das allein möchte ich von euch wissen: Habt ihr den Geist auf Grund von Gesetzeswerken oder wegen der Annahme des Glaubens erhalten? So verständig seid ihr? Im Geist habt ihr begonnen und wollt nun im Fleisch enden? Solltet ihr umsonst so viel erduldet haben? Ja, wenn es nur bloß umsonst wäre! Der euch den Geist verleiht und Wunder unter euch wirkt — tut er das wegen eurer Gesetzeswerke oder um der Annahme des Glaubens willen?

 

Beispiel Abrahams. Steht ja doch geschrieben: Abraham glaubte Gott, und das wurde ihm zur Gerechtigkeit angerechnet (1 Mos 15,6). Erkennet daraus: Die, welche Glauben haben, sind Abrahams Söhne. Die Schrift sah vorher, daß Gott die Heiden um des Glaubens willen rechtfertigt. Deswegen gab sie dem Abraham die Verheißung: In dir werden alle Völker gesegnet werden. Daher werden mit dem gläubigen Abraham die Glaubenden gesegnet. 10 Alle nämlich, welche sich an die Gesetzeswerke halten, stehen unter einem Fluche. Es steht ja geschrieben: Verflucht sei jeder, der nicht alles, was im Gesetzesbuch geschrieben steht, beobachtet und danach handelt (5 Mos 27,26). 10: Wer meint, er könnte das Heil durch Beobachtung des Gesetzes erlangen, irrt; denn er ist nach dem Worte der Schrift dem Fluche verfallen. Wer nämlich nicht das ganze Gesetz beobachtet, ist verflucht. Es ist aber niemand möglich, aus eigener Kraft das Gesetz in seinem ganzen Umfange zu befolgen. 11 Daß aber durch das Gesetz keiner bei Gott gerechtfertigt wird, ist offenbar, denn: Der Gerechte wird aus dem Glauben Leben empfangen (Hab 2,4). 12 Das Gesetz aber ruht nicht auf dem Glauben, sondern: Wer seine Gebote vollbringt, wird durch sie das Leben haben (3 Mos 18,5). 13 Christus hat uns vom Fluche des Gesetzes erlöst, da er für uns zum Fluch geworden ist. Denn es steht geschrieben: Verflucht ist jeder, der am Holze hängt (5 Mos 21,23). 14 Es sollte der Segen Abrahams durch Christus Jesus den Heiden zuteil werden, damit wir durch den Glauben den verheißenen Geist empfangen.

 

15 Liebe Brüder! Ich will an menschliche Verhältnisse erinnern. Ein rechtsgültig ausgefertigtes Testament eines Menschen kann niemand umstoßen, noch irgendwelchen Zusatz zu diesem machen. 16 Dem Abraham und seinem Sohn wurden aber die Verheißungen zugesagt. Es heißt nicht: „und den Samen“, in der Mehrzahl, sondern in der Einzahl: „und deinem Samen“, das ist Christus. 17 Ich will damit sagen: Ein von Gott rechtskräftig gegebenes Testament kann durch das 430 Jahre später gekommene Gesetz nicht umgestoßen werden, so daß es die Verheißung hinfällig machen würde. 18 Denn würde das Erbe durch das Gesetz erlangt, so würde es nicht mehr erlangt durch die Verheißung. Dem Abraham aber hat Gott durch die Verheißung Gnaden geschenkt. 15-18: Gott hat dem Abraham das Erbe des Heils verheißen, das er auf Grund seines Glaubens erhalten sollte. Das später gegebene Gesetz ändert an dieser Verheißung nichts, so wenig die rechtskräftige Verfügung (das gültige Testament) eines Menschen umgestoßen wird.

 

