Die Bibel allein?

Der folgende Beitrag wurde vor einigen Jahren auf der inzwischen eingestellten Internetplattform kreuz.net ohne Namenszug veröffentlicht. Wir haben ihn geringfügig überarbeitet und möchten ihn unseren Lesern wegen der Wichtigkeit der Sache zur Kenntnis bringen - umso mehr, als die mündliche Überlieferung, die Tradition, durch protestantische Einflüsse immer mehr als Glaubensquelle auch bei Katholiken geleugnet wird. Doch lesen Sie selbst!

Warum glauben die Katholiken Dinge, die nicht in der Bibel stehen?

Stellt sich die Kirche damit nicht über das inspirierte Wort Gottes? Um diese Frage zu beantworten, muss man zunächst einmal herausstellen, was mündliche Überlieferung im Sprachgebrauch der Kirche heißt. Viele, wenn nicht die meisten Nichtkatholiken verstehen unter mündlicher Überlieferung eine bloße Wiederholung von etwas Gehörtem, von erzählten Geschichten, was am Ende auf etwas wie Folklore, Legende oder Fabel hinausläuft. Was Wunder also, dass sie schockiert sind, wenn sie hören, Katholiken legten größten Wert auf die mündliche Überlieferung und sehen in ihr eine Quelle der von Gott geoffenbarten Wahrheit.

Im Sprachgebrauch der katholischen Kirche bedeutet mündliche Überlieferung aber etwas grundlegend anderes: Sie umfasst die Lehren, die Christus der Kirche anvertraute oder ihr durch den Heiligen Geist mitteilte und die von den Aposteln und Jüngern mündlich gelehrt und durch die unfehlbare Lehrautorität der Kirche in einer lebendigen und ununterbrochenen Kette weitergegeben wurden und werden. Sie finden sich zwar nicht in der Heiligen Schrift, aber sie sind in der Liturgie, dem Gottesdienst, den Gebeten und dem Leben der frühen Kirche enthalten und wurden hauptsächlich von den Kirchenvätern schriftlich niedergelegt. Im weitesten Sinn gehören alle Lehren, die in der Schrift oder eben mündlich geoffenbart sind, zum Glaubensgut. Christus, der nicht eine Zeile schrieb, hat der Kirche die Gesamtheit der göttlichen geoffenbarten Wahrheiten mündlich übergeben. Die Apostel wurden von ihm beauftragt, dieses Evangelium allen Völkern, jedem Geschöpf zu predigen. Normalerweise wurde die göttliche Offenbarung unter der Wirkung des unfehlbaren Gottesgeistes mündlich weitergegeben, und daran hielten sich die Apostel ausschließlich in den ersten Jahren ihrer Missionstätigkeit.

Schon bevor das Neue Testament abgefasst worden war, gab es die Kirche, lehrte sie, heiligte sie und leitete sie die Seelen. Sie predigte Christi Lehre ungefähr 12 Jahre lang, ehe ein Wort des Neuen Testamentes geschrieben wurde und runde 55 Jahre dauerte es, ehe es abgeschlossen war. Wir gehen dabei nach den besten historischen Quellen vom Jahr 30 als dem Zeitpunkt aus, da Christus gekreuzigt wurde. Das Matthäusevangelium, das erste Buch des Neuen Testaments, entstand um das Jahr 42; das Johannesevangelium, das letzte Buch, wurde um das Jahr 97 abgefasst.

Selbst nachdem die verschiedenen Bücher des Neuen Testamentes geschrieben waren, dauerte es bis zum Jahre 393, ehe sie zu einem Band geeint wurden, und das Konzil von Hippo bestimmte, welche Schriften inspiriert waren und in den Kanon oder die Liste der Bücher des Neuen Testamentes aufgenommen werden sollten. Diese Liste bestätigte das Konzil von Karthago im Jahre 397. Wer anders als die Kirche selbst konnte in der Tat mit letzter Sicherheit feststellen, welche Schriften das authentische Glaubensgut enthalten? Dies kann ja durch keine Schrift des NT selbst bezeugt werden, da man dann wieder die Authentizität dieser Schrift hinterfragen könnte und müsste. Das NT, so wie wir es kennen, war demnach in den ersten vier Jahrhunderten gar nicht vorhanden. Es war die Zeit der Heiligen und Märtyrer, das Zeitalter des Christentums, auf das wir immer zurückblicken, wenn wir nach echten Beweisen und Beispielen des Glaubens und der Treue der Apostel, Jünger und frühen Christen suchen.

