198. Von der wahren Demut

(Lk 14)

 

I Jesus mahnt zur Demut und zur Verachtung aller zeitlichen Ehre

Da Er bemerkte, wie die Geladenen sich die ersten Plätze auswählten, trug Er ihnen folgendes Gleichnis vor: «Wenn du von jemand zu einer Hochzeit geladen bist, so setze dich nicht an den ersten Platz, sondern geh und setz dich an den letzten Platz. Denn jeder, der sich erhöht, wird erniedrigt werden, und wer sich erniedrigt, wird erhöht werden.»

Nachdem Jesus seine Zuhörer über die Barmherzigkeit belehrt hat, will Er sie in der Demut unterweisen. Beobachte, in welch lächerlicher Weise die Eitelkeit der Pharisäer nach Befriedigung hascht! Jeder der Geladenen strebt danach, bei Tisch den ersten Platz einzunehmen, und hofft, durch solche Äußerlichkeiten in der Achtung seiner Mitmenschen zu steigen. Höre, wie Jesus seine Jünger dagegen lehrt: «Nehmt den letzten Platz ein! Benützt freudig jede Gelegenheit, euch zu verdemütigen, und jeder betrachte sich als den geringsten aller Menschen!» Wenn du über dich selbst nachdenkst, wirst du erkennen, daß du allen Grund hast, wahrhaft demütig zu sein.

Frage dich: «Wer bin ich und was verdiene ich?» Wer bist du? Um über dich selbst ein richtiges Urteil zu fällen, mußt du dich nicht mit deiner Umgebung vergleichen. Du bist aus dem Nichts hervorgegangen. Das Nichts aber kann sich weder über ein anderes Nichts erheben noch kann es mit irgend etwas anderem verglichen werden.

Erhebe deine Augen zum Himmel, und indem du die unendliche Größe und Erhabenheit Gottes betrachtest, wird dir deine Armseligkeit bewußt werden. Du wirst alsdann eingestehen, daß dir der letzte Platz in Wahrheit gebührt.

Ist es nicht an der Zeit, auf die Unterweisungen des Heilands zu achten und allen trügerischen Ehren der Welt zu entsagen? Wähle aus freiem Antrieb den letzten Platz, und du wirst seinen wahren Wert erkennen. Wenn du deiner Wahl treu bleibst, wirst du dort ungeahnten Frieden finden. So werde denn demütig!

 

II Jesus fordert seine Gastgeber auf, sich vor allem der Armen und Geringen anzunehmen

Zu dem Gastgeber aber sprach Er: « Wenn du ein Mittag- oder ein Abendmahl gibst, so lade weder deine Freunde noch deine Brüder, Verwandten oder reiche Nachbarn ein, sonst laden auch sie dich ein und vergelten es dir. Nein, wenn du ein Gastmahl gibst, so lade Bettler, Krüppel, Lahme und Blinde ein. Wohl dir alsdann! Denn diese können es dir nicht wiedervergelten, es wird dir aber vergolten werden bei der Auferstehung der Gerechten.»

Seiner Unterweisung über die Demut fügt Jesus noch einen wichtigen Rat hinzu. Er möchte seine Jünger mit seiner eigenen Liebe beseelen, und Er gibt ihnen zu verstehen, daß, um wahrhaft gut zu sein, man selbstlos sein muß. «Widmet euch mit Vorliebe den Verlassenen, den Armen und den Kleinen», sagt Er.

Nur der Demütige hört solche Worte gern, nur wer in seinen eigenen Augen klein ist, wird sich von Herzen der Kleinen annehmen. Um sich hinzugeben, muß man lieben, und um das zu lieben, was dem Stolz widerstrebt, muß man den Stolz besiegt haben und demütig sein.

Höre, was der Heiland beifügt! Er zeigt dir die Menge der von dieser Welt Enterbten und fordert dich auf, ihnen in deinem Herzen und an deinem Tisch einen Ehrenplatz einzuräumen. Er sagt: «Glücklich bist du, wenn du ihnen Gutes tust, weil sie es dir nicht vergelten können!»

Betrachte dieses Wort, in dem sich die ganze Schönheit der Lehre Jesu enthüllt: Glücklich bist du, denn sie können es dir nicht vergelten! Was könnten sie dir geben, wenn sie wohlhabend wären? Dasselbe, was du ihnen gegeben hast: ein wenig glänzenden Erdenstaub, der das Auge blendet. Nun wirst du Besseres bekommen, denn Gott macht sich zum Sachverwalter seiner Armen. Wer dem Armen gibt, leiht Gott. Du verlierst nichts, wenn du auch warten mußt. Gott vergilt mit ewigen Gütern das Wenige, das man aus Liebe zu Ihm für die Seinigen tut. Wenn du bei dem, was du anderen erweist, nichts für dich selbst suchst, so findest du in jeder Wohltat den Himmel. Glücklich bist du, glücklicher wirst du sein! Laß dich durch diese Gedanken anspornen und genieße das Glück der Selbstlosigkeit!