Das Gesetz Vorbereitung auf den Glauben. 19 Wozu nun das Gesetz? Es wurde um der Übertretungen willen hinzugefügt, bis der Same käme, dem die Verheißung geworden ist. Durch Engel angeordnet, ist es durch eines Mittlers Hand ergangen. 20 Es gibt aber keinen Mittler, wo es sich nur um eine einzige Partei handelt; nun ist aber Gott ein Einziger. 21 So ist also das Gesetz den Verheißungen Gottes entgegen? Nimmermehr. Denn wenn ein Gesetz gegeben worden wäre mit der Kraft, Leben zu schaffen, dann käme wirklich die Gerechtigkeit aus dem Gesetze. 22 Allein die Schrift erklärt, daß alle der Sünde unterworfen sind, damit die Verheißung auf Grund des Glaubens an Jesus Christus den Glaubenden verliehen werde. 19-22: Diese höchst schwierige Stelle hat bis jetzt über 300 Erklärungsversuche veranlaßt, weil meist der Titel „Mittler“ auf Christus, statt auf Moses bezogen wurde, der am Sinai das Gesetz Gottes den Menschen vermittelte, wobei nach alttestamentlicher Ausdrucksweise Engel mitwirkten. Die Verheißung erging ohne Zwischenglied (= ohne Mittler) an Abraham und „den Samen“ (= Christus). Das Gesetz aber bedurfte eines Mittlers, steht also an Wert unter der mittlerlosen Verheißung und fällt fort, nachdem sich in Christus die göttliche Verheißung erfüllt hat. Ein Mittler setzt eine Vielheit von Menschen voraus, zwischen denen er vermittelt, Gott und Christus aber sind nur einer, weil Christus selber Gott ist. Dieser paulinische Beweis für Jesu Gottheit erinnert an Jo 10,30; 14,7-12.

 

23 Vor der Ankunft des Glaubens wurden wir in den Banden des Gesetzes in Gewahrsam gehalten für den Glauben, der geoffenbart werden sollte. 24 So ist das Gesetz unser Zuchtmeister zu Christus hin geworden, damit wir durch Glauben gerechtfertigt würden. 25 Da nun aber der Glaube gekommen ist, stehen wir nicht mehr unter dem Zuchtmeister. 26 Denn ihr seid alle Kinder Gottes durch den Glauben an Christus Jesus. 27 Ihr alle, die ihr auf Christus getauft wurdet, habt Christus angezogen. 28 Jetzt gilt nicht mehr Jude und Grieche, Sklave und Freier, Mann und Weib; ihr alle seid ja Einer in Christus Jesus. 29 Wenn ihr Christi Eigentum seid, so seid ihr auch Abrahams Nachkommen, Erben auf Grund der Verheißung. 26-29: Die durch die Taufe bewirkte Lebensweisheit mit Christus hat die Christen auch untereinander zu einer Einheit verbunden. Die Spaltung durch nationale, soziale und sexuale Bevorzugung hat aufgehört.

 

4 Aufhören des Gesetzes mit Christi Ankunft. Ich sage aber: Solange der Erbe unmündig ist, unterscheidet er sich nicht vom Knechte, obwohl er Herr von allem ist. Er steht vielmehr unter Vormündern und Verwaltern bis zu der vom Vater festgesetzten Zeit. So waren auch wir, als wir noch unmündig waren, Sklaven der Weltelemente. Als aber die Fülle der Zeit gekommen war, sandte Gott seinen Sohn, der aus einem Weibe geboren und dem Gesetz unterworfen war. 4: Paulus wußte also um die jungfräuliche Geburt des Gottessohnes aus Maria. Er sollte die unter dem Gesetz Stehenden erlösen, damit wir die Annahme an Kindes Statt empfingen. Weil ihr nun Söhne seid, hat Gott den Geist seines Sohnes in unsere Herzen gesandt, der da ruft: Abba, Vater. Also bist du nicht mehr Knecht, sondern Sohn; wenn aber Sohn, dann auch Erbe durch Gott. 1-7: Die noch unmündige Menschheit vor Christus bedurfte des Gesetzes als Vormund. Juden wie Heiden, besonders die Heiden, waren den Weltelementen dienstbar. Der geistlose pharisäische Buchstabendienst war nicht viel besser als die heidnische Naturvergötterung. Christus brachte uns die Freiheit der Gotteskinder.

 

Warnung vor Rückfall in die Knechtschaft des Gesetzes. Damals freilich, als ihr Gott nicht kanntet, habt ihr Göttern gedient, die es in Wirklichkeit gar nicht gibt. Jetzt aber kennet ihr Gott, oder besser: Ihr seid von Gott erkannt. Wie wollt ihr nun wieder zu den schwachen und armseligen Elementen zurückkehren und ihnen nochmals dienstbar werden? 10 Ihr treibt Kult mit Tagen, Monaten, Festzeiten und Jahren! 11 Ich muß für euch fürchten, vergeblich mich um euch abgemüht zu haben. 12 Liebe Brüder! Ich bitte euch: Werdet wie ich; auch ich richte mich ja nach euch. Ihr habt mir nie etwas zuleid getan. 12: Paulus hat sich nach den Heidenchristen gerichtet, sie sollen nur seinem Beispiel folgen, nicht den judenchristlichen Verführern. 13 Ihr wißt ja: In körperlicher Schwäche habe ich euch das erstemal die Frohbotschaft verkündet; 14 gleichwohl habt ihr mich, obschon eine Versuchung für euch in meinem leiblichen Zustand lag, nicht verachtet noch verabscheut, sondern wie einen Engel Gottes, ja wie Christus Jesus selbst aufgenommen. 15 Wo ist nun eure Seligpreisung? Ich kann euch ja bezeugen, daß ihr euch, wenn es möglich gewesen wäre, die Augen ausgestochen und sie mir gegeben hättet. 16 Bin ich nun dadurch euer Feind geworden, daß ich euch die Wahrheit sage? 17 Sie bemühen sich um euch auf keine gute Art; nein, sie wollen euch von mir wegdrängen, damit ihr euch um sie bemühet. 18 Der Eifer ist etwas Schönes, wenn er sich recht betätigt, und zwar allezeit, nicht nur solange ich bei euch bin. 19 Meine Kinder! Von neuem leide ich Geburtsschmerzen um euch, bis Christus in euch Gestalt angenommen hat. 20 Am liebsten möchte ich jetzt bei euch sein und meine Sprache ändern; denn ich weiß mir keinen Rat mehr euretwegen. 12-20: Nach den ernsten Zurechtweisungen wird Paulus in seiner Sorge und Liebe um die Christen zärtlich wie eine Mutter um ihr Kind. Christus in den Menschen zu formen, ist höchstes Ziel aller Seelsorge.

 

Leibliche und geistige Söhne Abrahams: Söhne der Knechtschaft und Söhne der Freiheit. 21 Sagt mir, die ihr unter dem Gesetz stehen wollt, versteht ihr denn das Gesetz nicht? 22 Es steht ja geschrieben: Abraham hatte zwei Söhne, einen von der Magd und einen von der Freien. 23 Der von der Magd war nach dem Fleische geboren, der von der Freien auf Grund der Verheißung. 24 Das ist bildlich zu verstehen: Diese beiden Mütter bedeuten die zwei Bünde. Der eine ist jener vom Berg Sinai, der zur Knechtschaft gebiert; das ist Hagar. 25 Das Wort Hagar bedeutet nämlich den Berg Sinai in Arabien. Er entspricht dem jetzigen Jerusalem; denn dieses ist samt seinen Kindern in Knechtschaft. 26 Das obere Jerusalem aber ist die Freie: Das ist unsere Mutter. 27 Denn es steht geschrieben: Freue dich, du Unfruchtbare, die du kinderlos bist, frohlocke und juble, die du keine Geburtswehen kennst! Denn die Alleinstehende hat mehr Kinder als die Vermählte (Is 54,1). 28 Wir aber, meine Brüder, sind wie Isaak Kinder der Verheißung. 29 Aber wie damals der nach dem Fleisch Geborene den nach dem Geist Geborenen verfolgte, so ist es noch immer. 30 Doch was sagt die Schrift dazu? Stoße hinaus die Magd und ihren Sohn; denn der Sohn der Magd soll nicht mit dem Sohne der Freien Erbe sein! (1 Mos 21,10. 12.) 31 Also sind wir, liebe Brüder, nicht Kinder der Magd, sondern der Freien. 21-31: Die beiden Mütter, Hagar und Sara, sind die Sinnbilder des Alten und Neuen Bundes. Hagar, die Magd Abrahams, deren Sohn zur Knechtschaft bestimmt ist, ist das Sinnbild des Alten Bundes, der auf dem Berge Sinai gestiftet wurde. Seine Söhne sind unfrei und stehen unter der Knechtschaft des Gesetzes. Sara ist das Vorbild des oberen Jerusalems, d. h. der Kirche Christi. Diese ist frei von der Knechtschaft des Gesetzes und ist unsere Mutter. So sind die Gläubigen ebenso wie Isaak Kinder der Verheißung. Daran darf sie nicht irremachen, daß Verfolgungen über sie kommen; denn auch Isaak, der Sohn der Sara, wurde von Ismael, dem Sohne der Hagar, verfolgt. Edles Selbstbewußtsein muß trotz aller Verfolgungen die Christen erfüllen.