In diesen ersten vier Jahrhunderten war die mündliche Überlieferung die hauptsächlichste und fast ausschließliche Quelle des Glaubens. Auch nachdem die Kirche das NT zusammengestellt hatte, indem sie über die inspirierten Schriften entschied und diese in einer Liste oder einem Kanon zusammenfasste, apokryphe Schriften dagegen ausschied, blieb die mündliche Überlieferung die wesentliche Quelle des Glaubens. Denn nur eine verschwindend kleine Anzahl von Personen hatte ein Exemplar des NT in der Hand, und die überwältigende Mehrheit war immer noch auf die mündliche Überlieferung angewiesen. Selbst als einige Apostel und Jünger einen Teil ihrer Lehren schriftlich niederlegten, war dies nur als Ergänzung ihrer mündlichen Lehren gedacht. Die Apostel pflegten, wenn sie in einer bestimmten Stadt das Evangelium gepredigt hatten, den Menschen dort gelegentlich Briefe zu schreiben und sie an die Lehren und Bräuche, die sie verkündet hatten, zu erinnern. Diese Briefe, 21 an der Zahl, machen einen großen Teil des NT aus.

Die Apostel Matthäus und Johannes waren dabei Augen- und Ohrenzeugen dessen, was sie niedergeschrieben haben; der hl. Markus war ein Schüler des hl. Petrus, der hl. Lukas ein Schüler des hl. Paulus. Sie alle schrieben nichts auf, was nicht schon als Predigt weitergegeben wurde. Als Lukas die Apostelgeschichte verfasste, hielt er nur die mündliche Lehre der Apostel, vor allem des hl. Petrus und des hl. Paulus fest und berichtete über ihre Tätigkeit. Außerdem beteuert der hl. Johannes in seinem Evangelium, Jesus habe vor den Augen seiner Jünger noch viele andere Wunderzeichen gewirkt, die nicht in seinem Evangelium aufgezeichnet sind: „Diese aber sind aufgezeichnet, damit ihr glaubt, dass Jesus der Messias ist, der Sohn Gottes und damit ihr im Glauben Leben habt in seinem Namen „ (Joh 20, 30-31).

Aus diesen kurzen Hinweisen wird klar:

1. Christus hat seine geoffenbarte Wahrheit im Wesentlichen durch mündliche Mitteilung zu verbreiten geboten.

2. Er selbst hat sich ausschließlich dieses Mittels bedient.

3. Die Apostel und Jünger hielten sich in erster Linie und überwiegend an die mündliche Verkündigung.

4. Als einige zu schreiben anfingen, war dies nur als Ergänzung der mündlichen Lehre gedacht

5. Christus hat eine Kirche, ein lebendiges Lehramt, gegründet und sie mit unfehlbarer Lehrautorität ausgestattet, um seine geoffenbarte Wahrheit rein und vollständig den Menschen zu übermitteln. Diese unfehlbare Lehrautomat ist vom selben unfehlbaren Gottesgeist gewirkt wie die Irrtumslosigkeit der Heiligen Schrift.

6. Für einen Christen der ersten vier Jahrhunderte wäre die Behauptung, Christus habe für die Verbreitung seiner Religion im Wesentlichen das NT bestimmt, unglaublich und unverständlich gewesen.

Ein Christ, der behauptet, seine Religion beruhe auf der Bibel, und allein auf der Bibel, und der die mündliche Überlieferung ablehnt, steht im Widerspruch zu den Worten und dem Beispiel Christi und der Apostel und verrät eine bedauerliche Unkenntnis der historischen Mittel zur Ausbreitung der christlichen Religion; und dies nicht nur während der ersten vier Jahrhunderte, sondern bis zur Erfindung der Buchdruckerkunst im 15. Jahrhundert und selbst in späteren Jahrhunderten. Er übersieht, dass das NT sekundäres Mittel ist und bleibt, um die göttliche Wahrheit sicher, unzweideutig und unverfälscht zu überliefern.

Das Hauptmedium ist die Kirche, die der hl. Paulus die Säule und Grundfeste der Wahrheit nennt (1 Tim 3,15). Sie allein deutet unter der Führung des Hl. Geistes die schriftlichen Dokumente richtig und führt die direkte mündliche Darlegung, wie wir sie bei Christus und seinen Aposteln finden, fort. Ihr göttliches, unfehlbares Lehramt allein verbürgt die Inspiration der Bücher des NT, ihre Kanonizität, ihre wahre Interpretation und die Wahrheit der göttlichen Offenbarung, die sie seit dem ersten Jahrhundert unverändert weitergegeben hat. Nicht umsonst beteuert der hl. Augustinus, er würde der Hl. Schrift nicht Glauben schenken, wenn sie nicht durch die Kirche verbürgt wäre.

