189. Von den Folgen eines unvorhergesehenen Todes

(Lk 12, Mt 24)

 

I Jesus tadelt jene, die, des Wartens müde, nachlässig werden

«Wenn aber jener Knecht bei sich denkt: Mein Herr kommt noch lange nicht; wenn er Knechte und Mägde mißhandelt, ißt und trinkt und sich berauscht, so wird der Herr dieses Knechtes an einem Tag kommen, da er es nicht erwartet, zu einer Stunde, die er nicht kennt.»

Der Heiland bezeichnet den Mangel an Treue als eine der größten Gefahren im geistlichen Leben. «Mein Herr wird nicht kommen», ruft der ungetreue Knecht aus, und dieses Wort enthüllt uns die Hauptursache der Lauheit. Man erwartet lange vergeblich die Erfüllung der göttlichen Verheißungen, und das Eintönige und Regelmäßige der täglichen Pflichterfüllung wird immer drückender. Es scheint auf die Dauer unerträglich, immer die gleichen Gebete zu verrichten, dieselben Vorschriften zu beobachten und dieselben Tugenden zu üben. Was ist die Folge davon? Der Zweifel dringt in die Seele ein und der Glaube wankt. Man sagt sich: «Der Meister hat mich vergessen, Er nimmt sich meiner nicht mehr an. Ich bete zu Ihm, aber Er erhört mich nicht.»

Der Glaube ist das Fundament des übernatürlichen Lebens, und wenn er wankt, gerät das ganze Gebäude in Gefahr. Liebe, Vertrauen und Treue schwinden, die inneren Erleuchtungen bleiben aus, das Gewissen stumpft ab und man findet keinen Geschmack mehr an geistlichen Dingen. Wenn der Mensch des göttlichen Wortes nicht mehr eingedenk ist, dann scheut er jede Anstrengung und ist jeder Sünde fähig.

Denk an den Knecht, von dem Jesus spricht! Seine ursprüngliche Treue ist dem törichten Streben nach Freiheit und Unabhängigkeit gewichen. «Mein Herr wird nicht kommen. Ich will keinen Herrn mehr anerkennen!» Mit diesem Entschluß setzt er sich über alle Pflichten der Gerechtigkeit und Liebe hinweg. Hüte dich vor einer ähnlichen Verblendung! Unser Leben ist eine Wartezeit, und wenn Gott es zuläßt, daß uns manche Stunden unerträglich lang erscheinen und daß schwere Kämpfe über uns hereinbrechen, dann geschieht das nur, um unseren Glau-hen und unsere Treue auf die Probe zu stellen. Nach diesen Stürmen wird uns die Hoffnung auf den Himmel um so tröstlicher erscheinen. Vertiefe dich in diese Gedanken und bemühe dich, in der Furcht Gottes und im Vertrauen zu wachsen!

 

II Jesus verkündet das Schicksal derer, die der Herr bei seiner Ankunft im Zustand der Sünde findet

«Dann wird er ihn in Stücke hauen und ihm seinen Platz bei den Heuchlern anweisen. Dort wird Heulen und Zähneknirschen sein.»

Wohne im Geist der Verurteilung des ungetreuen Knechtes bei! Welche Entschuldigung wird er vorbringen, da die lange Abwesenheit des Herrn nicht als Entschuldigung gilt. Die Untreue, die der Lauheit entspringt, ist noch strafbarer als jene, die im Rausch der Leidenschaft begangen wird. Jener Knecht zog sich den Zorn Gottes zu, da er dem Zweifel sein Herz öffnete, und er trägt die volle Verantwortung für seine Handlungsweise. Vernimm das Urteil des göttlichen Richters! Welch schreckliches Los ist den Treulosen für die Ewigkeit beschieden! Sieh ihre Tränen, höre ihre Klagen, denke an die Bitterkeit ihrer Reue und ermesse die Tiefe ihres Falles! Der Gedanke an dieses schreckliche Geschick, vor dem kein Sünder sicher ist, wird in den Stunden der Ermüdung, wenn du nahe daran bist zu erliegen, deinen Mut und deinen Glauben neu beleben.

Wie steht es in diesem Augenblick um dich? Wie würde sich dein Schicksal gestalten, wenn der Herr dich noch heute abberiefe? Flieh die Wege, die zur ewigen Verdammnis führen, und benutze die reichen Gnaden, die Jesu Güte dir verliehen hat, zur Förderung der Ehre Gottes und zum Heil deiner Seele! Empfiehl dich der Barmherzigkeit des Heilands!