84. Von der Selbstverleugnung und Abtötung
(Mt 7)
I Jesus ermahnt zur Abtötung der Sinne
«Tretet ein durch die enge Pforte; denn weit ist die Pforte und breit der Weg, welcher in das Verderben führt, und gar viele gehen ihn.»
Betrachte im Lichte des Glaubens den einzigen Weg, der zum Himmel führt. Der Heiland will, daß du das Werk deiner Heiligung mit Eifer betreibst. Wie ist der enge Weg beschaffen, den wir betreten sollen? Es ist ein Weg, auf dem wir nicht ohne Mühe voranschreiten und wo wir auf jeden Schritt achten müssen, um nicht von der Richtung abzuweichen. Es ist ein Leben der Demut und der Entsagung, ein Leben, in dem wir den Verstand unter das Joch des Glaubens beugen, die Sinne abtöten und die Leidenschaften beherrschen müssen. Das Vorbild eines solchen Lebens ist Jesus selbst. Sein Weg beginnt in Bethlehem und endet auf dem Kalvarienberg, und überall steht das Kreuz an diesem Wege.
Jesus sagt selbst, daß dieser Weg wenig begangen ist und daß diese mühsame Lebensweise nur von einer geringen Zahl Menschen erwählt wird. Viele kennen diesen Weg nicht, sie bemühen sich auch nicht, ihn kennenzulernen. Eine größere Zahl von Menschen betritt den engen Weg, beharrt aber nicht auf ihm. Woher diese Gleichgültigkeit der einen und die Unbeständigkeit der andern? Beide haben den Blick nicht fest auf das ewige Leben gerichtet. Der Gedanke an die Ewigkeit macht eifrig, hilft zum treuen Ausharren auf dem beschwerlichen Wege und ermutigt zum freudigen Fortschreiten bis zum Ende.
Denke ernstlich über deinen Seelenzustand nach. Vielleicht schmeichelst du dir, auf dem schmalen Wege zu sein, und beachtest dabei nicht, daß du dir kaum etwas versagst und nur darauf bedacht bist, dein Leben möglichst angenehm zu gestalten. Hast du deinen Willen in der Gewalt, kannst du entsagen und dich selbst beherrschen? Gehörst du zu der kleinen Zahl, die auf dem schmalen Wege wandelt?
II Jesus beklagt die Selbsttäuschung vieler, die ohne Abtötung die ewige Seligkeit erlangen wollen
«Wie eng ist die Pforte und wie schmal der Weg, der zum Leben führt; und nur wenige finden ihn.»
Denke über diesen unerwarteten Ausruf Jesu nach. Er entringt sich dem Herzen Jesu wie eine schmerzliche Klage. Es ist, als ob Er sich nicht erklären könne, warum so wenige Menschen ihre wahren Interessen begreifen, so wenige die Wunder der Weisheit und Vorsehung Gottes erfassen, so wenige sich bereitwillig den Anstrengungen eines kurzen Kampfes unterziehen, um einer unglückseligen Ewigkeit zu entgehen. Diese Tatsache ist in Wahrheit unerklärlich.
Bereite wenigstens du deinem Erlöser nicht Enttäuschung und Schmerz, indem du dich noch länger weigerst, deiner Einsicht zu folgen und den wahren Weg zum Himmel einzuschlagen. Andere können sich in gewissem Sinne entschuldigen mit ihrer Unwissenheit, ihrem Mangel an Bildung und christlicher Erziehung, an Gelegenheit zum Gebrauch der Heilsmittel; du aber kannst solches vor dem höchsten Richterstuhl Gottes nicht vorbringen. Bist du nicht mit Gnaden überschüttet worden? Entschließe dich, treu zu benutzen, was du empfangen hast.
Worin mußt du kleiner werden, was mußt du noch in dir bekämpfen, was deiner Eigenliebe, deiner Sinnlichkeit und deinen Leidenschaften versagen, um die tröstliche Gewißheit zu erlangen, das herrliche Ziel eines heiligen Lebens zu erreichen? Prüfe dich und fasse geeignete Vorsätze.