Bei den unzähligen Erzeugnissen der Druckerpresse heute wird jede bedeutende Botschaft oder Lehre sofort aufgeschrieben; dabei vergisst man leicht, wie neu diese Entwicklung ist und meint, am Anfang sei es genauso gewesen wie heute. Dieser Mangel an geschichtlichem Empfinden lässt bisweilen den Christen fragwürdige Lehren annehmen, die erst in den letzten Jahrhunderten entstanden sind, Behauptungen, die Christus nicht vorgetragen noch sanktioniert hat. Die klare Erkenntnis dieser Tatsachen veranlasste Kardinal Newman, Konvertit von der anglikanischen Kirche zur katholischen, zu der Bemerkung, eine Vertiefung in die Geschichte, vor allem der ersten vier Jahrhunderte, bedeute, sich in die katholische Kirche hineinzudenken.

Mit Bezug auf den gesamten Schatz der geoffenbarten Wahrheit erklärt das Konzil von Trient (1545-1563): „Das Konzil weiß, dass diese Wahrheit und Lehre in geschriebenen Büchern und in der ungeschriebenen Überlieferung enthalten ist, die die Apostel von Christus selbst empfingen, die gleichsam von Hand zu Hand von den Aposteln unter der Erleuchtung des Heiligen Geistes weitergegeben wurde und so bis zu uns gekommen ist. Das Konzil folgt dem Beispiel der orthodoxen Väter, und mit dem gleichen Gefühl der Loyalität und Ehrfurcht, mit dem es alle Bücher des Alten und Neuen Testaments annimmt und achtet, da Gott beider Urheber ist, nimmt es auch die Überlieferung des Glaubens und der Sitten an und achtet sie, da sie mündlich von Christus empfangen oder vom Hl. Geist inspiriert und ständig in der katholischen Kirche bewahrt wurden“ (Sess IV).

Aber tadelte nicht Christus die Pharisäer und Schriftgelehrten mit den Worten: „Ihr lasst das Wort Gottes außer Acht und haltet euch an die Überlieferung der Menschen“ (Mk 7,8)? Gewiss, aber Christus meint damit nicht die göttlichen Wahrheiten, das Glaubensgut, sondern die falsche Kasuistik, mit der die Pharisäer das vierte Gebot aufhoben. Die heilige Überlieferung, von der wir sprechen, sind nicht menschliche Ansichten; sie ist vielmehr göttliche Wahrheit, die Christus der unfehlbaren Lehrautorität der Kirche anvertraut hat, damit sie sie an alle Völker weitergebe.

Ein Christ, der behauptet, seine Religion beruhe auf der Bibel, und allein auf der Bibel, und der die mündliche Überlieferung ablehnt, steht im Widerspruch zu den Worten und dem Beispiel Christi und der Apostel.

Die Bibel allein ist toter Buchstabe, sie kann weder die Echtheit beweisen noch deuten: für beides ist ein lebendiges Lehramt nötig. Sie ist oft dunkel und schwer zu verstehen, wie der hl. Petrus von den Briefen des hl. Paulus bemerkt (2 Petr 3,16; vgl. Apg 8,30-31). Vielfach wird sie in widersprechender Weise gedeutet, und eine Anzahl von geoffenbarten Wahrheiten, wie etwa die Heiligung des Sonntags statt des Samstags, wissen wir nur aus der göttlichen Tradition.

Die Apostel und Evangelisten stellen die Heilige Schrift nie als einzige Quelle des Glaubens dar, sondern erklären, die Christen sollten nicht nur das glauben, was sie schreiben, sondern auch das, was sie predigen. „So steht denn fest, Brüder, und haltet euch an die Überlieferung, die ihr mündlich oder schriftlich von uns empfangen habt“, sagt der hl. Paulus (2 Thess 2,15). „Trage in dir das Vorbild für die gesunden Lehren, die du von mir gehört hast, im Glauben und in der Liebe in Christus Jesus! Behüte das anvertraute kostbare Gut durch den Heiligen Geist, der in uns wohnt!“ (2 Tim 1,13-14). „Wer euch hört“, sagte Christus zu den Aposteln, „der hört mich; wer aber mich verachtet, der verachtet den, der mich gesandt hat“ (Lk 10,16). Diese Lehrvollmacht erstreckt sich auch auf die Nachfolge der Apostel, die Bischöfe und die von ihnen geweihten Priester. Führen wir noch einmal den Taufbefehl Christi nach dem Evangelium des hl. Markus an: „Geht hin in alle Welt und verkündet das Evangelium aller Kreatur. Wer glaubt und sich taufen lässt, wird gerettet werden; wer aber nicht glaubt, wird verdammt werden „(16,15-16).

