32. Betrachtung: Eine weitere Stufe der Demut
Text
Eine weitere Stufe der Demut besteht darin, daß der Mönch in allen Dingen mit dem Geringsten und Letzten zufrieden ist und sich bei allem, was ihm aufgetragen ist, für einen schlechten und unnützen Arbeiter ansieht, indem er in seinem Herzen mit dem Propheten spricht: „Ich bin ein Nichts und ein Unwissender; ich bin vor dir wie ein unvernünftiges Lasttier; aber doch bin ich stets bei dir.“ (Ps. 72, 22)
1. Anbetung
Wir beten Gottes Größe, Heiligkeit und Schönheit an, der gegenüber der Mensch in Wahrheit ein Nichts ist, weniger als ein unvernünftiges Lasttier. Je mehr wir von der Kenntnis dieser Größe und Herrlichkeit Gottes durchdrungen sind, umso mehr werden wir das einsehen und um so mehr werden wir alle Folgerungen aus dieser Erkenntnis ziehen, vor allem die eine, daß gerade das Geringste und Letzte für uns gut genug ist, daß es ganz recht ist, wenn man uns die abstoßendste Arbeit auflädt und einem blöden Esel gleich alle Lasten auf die Schultern legt, die ein anderer nicht tragen mag.
Dabei haben wir aber einen großen, wunderbaren Trost: wir sind bei Gott, sind mit ihm vereint, von seinem Geiste erleuchtet, von seiner Liebe getragen. Ja, wenn wir seine Größe scheuen und uns vor ihr in den tiefsten Abgrund unseres Nichts verkriechen, dann fasst uns seine Hand und zieht uns ans Licht und wir dürfen bei Gott weilen und in Gedanken bei ihm ruhen. Dann baut der sich in den Tiefen unserer Seele einen wohlgefälligen Tempel und wohnt darin und erfüllt von da aus unsere Seele mit einem Glück, das die Welt nicht begreift, und mit einem Frieden, der ihr unbekannt ist. Und je ernster wir es nehmen mit unserer Verdemütigung und je zufriedener wir mit aller Verachtung und Zurücksetzung sind, desto enger verbindet sich Gott mit uns, desto größer wird das Seelenglück.
Verweile hier, meine Seele, und staune und bete an.
Und je heiliger ein Mensch wird, desto entschiedener übt er diese Demut; im heiligsten aller Menschen, im göttlichen Heiland strahlt sie am hellsten. Er war wahrhaftig mit dem Geringsten und Letzten zufrieden: sein ganzes Leben beweist das. Die elendesten aller Wohnstätten sind Stall und Höhle: in einem höhlenartigen Stalle wird er geboren. Das gewöhnlichste aller Lager ist ein Häuflein Stroh und Futterbarren, aus dem die Tiere ihre Nahrung nehmen: für Jesus ist es Wiege und Bett. Und wer nur in ärmlichen Lappen gehüllt ist, dem ist das Geringste zugefallen: Jesus ist in Windeln eingewickelt. Seine ersten Freunde sind die armen Hirten, die von den Reichen und Stolzen als die geringsten angesehen werden.
Dann muß er als armer Flüchtling in ein fremdes Land, heimatlos, in tiefster Armut. Seine Jugend verbringt er in Nazareth, einem der unscheinbarsten Städtchen Galiläas, von dem selbst Nathanael sagen konnte: Kann denn aus Nazareth auch etwas Gutes kommen?
In seinen Lehrjahren ist er nicht bloß mit dem Geringsten und Letzten zufrieden, er hat nicht, wohin er sein Haupt legen kann, und es kommt vor, daß er morgens auf der Straße am Feigenbaum Früchte sucht, weil ihn der Hunger quält. Und von allen Todesarten hat er die geringste und letzte, die schmerzlichste und schmählichste für sich genommen: er ist ein Nichts geworden, geringer als das blöde Lasttier, elender als der Wurm, der sich im Staube krümmt.
