31. Betrachtung: Die vierte Stufe der Demut

 

Text

„Die 4. Stufe der Demut besteht darin, daß der Mönch in diesem Gehorsam in harten und widrigen Verhältnissen und auch bei jeder Art von Beleidigungen, die ihm zugefügt werden, schweigend sich mit seinem Gewissen tröstet und ausharrt, nicht aber erlahmt und davongeht, da ja die Heilige Schrift sagt: „Wer ausharrt bis ans Ende, der wird selig werden“ (Matth.10, 22) und „Laß dein Herz stark werden und unterwirf dich dem Herrn“ (Ps. 26, 14)

 

1. Anbetung

Unerreichtes Muster und Vorbild dieser heldenmütigen Tugend ist Jesus. Er harrte im Gehorsam gegen des Vaters Willen in den härtesten und widrigsten Verhältnissen aus, in jeder Art von Beleidigungen, ertrug alles schweigend und mit unerschütterlicher Herzensruhe. Schon gleich nach seiner Geburt fing es an: von Herodes verfolgt muß er nach Ägypten fliehen. Auch die Arbeit, die er zu Nazareth zu verrichten hatte, mag ihm manche Dornen gebracht haben. Hart und schwer aber war ihm seine öffentliche Tätigkeit: jeder Tag war ausgefüllt mit Mühe und Plage; es gab Hitze und Hunger zu tragen und er hatte nichts, wohin der sein Haupt legen konnte.

Und seine Feinde sorgten für harte Vorwürfe, für Verleumdungen und Drohungen und durch ihren hartnäckigen Unglauben verwundeten sie täglich sein Herz auf das tiefste. Alles Böse sagten sie ihm nach: er halte den Sabbat nicht, er lästere Gott, er treibe durch Belzebub die Teufel aus und sei mit ihnen im Bunde; er halte die Fasten nicht, er gebe viel auf Essen und Trinken, nur Sünder, Zöllner und Ehebrecherinnen seien seine Freunde.

Wie oft wären wir heftig aufgebraust gegen alle diese schwarzen Verleumdungen; aber wie ruhig geht Jesus seine Wege und hört nicht auf, seine Lehre ihnen zu verkünden und in seinen Wundern ihnen zu helfen.

Und dann erst sein Leiden! Hier können wir nur anbetend vor ihm niederfallen. Hart ist es ihm geworden, es auf sich zu nehmen; aber der Vater wollte es und hat den Kelch nicht von ihm hinweggenommen und Jesus hat unter blutigem Angstschweiß seinen Willen untergeordnet und gesprochen: Vater, nicht mein Wille geschehe, sonder der deine.

Und nun fing es an, alles Harte und Widerwärtige bis zur letzten Todesqual: sie schleppten ihn zu Annas; hier erhält er einen Faustschlag ins Gesicht. Sie schleppten ihn zu Kaiphas: der spricht ein ungerechtes Todesurteil wegen Gotteslästerung. Sie schleppen ihn zu Pilatus. Auf alle bösen Anschuldigungen schweigt Jesus. Jesus autem tacebat. Herodes behandelt ihn als Narren; wieder zu Pilatus geführt, muß er sich dem Vergleich mit Barnabas gefallen lassen; dann kommt die furchtbare Geißelung, die entsetzliche Dornenkrönung mit jener grauenhaften Verspottung durch die rohen Henkersknechte.

Und so geht es fort, bis er unter undenkbaren Schmerzen am Kreuz die Augen schließt. Und dabei immer ruhig, immer gelassen, immer in Gedanken im Gebete, immer demütig und ergeben. Meine Seele, staune und bete an. Er tut das alles um dessen willen, der ihn liebt, um des Vaters willen, dessen Liebe er auch durch den dicken Schleier all dieser harten Leiden hindurch noch sieht.

Meine Seele, aus all dem musst du eine große Liebe zu Jesus und eine große Liebe zum ewigen Vater schöpfen. Und wenn deine Liebe groß ist, dann wirst auch du sagen: In all dem überwinden wir um dessen willen, der uns geliebt hat (Röm. 8, 37). Dann wirst du keine Grenzen im Gehorsam mehr kennen, mag man auch noch so hartes von dir verlangen, mag man in Verleumdungen oder ungerechten Vorwürfen gegen dich auftreten. Und so weit du würdig bist, deinem Heiland hier ähnlich zu werden, so weit wird es auch geschehen.

Es wird eine Zeit kommen, wo du keinen äußeren Frieden mehr hast, wo du von denen zurückgesetzt und hart verurteilt wirst, von denen du es am wenigsten erwartest, wo du nichts mehr recht machen kannst, wo man dir alles übel auslegen wird. Und bleibst du hierin ruhig, weichst du nicht zurück vom Weg des Gehorsams und der Pflicht, lässt du dich nicht verbittern, dann freue dich: dann führt dich dein Heiland einen wunderbaren Weg; dann wird er dir bald die Geheimnisse seines Herzens offenbaren.

