21. Der Knabe Jesus bleibt im Tempel zurück
(Lk 2)
I Maria und Joseph reisen mit dem zwölfjährigen Jesus nach Jerusalem
Als Jesus zwölf Jahre alt war, gingen sie gemäß der Festsitte nach Jerusalem hinauf.1
Begleite die Heilige Familie auf dem Weg nach Jerusalem. Das göttliche Kind will dir eine wichtige Lehre zu deinem geistlichen Fortschritt geben. Jesus will dir durch sein Beispiel zeigen, daß man nicht Fleisch und Blut und seine natürlichen Neigungen zu Rate ziehen darf, wenn es sich um den Dienst Gottes, die Interessen der göttlichen Ehre und die Erfüllung des göttlichen Willens handelt. Geh mit kindlicher Gelehrigkeit in die Schule des Meisters!
Um die Vorschrift des Gesetzes vollkommen zu erfüllen, unternehmen Jesus, Maria und Joseph diese Reise. Die Feier der gesetzlichen Feste war ihnen teuer, sie lehren dich, wie man sich darauf vorbereiten und sie heilig begehen soll. Lausche ihrer Unterhaltung auf dem Weg und geselle dich ihren Reisegefährten zu. In dieser Gesellschaft kann nichts Weltliches die religiöse Stimmung stören.
Beobachte die heiligen Personen im Tempel während des Festes. Sie geben dir ein Beispiel, wie du dich am Fuß des Altares sammeln, wie du anbeten, zu Gott um Gnade flehen und dich selbst Ihm zum Opfer bringen sollst. Sieh hier, was die wahre Frömmigkeit Gott bereitwillig opfert und wie sie ihre Gabe darbringt.
1 Auf dem Weg über Samaria liegt Nazareth zweiunddreißig Stunden von Jerusalem. Im Süden des Tales von Esdrelon bieten die Quellen und schattigen Ebenen von Eugannim den Pilgern den Ruheplatz für den ersten Tag. Von dort überschreiten die Pilger die Hügel von Manasse und schlagen am zweiten Abend das Zelt bei Sichern auf. Die Haltestelle des dritten Tages ist Beeroth, von wo aus für den vierten Tag bloß drei Wegstunden bis Jerusalem zu machen bleiben.
II Die Eltern vermissen den Knaben
Nachdem die Tage vorüber waren, machten sie sich auf den Heimweg. Der Knabe Jesus aber blieb in Jerusalem zurück, ohne daß seine Eltern es merkten. In der Meinung, Er sei bei der Reisegesellschaft, gingen sie eine Tagereise weit.1
Betrachte das geheimnisvolle Verhalten deines Erlösers. Warum will Er dem Herzen seiner Mutter und seines Nährvaters diesen Schmerz bereiten? Frage Ihn selbst und bitte Ihn, dir mitzuteilen, weshalb Er es zuläßt, daß zuweilen die eifrigsten Seelen in die bitterste Trostlosigkeit versenkt werden. Warum entzieht Er sich plötzlich den Herzen, die Ihn allein lieben und lieben wollen?
Höre die Antwort Jesu! Diese Seelen sollen verstehen lernen, daß die Tröstungen der fühlbaren Gegenwart Gottes eine himmlische Gabe sind, die der Herr niemand schuldet. Die Entziehung des göttlichen Trostes soll die Seelen reinigen, belehren und vervollkommnen. Sie finden darin Gelegenheit, echte Beweise ihrer Treue und Liebe zu geben, und gewöhnen sich so daran, Gott mehr um seiner selbst als um seiner Gaben willen zu dienen. Diese Lehre erteilt uns Jesus durch seine heilige Mutter.
Nimm Anteil an der schmerzlichen Überraschung Mariens und Josephs. Die Abwesenheit Jesu ist die empfindlichste Prüfung für heilige Seelen. Mit dem Entzug seiner Gegenwart haben sie alles verloren. Nichts kann die Leere ausfüllen, die sein Verschwinden verursacht.
Was sollen sie tun, um Ihn wiederzufinden? Sie suchten Ihn bei Verwandten und Bekannten. Aber sie fanden Ihn nicht. Darum kehrten sie nach Jerusalem zurück und suchten Ihn. Lerne von Maria und Joseph, wie du Jesus suchen mußt, wenn du Ihn verloren hast. Sie machen sich auf und suchen Ihn ohne Rast, bis sie Ihn gefunden haben. Sie beten, fragen nach Ihm, halten überall Umschau und sparen keine Mühe. Sie befragen ihr Gewissen, ob sie nicht selbst schuld sind an diesem Verlust. Der geringsten Spur gehen sie nach, um Ihn zu finden, Den sie unter Tränen suchen.
Mache dir bewußt, welch ein Unglück es ist, sich von Jesus zu entfernen und Ihn zu verlieren. Wenn die Seele sich nicht um Gott kümmert, verliert sie bald durch den Fall in die Sünde seine Gnade, und das ist das größte Unglück. Bemühe dich durch eifrige Treue im Dienst Gottes, den Heiland im Herzen zu bewahren.
1 Die Pilger waren im Lager von Beeroth angekommen, dem Reiseziel des ersten Tages bei der Rückkehr nach Galiläa.
III Maria und Joseph finden das göttliche Kind im Tempel
Und es geschah, nach drei Tagen fanden sie Ihn im Tempel. Er saß mitten unter den Lehrern, hörte ihnen zu und stellte Fragen an sie. Alle, die Ihn hörten, staunten über sein Verständnis und seine Antworten.1
Maria und Joseph erreichen endlich den Tempel. Tritt mit ihnen ein und nahe dich dem Heiligtum, dort wirst du den Heiland finden. Da sitzt Er inmitten der Schriftgelehrten. Er spricht zu ihnen und erleuchtet sie mit göttlichem Licht. O meine Seele, während du um seinen Verlust weinst, gibt Er andern Seelen das Gute, dessen sie bedürfen. In den Stunden der Verlassenheit möge dich der Gedanke trösten, daß andere genießen, was du entbehren mußt.
Nimm herzlich Anteil an der Freude Mariens: «Kind, warum hast Du uns das getan? Siehe, dein Vater und ich haben dich mit Schmerzen gesucht», sagt Maria zu ihrem Sohn. Dieser antwortet: «Warum habt ihr Mich gesucht? Wußtet ihr nicht, daß Ich im Hause meines Vaters sein muß?» Auch Maria wollte das Geheimnis entschleiern, das dich so manches Mal bedrückt hat. «Warum hast Du so gehandelt, warum uns so geprüft?» Jesus entgegnet: «Weil es so dem Willen meines Vaters entsprach. Wenn es sich um die Ehre Gottes handelt, darf ich nicht zögern, mich auch von denen zu trennen, die ich am meisten liebe.»
Beherzige diese Lehre. Mag nun Jesus sich zeigen oder verbergen, sich entziehen oder sich wieder schenken, schweigen oder trösten, in allem leitet Ihn das Interesse und die Ehre des himmlischen Vaters. So ergib dich denn mit Vertrauen seiner Leitung. Tue noch mehr, ahme Ihn nach. Auch du bist geschaffen, um Gott zu ehren, darum mußt du handeln wie Jesus. Opfere Gott alles, was in dir und in deinen Werken seinem heiligsten Willen widerstrebt und dich hindert, seinen Absichten zu entsprechen.
1 Unter einer der Säulenhallen waren Räume eingerichtet, wo sich die Gesetzeslehrer versammelten und die Zweifel jener lösten, die sich mit Fragen an sie wandten. Wahrscheinlich fanden Maria und Joseph Jesus dort wieder.