32. Die ersten Jünger Jesu (I)

(Joh 1)

 

I Jesus begegnet zwei Jüngern Johannes' des Täufers

Am folgenden Tage stand Johannes wieder da mit zwei von seinen Jüngern.1 Als er Jesus daherkommen sah, sprach er: «Seht, das Lamm Gottes!» Sobald die beiden Jünger ihn so sprechen hörten, folgten sie Jesus nach.

Geselle dich zu den Jüngern des heiligen Johannes. Der Vorläufer spricht mit den Seinen vom Erlöser. Die fromme Unterhaltung über Jesus verschafft ihnen das Glück seiner Gegenwart. Betrachte, wie Er jenen entgegenkommt, die danach verlangen, Ihn kennen- und liebenzulernen. Er kommt von weit her, denn vom Himmel ist Er herabgestiegen. Seht, das Lamm Gottes! Seht jenen, Den der himmlische Vater schon lange verheißen hat. Er will den Menschen die Wahrheit verkünden, ihnen die Last ihrer Sünden abnehmen und den Himmel wieder öffnen. Selig alle, die Ihn aufnehmen, selig alle, die Ihn ihren Brüdern offenbaren. Geh deinem Heiland entgegen, bereite dich, Ihm zu huldigen und Ihm deine Bitten vorzutragen, bemühe dich, seinen Blick auf dich zu ziehen.

 

II Jesus ladet die zwei Jünger ein, Ihm zu folgen

Jesus wandte sich um und sah sie Ihm folgen. Da fragte Er sie: «Was sucht ihr?» Sie erwiderten Ihm: «Rabbi» — das heißt Meister — «wo wohnst du?» Er antwortete ihnen: «Kommt und seht!» Sie gingen mit Ihm und sahen, wo Er wohnte, und blieben jenen Tag bei Ihm. Es war um die zehnte Stunde.

Beglückwünsche die beiden Jünger, daß sie zur rechten Zeit sich eingefunden haben, um Jesus kommen zu sehen.

Beachte, nicht zu jeder Zeit und an jedem Ort begegnet man dem Herrn. «Was sucht ihr?» fragt Jesus. Aus ganzem Herzen antworten die beiden Jünger: «Wir suchen Belehrung, Frieden, Fortschritt in der Tugend, inneres Glück.» Suchst nicht auch du diese Güter? Gerade dies hat Jesus auf die Erde gebracht. Schließ dich den Jüngern an und folge entschlossen dem Heiland nach.

Sie verließen Johannes und folgten Ihm, nicht nur mit den Schritten ihrer Füße, sondern auch in der Ergebenheit des Glaubens und in der Nachahmung der Werke. Ihm, von dem sie durch das Zeugnis des Johannes wußten, daß Er auch dessen Lehrer war, wollten sie sich anschließen und seine Lehre hören. Bewundere die schlichte, demütige und willige Nachfolge der Jünger, die ohne jeden Einwand und jede Nachforschung geschieht. Gesegnet sei der Herr, der in seinem Verlangen nach ihrem und aller Heil sich, in seiner Güte, zu ihnen umwandte, mit der Er sich immer denen zuwendet, die sich Ihm zuwenden, und die aufnimmt, welche zu Ihm kommen. Und als Er mit den Augen der Barmherzigkeit und der Güte sah, daß sie Ihm folgten, fragte Er sie, um ihnen Selbstvertrauen zu geben und Mut zu machen: «Was sucht ihr?» Als wollte Er sagen: «Ich stehe zu eurer Verfügung.» Er fragte nicht: «Wen sucht ihr?», weil sie über seine Person durch Johannes im klaren waren; sondern Er sagte: «Was sucht ihr?», denn Er wußte, daß sie etwas über das Heil erfahren wollten. Er fragte nicht aus Unwissenheit, damit Er etwas erfahre, sondern um sie durch seine Frage mit Ihm vertrauter zu machen und sie aufgrund ihrer Antwort besser zu leiten. Daß sich der Herr zu ihnen umwandte, sie anblickte und mit ihnen sprach, war ein Zeichen seiner Weisheit und seines Wohlwollens; Er wußte nämlich, mit welchem Verlangen sie Ihm folgten. Damit wird uns verständlich gemacht, daß Christus alle, die sich anschicken, Ihm reinen Herzens nachzufolgen, mit Vertrauen und mit der Hoffnung auf Erbarmen erfüllt. Und Er wendet sich um zu ihnen, um ihnen den Reichtum seines Erbarmens zu schenken.