 

5 Mahnung zur Bewahrung der christlichen Freiheit. Für die Freiheit hat Christus uns frei gemacht. Stehet also fest und lasset euch nicht aufs neue unter das Joch der Knechtschaft zwingen! Seht, ich, Paulus, sage euch: Wenn ihr euch beschneiden laßt, so wird euch Christus nichts nützen. Nochmals bezeuge ich jedem Menschen, der sich beschneiden läßt: Er ist verpflichtet, das ganze Gesetz zu halten. Wollt ihr durch das Gesetz gerecht werden, so ist eure Verbindung mit Christus gelöst, ihr seid der Gnade verlustig gegangen. Denn wir erwarten im Geiste auf Grund des Glaubens die erhoffte Gerechtigkeit. In Christus Jesus gilt weder Beschneidung noch Unbeschnittensein etwas, sondern nur der Glaube, der durch Liebe wirksam ist. 1-6: In der Religion geht es ums Ganze. Man kann nicht nach Belieben einzelnes annehmen, anderes verwerfen. Nicht Nationalität und Rasse geben den Ausschlag, sondern der lebendige Glaube an Christus. Anders denken heißt in jüdische Enge und Geistesknechtung zurückfallen. Ihr hattet einen so schönen Anlauf genommen; wer hat euch aufgehalten, so daß ihr der Wahrheit nicht mehr gehorcht? Die Lockung kommt nicht von dem, der euch berufen hat. Ein wenig Sauerteig durchsäuert den ganzen Teig. 10 Ich habe im Herrn das Vertrauen zu euch, daß ihr nicht anders gesinnt sein werdet. Wer unter euch die Verwirrung anrichtet, hat die Strafe zu tragen, wer er auch sei. 11 Wenn aber ich die Beschneidung weiterpredigte, würde man mich dann noch verfolgen? Dann wäre ja das Ärgernis des Kreuzes behoben. 12 Die Verwirrung unter euch schaffen, sollten sich doch lieber gleich zerschneiden lassen! 11-12: Gerade der Kampf gegen die Notwendigkeit der Beschneidung und für die Erlösung am schmachvollen Kreuz hat dem Apostel die Feindschaft der Juden zugezogen. Ihnen sagt er sarkastisch: Wenn die Operation der Beschneidung das Heil bewirkt, dann laßt euch doch gleich kastrieren, um so des Heils noch sicherer zu sein.

 

Der Wandel des Christen

Herrschaft des Geistes über die bösen Begierden. 13 Denn zur Freiheit seid ihr berufen, liebe Brüder! Nur mißbraucht die Freiheit nicht zu einem Vorwand für fleischliche Gelüste; dienet vielmehr einer dem anderen durch die Liebe. 13: Freiheit vom jüdischen Gesetz bedeutet nicht sittliche Ungebundenheit. 14 Denn das ganze Gesetz ist in dem einen Wort erfüllt: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. 15 Wenn ihr aber einander beißt und freßt, sehet zu, daß ihr einander nicht aufzehrt! 16 Ich sage euch vielmehr: Wandelt im Geiste; dann werdet ihr die Gelüste des Fleisches nicht vollbringen. 16: Die beste Bekämpfung der Begierlichkeit ist die Übung der Werke des Geistes, der positiven, ihr entgegengesetzten Tugenden, 17 Das Fleisch gelüstet wider den Geist, der Geist aber wider das Fleisch; beide widerstreben einander, so daß ihr nicht das tut, was ihr etwa wollt. 18 Laßt ihr euch vom Geiste leiten, so steht ihr nicht unter dem Gesetz. 19 Als Werke des Fleisches sind offenkundig: Unzucht, Unkeuschheit, [Schamlosigkeit,] Wollust, 20 Abgötterei, Zauberei; Feindschaft, Hader, Eifersucht, Zorn, Ränke, Spaltungen, Parteiungen, 21 [Haß,] Mord, Trunkenheit, Schlemmerei und dergleichen. Was ich euch schon zuvor gesagt, wiederhole ich: Die solches treiben, werden das Reich Gottes nicht erben.

 

Früchte des geistigen Lebens. 22 Die Frucht des Geistes aber ist: Liebe, Freude, Friede, Geduld, Milde, Güte, Treue, 23 Sanftmut, [Mäßigkeit,] Enthaltsamkeit, [Keuschheit]. Gegen dergleichen ist das Gesetz nicht da. 23: Wo durch die Gnade solche Früchte des Geistes reifen, braucht man kein Gesetz mehr, das ja nur gegen die Sünde gerichtet ist. 24 Die aber Christus angehören, haben ihr Fleisch mitsamt den Leidenschaften und Gelüsten ans Kreuz geschlagen. 25 Leben wir durch den Geist, so laßt uns auch im Geiste wandeln! 26 Laßt uns nicht nach eitlem Ruhme verlangen, nicht einander herausfordern noch einander beneiden!

