180. Maria und Martha
(Lk 10)
I Maria und Martha nehmen den Heiland in ihr Haus auf
Auf der Wanderung1 kehrte Er in einem Flecken2 ein. Eine Frau namens Martha nahm Ihn in ihr Haus auf.
Tritt mit Jesus in das Haus seiner Freunde ein! Wer sind jene, die Ihm Gastfreundschaft gewähren? Wen beglückt der Heiland am liebsten mit seiner Gegenwart? Er selbst wird es dich lehren, wenn du dem Bericht mit Aufmerksamkeit folgst.
Begrüße die beiden Schwestern und wünsche ihnen Glück, daß die Wahl des göttlichen Meisters auf sie gefallen ist! Bedenke, welche Freude das Herz des Heilands erfüllt, daß er bei aller Verfolgung und allem Widerspruch noch liebende Seelen findet, die bereit sind, Ihn aufzunehmen, und die alles tun, um Ihn würdig zu bewirten und Ihm ihre Liebe zu beweisen. Bemühe dich, auch zu diesen auserwählten Seelen zu gehören, und lerne von Maria und Martha, wie man aus der Gegenwart des Heilands Nutzen zieht.
1 Jedenfalls war dies am folgenden Tag, da Jesus von Jericho aus die Höhen von Bethanien hinanstieg.
2 Bethanien liegt am Ostabhang des Ölbergs. Öl- und Maulbeerbäume bedecken die Abhänge der Berge und ziehen in langen Reihen sich längs des Flusses hin. Dort, wo sich einst das Haus der Maria und Martha befand, hat man ein schönes Gotteshaus erbaut.
II Maria zu den Füßen Jesu
Martha hatte eine Schwester, die Maria hieß. Warum hat der Heiland seine Wanderung unterbrochen und an diese Tür angeklopft? Er will eine suchende Seele in den ewigen Wahrheiten unterrichten. Er ist ja eigens vom Himmel auf die Erde gekommen, um uns über das Glück zu belehren, das unser in der Ewigkeit harrt.
Wie damals zu Maria, so spricht Jesus auch zu uns in der Betrachtung: «Ich lade dich zu den Freuden des ewigen Lebens ein; bedenke, daß das gegenwärtige Leben die Vorbereitung dazu ist. Ich selbst will mit dir sein und dir den Weg erhellen, dein Herz reinigen und deinen Mut beleben. Du wirst durch mich die Wahrheit und Gerechtigkeit liebenlernen.» So folge denn der göttlichen Einladung!
Vergleiche die eitlen, leeren Unterhaltungen der Weltleute mit den Belehrungen des göttlichen Meisters! Entledige dich aller überflüssigen Sorgen, und benütze alles Irdische nur, um zum ewigen Ziel zu gelangen! Mit welcher Freude lauscht Maria dem Heiland! Was Er sagt, ist so schön und trostreich. Wie klein ist alles irdische Leid und alle irdische Freude im Verhältnis zu dem, was im Himmel unser wartet! Versenke dich in diese Betrachtungen, und ruhe von den Kämpfen des Alltagslebens aus in dem Gedanken an die ewigen Freuden! Wenn auch du gleiches Glück verkosten möchtest, so suche dir darüber klar zu werden, wie nichtig alles Leid und alle Freude der Gegenwart im Vergleich zu den ewigen Gütern ist.
Maria folgt den Belehrungen ihres Meisters mit großer Sammlung. Ihr Geist ist still, und Herz und Sinn ruhen; so kann das göttliche Wort in das Erdreich ihrer Seele eindringen und dort reiche Frucht hervorbringen. Größer noch als Freude und Sammlung ist im Herzen der Büßerin die Liebe. Sie ist der Freundschaft Jesu vollständig unwürdig, und nun würdigt Jesus sie sogar des vertrautesten Umgangs mit Ihm. Sie darf in stiller, seliger Verbundenheit mit Ihm schon hienieden das Glück des Himmels verkosten und hat in Wahrheit den besten Teil erwählt.
III Jesus tadelt Martha und rechtfertigt ihre Schwester
Martha aber machte sich viel zu schaffen mit der Bedienung. Sie trat hinzu und sagte: «Herr, kümmert es Dich nicht, daß meine Schwester mir allein die Bedienung überläßt? Sag ihr doch, sie solle mir helfen.» Der Herr entgegnete ihr: «Martha, Martha, du sorgst und kümmerst dich um gar viele Dinge. Nur eines ist notwendig. Maria hat den besten Teil erwählt. Er soll ihr nicht genommen werden.»
Martha beklagt sich; sie hat für die Absichten des Herrn noch nicht das rechte Verständnis und weiß nicht, daß der Herr, wenn Er um Gastfreundschaft bittet, vor allem eine Gelegenheit sucht, uns zu bereichern. Hüte dich vor einer ähnlichen Täuschung! «Meister, sag ihr doch, daß sie mir helfe!» ruft sie ungeduldig aus. Aber der Heiland gewährt ihre Bitte nicht. Seine Unterredung mit Maria ist zu wichtig, um sie zu unterbrechen. Die Zeit zur Arbeit wird schon kommen, man muß nicht die Gnadenstunden des Gebets dafür verkürzen.
Nicht um sich ihren Alltagspflichten zu entziehen, hat Maria sich in die wunderbare Schönheit der göttlichen Unterweisungen versenkt; sie dienen ihr im Gegenteil dazu, ihre Pflichten besser zu erkennen und tiefer in ihre Größe und Tragweite für die Ewigkeit einzudringen. Sie wird sie fortan viel vollkommener erledigen können.
O meine Seele, wirst du aus diesen Unterweisungen den rechten Nutzen ziehen? Wie kommt es, daß du beim Anhören des göttlichen Wortes so leicht ermüdest und daß dir im Verkehr mit Jesus nicht selten die Zeit so lang erscheint? Gehört nicht all deine Zeit Ihm, und sollte nicht jede Arbeit eine Frucht des Gebets sein? Zu den Füßen Jesu wirst du Kraft und Anregung zu verdienstvoller Erfüllung deiner Pflichten finden.
Das hat Maria besser verstanden als ihre Schwester, und deshalb lobt sie der Herr. «Sie hat den besseren Teil gewählt, denn sie hat hienieden schon von jenen Schätzen Besitz ergriffen, die andere erst im Himmel genießen werden.» Ahme Maria nach und du wirst die Wahrheit der Worte Jesu an dir selbst erfahren. Nimm dir täglich die Zeit, in der Betrachtung die Worte und Gnaden Jesu als kostbaren Schatz zu sammeln, und lasse dich durch nichts davon abhalten!