Wohin führt Jesus die beiden? Er lädt sie zu sich ein: «Kommt und seht!» Die wahren Güter empfängt man in der nächsten Nachfolge des Herrn, und zu dieser fordert Jesus die Menschen auf. «Kommt!» sagt Er, «Ich will euch zeigen, wo ich wohne. Dort werde ich euch offenbaren, was den Weisen verborgen ist, dort will ich euch geben, was die Welt nicht geben kann. Dort sollt ihr die Freuden des wahren Lebens verkosten.» Fühlst du dich nicht gedrängt, einer so liebevollen Einladung zu folgen und mit den Jüngern in die demütige Wohnung des Heilandes einzutreten? Fürchte nicht, daß du dort Überdruß empfindest? Ist der vertraute Verkehr mit Jesus nicht die be-glückendste Freude auf Erden? Selige Stunden bereitet der Meister den beiden, die Er zu sich eingeladen hat, Stunden, die ihnen als die schönsten ihres Lebens in der Erinnerung bleiben werden.

Bilde dich nach ihrem Beispiel. Was sagen sie, was tun sie während des Beisammenseins mit Jesus? Sie hören seine Worte, erbitten sich Belehrung, eröffnen Ihm ihr ganzes Herz mit seinen Wünschen und Mängeln und fassen großmütige Vorsätze. So weckt diese erste Unterredung mit Jesus in ihnen die Gesinnungen des Glaubens, der Liebe und des Vertrauens.

1 Wir sind an den Ufern des Jordans bei Bethsaida. Hier fanden die ersten Begegnungen Jesu mit seinen künftigen Aposteln statt.

 

III Andreas fuhrt seinen Bruder Simon zu Jesus

Einer von den beiden, die Ihm auf das Wort des Johannes hin folgten, war Andreas, der Bruder des Simon Petrus. Dieser traf zuerst seinen Bruder Simon und sprach zu ihm: «Wir haben den Messias — das heißt den Gesalbten — gefunden.» Und er führte ihn zu Jesus.

Andreas teilt alsbald seinem Bruder seine Entdeckung mit. Er fühlt sich glücklicher, da er die seinen zu Jesus führen kann, als wenn er ihnen einen zeitlichen Gewinn verschaffen könnte. Das ist die wahre Liebe. Lerne von Andreas, mit dem Nächsten von Gott zu sprechen, ihm Anteil an den Gnaden zu geben, die du im Gebet erhältst. Gibt es nicht mehr als eine Seele, die du für Gott gewinnen könntest? Fasse zur Ehre deines Meisters Vorsätze, die seiner würdig sind.

Jesus schaute ihn an und sprach: «Du bist Simon, der Sohn des Johannes; du sollst Kephas — das heißt Fels genannt werden.» Wie belohnt Jesus den Seeleneifer des Andreas? Er wirft einen Blick der Gnade auf Simon, Er schaut ihm ins Herz. Jesus erkennt die Freude, die Simon empfindet, da er den Meister kennenlernt, sein Verlangen, Ihm näherzutreten, und seinen großherzigen Willen, alles für Ihn zu tun. Neben diesen guten Eigenschaften sieht Jesus auch seine Schwäche, seine Unerfahrenheit, und dennoch sagt Er zu ihm: «Du sollst Petrus heißen, Ich werde dich stärken. Ich werde dich zum unüberwindlichen Felsen meiner Kirche machen. Ich werde dich zum Sieg führen.» O meine Seele, warum fürchtest du, Jesus zu folgen, und zwar möglichst nahe, da Er die Stütze deiner Schwachheit und das Licht deiner Unwissenheit sein will?