BEGEGNUNG MIT DEN HIRTEN

Eine Einladung eines Priesters zu Seiner Eminenz hat meist zur Voraussetzung: Entweder hoher Verdienst oder ärgerniserregendes Verhalten. Warum nun gerade ich ohne Ansuchen bei drei aufeinanderfolgenden Kardinalerzbischöfen im Bischofshof in der Kardinal-Faulhaber-Straße 7 empfangen werde, darüber dürfte also wohl kein Zweifel bestehen!

 

Julius Kardinal Döpfner

Es kommt, wie es kommen muß: Julius Kardinal Döpfner, unser Münchner Erzbischof, bestellt mich für den 1. April 1975 zu sich ins Erzbischöfliche Palais. Fünf Jahre zuvor habe ich ihm und seinen Nachfolgern in seine Hände den Gehorsam gelobt. Nun steht diesem Gehorsam die Feuerprobe bevor! Würde er bei diesem »Gerichtstag« eingefordert werden ?

Kardinal Döpfner, einst einflußreicher Moderator beim Zweiten Vaticanum und jetzt Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, empfängt mich nicht wie ein machtbewußter Richter im Kreis seiner Beisitzer, sondern ganz allein und mit schlichter Liebenswürdigkeit. Keine Androhung von Suspension oder kirchlichen Beugestrafen; im Gegenteil: er will mich gewinnen!

Genau darin jedoch lauert die Gefahr für mich, weich und »über den Tisch gezogen« zu werden: Der hochgestellte Kirchenführer, der seinerzeit dem widerstrebenden Papst Paul VI. die Erlaubnis zur Einführung der Handkommunion abgerungen hat, demütigt sich nun vor mir, einem Hilfspriester: »Ich bitte Sie als Mitbruder, geben Sie Handkommunion um der Einheit willen!« Ton und Bitte meines Weihe-Bischofs, den ich hochschätze, eine äußerste Versuchung für mich! Hochspannung und Stille! Sekundenlang rette ich mich in das himmelstürmende Stoßgebet: »Gott Heiliger Geist, zeig Du selber Deinen Willen auf!« Und dann — wohl meine Stimme, nicht aber von mir der geistige Schwerthieb: »HERR KARDINAL, KEINE MACHT DIESER WELT KANN MICH NOCH EINMAL DAZU ZWINGEN!«

DIESES WORT — weder von mir überlegt noch in solch radikaler Form beabsichtigt — ist mir von oben gegeben worden (vgl. Lk 12,11-12)! Betroffenheit nach der unvorhergesehenen Wende auf beiden Seiten!

Der Erzbischof läßt seinen Kopf sinken. Auch er spürt nicht weniger den Anspruch der göttlichen Macht, die einen »höheren Gehorsam« verlangt. Und so respektiert er hinfort mein Gewissensurteil und schützt es mit seiner Autorität.

Daß mich unser Erzbischof so verständnisvoll behandelt, dazu mögen wohl auch seine eigenen bitteren Erfahrungen bei der Austeilung der Handkommunion beigetragen haben! Der mit ihm befreundete Universitätsprofessor Richard Egenter bezeugt seine Äußerung: »Zwei Jahre habe ich um die Handkommunion gekämpft. Ich würde es nicht mehr tun, weil ich die Folgen sehe. Aber nun weiß ich keinen Weg, das wieder rückgängig zu machen!«4

4 In »Deine Tage sind gezählt«, S. 301, »Werk der Kleinen Seelen« Auf S. 300 wird Kardinal Lorenz Jäger von Paderborn zitiert, der beschreibt, wie Papst Paul VI. unter Druck gesetzt wurde: »Wenn ich denke, wie schwer die Verhandlungen gewesen sind, um den Heiligen Vater zu bewegen, daß die Handkommunion in Deutschland in Übung kommt! Er hat trotz des dreimaligen Besuches von Kardinal Döpfner und mir sich gesperrt. Der damalige Kardinal Gut, Verantwortlicher für die Kongregation der Riten, hat seinen Rücktritt angeboten, wenn das geschehen würde. Und der Nuntius: >Bitte lösen Sie mich ab; ich kann die Verantwortung nicht übernehmen.<«

Die Geister, die er gerufen hat, wird Kardinal Döpfner nicht mehr los! Gefangen in innerweltlichen Systemen und im Zugriff modernistischer Ratgeber, die ihn in eine dunkle Sackgasse gedrängt haben, bedarf er — und mit ihm die gesamte Kirche — einer außergewöhnlichen Hilfe! Woher aber soll die Rettung kommen?

Unmerklich vollzieht sich bei meiner Vorladung im Erzbischöflichen Palais im Frühjahr 1975 ein Rollentausch. Ich versuche meinerseits bei unserem Gespräch eine andere Ebene zu erreichen. Ich führe Seiner Eminenz die Muttergottes von Fatima und ihre wegweisenden Botschaften vor Augen. Die Wirkung?! Ein Gewitter! Abwehrend reißt der Kardinal beide Arme in die Höhe und donnert: »Fatima — das sind Privatoffenbarungen! Das >Depositum fidei< (Glaubensgut) ist mit den Aposteln abgeschlossen!« Ungeachtet seiner Lautstärke lasse ich mich auf das nun heftige Duell ein und kämpfe weiter mit dem Argument: »Der Heilige Geist erlaubt sich trotzdem, in die Kirche einzugreifen und durch die Erscheinungen der Muttergottes auf unterschlagene Wahrheiten hinzuweisen. Da aber die Bischöfe Fatima und seine Warnungen nicht ernst genommen haben, darum hat uns der Himmel noch eindringlichere Zeichen gegeben, blutweinende Bilder und Statuen der Mutter Christi in allen Erdteilen!« Verschiedene Fotos von ihnen lege ich dabei meinem Bischof vor. Eine schnelle Handbewegung — und schon sind die Zeichen des Himmels ohne jede Beachtung über den Tisch gewischt! Meine sofortige Reaktion darauf: »So können Sie die Muttergottes nicht behandeln! Sie schauen jetzt die Bilder an!« Und wieder schiebe ich sie ihm hin. Tatsächlich wirft er nun einen Blick darauf und er scheint nicht unempfänglich für ihre Aussage zu sein!

Nach diesem Zusammenprall verstehen wir uns nun auch menschlich besser als vorher. Freimütig beteuert er mir sogar, daß er selber täglich den Rosenkranz bete.

Ich verlasse einen verunsicherten, mit vielen Sorgen beladenen Bischof, der schwer an seiner Verantwortung trägt. Sein letztes Wort an mich, die Frage: »Ja, soll ich nach Fatima fahren?« Er ist nicht mehr dazugekommen; übers Jahr ist er tot!