60. Die Heilung der unheilbaren Kranken

(Mt 9, Mk 5, Lk 8)

 

I Jesus heilt das kranke Weib

Da trat eine Frau, die schon zwölf Jahre am Blutflusse litt, hinter Ihm heran und berührte eine Quaste seines Gewandes.

Siehe unter der Menge die gläubige Frau, welche das Leiden nicht hoffnungslos gemacht hat. Sie verzweifelt nicht an der Hilfe des Himmels, wenn auch die Erde ihr keine Hoffnung mehr bietet. Der bloße Name Jesus hat ihr die Ahnung einer unendlichen Güte gegeben, und sie eilt herbei. Beglückwünsche sie. Selig, wer fest auf Jesus vertraut.

Sie hatte von niemand geheilt werden können. — Ihr Übel ist also wahrhaft unheilbar. Ihre einzige Hoffnung beruht auf der Güte und Allmacht des Heilandes. Ist ihr Vertrauen deshalb geringer? Diese Frau lehrt uns, niemals den Mut zu verlieren.

Sie trat von hinten hinzu und berührte den Saum seines Kleides, denn sie sprach bei sich selbst: «Wenn ich nur sein Kleid berühre, so wird mir geholfen sein.» Siehe, wie sie sich durch die Massen des Volkes zu ihrem Heiland drängt und den Saum seines Gewandes berührt. Betrachte die Schönheit dieser so einfachen Handlung. Sie glaubt, vertraut und erwartet das Wunder vom Himmel. Wie sollte der Herr nicht seine Schätze über ein so wohl vorbereitetes Erdreich ausgießen? Und sogleich fühlte sie, daß sie geheilt war. Die Wohltaten Jesu werden den demütigen und vertrauensvollen Seelen zuteil.

 

II Jesus zwingt die Kranke, offen zu bekennen, was sie getan hat

Jesus erkannte innerlich, daß eine Kraft von Ihm ausgegangen war, wandte sich sogleich in der Menge um und fragte: «Wer hat mein Gewand berührt?» Seine Jünger antworteten Ihm: «Du siehst doch, wie das Volk Dich umdrängt, und fragst noch: Wer hat Mich angerührt?» Doch er schaute nach der hin, die das getan hatte.

Höre, was Jesus zu seiner Umgebung sagt. Er weiß in seiner Nähe eine leidende, gläubige Seele voll guter Gesinnung. Das erfreut sein Herz. Er will zu ihr in Beziehung treten und ihren Namen allen bekannt machen. Nach seinen Worten zu schließen, sind solche Begegnungen in seinem Leben etwas Seltenes. Die wahre Frömmigkeit, die ganz von Liebe, Glaube und heiliger Scheu durchdrungen ist, findet Er nicht alle Tage.

Ziehe Nutzen aus dem belehrenden Vorgang. Die Menge drängt sich um Jesus. Sie preist und erhebt Ihn laut und spendet Ihm lauten Beifall. Zu all dem sagt Jesus nichts, es läßt Ihn unberührt. Verstohlen naht sich Ihm eine arme Frau, berührt mit zitternder Hand den Saum seines Kleides, und Jesus ruft aus: «Wer hat Mich berührt?» Sein Herz ist freudig bewegt. Wie wenig Bedeutung haben die Äußerlichkeiten für den Heiland. Ahme die Frömmigkeit dieser Frau nach, indem du dich bestrebst, dem Herrn näher zu kommen als die Menge der Christen. Suche immer besser zu erkennen, wer Jesus ist, was du von Ihm hoffen kannst und wie du Ihm gebührend begegnen mußt.

 

III Jesus beruhigt und ermutigt die Geheilte

Da kam die Frau erschrocken und zitternd herbei, denn sie wußte, was mit ihr vorgegangen war. Sie fiel vor Ihm nieder und erzählte Ihm den ganzen Hergang. Er aber sprach zu ihr: «Tochter, dein Glaube hat dich gesund gemacht. Geh hin im Frieden und sei geheilt von deinem Leiden!»

Erbaue dich an dem demütigen Geständnis dieser Frau. Sie fürchtet, zuviel gewagt und vielleicht übel gehandelt zu haben. Jesus beruhigt sie und in ihrer Person alle zarten und ängstlichen Seelen.

«Sei getrost, meine Tochter», sagt Er zu ihr. Eine solch vertrauensvolle Kühnheit beleidigt Ihn niemals. Verlange alles, was du willst, bestehe auf deinem Verlangen und sei versichert, daß du damit dem Heiland willkommen bist. Zeige nur viel Glauben und viel Liebe. Das genügt Ihm, du brauchst keine anderen Förmlichkeiten zu beobachten.

So liebevoll ist der Erlöser, den der himmlische Vater dir geschenkt hat. Danke Ihm und erfreue dich seiner Nähe wie die kranke Frau. Wie glücklich könntest du sein, besäßest du etwas von dem Vertrauen, das ihr Herz erfüllte. Sie hat es so gut verstanden, des Heilands Segnungen auf sich herabzuziehen. Bitte sie doch, daß sie nun auch für dich Fürsprache einlege und dir die Gnade erlange, deine große Willensschwäche und dein beklagenswertes Mißtrauen zu besiegen.