19. Betrachtung: Psalm 44

 

Text:

"Aufwallet mein Herz von guter Rede; ich sage: mein (Liedes-) Werk dem König! — Meine Zunge gleicht dem Griffel des Schnellschreibers. — Schön von Gestalt bist vor den Menschenkindern du; Anmut ist ausgegossen über deine Lippen; darum weil Gott auf ewig dich gesegnet. — Umgürt' mit deinem Schwert' die Hüfte, Hochgewaltiger! — In deiner Zier und Schöne lege an, dringe siegreich vor und herrsche — ob der Wahrheit, Sanftmut und Gerechtigkeit; und Wunderherrlichkeit wird deine Rechte leiten. — Scharf sind deine Pfeile (Völker fallen unter dir!) bis in der Königsfeinde Herzen. — Dein Thron, o Gott, steht für und für: ein gerades Zepter ist das Zepter deines Königtums. — Du liebst die Gerechtigkeit und hassest den Frevel; darum hat dich Gott, dein Gott, mit Freudenöl gesalbt vor deinen (Macht-) Genossen. — Es durften Myrrhe, Aloe und Kasia aus den Gewändern dein, aus Elfenbeinpalästen, aus welchen dich erfreuen Königstöchter in deinem Ehrenschmuck. — Zu deiner Rechten prangt die Königin in goldgewirktem Kleid, umspielt von Farben. — O höre Tochter, sieh' und neige dein Ohr; vergiß dein Volk und deines Vaters Haus — so wird der König sich nach deiner Schöne sehnen; denn er ist, traun! — der Herr, dein Gott, angebetet; und Tyrus' Töchter, — mit Geschenken flehen sie dein Huldantlitz an, die Reichen insgesamt im Volke. All ihre Herrlichkeit, der Königstöchter, ist im Innern; in gold'nem Saum steht sie, gehüllt in bunter Pracht. — es folgen ihr zum König als Geleit Jungfrauen; ihre Gespielinnen (Herr) werden zu dir hingeführt, — geführt in Jubel und Frohlocken, geleitet zum Palast des Königs. — Statt deiner Väter werden Söhne dir geboren; du bestellest sie zu Fürsten auf der ganzen Erde. — Sie denken deines Namens von Geschlecht bis zu Geschlecht; drum werden dich die Völker preisen immer und in Ewigkeit." (Psall. sap. II. S. 179).

 

1. Anbetung

Wir beten den Herrn an wegen seiner eigenen Herrlichkeit (V. 1-10) wegen des Wunderwerkes, das er geschaffen, seine auserlesene Kirche (V. 11-18). Der Verfasser des Psalmes, wohl ein Zeitgenosse Davids oder Solomons, besingt, vom Geiste Gottes erfüllt, die geheimnisvolle Vermählung Christi mit der Kirche und mit der erlösten Seele.

Welch' herrlicher König! Er trägt unter allen Menschenkindern den Preis der Schönheit davon. Ob seiner Seele Glanz verhüllen sich die Cherubim; unvergleichlich ist er, der Sündelose, der Abglanz des ewigen Vaters. Seine Lippen umspielt himmlisch leuchtende Anmut. "Sie verwunderten sich über die Lieblichkeit seiner Worte", sagt das Evangelium (Luc. 7, 22). Von Ewigkeit her ist er von Gott gesegnet; denn er ist Gottes Sohn. Ihn zeichnet unbesiegliche Kraft aus (V. 4). Er trägt das Geistesschwert siegesstarker Macht.

Ha! wie es zuckend blitzt, das Schwert seiner Gnade und seines königlichen Gerichtes. Es streckt die sichtbaren wie unsichtbaren Feinde seines Reiches zu Boden. Ihm gebührt die Weltherrschaft; er zerstört das Reich der Finsternis und errichtet ein ewiges Lichtreich. Scharf sind seine Pfeile (V. 6); es sind Pfeile der Barmherzigkeit, die zum Leben verwunden; es sind Wurfgeschosse seines Zornes, zum Verderben entsandt für Böse; und sein Reich dauert ewig (V. 7).

Eine dreifache Salbung wird seiner heiligsten Menschheit zuteil: bei der Menschwerdung durch die Vereinigung der göttlichen Natur mit der menschlichen, bei der Taufe im Jordan, wo er das Propheten- und Priesteramt übernimmt, und endlich bei der Himmelfahrt, wo er mit dem Freudenöl der Verherrlichung beglückt und zum König gesalbt wird über Himmel und Erde. Die Arome des Myrrhenbalsams, des wohlriechenden Aloeharzes und des Kasta-Zimmet strömen von seiner Gewandung aus, das ist seine heiligste Menschheit, dies Gewand seiner Gottheit ist von mannigfachem Wohlgeruch der Heiligkeit also durchduftet, daß der Duft Himmel und Erde entzückt.

Ihm zur Seite steht die Königin, d. i. die Kirche, die er erwählt hat. Im goldgewirkten Gewande steht sie da, umspielt von Farben. Sie soll jetzt des alten Bundes und der irdischen Abstammung vergessen (V. 11), soll das Alte verlassen, sich all dessen entschlagen, was ihr in die neue Gemahlschaft nicht folgen kann; soll jeder natürlichen Neigung entsagen. Dann wird er nach ihr Verlangen tragen und großer Ruhm unter den Völkern wird ihre Hingabe an den König krönen.

