Der heilige Ungehorsam der Märtyrer
Im Blick auf Gott und Seinen Heiligen Willen haben die christlichen Märtyrer aller Jahrhunderte und die Blutzeugen unserer Tage den Befehlen von Machthabern und Diktatoren widerstanden. In heiligem Ungehorsam gingen sie tapfer in den Tod. Ihr Leben war von ihrem Gewissen entschieden: Der höchste Gehorsam gilt allein Gott!
Einem Zeitgenossen von uns aus jener Schar heiliger Helden, die gegen den Strom schwammen und siegten, sei zum Ende dieser Niederschrift die Ehre gegeben: dem Märtyrer Franz Jägerstätter!
Eine Ehe im Angesicht des Todes
Wenn in meiner Heimat die Sommersonne am nordöstlichen Horizont heraufsteigt, dann überflutet sie mit ihrer gesamten Strahlenpracht zuerst den oberösterreichischen Flecken St. Radegund an der Salzach.
Das dort einst verträumte gleichnamige Bergkirchlein St. Radegund am Abhang des Flusses, heute weltbekannt durch seinen Mesner, den Bauern und Widerstandskämpfer Franz Jägerstätter (1907-1943), ist jetzt zu einer Wallfahrtsstätte für Tausende geworden, die ihn als seligen Märtyrer verehren und als Fürbitter anrufen, besonders auch in schweren Gewissensfällen.
Es war mir und meiner langjährigen Mitarbeiterin, Maria Brandl, vom Himmel geschenkt, mit Franziska, der Witwe Jägerstätters, jahrzehntelang in enger freundschaftlicher Verbindung zu stehen. Bei den wohl zwanzig Besuchen haben wir die Mesnerin von St. Radegund (Nachfolgerin ihres Mannes) als immer liebenswürdige und tiefgläubige Familienmutter hochschätzen und lieben gelernt.
Mit heroischer Hingabe an den Heiligen Willen Gottes hat sie die Hinrichtung ihres innigst geliebten Gatten im Gefängnis Berlin-Brandenburg angenommen und die Verfolgungen ihrer Familie in der Nazizeit ertragen. Auch die Feindseligkeiten der örtlichen Kriegsteilnehmer, die ihn, den Widerständler, und damit auch sie als Ehrlose ausgrenzten, hinterließen bei ihr keine Haßgefühle. Ihr Herz war voller Verständnis für sie alle, voller Verzeihen und Güte.
Einmal freilich überkam sie in unserer Gegenwart ein plötzlicher Schmerz bei der Erwähnung der Dreharbeiten eines italienischen Filmteams, von dem sie nach dem Krieg nach Berlin eingeladen war. Auf die Bitte, die Todeszelle ihres Mannes zu betreten, habe sie geantwortet: »Das kann ich nicht; das geht über meine Kraft!«
Aus ihrem persönlichen Erleben zeichnet uns Franziska das getreue Bild ihres Gatten, ihr kurzes Ehe- und Familienglück mit ihren drei kleinen Kindern, ihrem Ringen mit dem Unaufschiebbaren und dem endgültigen Abschied voneinander. Bei dieser Erinnerung entschlüpft ihr mit einem liebevollen Schmunzeln auf ihrem Gesicht der leise Vorwurf: »Franzi, warum holst mi net, warum laßt mi solang warten?«
Und dann — wenige Jahre nach seiner feierlichen Seligsprechung im Linzer Dom, an der sie mit unaussprechlichem Dank vor Gott teilnehmen kann — holt er sie nach ihrem hundertsten Geburtstag am 16. März 2013 heim in die lichte Ewigkeit des Himmels. So, wie sie seinen Kreuzweg als Märtyrer mitgegangen ist und miterlitten hat, so soll sein Sieg nun auch ihr Lohn sein!
Ihre irdische Ruhestätte findet Franziska Jägerstätter an seiner Seite im gemeinsamen Grab an der Südmauer des St. Radegunder Kirchleins.