170. Die Heilung des Blindgeborenen

(Joh 9)

 

I Jesus belehrt die Jünger über den Grund dieser Krankheit

Als Jesus seines Weges ging, sah Er einen Mann, der von Geburt an blind war. Seine Jünger fragten Ihn: «Meister, wer hat gesündigt, er oder seine Eltern, daß er blind geboren wurde?» Jesus antwortete: «Weder er noch seine Eltern haben gesündigt, vielmehr sollen die Werke Gottes an ihm offenbar werden.»

Wende dich an den Heiland mit der Bitte, dich über den geheimen Grund der Leiden dieses Blindgeborenen aufzuklären! «Um welcher Sünden willen leidet dieser Mensch?» fragen die Jünger, und Jesus antwortet: «Er leidet nicht seiner Sünden willen.» Prüfungen sind also nicht immer Strafen. Das Wort des Herrn kann dir zur Beruhigung dienen. Wenn dein Herz von irgendeinem Leid gequält wird, so ist dies keineswegs die Wirkung der erzürnten göttlichen Gerechtigkeit. Dein himmlischer Vater entzieht dir seine Liebe nicht, wenn Er Schmerzen über dich kommen läßt. Hat Er nicht aus Erbarmen mit unserem Elend die Menschwerdung gewirkt? Er hat uns seinen eingeborenen Sohn gesandt, um all unseren Nöten abzuhelfen, und dieser verlangt einzig, die Werke desjenigen zu wirken, der Ihn gesandt hat. Setze also dein ganzes Vertrauen in Ihn und bete für alle Unglücklichen.

 

II Der Heiland heilt den Blindgeborenen

Nach diesen Worten spuckte Er auf die Erde, machte mit dem Speichel einen Teig, strich dem Blinden den Teig auf die Augen und sprach zu ihm: «Geh und wasche dich im Teich Siloe», das heißt soviel wie Gesandter. Er ging hin, wusch sich und kam sehend zurück.

Jesus hatte gesagt: «Die Werke Gottes sollen an ihm offenbar werden», und sogleich begibt Er sich ans Werk.

Glaube auch du, geprüfte Seele, bei allem Leid fest, daß Gott in liebevoller Absicht handelt. Alle Wesen müssen Ihn verherrlichen, und du wirst mehr als andere zu seiner Verherrlichung beitragen. Du nimmst in seinen Gedanken eine bevorzugte Stelle ein, und nicht ohne Grund hat Er dich des irdischen Glückes beraubt. Seine Güte, Weisheit und Barmherzigkeit werden einst zutage treten. Sieh, wie der Blinde sich dem Heiland überläßt; auf den ersten Ruf eilt er herbei. Durch langes Leiden wird man empfänglich für die Gnade. Mit welcher Ehrfurcht und mit welch heiliger Freude fühlt der Kranke die Berührung der heiligen Hände Jesu. Durch seine Schmerzen und seine Verlassenheit war seine Sehnsucht nach göttlicher Hilfe groß geworden, und jetzt verkostet er die unaussprechliche Süßigkeit dieser Hilfe. An welche Bedingungen knüpft der Heiland die Heilung des Blindgeborenen? «Gehe hin und wasche dich im Teich Siloe», sagt Er. Der Kranke zögert nicht und macht keinerlei Einwendungen; das Leid hat ihn fügsam gemacht. Mit vollkommener Treue führt er den Befehl aus und erhält das Augenlicht wieder. Nimm teil an seiner Freude!

 

III Jesus wird durch den Geheilten verherrlicht

Die Nachbarn und die ihn vordem stets als Bettler gesehen hatten, sagten: «Ist das nicht der Mann, der da saß und bettelte?» Die einen sagten: «Ja, er ist es!» Andere sagten: «Nein, er sieht ihm nur ähnlich.» Er selber sagte: «Ich bin es.»

Höre, wie man den wunderbar Geheilten nach seiner Rückkehr vom Teich Siloe empfängt. Er hat sich in seinem Aussehen und in seiner Haltung derart verändert, daß man ihn nicht wiedererkennt.

Kehrst auch du so von den Gnadenquellen zurück, die für dich in den heiligen Sakramenten fließen? Man sollte von dir sagen können: «Er ist nicht mehr derselbe. Es ist nicht mehr die schwache Seele, die beständig klagte und um menschlichen Trost bettelte, nicht mehr dieser launenhafte Charakter, in dessen Nähe man sich unbehaglich und bedrückt fühlte. Gott sei gepriesen, der durch seine Allmacht diese glückliche Umwandlung bewirkt hat.»

Der Geheilte verkündet laut den Namen seines Wohltäters. Da sprachen sie zu ihm: «Wie sind dir die Augen aufgetan worden?» Er antwortete: «Jener Mann, welcher Jesus genannt wird, hat es getan.» Seine Dankbarkeit entspricht der Größe der vorangegangenen Leiden. Die Leidensschule, durch die er hindurchgegangen, hat ihn befähigt, einen ausgezeichneten Gebrauch von der göttlichen Gnade zu machen. Nichts macht uns so fähig, die Absichten Gottes zu erfüllen, wie das Leiden. Es tötet die Eigenliebe ab und unterstützt die Wirkung der Gnade. Nimm daher das Leiden willig an, wenn es dir auf deinem Lebensweg begegnet, und sei gewiß, daß Gott sich seiner nur bedient, um seine Ehre und dein Seelenheil zu fördern. Der Lohn wird nicht ausbleiben.