222. Die Bekehrung des Zachäus
(Lk 19)
I Beim Durchzug durch Jericho bemerkt der Heiland den Zachäus
Er kam nach Jericho1 und zog durch den Ort. Da war ein Mann mit Namen Zachäus. Er war Oberzöllner und war reich. Gar gern hätte er Jesus von Angesicht gesehen, aber wegen der Menge Volkes konnte er es nicht, denn er war klein von Gestalt. Darum lief er voraus und stieg auf einen Maulbeerfeigenbaum2, um Ihn sehen zu können, denn dort mußte Er vorbeikommen.
Betritt mit Jesus die Stadt Jericho und erfreue dich über das Herbeiströmen der Menge! Erwecke in deinem Herzen die Glut heiliger Wünsche! Jetzt ist der Augenblick gekommen, den Heiland besser kennen- und inniger liebenzulernen, denn Er kommt, um sich denen zu offenbaren, die Ihn nicht kennen oder nur das wissen, was unbestimmte Gerüchte ihnen zugetragen haben.
Betrachte den Zachäus unter der Volksmenge! Er hat mehr als alle anderen den Wunsch, Jesus zu sehen. Was tut er, um diesen Wunsch zu verwirklichen? Er verliert keinen Augenblick, er entreißt sich den zeitlichen Geschäften und Interessen, er beeilt sich, um den anderen zuvorzukommen, und er sucht einen günstigen Platz, ohne sich daran zu stören, was man von ihm sagen wird. Man wird sicherlich über sein Benehmen spotten, aber ein Blick aus dem Auge des Herrn wiegt allen Spott auf.
So lehrt Zachäus dich, alle Trägheit und alle Menschenfurcht abzuschütteln. Was dir dein Heiland bringen wird, ist in der Tat wert, daß du tapfer gegen Lauheit, Zerstreuungen und sündhafte Gewohnheiten ankämpfst. Wenn du willst, daß Jesus dich unter der Menge bemerke und dich seines vertrauten Umgangs würdige, so mußt du dich vor allen auszeichnen.
1 Wahrscheinlich am Abend des gleichen Tages.
2 Jericho war reich an Gärten, und so war es dem Zachäus ein leichtes, einen Baum zu finden, auf den er klettern konnte, um den Erlöser zu sehen. Die Gärten Jerichos sind noch lange erhalten geblieben, sie wurden ihrer Schönheit wegen als ein kleines, irdisches Paradies betrachtet.
II Jesus äußert den Wunsch, in das Haus des Zachäus einzukehren
Als Jesus an die Stelle kam, schaute Er hinauf und sprach zu ihm: «Zachäus, steig schnell herab, denn ich muß heute in deinem Hause weilen.» Er stieg schnell herab und nahm Ihn mit Freuden auf.
Jesus wendet sich an den Zöllner und ruft ihn mit Namen. Er kennt seine Wünsche und schätzt seinen Eifer. Zachäus ist freudig überrascht. Er verlangte, den Herrn nur einen Augenblick zu sehen, und jetzt wird ihm das Glück zuteil, in aller Ruhe seine heilige Gegenwart zu genießen. Er suchte Ihn draußen auf der Landstraße und ahnte nicht, daß der Herr sein Heim betreten würde. Er hielt sich für unwürdig, den Heiland anzureden, und nun wird ihm gar die Ehre, Jesus Gastfreundschaft zu erweisen. Die Größe einer so unverdienten Güte setzt sein Herz in Erstaunen, und bestürzt ruft er aus: «Meister, Du willst zu mir kommen? Weißt Du denn nicht, wer ich bin? Ist dir mein Vorleben unbekannt? Ich bin ein armer Sünder, der große Schuld auf sich geladen hat, ich verdiene weniger als alle anderen, Dich in meinem Haus zu beherbergen. Wenn indes der Wunsch, Dich zu sehen, dir zu lauschen, mit dir zu sprechen in deinen Augen etwas gilt, dann kommt es mir mehr als allen anderen zu, dir Gastfreundschaft zu erzeigen. Auch findest Du nirgends besser als bei mir die Gelegenheit, Barmherzigkeit zu erweisen, zu verzeihen und zu retten. Komm zu mir, Meister, und säume nicht!»
Laß dich von Zachäus belehren, wie man sich auf die Ankunft Jesu vorbereitet. Begleite ihn in sein Haus, und du wirst sehen, daß dieser Zöllner es versteht, den Herrn des Himmels und der Erde gastlich zu empfangen.
III Jesus kehrt in das Haus des Zachäus ein
Alle, die das sahen, murrten und sagten: «Bei einem Sünder ist Er eingekehrt.» Zachäus aber trat vor den Herrn hin und sprach: «Herr, die Hälfte meines Vermögens gebe ich den Armen, und wenn ich jemand betrogen habe, so erstatte ich es vierfach.» Jesus sprach zu ihm: «Heute ist diesem Haus Heil widerfahren, weil auch er ein Sohn Abrahams ist.»
Sei Zeuge des Empfangs, der dem Herrn im Haus des Zachäus zuteil wird. Wer sind die übrigen Gäste? Arme Sünder wie du; und Jesus, der den Ehrenplatz beim Mahl einnimmt, ist der Freund der Sünder. Von Ihm strömt Freude aus in jedes Herz, gibt es doch auf Erden keine größere Freude, als den zu empfangen, der die Freude des Himmels ist.
Aber es genügt nicht, die Gegenwart des Herrn zu genießen, wir müssen auch etwas tun, um Ihn zu erfreuen. Seine Ankunft muß in unserem Leben eine Veränderung bewirken. Zachäus hat das verstanden, und deshalb spricht er zum Heiland: «Ich will um jeden Preis wieder gerecht werden, ich will Nächstenliebe üben, ich will wiedererstatten und freigebig spenden.» Vereinige dich mit dieser großmütigen Gesinnung und staune ob der durchgreifenden Umwandlung, die eine einzige Begegnung mit dem Heiland in einem wohl vorbereiteten Herzen bewirkt. Strebe auch du ernstlich nach wahrer Lebensbesserung.
Zachäus beschränkt sich nicht darauf, seine Vergehen zu beklagen, er benützt die nötigen Mittel, um das begangene Unrecht wieder gutzumachen. Wollen heißt, die geeigneten Mittel ergreifen, um seine Vorsätze auszuführen. So lerne denn wollen!
«Der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren war.» — Er hat auch dich gesucht, Er ist zu dir gekommen und hat dich mit Wohltaten überhäuft. Was willst du Ihm zum Dank geben? Leiste Ihm wie Zachäus Ersatz für die Ehre, die deine Sünden Ihm geraubt haben. Löse die Bande, die dich noch an die Erde fesseln, gib Ihm das Beste, was du hast, und aus Furcht, Ihm nicht genug zu geben, gib Ihm alles, indem du großmütig alles opferst, was deinem Herzen teuer ist.