102. Das Gleichnis vom Sämann (III)
(Mk 4, Mt 13, Lk 8)
I Jesus warnt seine Jünger vor den Anstrengungen des bösen Feindes, die Seelen zu verderben
«Der Same ist das Wort Gottes. Der Sämann sät das Wort.»
Nimm deinen gewohnten Platz bei Jesus ein; er wendet sich jetzt nur an seine Vertrauten. Der Sämann ist Gottes Sohn. Durch sein Wort streut Er den Samen aus für das ewige Leben. Das übernatürliche Leben kann in einer Seele nur durch den Glauben keimen und sich entwickeln. Man muß dem göttlichen Worte glauben, wenn es das Leben in uns hervorbringen soll. Man muß sich der Autorität unterwerfen, die es verkündigt, die Pflichten erfüllen, die es auferlegt, Verlangen tragen nach den Gütern, die es bringt. Nur im Glauben wurzelt das übernatürliche Leben. Darum sucht der böse Feind, uns vor allem den Glauben zu rauben. Sein ganzer Plan geht dahin, unsern Glauben an das göttliche Wort zu schwächen oder ihn uns ganz zu nehmen.
«Kaum haben sie das Wort vernommen, so kommt der Satan und nimmt es aus ihrem Herzen, damit sie nicht glauben und selig werden.» Darum belebe deinen Glauben, wenn du den Teufel besiegen willst.
II Jesus warnt seine Jünger vor der Unbeständigkeit der Natur und den Verführungen der Welt
«Einiges fiel auf steinigen Grund; das sind die, welche das Wort Gottes zwar hören und mit Freuden aufnehmen, aber nicht Wurzel fassen lassen. Sie glauben eine Zeit lang, aber zur Zeit der Versuchung fallen sie ab.»
Du wirst in diesen Worten das Bild deiner Seele erkennen, dein oberflächliches Empfinden, den Wechsel in deinen Stimmungen. Beim Zusammentreffen mit Jesus, beim Klang seiner Stimme wurde dein innerstes Wesen ergriffen. Der Antrieb der Gnade war so lebhaft, daß du dich in den Himmel versetzt glaubtest, als du Ihm folgtest. Warum war einen Augenblick später alles wieder verschwunden? Weil du im Grunde des Herzens eine versteckte Anhänglichkeit hegtest. Naht dann die Versuchung, so vergißt man nur zu schnell die erhaltenen Belehrungen und die guten Vorsätze, die man gefaßt hat. Der Same, der schon Keime getrieben hatte, kann keine Wurzel fassen.
Der Heiland bezeichnet ein anderes Hindernis des Fortschrittes. Unter dem Einfluß der Gnade, die das Herz rührte und den Verstand erleuchtete, werden die ersten Schritte auf dem Wege der Besserung freudig gemacht. Indes das Fortschreiten erfordert Ausdauer. Dies befördert das Wachstum der Tugend und bringt sie zur Reife. Darum heißt es angehen gegen zu große Geschäftigkeit, gegen Bequemlichkeit und Wohlleben, gegen die Reize des Vergnügens und der Leidenschaften, damit nicht auch von uns gelte: Zur Zeit der Versuchung fallen sie ab. Unsere Natur ist so voller Fehler und schlechter Neigungen, daß sie einem mit Dornen und Gestrüpp bedeckten Erdreich ähnlich ist. Davon muß sie befreit werden. Diese Befreiung erfordert abermals einen schmerzlichen, unablässigen Kampf. Der Mut zu diesem Streit fehlt oft; die Dornen wachsen, die Fehler vermehren sich und erstarken. Die Sorgen dieser Welt, die Täuschungen des Reichtums, die Vergnügen des Lebens, die Macht der Leidenschaften ersticken das Wort Gottes. Man bleibt stehen, man macht Rückschritte. Die Gnade Gottes wird unfruchtbar gemacht. Ist dies nicht wieder die Geschichte deines Seelenlebens?
III Jesus setzt die Bedingungen für den Fortschritt im übernatürlichen Leben fest
«Das letzte fiel auf gutes Erdreich. Das sind jene, die das Wort Gottes hören, es in gutem und willigem Herzen bewahren und Frucht bringen in Geduld.»
Merke dir, was der Heiland unter einem guten Boden versteht. Das ist ein umzäuntes Grundstück, das nicht offen steht, das nie zu einer Landstraße wird für jedermann. Es ist ein fetter und lockerer Boden, in welchem der gute Samen wirklich Wurzel fassen kann. Ein von Unkraut gesäuberter Boden, frei von Gestrüpp und Dornen, ganz zur Aufnahme des Samens vorbereitet. Dieser Erde muß dein Herz gleichen. Bereite es mit Eifer auf die Gnade vor und öffne es dem Heiland.
Erkenne die befruchtende Kraft des Wortes Gottes. Dieses Wort wurde einmal ins Nichts gesprochen und hat alle Geschöpfe ins Dasein gerufen. Wenn es also in den Menschen, die es hören, nichts bewirkt, so ist es sicher ihre Schuld. Hast nicht auch du schon oft das göttliche Wort vernommen durch Einsprechungen, gute Predigten oder heilige Lektüre? Warum brachte es nicht volle Frucht?
Das göttliche Wort kann in der Seele nur reiche Frucht bringen, wenn es erkannt und ganz bewußt aufgenommen wird. Du sollst dich nicht mit einem oberflächlichen Anhören begnügen. Die Betrachtung hilft dir, das Wort Gottes in seinen Geheimnissen und in seiner ganzen Tiefe zu erfassen. So wirst du es auch nicht so leicht vergessen, sondern in gutem Herzen bewahren und Frucht bringen lassen.
Bedenke, daß Er selbst zu dir spricht und seine Gnade spendet. So wirst du allzeit die Gaben des Himmels hochschätzen und sie in Liebe in deiner Seele bewahren. Diese Gedanken werden dein Herz erwärmen, dem guten Samen zur Fruchtbarkeit verhelfen, ihn vor schädlichen Einwirkungen schützen und zur Blüte und Reife bringen.