225. Das Gastmahl zu Bethanien
(Joh 12, Mt 26, Mk 14)
I Maria Magdalena bringt dem Heiland ihre Huldigung dar
Sechs Tage vor dem Osterfest kam Jesus nach Bethanien, wo Lazarus wohnte, den Jesus von den Toten auferweckt hatte. Dort bereitete man Ihm ein Gastmahl. Martha bediente, und Lazarus gehörte zu denen, die mit Ihm zu Tisch saßen.
Martha bedient den Herrn. Ihr Herz fließt über von Dankbarkeit gegen Jesus, der ihren Bruder, den sie als tot beweinte, wiedergegeben hat. Lazarus, der noch vor wenigen Tagen im Grab ruhte, befindet sich unter den Geladenen. Er ist ein lebendiges Zeugnis für die Allmacht des Sohnes Gottes.
Da nahm Maria ein Pfund echten, kostbaren Nardenöls, salbte damit die Füße Jesu und trocknete sie mit ihren Haaren. Dann zerbrach sie das Alabastergefäß und goß das Salböl über sein Haupt aus. Der Duft des Salböls erfüllte das ganze Haus. Sieh Maria zu den Füßen Jesu! Der Heiland selbst sagt von ihr: «Sie hat ein gutes Werk an mir getan.» Sie lehrt dich die Werke der Frömmigkeit, der die Liebe immer neue Mittel und Wege zeigt, Gott zu huldigen und Ihn zu ehren. Nicht die Mannigfaltigkeit religiöser Übungen macht die Frömmigkeit aus, sondern die Gesinnung der Liebe, der unsere Werke entspringen. Der Heiland sieht, wie Marias Herz vor Liebe überströmt und beim Gedanken an seinen bevorstehenden Tod leidet. Sie zeigt dir, daß Jesus in unseren Gaben vor allem unsere Liebe sucht, ohne die Ihm kein Opfer gefallen kann.
Maria opfert dem Heiland das Beste, was sie hat, und sie opfert es in der zartesten Weise. Sie behält nichts für sich, und um nur ja alles zu geben, zerbricht sie sogar das Alabastergefäß. Hoher Wert der Gaben und Zartgefühl im Geben, das sind die Merkmale großmütiger Liebe. Das Herz des Heilands frohlockt. Ist Er nicht vom Himmel gekommen, um die vollkommene Gottesverehrung zur Blüte zu bringen? Vermehre seine Freude, indem du Maria nachahmst. Vertiefe deine mangelhafte und oberflächliche Frömmigkeit!
II Die Gäste nehmen Anstoß an der Handlungsweise Marias
Einer der Jünger, Judas Iskariot, der Ihn verraten sollte, sagte: «Warum hat man dies Salböl nicht für dreihundert Denare verkauft und diese unter die Armen verteilt?»
Die Jünger murren. Wer weniger liebt, der hat auch weniger Verständnis, wer gar nicht liebt, hat überhaupt kein Verständnis für diese Art der Gottesverehrung. Aber die wahrhaft fromme Seele läßt sich durch den Tadel der Menschen in ihrem Tun nicht beirren. Was sie unter der sterblichen Hülle des Heilands entdeckt, ist so erhaben, daß sie Seinetwegen gern allen Tadel, alle Kritik und allen Spott auf sich nimmt. «Wozu diese Verschwendung?» rufen die Jünger aus. Sie verstehen nicht, wie diese Salbung zeigen soll, daß unserem göttlichen Meister alle Ehre gebührt und daß Er gern die Huldigungen annimmt, die unsere Liebe Ihm bereitet. Wenn wir durch dergleichen gute Werke die wirkliche Gegenwart des Herrn in unserer Mitte feiern, so schädigen wir damit keineswegs die Armen. Marias Handlung soll uns ferner lehren, daß wir unsere Pflicht tun, wenn wir uns im Dienst Jesu Christi auszeichnen. Durch die Gaben, die wir Ihm darbringen, geben wir Ihm nur, was Ihm gebührt; denn alles, was wir besitzen, ist sein Eigentum.
Trenne dich von denen, die murren, und erkläre dich völlig einverstanden mit dem, was Maria tat, noch ehe der Heiland das Wort ergreift, um sie zu verteidigen.
III Jesus tadelt seine Jünger und lobt Maria
Jesus erwiderte: «Was kränkt ihr diese Frau? Laßt sie! Sie hat ein gutes Werk an mir getan. Denn indem sie Salbe über meinen Leib ausgoß, hat sie es zu meinem Begräbnis getan.»
Jesus selbst verteidigt die zarte Frömmigkeit seiner Dienerin. «Was betrübt ihr diese Frau?» fragt Er. «Sie hat mich besser verstanden als ihr, und ihre Tat ist mir wohlgefälliger, als all eure Träume von Werken der Nächstenliebe. Sie verehrt bereits Geheimnisse, die ihr noch nicht ahnt. Sie schreitet euch voran auf dem Weg zum Kalvarienberg und wird sich dort stärker zeigen als ihr. Ihr findet sie zudringlich, ich aber heiße sie willkommen.»
Denke über die Worte des göttlichen Meisters nach. Eine arme, schwache Frau, eine reuige Sünderin hat in der Schule des Heilands mehr gelernt als seine Jünger. Warum? Weil ihr Herz bei dem ist, was Jesus sagt, und weil ihre Liebe alle menschlichen Vernunftgründe zum Schweigen bringt. Ihr Herz nimmt die göttliche Lehre tief in sich auf. Wenn es sich darum handelt, Jesus in ihrem Haus zu empfangen, Ihm zu folgen, mit Ihm zu sprechen und Ihn zu ehren, so befragt sie ihr Herz um Rat und befolgt dessen Weisung. Sie kann dich lehren, im geistigen Leben Fortschritte zu machen.
Jesus begnügt sich nicht damit, Marias Liebeswerk zu verteidigen. Er lobt sie vor allen Anwesenden und fordert alle kommenden Geschlechter auf, sich an ihr ein Beispiel zu nehmen. «Wahrlich, ich sage euch: Überall in der ganzen Welt, wo dieses Evangelium verkündet wird, wird man auch zu ihrem Andenken erzählen, was sie getan hat.» — Gott hat das Weltall geschaffen um der Menschen willen, die Ihn lieben, und deshalb verdient eine Tat reiner Liebe das Lob des göttlichen Meisters und unsere Bewunderung und Nachahmung.