93. Der Fluch über Chorazin, Bethsaida und Kapharnaum

(Mt 11)

 

I Jesus droht den ungläubigen Städten mit den göttlichen Strafgerichten

Dann hielt Er die Strafrede an die Städte1, in denen seine vielen Wunder geschehen waren und die sich dennoch nicht bekehrt hatten.

Nimm deinen gewohnten Platz unter den Zuhörern Jesu ein. Die erzürnte Gerechtigkeit des Meisters hält dir eine Lehre vor, die du zu deinem Heile wohl nutzen mußt.

Vor den Blicken Jesu liegen die bevorzugten Städte, welche so oft Zeugen seiner Wunder gewesen sind. Gedenke seines liebreichen Entgegenkommens, seiner beredten Lehrvorträge und seines heldenmütigen Beispiels an diesen Orten. Frische die Erinnerungen an seine Wunder wieder bei dir auf. Wie ist es doch möglich, daß der liebreiche Heiland so vielen begegnet, die leichtsinnig dahinleben, Ihm einen widerspenstigen Willen entgegensetzen und Ihm ihre Herzen hartnäckig verschließen. Leider ist es nur zu wahr: die Städte, die vor Ihm liegen, haben keinen Nutzen aus seinen Lehren und Ermahnungen gezogen. Seine Wunder sind fast ohne Wirkung geblieben. Die Vorurteile gegen Ihn sind nicht gewichen; der Stolz hat sich nicht beugen lassen, und der Glaube hat keine Wurzeln geschlagen.

Betrachte den Sohn Gottes. Seine Gesichtszüge zeigen den Schmerz über die Undankbarkeit, den Widerspruch und die Abweisung, die Er dort erfahren hat. Er will seine gerechte Entrüstung nicht länger zurückhalten. Die Stunde der Vergeltung hat geschlagen. Es kommt eine Stunde, wo Er, der nur Segen vom Himmel bringen wollte, seinen Fluch ausspricht.

1 Kapharnaum, Bethsaida, Chorazin, Genesareth, d. h. das ganze westliche Ufer des Sees Tiberias erstreckt sich in einer Länge von 3 — 4 Meilen; es war der hauptsächlichste Schauplatz der Lehrtätigkeit Jesu. Dieser Landstrich war der meistbevölkerte von ganz Palästina; hier war ein buntes Gemisch von Rassen, Sitten und Religionen.

 

II Jesus sagt dem Volk die strengen Gerichte Gottes vorher

«Weh dir, Chorazin!'1 Weh dir, Bethsaida!2 Denn wären in Tyrus und Sidon die Wunder geschehen, die bei euch geschehen sind, sie hätten schon längst in Sack und Asche Buße getan.»

«Wehe dir!» — Beklage die Unglücklichen, welche die göttliche Gerechtigkeit verflucht. Aber kehre sogleich in dein eigenes Innere ein.

Wo ist die Stadt, die dem Heiland die Tore verschlossen hält, um sie seinem Feinde zu öffnen? Wo ist der hochmütige Geist, der sich der Einfalt des Evangeliums schämt? Wo ist das geteilte Herz, das dem Sohn Gottes nicht den ersten Platz einräumen will? Wo ist der Wille, der trotz alles göttlichen Entgegenkommens in seinem Widerstand verharrt? Was antwortet dein Gewissen auf diese Fragen?

Verdienst nicht auch du die Drohung zu hören, die der Heiland ausspricht? «Ich bin gekommen», sagt Jesus, «die Hände voll himmlischer Gaben, ich richtete ehrenvolle Einladungen an dich, ich stellte auserlesene Heilsmittel zu deiner Verfügung. Hast du meinem Gnadenruf nicht oftmals sündhaften Genuss vorgezogen oder in deiner Feigheit nicht gewagt, dich offen zu mir zu bekennen? Wehe dir!» — Was willst du antworten? Was hast du verdient?

1 Chorazin, Nachbarstadt von Kaphamaum. Der Heiland weilte oft daselbst. Vom Orte selbst ist nichts übriggeblieben.

2 Von Bethsaida findet man nur zerfallene Überreste. Das ist alles, was von dem Orte geblieben ist, der dem Heiland fünf Apostel geschenkt hat.

 

III Jesus wirft den Städten Mißbrauch seiner Gnaden und Wohltaten vor

«Und du Kapharnaum1, wirst du wohl bis zum Himmel erhoben werden? In die Unterwelt sollst du hinabfahren. Denn wären in Sodom die Wunder geschehen, die in dir geschahen, es stände noch bis auf den heutigen Tag.»

Verdienst du nicht auch hier wieder einen Teil der Vorwürfe, die der Heiland macht? Erinnere dich deiner Vergangenheit. Was würden andere, weniger begnadete bei solchem Entgegenkommen Gottes geleistet haben? Was würden die Gnadenwunder, die dich kalt ließen, in ihrem Leben bewirkt haben? Wie gründlich hätten sie sich bekehrt, wenn die Erleuchtungen, die dir vergebens so reichlich zuteil wurden, ihren Lebensweg erhellt hätten? Antworte und ziehe den Vergleich. Blicke flehentlich zum Heiland auf, der seinen rächenden Arm über dir erhebt.

Was willst du tun, um einem so strengen Strafgerichte zu entgehen? Wodurch hatten die Einwohner der verfluchten Städte den Zorn Gottes heraufbeschworen? Sie vergaßen ihre ewige Bestimmung und versenkten sich ganz in ihre irdischen Angelegenheiten, gaben sich allen Vergnügungen und sinnlichen Ergötzungen hin. Sie lebten in freiwilliger Blindheit. Da konnte die Saat des Glaubens nicht aufgehen. So verfällt man der Gleichgültigkeit, die allmählich der ewigen Verdammnis zuführt.

Lerne auf der Hut zu sein und dich auf eine bessere Zukunft vorzubereiten. Noch ist es Zeit, dir durch deine guten Vorsätze die unendliche Barmherzigkeit Gottes geneigt zu machen und die Gerechtigkeit zu entwaffnen. Bitte Jesus durch die Fürsprache seiner heiligen Mutter, deiner in der Ewigkeit zu schonen.

1 Kapharnaum, die am meisten bevorzugte Stadt, ist gegenwärtig nur noch ein Trümmerhaufen. Zahlreiche Basaltsteine verschiedener Größe, die meistens von zerstörten Häusern und Bauwerken herrühren, bedecken die Stätte, wo Kapharnaum ehemals stand. Die Überreste der schönen Synagoge sind die einzigen erkennbaren Ruinen der Stadt und erregen noch mit Recht die Aufmerksamkeit und Bewunderung der Palästinareisenden.