27. Betrachtung: Der Gehorsam

 

Text

"Der erste Grad der Demut ist unverzüglicher Gehorsam. Er ist Sache derjenigen, welche nichts einer höheren Liebe wert achten als Christus. Um des heiligen Dienstes willen, den sie gelobt haben, oder aus Furcht vor der Hölle oder wegen der Herrlichkeit des ewigen Lebens sollen sie keinen Aufschub in der Ausführung kennen, wenn vom Obern etwas befohlen ist, gleich als hätte es Gott selbst aufgetragen." (Regel des heiligen Benediktus, Kap. 5.)

 

1. Anbetung

Der tiefste Grund für den klösterlichen Gehorsam ist der Blick auf Gott und seine herrlichen Vollkommenheiten: auf die Majestät seiner Oberherrschaft, vor der die Ordensleute ihre Gelübde abgelegt haben, auf seine Gerechtigkeit, welche alle Verletzungen derselben streng bestraft. Gott ist unser höchster Herr und Gebieter; er verlangt von den Seinen vollkommene Hingabe; das Opfer des eigenen Willens ist das Kostbarste, was ihm der Mensch bringen kann. Unser Gehorsam wird darum am vollkommensten sein, wenn wir jeden Befehl, der uns gegeben wird, so ausführen, wie wenn es Gott selbst befohlen hätte (ac si divinitus imperetur).

Einer solchen Gnade wurde Moses gewürdigt. Er sah den brennenden Dornbusch und wollte nähertreten; aber der Herr rief ihm entgegen: "Tritt nicht näher heran. Ziehe deine Schuhe von den Füßen; denn der Ort, auf dem du stehst, ist heiliger Boden." Da verhüllte Moses sein Angesicht; denn er wagte nicht aufzuschauen gegen Gott.

Und der Herr sprach: "Ich habe die Bedrängnis meines Volkes gesehen. So komm' denn; ich will dich zum Pharao senden, daß du mein Volk aus Ägypten herausführst. Zu den Söhnen Israels sollst du sagen: Der Herr, der Gott eurer Väter, hat mich zu euch gesandt. Ich bin, der ich bin; das ist mein Name in Ewigkeit und so gedenke man meiner von Geschlecht zu Geschlecht" (verg. Exod. 3, 5-15).

Und ebenso feierlich und majestätisch erteilt der Herr an Isaias seine Befehle. "Ich sah den Herrn, schreibt er, auf einem hocherhabenen Throne sitzen und das, was unter ihm war, erfüllte den Tempel, und die Seraphim riefen einander zu: Heilig, Heilig, Heilig ist der Herr, Gott Sabaoth, die ganze Erde ist seiner Herrlichkeit voll.

Und ich hörte die Stimme des Herrn, welcher sprach: Wen soll ich senden und wer wird uns gehen? Da sprach ich: Siehe, hier bin ich; sende mich." Und daraufhin gab der Herr dem Propheten den Auftrag, hinzugehen und eine schwere Aufgabe zu erfüllen. Und Isaias vollzog den Auftrag sein Leben lang, ganz erfüllt von der Größe des Herrn, dessen Glorie er im Tempel geschaut hatte (vergl. Is.6).

Jeden Befehl unserer Vorgesetzten sollen wir so annehmen, wie Moses und Isaias die Aufträge des Herrn entgegennahmen. Denn der Herr hat gesprochen: "Wer euch hört, der hört mich." Dann hat unser Gehorsam die rechten Eigenschaften; dann ist er wohlgefällig in Gottes Augen.

 

2. Dank

Gott hat an den Gehorsam wunderbare Gaben und herrliche Vorteile geknüpft. Wer sein Leben im ständigen Gehorsam zubringt, der gleicht, wie der heilige Bernhard sagt, den Märtyrern. Aber auf Erden schon wirkt der Gehorsam Großes an uns. Er macht uns stark, er macht uns weise, er verleiht uns die Sicherheit unseres Heils, er genügt, uns heilig zu machen; denn "eine gehorsame Seele gelangt unfehlbar und in kurzer Zeit zu einer vollendeten Heiligkeit."

Der Gehorsam führt uns zur Vereinigung mit Gott; durch die Mühe des Gehorsams kehren wir ja zu dem zurück, von dem wir durch die Trägheit des Ungehorsams abgewichen sind. Er versüßt uns alle Mühe; er macht unser Herz weit und opferfroh, so daß wir in unaussprechlicher Süßigkeit der Liebe schnell vorwärts eilen (inennarrabili amoris dulcedine). Und schließlich schenkt uns der Gehorsam die kostbare Freundschaft Jesu, der zu uns spricht: "Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch befehle" (Jo. 15,14).

Bedenke, meine Seele, eine dieser Gaben nach der andern und dank dem Herrn innig dafür, und du wirst sehen, wie gut er es meint, und du wirst es tief bedauern, wenn du in Herzensverblendung darauf vergißt und den Dienst des Gehorsams manchmal nur widerwillig leistest.

 

3. Sühne

Hast du den Gehorsam ganz verweigert? War er schnell, innerlich und willig? War er allumfassend und unbegrenzt? War er übernatürlich und hattest du das Beispiel Jesu vor Augen, oder suchtest du der Menschen Lob und der Obern Anerkennung? Prüfe all das und leiste deinem Heiland Sühne für jeden Fehler.

 

4. Bitte

Bitte sprich zum Herrn, er wolle dir um seines Beispieles und seiner Liebe zum Gehorsam willen Gnade verleihen, in Wahrheit im Gehorsam zu leben und täglich hierin zu wachsen und dadurch von Tag zu Tag heiliger zu werden. Es gibt Wege, die den Menschen recht erscheinen, deren Ende aber zum Untergang führt; der Gehorsam aber ist ein sicherer Weg; stelle das dem Herrn vor und klage es ihm, wie der alte Feind alles aufbietet, um uns die rechte Auffassung des Gehorsams zu rauben, und wie die Eigenliebe das Gefährlichste ist, was in uns lauert, und wie es ohne eigenen Willen keine Hölle mehr gibt. Ja, Herr, ich habe mich ganz dir geweiht; darum soll mich nichts mehr anlocken, als was du willst. Amen.