Alle, die er besonders liebte, die er besonders an sich ziehen wollte, hat er diesen Weg geführt: Maria und Joseph, Petrus und Paulus, Johannes vom Kreuz und Theresia und Margaretha Alocoque. Und darfst auch du unter ihnen sein, dann freue dich und preise den Herrn; denn Großes ist’s, was er an dir zu tun vorhat.

 

2. Dank

Die Wohltaten, die wir in diesem Geheimnis erkennen, sind folgende: das heldenmütige Beispiel Jesu, das uns immer wieder ermutigt und stärkt, seinen Weg zu gehen; dann die überaus großen Güter, welche mit dieser Übung verbunden sind: eine innige Freundschaft mit Jesus, eine gnadenvolle Vereinigung mit Gott, ein überaus schneller Fortschritt in Tugend und Vollkommenheit.

Kostbar sind auch die Gelegenheiten, welche dir bisher in deinem Leben, wenn auch im geringen Grade, Anlaß und Möglichkeit boten, dich darin zu üben. Für sie musst du heute ganz besonders dem Herrn danken. Und für den Beistand, den er dir dabei gewährte; solche Stunden werden dir heute eine liebe Erinnerung sein; denn sie haben dich am meisten Gott nahe gebracht.

 

3. Sühne

Freilich werden wir oft auch diese Gelegenheiten schlecht benützt haben. Das müssen wir tief bedauern; denn solche Fehler haben uns unermesslichen Schaden gebracht. Es war mir manchmal zu schwer, alles zu tragen, was so kam. Was war der Grund dafür? Ich wurde mutlos, es gab vielleicht Tränen, ich machte in bitteren Anklagen meinem Herzen Luft, dabei ging es vielleicht nicht ohne Kritisieren ab, ich fand vielleicht sogar an den Vorgesetzten Fehler und Mängel und scheute mich nicht, davon zu reden. Oder verweigerte ich vielleicht gar den Gehorsam und ließ es zu offener Widersetzlichkeit kommen? Soweit konnte ich herabsinken — und in Gottes weiser Absicht lagen doch ganz andere Dinge!

Worauf muß nun heute mein Vorsatz gehen? Ich muss zuerst vermeiden, wodurch ich gefehlt habe. Ich muß aber auch die Ursache entfernen, die mich zu diesen Fehlern geführt haben. Die muß ich zuerst festzustellen suchen. Im allgemeinen liegt sie wohl darin, daß ich das Kreuz zu wenig liebe, daß ich das Beispiel Jesu zu wenig vor Augen hatte und daß ich noch viel zu schonend mit mir umgehe. Wo es am meisten fehlt, da muß ich heute den Hebel einsetzen; denn sonst komme ich nicht zur Nachfolge Jesus.

Und für meine bisherigen Versäumnisse und Nachlässigkeiten muß ich den Heiland um Verzeihung bitten und muß dem ewigen Vater die unendlichen Verdienste aufopfern, die er bei den harten Übungen gesammelt hat, die ich am Anfang der Betrachtung geschaut habe.

 

4. Bitte

Herr Jesu, es ist nicht leicht, eine so hohe Stufe zu ersteigen. Dazu ist notwendig, daß ich ganz über meine verkehrte Natur und über mich selbst gesiegt habe, Aus mir kann ich das nicht; ich bin zu elend und schwach dazu. Ich werde hundertmal mutlos den Kampf aufgeben und auf halbem Wege stehen bleiben, wenn du mir nicht hilfst.

Ich bitte dich um deines erhabenen Beispiels wegen und um all der kostbaren Vorteile willen, welche für meine Seele daraus fließen, laß meine Hand nicht los. Stelle es meinem Geiste immer wieder in deinen unwiderstehlichen Erleuchtungen vor Augen, was ich verliere, wenn ich zaghaft zurückweiche, und was ich erreichen kann, wenn ich mutvoll voranschreite.

Und stärke meinen Mut und meine Kraft, daß ich unerschütterlich aushalte, wenn sich die Gelegenheit bietet; laß es da nicht dunkel in der Seele werden, laß keine Bitterkeit in sie eindringen, laß sie standhaft bleiben, wenn sie mit dir ans Kreuz geheftet ist, und laß sie da nicht herabsteigen, sondern bewahre sie, daß sie ihren Stolz und ihre Freude darin findet, dir ähnlich sein zu dürfen; und halte sie fest in deiner Hand bis zu ihrer Vollendung, daß sie mit dir auch selige Auferstehung feiern kann. Amen.