248. Vom Jüngsten Gericht
(Mt 25)
I Das Gericht über jeden einzelnen Menschen
« Wenn der Menschensohn in seiner Herrlichkeit kommt und alle Engel mit Ihm, dann wird Er sich auf den Thron seiner Herrlichkeit setzen. Alle Völker werden vor Ihm versammelt werden. Er wird sie voneinander scheiden, wie der Hirt die Schafe von den Böcken scheidet. Die Schafe wird Er zu seiner Rechten stellen, die Böcke zu seiner linken.»
Knie demütig zu den Füßen des Erlösers nieder und folge mit liebender Ehrfurcht und gespannter Aufmerksamkeit seiner letzten Unterweisung. — Jesus versichert uns, daß Er kommen wird, die Welt zu richten. Vergegenwärtige dir den Vorgang, den Jesus beschreibt!
Der Herr der Lebendigen und der Toten sitzt auf seinem Richterstuhl. Der Vater hat alle Gewalt dem Sohn übertragen, und Er, den du einst demütig und arm auf den Pfaden Galiläas wandeln sahst, erscheint jetzt vor aller Welt im Glanz seiner göttlichen Majestät.
Begrüße die Engel, die den Heiland umgeben, jene, die einst bei der Menschwerdung zugegen waren, die den Hirten auf Bethlehems Fluren erschienen; die Engel, die den Heiland in die Verbannung begleiteten, die Ihn in der Einsamkeit besuchten, den Engel, der Ihn im Ölgarten tröstete, und alle Engel, die Zeugen seiner Auferstehung waren. Dein heiliger Schutzengel ist auch zugegen. Bis jetzt sind die Engel die Diener seiner Barmherzigkeit gewesen, heute sind sie Vollstrecker seiner Gerechtigkeit. Alle Völker, alle Menschen drängen sich um den Richter; alle, die jemals gelebt haben, müssen vor Ihm erscheinen. Sieh, wie die Engel die Guten von den Bösen absondern und jeden einzelnen Menschen vor seinen höchsten Richter führen.
Nun ist die Reihe an dich gekommen. Folge dem Ruf, der an dich gegangen ist, und tritt vor den Sohn Gottes, deinen Richter, um vor aller Welt die Geheimnisse deiner Seele zu enthüllen. Wie würdest du angesichts des Himmels und der Erde dastehen, wenn heute noch dieses feierliche Gericht abgehalten würde, bei dem keine Verstellung möglich ist? Das Licht der Ewigkeit hat sich über alle Dinge dieser Zeit ergossen und durchleuchtet sie bis auf den Grund.
Beunruhige dich indessen nicht! In jenem Licht schwinden die Schandflecken gebeichteter und vergebener Sünden. Du kannst getrost aller Welt die Wunder der Barmherzigkeit verkünden, die Gott in deiner Seele gewirkt hat, und demütig, ohne Scheu, das Gute aufweisen, das du getan oder erstrebt hast. Lege dann dein Schicksal in die Hände des Richters, der einst dein Erlöser war, und erwarte vertrauensvoll seine Entscheidung.
II Der Urteilsspruch über die Guten
«Alsdann wird der König zu denen auf der Rechten sprechen: Kommt, ihr Gesegneten meines Vaters! Nehmt in Besitz das Reich, das seit der Weltschöpfung für euch bereitet ist.»
«Ihr Gesegneten meines Vaters», so nennt der Heiland seine Auserwählten. Was haben sie getan, um diese ehrenvolle Bezeichnung zu verdienen? Höre, wie der Heiland selbst es ihnen sagt: «Ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben. Ich war durstig, und ihr habt mir zu trinken gegeben. Ich war fremd, und ihr habt mich beherbergt, ich war nackt, und ihr habt mich bekleidet. Ich war krank, und ihr habt mich besucht, gefangen, und ihr seid zu mir gekommen.» — Der himmlische Vater segnet alle, die in der Person der Armen seinem göttlichen Sohn Gutes erweisen, wie Jesus es versprochen hat: «Wahrlich ich sage euch, was ihr einem dieser meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mit getan.»
Christus führt als Richter dieselbe Sprache, wie als Erlöser. In den Werken der göttlichen Weisheit greift alles logisch ineinander. Die Offenbarungen des Evangeliums finden an dem Richterstuhl Gottes ihren Abschluß.
