Der Zeitgeist — die Versuchung des Hirten!

Der Hohepriester Kaiphas trifft die prophetische Entscheidung:

»Es ist besser für euch, daß ein einzelner Mensch stirbt, als daß das ganze Volk zugrunde geht« Joh 11,50.

Hat nicht auch der Oberhirte eines Bistums die bedrückende Last der Güterabwägung? Unbestritten wird das geistliche Wohl der Herde im Einzelfall immer den Vorrang haben! — Worin aber besteht dieses »geistliche Wohl« der Gemeinden? Sicherlich nicht in heutiger irdischer Selbstverwirklichung und Selbstvergötzung auf Pfarrebene, sondern in der »Entweltlichung«, in der Christozentrik und Anbetung Gottes!

Eingebunden in die Bischofskonferenz und in das gegenwärtige kirchliche Rätesystem, hat ein Diözesanbischof kaum einen Entscheidungsspielraum, auch Kardinal Ratzinger nicht! So muß auch er im Ernstfall

- vielleicht sogar gegen seine Überzeugung (Gewissen)

- jeden hindern und abweisen, der »gegen den Strom schwimmt«. Es geht nicht zuerst um den Glauben, sondern vor allem um die »Einheit«, nicht — wie auch damals bei der Verurteilung Jesu — um den Willen Gottes, sondern um den Anspruch der Volksmehrheit, um den »Zeitgeist«!

In welcher Zwangslage sich Kardinal Ratzinger in meinem Falle befindet, geht hervor aus der Korrespondenz des Oberregierungsrates, Dipl.-Ing. Schlebusch mit ihm. Dieser richtet meinetwegen am 6. Juli 1979 eine Anfrage an ihn:

 

»Hochwürdigster Herr Kardinal!

Wie mir bekannt wurde, soll der Münchener Kaplan Schallinger aus seiner Kaplanstelle entfernt worden sein, weil er sich aus Gewissensgründen weigert, die dem Papst abgetrotzte Handkommunion zu spenden. Außerdem soll ihm von Ihrem Referenten erklärt worden sein, eine Bewerbung um eine der drei vacanten Pfarrstellen in München habe auf Ihre ausdrückliche Weisung nur dann Aussicht auf Erfolg, falls er sich vorher schriftlich verpflichte, die Handkommunion auszuteilen.

Hoch würdigster Herr Kardinal! Ich kann mir nicht denken, daß dies alles mit Ihrem Wissen und Willen geschah. Am 21. September 1975 haben Sie öffentlich >den unbestreitbaren Verfall der Kirche< beklagt und >eine eindeutige Abkehr von den Irrwegen, deren katastrophale Folgen unbestreitbar sind< gefordert. Zu den Erscheinungen dieses Verfalls und zu den Irrwegen, die verlassen werden müssen, gehört ohne jeden Zweifel die so ehrfurchtslose Handkommunion ...«