89. Jesus heilt den Knecht des Hauptmanns
(Lk 7)
I Jesus empfangt die Gesandten des Hauptmanns und erhört ihre Bitte
Der Knecht eines Hauptmanns1, der diesem lieb und wert war, lag todkrank darnieder. Als er von Jesus hörte, ließ er Ihn durch jüdische Älteste bitten, Er möge kommen und seinen Knecht gesund machen.
Gehe dem Heiland bei seiner Rückkehr nach Kapharnaum entgegen. Kaum ist Er in die Stadt eingetreten, so umringen Ihn schon mehrere Bittsteller in einer Angelegenheit, welcher Er seine besondere Aufmerksamkeit zuwendet. Wer sind die Bittsteller, und wessen Sache vertreten sie?
Ein Heide wird dich lehren, wie man mit dem Heiland verkehren soll. Der römische Hauptmann hält sich nicht für würdig, Jesus persönlich sein Anliegen vorzutragen; er sucht sich Vermittler und sagt zu ihnen: «Macht meine Sache zu der euren und bittet für mich!» Welch vortreffliches Mittel hat er gewählt, um an das Ziel seiner Wünsche zu kommen!
Wie erfüllen diese Männer ihren Auftrag? Höre, was sie von dem sagen, der sie gesandt hat. «Er ist es wert, daß Du ihm dies gewährst; denn er liebt unser Volk.2 Er ist würdig, erhört zu werden, denn er ist gut. Er ist gut gegen seine Untergebenen. Seinen Knecht behandelt er wie eines seiner Kinder. Wer in seinem Dienste ist, gehört auch zu seiner Familie.» Dieser menschenfreundliche Mann ist wert, die Wahrheit des Evangeliums zu erkennen; deshalb wird der Heiland das Wunder für ihn wirken.
Jesus sprach: «Ich will kommen und ihn heilen.» Und Er machte sich mit ihnen auf den Weg. — Sieh, wie der Heiland eilt, wenn Er trösten und heilen kann! Sein Herz ist von dem Verlangen erfüllt, dem Übel abzuhelfen, das man Ihm klagt. Allen, die gegen Arme und Geringe gut sind, wird Er schnell Hilfe bringen. Jeder erwiesene Dienst ist gleichsam eine Stimme, die Ihm zuruft: «Komm, erhöre die Bitte und wirke das Wunder!»
1 Es war aller Wahrscheinlichkeit nach ein römischer Centurio, welcher die Abteilung von Legionären befehligte, die am Ufer des Sees Tiberias ihren Standort hatte. Obschon Galiläa unter der Herrschaft des Herodes stand, blieb es doch der Aufsicht der römischen Statthalter unterworfen.
2«Er hat uns eine Synagoge bauen lassen», sagen sie. Diese Synagoge war sehr schön, nach den Ruinen zu urteilen, die man noch heute sieht. Sie hatte fünf Schiffe, die durch vier Reihen von je sieben Säulen aus Kalkstein getrennt waren, die mit Korinthischen Kapitellen versehen waren. Die Südseite hatte drei rechteckige Türen. Die prächtigen Steinblöcke waren mit Skulpturen jeder Art geschmückt: Rosen, Weintrauben, Blumen.
II Jesus bewundert laut den Glauben und die Demut des Hauptmanns
Und der Hauptmann antwortete und sprach: «Herr, ich bin nicht würdig, daß Du eingehst unter mein Dach, aber sprich nur ein Wort, so wird mein Knecht gesund.» Da nun Jesus das hörte, verwunderte Er sich und sprach zu denen, die Ihm folgten: « Wahrlich, ich sage euch, so großen Glauben habe ich in Israel nicht gefunden.»
Erbaue dich an der tiefen Demut des Hauptmanns beim Anblick des Heilandes. In dem Maße, als man sich Jesus naht, wird man seiner Hoheit und göttlichen Macht inne. Die demütige Seele erkennt in dem Lichte, das ihr von oben gegeben wird, das Nichts des Geschöpfes und die Unermeßlichkeit des Schöpfers. Sie erniedrigt sich und ruft aus: «Ich bin nicht würdig!»
Erwäge dieses Wort: «Ich bin nicht würdig! — Ich bin nicht würdig eines Blickes, eines Wortes von Dir, um wieviel weniger Deiner Einkehr unter mein Dach. Dennoch bitte ich um ein Wunder. Ich demütige mich, weil ich weiß, wer ich bin! Ich erkühne mich dazu, weil ich weiß, wer Du bist.» So spricht und handelt die Demut.
Welch eine Freude und ein Trost ist es für Jesus, wenn Er geraden, demütigen und gläubigen Seelen begegnet. Höre, wie der Heiland laut sein freudiges Staunen äußert, und preise den Hauptmann glücklich, der solche Bewunderung verdient.
Aber dieser Ausruf der Bewunderung ist auch eine Klage. «So großen Glauben habe ich in Israel nicht gefunden», sagt der Heiland. «Israel hat meine Hoffnung enttäuscht.» Ach, es ist leider nur zu wahr, daß die am meisten bevorzugten Seelen noch lange nicht die treuesten sind! Mußt du das nicht auch von dir bekennen?
III Jesus wirft dem auserwählten Volk seinen Mangel an Glauben vor
«Ich sage euch, viele werden vom Aufgang und Niedergang kommen und mit Abraham, Isaak und Jakob im Himmelreiche zu Tische sitzen. Die Kinder des Reiches aber werden in die Finsternis hinausgeworfen; dort wird Heulen und Zähneknirschen sein. »
Gegen wen spricht Jesus diese Drohung aus? Gebe Gott, daß sie nicht dir gilt! Jedenfalls laß sie dir zur Warnung dienen. Wenn Jesus solche Worte zu den Juden spricht, die Er mit Gnaden überhäuft hat, so tut Er es einzig, um ihnen nicht dereinst seine Wohltaten entziehen zu müssen. Wisse also, daß auch die, welche die Gnade hoch erhoben hat, tief fallen können. Wie groß die Güte Jesu auch ist, so verschließt Er zuletzt doch sein Herz demjenigen, der Ihm den Glauben hartnäckig verweigert. Alles, was du an Gnade mehr als andere erhalten hast, soll deinen Glauben, deine Liebe und deine Treue vermehren, damit diese Gaben dir dereinst nicht zur Beschämung dienen.
Ziehe Nutzen aus dieser ernsten Lehre. Danke dem Heiland dafür und bringe ihm die Huldigung einer wahren Demut, einer aufrichtigen Reue und einer rückhaltlosen Hingabe dar.