Im Evangelium fordert Jesus die Menschen auf: «Seid barmherzig! Liebet einander», und beim Gericht fragt Er: «Wart ihr barmherzig? Habt ihr einander geliebt? — Ich kenne eure Vergehen, ich habe eure Sünden gesehen. Was habt ihr getan, um Sühne zu leisten? Habt ihr euch gegen eure Mitmenschen gütig, wohlwollend, mitleidig, gerecht, sanftmütig, selbstlos, geduldig und versöhnlich erwiesen? Das ist mein Evangelium, das ist mein Gesetz. Gibt es Arme, denen du in der Not beigestanden hast, Kranke, die sich deiner Besuche erinnern, Gefangene, die aus deinem milden Zuspruch neuen Mut schöpften, Betrübte, die du getröstet und aufgemuntert hast? Bist du den Waisen ein Vater, den Armen ein liebevoller Bruder, allen Schwachen und Leidenden eine Stütze gewesen?»
Bedenke, was du dem Herrn am Tag des Gerichts auf seine Fragen antworten möchtest! Noch ist es Zeit, dir einen Platz in den Reihen jener zu sichern, die Er segnet und belohnt.
«Kommt!» spricht Er zu ihnen. Jetzt heißt es nicht mehr: «Kämpft, tut Buße, tragt euer Kreuz.», sondern: «Freut euch! Kommt, um meine Güter und meine Seligkeit zu teilen; kommt, um mit mir im Himmel zu herrschen.» Verkoste im voraus die unaussprechliche Seligkeit der Auserwählten, wenn sie hören, wie hoch Gott ihre Werke der Nächstenliebe schätzt. In einem einzigen Augenblick sind alle Leiden der Vergangenheit vergessen. Stimme ein in ihre Lobgesänge zu Ehren der Heiligsten Dreifaltigkeit!
III Der Urteilsspruch über die Bösen
«Dann wird Er zu denen auf der Linken sagen: Hinweg von mir, ihr Verfluchten, ins ewige Feuer, das dem Teufel und seinen Engeln bereitet ist! Ich war hungrig, und ihr habt mir nicht zu essen gegeben. Durstig, und ihr habt mir nicht zu trinken gegeben.»
Bevor Jesus mit den Seinen in die ewige Glorie einzieht, verkündet Er laut das Urteil über die Verworfenen. Beachte, womit Er seinen Richterspruch begründet: «Ihr ward nicht barmherzig gegen die Meinigen, folglich kann ich auch nicht barmherzig gegen euch sein. Ich habe in eurer Mitte gelebt, um euch die Güte zu lehren; ihr aber seid selbstsüchtig, hart und stolz geblieben. Ihr ward unempfindlich gegen die Schmerzen anderer, dem Mitleid verschlossen, gleichgültig gegen Recht und Gerechtigkeit, unversöhnlich gegen eure Brüder und nur um euch selbst besorgt. — Da ihr euer Leben nicht nach den Grundsätzen meines Evangeliums gestaltet habt, könnt ihr nicht in das Himmelreich eingehen und seid für alle Ewigkeit davon ausgeschlossen.» — Erkenne die Gerechtigkeit dieses strengen Urteils an.
Wie kommt es, daß so viele Seelen ewig verlorengehen? Die Antwort ist aus der Frage dieser Unglücklichen zu entnehmen: «Herr, wann haben wir Dich hungrig oder durstig gesehen?» — Sie haben die Lehre Jesu nicht beherzigt, sie haben dem Herrn nicht gedient, weil sie Ihn in seinen leidenden Gliedern nicht erkennen wollten. Ihr Mangel an Glaubensgeist ist schuld an ihrer Verwerfung. — Bitte den göttlichen Richter jetzt, da Er noch dein Erlöser ist, deine Seele mit himmlischem Licht zu durchströmen, damit du Ihn stets erkennst, auch wenn Er dir in der niedrigsten und unansehnlichsten Gestalt entgegentritt. Bitte Ihn vor allem, in deinem Herzen das Feuer der göttlichen Liebe so zu entzünden, daß es dich ganz im Dienst Gottes und des Nächsten verzehrt!