Die Töchter von Tyrus, die Bewohner der blühendsten, reichsten Städte, die stolz sind auf ihre Macht und Schätze, werden um deine Gunst werben. Schöner noch ist die Königin und die Braut Christi in jener Herrlichkeit, die verborgen ist für das sinnliche Auge (V. 14), wie in des Königs Knechtsgestalt die Majestät des ewigen Wortes verborgen war.

Ja, sei mir gepriesen du einziger Bräutigam; deine Gemahlschaft wird herrlich und gesegnet sein; es werden dir Kinder aus dem Heiligen Geist geboren, die du als Fürstensöhne an deiner königlichen Ehre und Herrschaft teilnehmen läßt und setzen wirst, die ganze Erde zu regieren, und von Geschlecht zu Geschlecht werden sie deines Namens eingedenk sein, bis einst Volk um Volk eingeführt ist in die himmlische Königstadt und die Hochzeit des Lammes beginnt, deren Festfreude nie endet (vergl. Psall. sap. II. S. 179).

 

2. Dank

Unsere Seele ist durch die heiligmachende Gnade mit all der Herrlichkeit geschmückt, die uns der Psalmist schildert. Von ihr gilt das Wort des Herrn bei Ezechiel 16, 8-13: "ich schwur dir und trat mit dir in den Bund, spricht Gott der Herr, und du bist mein. Ich kleidete dich mit bunten Kleidern und zog dir Purpurschuhe an ... und du wurdest sehr schön."

Wir müssen dem Herrn heute ganz besonders danken für die wundervolle Herablassung und für solche herrliche Gaben, für dies Hochzeitsgewand, das uns den Eintritt in den Himmel sichert. Wir sollten keinen Tag vergessen, dafür zu danken, müssen es aber ganz besonders heute tun, wo unsere Betrachtung darauf gerichtet ist. Wie kostbar ist dieser Schmuck; wenn wir ihn haben, sind wir für ewig gerettet; wenn wir ihn verlieren, wird uns der Herr verwerfen hinaus in die äußerste Finsternis, wo Heulen und Zähneknirschen sein wird.

Unser Dank muß vor allem darin bestehen, daß wir mit der größten Liebe und Treue und mit der opferwilligen Hingabe zu Jesus unserm Bräutigam halten und mit ihm unser Kreuz geduldig tragen. Die Braut muß ihrem Manne anhangen auch in den Tagen des Leidens; so müssen auch wir beim Heiland bleiben, auch wenn er uns auf den Kalvarienberg führt.

 

3. Sühne

Gott hat uns wunderbar begnadigt. Und wir? Seine Liebe fordert eine Treue bis ins Kleinste. Und haben wir nicht selbst oft Sünden und große Fehler begangen? Muß uns da nicht der Vorwurf des Herrn beim Propheten treffen: "Du verließest dich auf deine Schönheit und buhltest auf deinen Ruhm hin; und du nahmst deine Söhne und Töchter und schlachtetest sie hin zum Verzehren" (Ezech. 16, 15 u. 20).

Israel ist durch Götzendienst vom Herrn abgefallen und hat seine Kinder dem Moloch geopfert, und wir kündeten dem Herrn die Treue, indem wir uns der Eitelkeit und den irdischen Dingen zuwandten.

Haben wir unser Herz gegen alle selbstgefälligen Gedanken verwahrt? Geben wir uns nicht oft weltlichen Zerstreuungen zu sehr hin, so daß unsere Gebetsübungen darunter leiden? Und sind wir selbst von groben Fehlern immer frei? Halten wir in unbefleckter Herzensreinheit dem Herrn unverbrüchliche Treue und wenden wir unsere Augen von den sinnlichen Reizen mit aller Entschiedenheit ab?

Seien wir gewissenhaft in unserer Prüfung. Der Herr ist ein eifersüchtiger Gott und spricht zur ungetreuen Seele: "Siehe, ich will all deine Liebhaber zusammenbringen und will dich in ihre Hände hingeben, und sie werden eine Versammlung wider dich herbeirufen und dich mit Steinen niederwerfen und mit ihren Schwertern niedermetzeln" (Ezech. 187, 37 ff.), d.h. der Herr wird jeden strafen mit dem, womit er gesündigt hat.

Wie leicht ist es also, die Anhänglichkeit an das, was uns unerlaubterweise fesselt — und wäre es nur ein Buch oder ein Bild — aufzugeben, wenn wir bedenken, daß dieses selbe Ding einmal ein Mittel sein wird in der Hand des Herrn für eine empfindliche Strafe: was uns heute so freundlich anlockt, wird sich einst feindlich erheben und große Qual uns bereiten. Nein, Herr, sieh', ich will dir treu sein und will allem entsagen, was sich mit der Liebe nicht verträgt.

 

4. Bitte

Es ist etwas Großes, die heiligen Anforderungen zu erfüllen, welche mir die bräutlichen Beziehungen zu dir auferlegen. Ohne deine starke Hand werde ich in Elend und Untreue versinken. Um der Liebe willen, die du zu meiner Seele trägst, um des Blutes willen, das du ihretwegen vergossen hast, bitte ich dich, laß den Schmuck, den du mir geschenkt, nicht beschmutzt werden und nicht verloren gehen. Es wäre furchtbar, wenn ich von dir weichen würde: Du allein bist meiner Liebe wert. Nein, nichts soll mich mehr von deiner Liebe trennen: nicht Verfolgung und nicht Schwert, nicht Leben und nicht Tod, nicht Verführung und weltlicher Reiz. Mach' meine Treue stark, bis der Tod mich selig mit dir vereint. Amen.