 

6 Mahnung zur Nachsicht und werktätigen Nächstenliebe. Liebe Brüder! Wenn nun jemand in der Übereilung einen Fehltritt begeht, so weiset als Geistesmänner einen solchen im Geiste der Sanftmut zurecht! Dabei habe acht auf dich selbst, daß du nicht auch versucht werdest! Einer trage des andern Lasten; so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen! Wenn einer sich einbildet, er sei etwas, da er doch nichts ist, so betrügt er sich selbst. Ein jeder prüfe vielmehr sein eigenes Tun. Dann wird er seinen Ruhm für sich behalten und andere damit verschonen. Jeder muß seine eigene Last tragen. Wer in der Lehre Unterricht erhält, soll von allen seinen Gütern dem mitteilen, der ihn unterrichtet. Lasset euch nicht irremachen. Gott läßt seiner nicht spotten. Was der Mensch sät, das wird er ernten. Wer auf sein Fleisch sät, wird vom Fleisch Verderben ernten: wer aber auf den Geist sät, wird vom Geiste ewiges Leben ernten. Lasset uns aber nicht müde werden, Gutes zu tun! Denn wenn wir nicht nachlassen, werden wir zu seiner Zeit auch ernten. 10 Lasset uns also, solange wir Zeit haben, allen Gutes tun, zumal den Glaubensgenossen! 10: Die christliche Pflicht: „Tut Gutes allen!“ wird dadurch nicht verletzt, daß wir auch konfessionelle Liebestätigkeit üben. Solche wird hier geradezu gefordert als Krönung der allgemeinen Wohltätigkeit. 1-10: Brüderliche Zurechtweisung ist sittliche Pflicht. Keiner darf wie Kain sprechen: „Bin ich etwa der Hüter meines Bruders?“ Christsein legt Verantwortung für alle auf uns. Das Bewußtsein der eigenen Armseligkeit zur Bescheidenheit.

 

Schluß

Christus einzige Hoffnung des Heils. 11 Seht, mit welch großen Buchstaben ich euch eigenhändig geschrieben habe! 11: Das folgende hat der heilige Paulus eigenhändig geschrieben. Den übrigen Text des Briefes hat er diktiert. Bei den hohen Beamten der römischen Kaiserzeit war es Sitte, einer amtlichen Kundgebung eigenhändig einige Worte oder Sätze beizufügen. Wenn Paulus ebenso verfährt, will er seine Mahnungen als der amtlich Beauftragte Christi um so eindringlicher machen. Die schwere Arbeit am Webstuhl oder Zeltstoff hat wohl die Hand des Apostels ungelenk gemacht (vgl. Apg 18,3-4). 12 Leute, die bei den Menschen wohlgelitten sein möchten, nötigen euch die Beschneidung auf, nur damit sie wegen des Kreuzes Christi nicht Verfolgung leiden. 13 Denn sie halten, obwohl selbst beschnitten, das Gesetz nicht; vielmehr wollen sie eure Beschneidung nur, um sich eures Fleisches rühmen zu können. 14 Mir aber sei es fern, mich zu rühmen, außer im Kreuze unseres Herrn Jesus Christus, durch welchen mir die Welt gekreuzigt worden ist und ich der Welt. 12-14: Die von Paulus getadelten Eiferer wollten sich bloß bei ihren Volksgenossen in Gunst setzen und sich so vor den Verfolgungen wegen der Religion des Kreuzes schützen. 15 In Christus Jesus hat weder die Beschneidung einen Wert noch das Unbeschnittensein, sondern nur eine neue Schöpfung. 16 Wie viele immer nach diesem Grundsatz wandeln — Friede und Erbarmen über sie und über das neue Israel Gottes! 17 Möge mir fernerhin niemand lästig fallen; denn ich trage die Wundmale Jesu an meinem Leibe! 17: Die Wunden und Narben, die Paulus als Spuren der Mißhandlungen und Verfolgungen an sich trägt, weisen ihn aus als Diener, Kämpfer und Herold Christi. Sie sollten ihn künftig vor den Verdächtigungen der Gegner schützen. Daß Paulus wie der heilige Franz von Assisi und andere „Stigmatisierter“ gewesen sei, folgt aus dieser Stelle keineswegs.

 

18 Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus sei mit eurem Geiste, liebe Brüder! Amen.