Der hl. Paulus zeigt uns klar, dass Christi Wahrheiten nicht nur aus der Schrift, sondern eben auch aus der göttlichen und unfehlbaren Lehrautorität der Kirche zu erfahren sind: „ Denn jeder, der den Namen des Herrn anruft, wird gerettet werden. Doch wie sollen sie den anrufen, an den sie nicht glauben? Und wie sollen sie an den glauben, von dem sie nicht gehört haben? Und wie sollen sie hören ohne einen Verkünder? Wie aber sollen sie verkünden, wenn sie nicht ausgesandt wurden? So kommt also der Glaube aus der Botschaft... Ich frage nun aber; Haben sie etwa nicht gehört? Doch wohl! Über die ganze Erde ging aus ihr Schall und bis an die Enden des Erdkreises ihre Worte“ (Röm 10. 14-18).

Um für eine fortdauernde Verbreitung des Evangeliums zu sorgen, ernannten die Apostel Nachfolger. Einer der vom Apostel Paulus bestimmten Bischöfe war sein Schüler Timotheus, an den er schrieb:.. Und was du von mir gehört hast vor vielen Zeugen, das vertraue zuverlässigen Menschen an. die geeignet sein werden, auch andere zu lehren“ (2 Tim2.2).

Die Lehre Christi und der Apostel findet in den Schriften der Bischöfe, der Kirchenväter und Lehrer der Kirche ihren Niederschlag. So schreibt der hl. Irenäus, Bischof von Lyon, im 2. Jahrhundert: „Darum wird in jeder Kirche die Überlieferung der Apostel auf der ganzen Welt verkündet; und wir können jene aufzählen, die von den Aposteln als Bischöfe in den Kirchen eingesetzt wurden, und die Nachfolge jener Bischöfe bis zu uns selbst.“ Nachdem er auf Smyrna verwiesen ha,. das auf den hl. Polykarp, einen Schüler des Apostels Johannes, zurückzuführen ist, fährt er fort: „Es wäre zu lange, hier die Nachfolger in allen Kirchen aufzuzählen; es genügt, auf die apostolische Überlieferung zu verweisen, die Lehre, die durch die bischöfliche Nachfolge der Kirche von Rom, der größten und ältesten, die überall bekannt ist und von den beiden glorreichen Aposteln Petrus und Paulus in Rom gegründet wurde, zu uns gekommen ist. Diese Überlieferung allein genügt zur Verdammung aller, die auf die eine oder andere Weise wegen Irrtum, Ruhmsucht, Blindheit oder falschem Urteil von der Wahrheit abgewichen sind. Die Vorrangstellung dieser Kirche ist so groß, dass jede Kirche, ich meine die Gläubigen jedes Landes, mit ihr einer Meinung sein muss, d.h.: jede Kirche in jedem Land, in der die apostolische Überlieferung ohne Unterbrechung besteht“ (Adv. Haer., III, S. 3).

Die Irrlehre, ein Mensch könne seine Religion allein aus der Bibel schöpfen und jede Einrichtung, die Christus zur Vermittlung des Schatzes der göttlichen Wahrheiten in Schrift und Wort einsetzte, ignorieren, ist nicht neu. Sie tauchte bereits im 3. Jahrhundert auf. Origenes (184-253) verurteilte sie und schrieb im Vorwort zu De Principiis: „Das allein muss als Wahrheit geglaubt werden, was sich in nichts von der kirchlichen und apostolischen Überlieferung unterscheidet.“ Diese göttliche Überlieferung ist in den Schriften der Väter und Lehrer der Kirche, in den Lehren der ökumenischen Konzilien, in der allgemeinen und ständigen Übereinstimmung der katholischen Theologen und in der allgemeinen Lehre der katholischen Kirche auf der ganzen Welt enthalten. In ihrer von Gott gegebenen Mission, allen Völkern die Wahrheit Christi zu lehren, wird die Kirche von Christus selbst geleitet, der sagt: „Ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der Welt“ (Mt 28,20).

Darum glauben die Katholiken, dass die göttliche Überlieferung eine Quelle des Glaubens ist.

 

Fassen wir zusammen:

Die Apostel und ihre Nachfolger lehrten und verkündeten den Glauben im Auftrag des Herrn, bevor das Neue Testament entstand. Die Kirche war vor dem Neuen Testament. Die Autorität der Kirche bestimmte, geführt vom Heiligen Geist, Jahrhunderte nach Christus, was zur heiligen Schrift des NT zu zählen ist, und was nicht. Die Kirche wacht - mit Christi Beistand - über die rechte Auslegung der Bibel; sonst legt jeder die Bibel aus, wie es ihm paßt.

Die Irrlehre von der Bibel als einziger Glaubensquelle, ohne den Beistand und den Schutz der Kirche, war der Urkirche völlig fremd und ist im Neuen Testament nicht zu finden.

Der Biblizismus ist nicht biblisch, ist nicht die Lehre Jesu Christi („Wer euch hört, hört mich.“) und widerspricht eindeutig den geschichtlichen Tatsachen. Der Biblizismus beschädigt nicht zuletzt die heilige Schrift als Glaubensquelle.