178. Das Gebot der Liebe
(Lk 10)
I Jesus erklärt die Liebe als Grundbedingung des ewigen Heils
Da erhob sich ein Gesetzeslehrer, um Ihn auf die Probe zu stellen. Er fragte: «Meister, was muß ich tun, um das ewige Leben zu erlangen?» Er sprach zu ihm: «Was steht im Gesetz geschrieben? Wie liest du?» Jener antwortete: «Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben.»
Die Frage, die man jetzt dem Heiland stellt, übertrifft alle anderen an Wichtigkeit. «Meister, was muß ich tun, um das ewige Leben zu erben?» Jesus legt dem Fragesteller selbst die Antwort in den Mund, indem Er Seinerseits fragt, was in der Heiligen Schrift darüber geschrieben steht: «Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben.» Der Heiland bestätigt diese Antwort. Er hätte den Gesetzeslehrer veranlassen können zu antworten: «Um zum ewigen Leben einzugehen muß man beten, sich abtöten, keusch, gerecht und gottesfürchtig leben usw.» Er will aber vor allem die Pflicht der Liebe betonen.
Die Liebe ist die Seele aller Tugenden, und ohne sie können wir nichts Gott Wohlgefälliges tun. Die Liebe zu Gott ist das Gesetz des ewigen Lebens, und der Grad unserer Seligkeit hängt von der Größe unserer Liebe ab. Gott gibt uns seinen Himmel als Lohn für unsere Liebe. Zu Beginn unserer Lebenswanderung müssen wir unser Herz auf Gott richten und diese Richtung trotz aller Schwierigkeiten des Weges festhalten. So oft wir uns bewußt werden, daß wir vom rechten Weg abgewichen sind, müssen wir demütig wieder darauf zurückkehren, nur so werden wir das Heil erlangen.
Danke der göttlichen Vorsehung, die ein solches Glück an so leichte Bedingungen geknüpft hat! Warum erscheint dir das Joch des Gesetzes so schwer, die Prüfung so bitter, die Pflicht so drückend? Woher kommt es, daß dich Kämpfe und Leiden meist unentschlossen und mutlos finden? Das hat seinen Grund in deiner geringen Liebe zu Gott, für Den du arbeitest. Der wahren Liebe wird alles leicht; darum zögere nicht, den Weg der Liebe einzuschlagen!
II Jesus belehrt seine Jünger über die Eigenschaften der wahren Gottesliebe
«Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen, mit deiner ganzen Seele, mit allen deinen Kräften und mit deinem ganzen Gemüt und deinen Nächsten wie dich selbst.» Da sprach Jesus zu ihm: «Du hast recht geantwortet; tue dies, so wirst du leben!»
Gott will als Gott geliebt sein. Er ist dein höchster Herr und will in deinem Herzen die höchste Stelle einnehmen. Wie kann man sich einreden, Gottes Herrschaft genügend anzuerkennen, wenn man Ihm, der aller Liebe unendlich würdig ist, nur eine untergeordnete Stelle im Herzen einräumt? Wer ist denn dieser Gott, für den Jesus so gebieterisch die vollkommenste Liebe verlangt? Er ist der erhabenste Herr, unbegrenzt in seiner Güte, Freigebigkeit und Barmherzigkeit. Von Ihm stammt alle wahre Liebe, in Ihm muß sie wurzeln und Früchte des ewigen Lebens tragen. Alles, was wir in den Geschöpfen lieben, ist nur ein Abglanz seiner Schönheit, Kraft und Weisheit.
Ist es nicht erstaunlich, daß Gott auf deine Liebe Wert legt, da du doch nur Staub, Elend und Schwäche bist? Erkenne dankbar die Ehre an, die der himmlische Vater dir erweist, und vernichte die Götzen, die nur zu lange seine Stelle in deinem Herzen eingenommen haben!
Wann lieben wir Gott von ganzer Seele? Wenn wir bereit sind unser Leben für Ihn hinzugeben, alle Prüfungen geduldig zu ertragen und lieber auf alle Freuden zu verzichten, als Ihn zu beleidigen.
Wann lieben wir Gott aus all unseren Kräften? Wenn wir mit Aufwand all unserer Kraft den Feinden Gottes widerstehen und so der heiligen Sache zum Sieg verhelfen. Überlege diese Erklärungen, die in gedrängter Kürze die ganze Heilslehre enthalten, und merke dir wohl den Zusatz zum höchsten aller Gebote: «Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.» Wie kannst du glauben, Gott zu lieben, wenn du nicht alles liebst, was Ihm gehört? Du wirst erst dann ein wahres Kind deines himmlischen Vaters sein, wenn du mit großer Liebe alle umfängst, die Er dir als Brüder gegeben hat.
«Du hast recht geantwortet», spricht Jesus zu dem Gesetzeslehrer, «das ist der Weg zum Himmel.» Betritt auch du mutig diesen Weg, und scheue weder Zeit noch Mühe, um auf demselben fortzuschreiten! Du wirst dabei das wahre Glück finden, denn je mehr man liebt, um so glücklicher wird man, und je würdiger der Gegenstand unserer Liebe, desto echter ist unser Glück. Übergib dem himmlischen Vater durch die Hände seines göttlichen Sohnes freudig dein ganzes Herz!