182. Jesus ruft das Wehe über die Pharisäer (I)

(Lk 11, Mt 23)

 

I Jesus tadelt die Pharisäer, weil ihre Frömmigkeit nur Schein ist

Während Er noch redete, bat Ihn ein Pharisäer, bei ihm zu speisen. Er ging hin und setzte sich zu Tisch. Der Pharisäer sah zu und wunderte sich, daß Er sich vor der Mahlzeit nicht erst wusch.

Betritt mit dem Heiland das Haus des Pharisäers und bereite deine Seele vor, um die Unterweisungen Jesu recht zu erfassen! Er ist umgeben von Menschen, die sich vorzugsweise auf die Beobachtung gesetzlicher Zeremonien und liturgischer Vorschriften verlegen, die beständig von Gott und seinen Geboten reden. Man lobt ihr häufiges Fasten, ihre Freigebigkeit gegen die Armen und ihren Eifer im Besuch des Tempels. Wegen ihrer genauen Kenntnis der heiligen Bücher sind sie der Stolz ihres Volkes. «Nun denn, ihr Pharisäer, das Äußere von Becher und Teller reinigt ihr. Euer Inneres aber ist voll Raubgier und Bosheit.»

Warum ergreift den Heiland eine solche Entrüstung über die Pharisäer? Er erkennt, daß ihre Gottesverehrung rein äußerlich ist. «Wenn ihr Gott nur den Schein der Frömmigkeit bietet, mißfallt ihr Ihm und zieht seinen Fluch auf euch herab.» Die wahre Frömmigkeit ist innerlich. Das Lob, das wir unserem himmlischen Vater aufopfern, soll aus dem Innersten unseres Herzens kommen.

«Reinigt zuerst das Innere des Bechers», sagt Jesus. Der Geist muß von allen unreinen Gedanken, von stolzer Selbstüberhebung, kindischer Eitelkeit und unnützen oder schädlichen Interessen gereinigt werden. Was nützt es, in den Augen der Menschen rein zu erscheinen, wenn das Innere voller Fäulnis ist? Was nützt alles Händewaschen, wenn die Seele befleckt bleibt? Man kann die ewige Weisheit nicht täuschen. — Erforsche dich im Licht dieser ernsten Mahnung! Verdienst nicht auch du die Zurechtweisung, die Jesus seinen Tischgenossen gibt?

 

II Jesus verweist den Pharisäern, daß sie die Erfüllung wesentlicher Pflichten vernachlässigen

«Aber weh euch, ihr Pharisäer! Ihr gebt den Zehnten von Minze, Raute und jeglichem Gartengewächs, aber um Recht und Liebe zu Gott kümmert ihr euch nicht.»1

Jesus lehrt, daß die Tugenden der Frömmigkeit, der Gerechtigkeit, Liebe, Güte und Barmherzigkeit die wesentliche Grundlage des neuen Gesetzes und aller wahren Gottesverehrung sind. Durch Übung dieser Tugenden gibt der Mensch dem lieben Gott die Verehrung, die sein Schöpfer von ihm verlangt. Gott will, daß wir Ihm unser Herz und unseren Willen schenken durch aufrichtige Unterwerfung und Opferfreudigkeit, und diese äußern sich in der Pflege jener Tugenden, die der Heiland anführt. Die Werke der Übergebühr sollen nur ein Schmuck der wesentlichen Pflichterfüllung sein. Denke über diese Lehre nach! Jesus wendet sich damit an die Pharisäer aller Zeiten. Findest nicht auch du in deinem Herzen zuweilen etwas, was an die Untugenden der Pharisäer erinnert? Wie äußert sich deine Frömmigkeit Gott gegenüber? Liebst du die Gerechtigkeit, die jedem gibt, was ihm zukommt? Bist du barmherzig gegen alle Unglücklichen, liebreich gegen Arme und Schwache? Beweist du durch deine Treue im Kleinen vor allem, daß es dir mit der Erfüllung jeder Pflicht und mit der Hochschätzung wahrer Tugend ernst ist? Beantworte aufrichtig alle diese Fragen unter dem Beistand des Heiligen Geistes! Verdemütige dich zu Füßen deines Erlösers und versprich Ihm gründliche Besserung!

1 Der Heiland spricht von Gemüsen, die im Garten wachsen, und von denen man deshalb nicht den Zehnten zu geben brauchte. Dem Gesetz und dem jüdischen Gebrauch gemäß gab man den Zehnten nur von den Feldfrüchten.