228. Die Tempelreinigung

(Mt 21, Mk 11)

 

I Jesus zieht im Triumph in Jerusalem ein

Bei seinem Einzug in Jerusalem geriet die ganze Stadt in Aufregung. « Wer ist dieser?» fragte man. Die Volksscharen sagten: «Das ist Jesus, der Prophet aus Nazareth in Galiläa!»

Jesus betritt Jerusalem als Sieger, und die ganze Stadt gerät in Aufregung: Neugierde bei den einen, Überraschung bei den anderen; Furcht vor der Herrschaft Jesu bei denen, die Ihn hassen, unsägliche Freude, heilige Zuversicht und Begeisterung bei denen, die an Ihn glauben und Ihn als Herrscher aller Menschen ersehnen.

Sieh, wie die Menge von allen Seiten herbeiströmt! Einer ruft dem andern zu: «Wer ist dieser? Wie kommt es, daß man Seinetwegen so viel Aufsehen macht und daß sein Erscheinen einen solchen Sturm der Begeisterung entfesselt?»

Beachte, daß das Volk diese Frage am besten beantwortet, indem es sagt: «Dies ist Jesus, der Prophet von Nazareth.» Während die Gelehrten nichts von Jesus und seiner Sendung wissen wollen, erkennen Ihn die demütigen, einfachen und gelehrigen Seelen. Er ist die Weisheit der Demütigen, die Wissenschaft der Unwissenden, der Reichtum der Armen. Bete Ihn an, und verkünde laut sein Lob!

 

II Jesus begibt sich zum Tempel und vertreibt die Verkäufer

Darauf ging Jesus in den Tempel Gottes, trieb alle Käufer und Verkäufer im Tempel hinaus1, stieß die Tische der Geldwechsler2 und die Stände der Taubenhändler um und sprach zu ihnen: «Es steht geschrieben: Mein Haus soll ein Bethaus genannt werden. Ihr aber habt es zu einer Räuberhöhle gemacht.»

Begleite Jesus in den Tempel! Er gebraucht sein Ansehen dazu, die Ehre seines himmlischen Vaters zu vermehren, und da Er diese Ehre beeinträchtigt sieht, entzündet Ihn heiliger Eifer. Unbekümmert um die Zahl und Stärke seiner Feinde, schreitet Er gegen die Verunehrungen des Tempels ein und beschließt sein öffentliches Leben, wie Er es begonnen hat, im Kampf für die Interessen Gottes.

Sieh, welche Unziemlichkeiten im Vorhof des Tempels stattfinden und wie man durch lärmendes Treiben die Heiligkeit des Ortes schändet. Wer kann beschreiben, welche Entrüstung das Herz des Heilands erfüllt beim Anblick dieser Menschen, die über irdischen Sorgen den Gedanken an ihre ewige Bestimmung aus dem Auge verlieren. Dieses Haus ist ein Bethaus, das der Andacht, der Herzensreinheit, der Selbstlosigkeit und der Gerechtigkeit offensteht.

Alles soll hier der Gegenwart Gottes würdig sein und seiner Erhabenheit und Heiligkeit entsprechen. Aber die Menschen, die dort weilen, denken nur an sich; sie bringen in das Heiligtum ein Herz mit, das ganz von niedrigem Interesse erfüllt ist, und überlegen nur, wie sie ihren Besitz vermehren können. Bei ihnen muß selbst das Heilige den irdischen Zwecken dienen.

Denke über das Empörende dieser Handlungsweise nach. Nimm dir die Lehre zu Herzen, die Jesus in ungewohnter Strenge jenen Menschen mitteilt. Wenn schon der steinerne Tempel so rein sein soll, wie viel reiner muß der geistige Tempel Gottes, deine Seele sein!

1 Dies geschah im äußersten Vorhof, dem sogenannten Vorhof der Heiden, den auch diese betreten durften.

2 An den Tischen wechselte man griechische und römische Münzen in jüdisches Geld um, da dieses allein im Tempel angenommen wurde.

 

III Jesus wirkt neue Wunder zugunsten der Armen und Demütigen

Im Tempel kamen Blinde und Lahme zu Ihm, und Er heilte sie. Als die Hohenpriester und Schriftgelehrten die Wunder sahen, die Er wirkte, und die Kinder, die im Tempel laut riefen: «Hosanna dem Sohne Davids!» wurden sie unwillig.

Betrachte den Heiland inmitten der Leidenden und der Kinder. Das sind seine Auserwählten, die in seinem Herzen einen Ehrenplatz einnehmen. Er ist wahrhaft die göttliche Güte, die für unser Heil Mensch geworden ist.

Weshalb drängen sich die Verlassenen und Demütigen zu Ihm hin? Sie flehen um sein Erbarmen, sie unterwerfen sich seinem heiligen Willen, denn sie haben erkannt, daß Er alle Macht im Reich der Natur und der Gnade besitzt. Von seiner Allmacht erwarten sie das Licht der Augen und neue Kraft des Leibes und der Seele, und ihre Erwartungen sollen nicht getäuscht werden.

Durch ihre Anwesenheit wird der Tempel wahrhaft ein Bethaus, aus dem unaufhörlich Bitte und Dank zum Himmel emporsteigen. Sie sind herbeigeeilt, um sich vor ihrem Herrn und Gebieter niederzuwerfen, um Ihm ihre Not zu klagen und laut zu bekennen, daß seiner Güte alles möglich ist. Da aber die Hohenpriester und Schriftgelehrten die Knaben sahen, die im Tempel riefen und sangen: «Hosanna dem Sohne Davids!» da wurden sie unwillig und sprachen zu Ihm: «Hörst Du, was diese sagen?» Jesus aber sprach zu ihnen: «Habt ihr niemals gelesen: Aus dem Munde von Kindern und Säuglingen läßt du dein Lob verkünden?» Vereinige deine Stimme mit jenen der unschuldigen Kinder, die laut das Lob Gottes verkünden. Erwecke glühende Akte des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe!