2. Betrachtung: Das Vater unser

"Vater unser, der du bist im Himmel" (Matth. 6, 9)

 

1. Anbetung

Gemeint ist der dreieinige Gott. Wir verehren in tiefster Ehrfurcht die große Macht und Weisheit und Liebe, mit welcher er die Welt und uns selbst erschaffen hat, in der er uns zu seinem Bild und Gleichnis gemacht hat, in der er fortgesetzt für uns sorgt, uns erhält und leitet, mit der er uns erlöst und in der Taufe in besonderer Weise zu seinen Kindern angenommen hat, in der er an unserer Heiligung arbeitet und uns schließlich all seine himmlischen Schätze zur Erbschaft geben will. Der süße Name "Vater" soll in uns die Gesinnungen der tiefsten Ehrfurcht, der innigsten Liebe und des kindlichsten Vertrauens hervorrufen.

Der Himmel ist der Sitz seiner Herrlichkeit; dort beten ihn die Engel und Heiligen an. Mit ihnen vereinigen wir uns, um ihm unsere demütigste Huldigung darzubringen. Je größer unser Eifer hierin ist, desto mehr gefallen wir ihm. Jesus und die Heiligen geben uns hierin das schönste Beispiel. Mit welcher Ehrfurcht spricht Jesus vom Vater im Himmel; mit welcher Treue vollzieht er seinen Willen; daß der Vater geehrt wird, ist ihm das erste und größte Anliegen seines Herzens. Schließe dich ihm an und erweise deinem Herrn und Gott täglich so viel Ehre, als du kannst.

 

2. Dank

Gott ist unser Vater; wir haben ihm unendlich viel zu verdanken. Versuche es jetzt, die Wohltaten zu zählen, die er dir gespendet hat: Er hat dich erschaffen; danke ihm für dein Dasein. Er hat dich nach seinem Bild und Gleichnis erschaffen, hat dich mit gottähnlichen Gaben ausgestattet: mit Vernunft und freiem Willen. Er hat dich erlöst, dich von Sünde und Hölle befreit durch Christi Leiden und Tod. Das verpflichtet dich zu ganz besonderem Dank. Er hat dich durch die Taufe zu seinem besonderen Kinde gemacht und dich zu einem neuen Leben umgeschaffen. Durch die heiligmachende Gnade hat er dir eine übernatürliche Kindschaft verliehen und endlich hat er dich zur ewigen Erbschaft des Himmels berufen. Sprich, was hätte er noch tun können, das er nicht getan hat?

So groß seine Gaben, eben so groß soll nun auch dein Dank sein. Siehe, das erwartet er. Was willst du heute noch tun, um ihm deine Dankbarkeit zu erweisen? Vereinige deinen Dank mit den Jubelchören der Engel und mit der Freude des ganzen himmlischen Hofes, der dem Herrn ein ewiges Danklied singt mit den Worten: "Lobpreist unseren Gott, all seine Diener, und die ihr ihn fürchtet groß und klein! Alleluja; denn der Herr hat sich als Herrscher gezeigt, unser Gott, der Allmächtige. Laßt uns frohlocken und jubeln und ihm Preis darbringen; denn gekommen ist die Hochzeit des Lammes und seine Braut hat er sich bereitet" (Apoc. 19, 5 ff.).

 

3. Sühne

Ein gutes Kind wird seinem Vater Ehre, Liebe und Gehorsam erweisen. Prüfe dich. Gott Ehre zu erweisen ist deine ganze Bestimmung. Verbringst du nicht Stunden oder auch ganze Tage, ohne daß du auch nur an ihn denkst? Er soll der Mittelpunkt deines Denkens, er soll der Beweggrund all deines Tuns sein. Hier hast du viel nachzuholen.

Und wie steht es mit deiner Liebe? Wer Gott liebt, denkt viel an ihn; wer Gott liebt, dem ist nichts zu viel, was er fordert, der beklagt sich nicht, wenn ihm ein Leiden auferlegt wird. Prüfe an diesem Zeichen deine Liebe und ersetze, was noch fehlt.

Und wie es mit deinem Gehorsam steht, zeigt dir eine kurze Gewissenserforschung über die Gebote Gottes.

Siehst du jetzt, wie viel du abzubitten hast? Trifft dich nicht auch der Vorwurf, den Moses gegen das Volk Israel schleudert:

"Gottes Wege sind vollkommen und alle seine Wege sind gerecht; getreu ist Gott und ohne allen Trug, gerecht und gerade. Sie sündigen gegen ihn in Schmach, sie, nicht mehr seine Söhne; ein verderbtes und verkehrtes Geschlecht. Vergiltst du so dem Herrn, du törichtes und unverständiges Volk? Ist er denn nicht dein Vater, der dich erworben, der dich gemacht und geschaffen hat?" (Deut. 32, 4 ff.)

 

4. Bitte

Bete mit großem Vertrauen zu deinem Vater im Himmel, er wolle dir ein recht großes Verständnis seiner Vaterliebe verleihen und einen kindlichen Sinn gegen ihn, ein Herz voll Gehorsam gegen seine Gebote und voll Eifer für seine Ehre. Bitte ihn, er wolle dir seinen Vatersegen geben, mit dem einst Jakob seinen Sohn Joseph segnete, da er sprach:

"Der Gott deines Vaters wird dein Helfer sein. Der Allmächtige wird dich segnen mit Segensfülle vom Himmel droben und mit Segensfülle aus der Tiefe unten. Die Segnungen deines Vaters sind mächtiger als die Segnungen seiner Väter, bis da kommt das Verlangen der ewigen Hügel" (d. i. Jesus Christus, den alle Geschöpfe erwarten) (Gen. 49, 25 u. 26).