Ja, meine Seele, es ist deinem Heiland ernst mit seiner Demut. Sein Beispiel ist überwältigend: wir müssen ihn anbeten in all diesen Geheimnissen; wir müssen ihm aber auch folgen auf diesem Wege; denn es wäre äußerst unbillig, wollten wir ihn dort allein lassen.
2. Dank
Es liegen unschätzbare Wohltaten in diesem Geheimnis verborgen. Das erste ist die unendliche Liebe, mit welcher der Vater die Seele geheimnisvoll an sich zieht, welche diese Tugend übt. Das kann nur der erfassen, der es erfahren hat; er wird seiner Dankbarkeit keine Grenzen mehr wissen.
Und dann müssen wir ganz besonders dem Heiland selbst danken, weil er sich für uns so tief erniedrigt hat. Der beste Dank wird darin bestehen, daß wir ihm mutig zu folgen suchen. Der Weg ist nur im Anfang rau und hart; je weiter wir fortschreiten, desto freier wird das Herz, desto mehr löst es sich von der Erde los, desto heller wird das Gotteslicht, das in der Seele leuchtet.
3. Sühne
Wir sind oft noch so weit von der Höhe dieser Tugend entfernt. Unser Herz bäumt sich gegen das auf, was wir Zurücksetzung nennen, gegen die verächtliche Arbeit , die man uns zuschiebt; wir sehen so schnell, wenn ein anderer etwas Besseres hat als wir, und es regt sich die Bitterkeit darüber und wir verleihen ihr sogar Ausdruck in unseren Worten.
Das ist ein großer Fehler; wir wollen dafür den Heiland jetzt herzlich um Verzeihung bitten. Es widerspricht der Liebe zu ihm, daß wir seinem Beispiele so schlecht folgen. Wir müssen uns bessern. Dazu fordern uns auch die großen Nachteile auf, welche der Mangel dieser Tugend uns bringt, und die herrlichen Früchte, welche ihr Besitz uns zeitigt.
Wer nicht mit dem Geringsten und Letzten zufrieden ist, der hat nie Ruhe und Frieden, ist immer unzufrieden und mürrisch, sein Gebet ist schlecht und sein Gehorsam unvollkommen und von einer echten Liebe zu Gott und einem wahren Fortschritt in der Vollkommenheit kann keine Rede sein.
Eine solche Seele ist unglücklich, sie schleppt sich mühsam und ächzend dahin, sich selbst und andern zur Last. Wie frei dagegen und fröhlich ist der, welcher sich für alles unwürdig hält und aus Herzensgrund der Letzte sein will! Er hängt nicht mehr am Irdischen, seine Seele ist in ständigem Frieden, im Gebete findet er reichen Ersatz für das, was er verlassen hat. Er wächst täglich in der Liebe zu Gott und der Umgang mit ihm wird jeden Tag vertrauter. Von Kämpfen wird er zwar nicht frei sein; aber sie werden nur die Quelle neuen Segens sein. Er ist glücklich; denn er findet, was er sucht, weil er nichts mehr sucht, was ihm nicht gebührt.
4. Bitte
Herr, erleuchte mich, daß ich doch einsehe, wie dir allein alles Große und Schöne gebührt, und wie ich nur ein armes Würmchen bin schon von Natur aus, das auf nichts Großes Anspruch machen kann und außerdem durch die Sünde verdient hat, in Wahrheit und Wirklichkeit von den Füßen der Menschen zertreten zu werden.
Du bist den Weg der tiefsten Demut gegangen: laß’ es nicht zu, daß ich mich von dir scheide, wo du mir den Höhepunkt deiner Liebe zeigst. Laß’ mich von ganzem Herzen mit dem Geringsten und Letzten zufrieden sein; denn ich bin ein Lasttier vor dir; ich bin ein Nichts und ein Unwissender. Wenn ich nur bei dir bin mit all meinen Gedanken, dann habe ich mein Glück gefunden. Das ist das Höchste und mehr suche ich nicht. Amen.