208. Das Gleichnis vom ungerechten Richter

(Lk 18)

 

I Jesus mahnt seine Jünger zur Ausdauer im Gebet

Er zeigte ihnen in einem Gleichnis, daß man allzeit beten müsse und nicht nachlassen dürfe. Er sprach: «In einer Stadt lebte ein Richter, der Gott nicht fürchtete und nach keinem Menschen fragte. In derselben Stadt lebte auch eine Witwe. Die ging zu ihm und bat: Schaffe mir Recht gegen meinen Widersacher. Lange Zeit wollte er nicht.»

Der göttliche Meister will seine Jünger im Vertrauen auf Gott und in der gänzlichen Hingabe an die göttliche Vorsehung stärken. «Laßt nicht nach im Gebet», sagt Er, «Gott hört euch und hat acht auf all eure Bemühungen, mit väterlicher Liebe nimmt Er Anteil an euren Wünschen und Sorgen.»

Diese Wahrheit tritt uns hier in einem Bild entgegen. Wir müssen daran glauben, weil Jesus selbst es gesagt hat. Suche keinen anderen Beweis als seine Wahrhaftigkeit. Er hat unsere Einwände vorausgesehen und im voraus widerlegt.

Betrachte diese Frau, die den Richter mit Bitten bestürmt! Sieh, wie sie mit Eifer und Lebhaftigkeit ihr Anliegen vorträgt und keine Tränen spart, um ihrer Sache zum Sieg zu verhelfen! Wer ist jener Feind, gegen den sie Schutz sucht? Wie kommt es, daß sie ihm so schwach und hilflos gegenübersteht? Forsche in deinem Inneren, und du wirst eine Antwort auf diese Frage finden. Bist du nicht in ähnlicher Lage wie diese Frau? Lerne von ihr, was du tun mußt, um in deinen Anliegen erhört zu werden.

Diese Frau hat begriffen, daß das Gebet auch eine Waffe zum Kampf ist. Der betende Christ ist in der Tat ein Kämpfer. Wenn wir uns zum Gebet begeben, so haben wir einen Kampf auszufechten und bedürfen der ganzen Kraft unseres Glaubens, um uns den Sieg zu sichern. Wir müssen uns in diesem Kampf mit Tugenden wappnen, denen das Herz Gottes nicht widerstehen kann, mit Demut, Vertrauen, Liebe, Eifer und Hingabe.

Das Gebet der Witwe ist in der Tat ein solches Ringen, das ihr zu immer größerem Ruhm gereicht, je länger sie darin ausharrt. Wie in allen anderen Dingen, so sucht Gott Vater auch in unserem Gebet seine Ehre. Er erhört diejenigen, deren Gebet zu seiner Verherrlichung gereicht.

 

II Jesus warnt seine Jünger vor Mutlosigkeit

«Dann aber sprach der Richter bei sich: Ich fürchte zwar Gott nicht und frage nach keinem Menschen. Weil aber diese Witwe mir lästig fallt, will ich ihr zu ihrem Recht verhelfen, sonst kommt sie noch am Ende und schlägt mich ins Gesicht.»

Freue dich, daß die arme Witwe endlich erhört wird! Sie hat es verdient, denn sie war unermüdlich in ihrem Eifer und hat doch geduldig jeden Aufschub ertragen. Wie demütig und bereitwillig nahm sie alle Bedingung an und brachte großmütig alle Opfer. Sie war der festen Überzeugung, daß sich hinter der scheinbaren Gleichgültigkeit und Härte des Richters Wohlwollen verbarg, und ihren beharrlichen Bemühungen ist es wirklich gelungen, den Richter günstig zu stimmen. So wird Vertrauen mit Erfolg gekrönt.

Der Herr aber sprach: «Hört, was der ungerechte Richter sagt! Und Gott sollte seinen Auserwählten, die Tag und Nacht zu Ihm rufen, nicht zu ihrem. Recht verhelfen?» Fasse neuen Mut bei diesen tröstlichen Worten! Nenne deinem himmlischen Vater deine Widersacher, gegen die du Klage erhebst und sage Ihm, welches Hindernis dir am meisten im Weg steht! Wenn du Erleuchtung, Mut, Vertrauen Freude und Frieden nötig hast, so tritt getrost zum Thron Gottes, und lege all dein Flehen in das eine Wort: «Vater!» Wiederhole es so oft, bis Er dir antwortet: «Mein Kind!» und dir den Reichtum seiner Gnade erschließt!

«Gott aber sollte seinen Auserwählten nicht Recht schaffen?» spricht der Erlöser. Jesus ist schmerzlich erstaunt, daß man daran zweifeln kann. «Geduldet euch nur, so wird euch Gerechtigkeit widerfahren.» Beherzige diese Lehre, die der Sohn Gottes dir erteilt, und erbitte dir von Ihm die Gnade, mutig und treu in der Hingabe an die göttliche Vorsehung auszuharren!