254. Der Verräter Judas

(Lk 22,Joh 13)

 

I Johannes fragt Jesus nach dem Verräter

Einer von seinen Jüngern, der, den Jesus liebte, lag bei Tisch an der Brust Jesu. Diesem winkte Simon Petrus zu und sagte ihm: «Frage, wen Er damit meint.»

Stelle dir den Lieblingsjünger Jesu vor, wie er an dem Herzen Jesu ruht! Warum ist ihm dieser Platz zuteil geworden? Weil er der Jünger ist, den Jesus liebte. Und warum ist er der Gegenstand der besonderen Liebe Jesu? Johannes sagt es nicht, vielleicht weiß er es selbst nicht. Frage ihn danach, er wird dir nichts antworten können. Gott kommt uns nämlich stets mit seiner Liebe zuvor, Er wartet nicht auf unsere Verdienste. Gottes Liebe ist ein Akt höchster Freiheit, Er liebt uns einzig, weil Er uns lieben will. Darum ist es zwecklos, nach Gründen für die Erweise seiner bevorzugenden Liebe zu forschen. Suche vielmehr, wie Petrus Vorteil aus dieser Vorliebe des Meisters für Johannes zu ziehen. Petrus läßt Johannes fragen, denn Johannes ruht am Herzen Jesu und empfängt dort mehr Erleuchtung und glühendere Liebe. Er schaut göttliche Geheimnisse, um sie seinen Brüdern mitzuteilen. Petrus hat dies begriffen, darum macht er Johannes ein Zeichen: «Sprich du mit dem Heiland, weil du Ihm näher stehst als wir. Mache Ihn auf unsere Besorgnis aufmerksam und teile uns von dem Licht mit, das dich überströmt. Verwende dich für uns, hilf uns aus dieser peinlichen Ungewißheit!» Dies mochte wohl die Gesinnung des Petrus gewesen sein, als er sich an Johannes wandte.

Da antwortete Jesus: «Der ist 's, dem ich den Bissen eintunken und reichen werde.» Er tunkte den Bissen ein und gab ihn Judas, dem Sohn Simons Iskariot. — Beteure deinen Abscheu vor dem schändlichen Verrat und schwöre deinem Meister Treue bis zum Tod.

 

II Der Teufel bemächtigt sich des Judas

Nach dem Bissen fuhr der Satan in ihn. Jesus sagte ihm noch: «Was du tun willst, tue bald.»

In der Seele des Judas schreitet das Böse voran. Er widersteht den letzten Ermahnungen und Warnungen seines Meisters, und damit fallen die letzten Schranken, die Satan von Judas zurückhielten. Seine Geringschätzung der Gnade, seine trotzige Verhärtung machen Satan zu seinem unumschränkten Herrn, der von nun an den Judas wie seinen Sklaven behandeln und ihn zwingen wird, seine höllischen Pläne mit furchtbarer Genauigkeit auszuführen. Wie beklagenswert ist ein solches Los!

Welchen Meister zieht Judas dem Heiland vor? Unter wessen Herrschaft hat er sich gestellt, statt das sanfte, glorreiche Joch des göttlichen Erlösers zu tragen? Was wird  sein ewiges Los sein? Das also ist das Ende jener ersten kleinen Untreuen, die man sich so leicht erlaubt, jener ersten Zugeständnisse, die man sorglos dem Feind der Seele macht. Gib acht, daß nicht auch du allmählich in diese Verblendung fallest, die Judas ins Verderben stürzte.

Merke dir das Wort, das Jesus dem Verräter vor der Trennung sagte: «Was du tun willst, das tue bald!» Die Leidenssehnsucht deines Heilands bricht in helle Flammen aus. «Beschleunige für mich den Augenblick, wo ich mich in den Abgrund blutigen Leidens stürzen darf, aus dem der Welt das Heil erblühen soll.» — Er gedenkt auch deiner, wenn Er so spricht.

Judas entfernt sich. Es ist Nacht; er schreitet mit dem Fürsten der Finsternis durch die Finsternis. Er weiß nicht, wohin er geht. Derjenige, dem er sich verkauft hat, verbirgt seinen Augen den Abgrund, in den er bald stürzen wird.

 

III Jesus spricht von der Verherrlichung Gottes, die aus dem Verrat des Judas erwachsen wird

Als er hinausgegangen war, sagte Jesus: «Jetzt ist der Menschensohn verherrlicht, und Gott ist in ihm verherrlicht.»

Kehre zum Meister zurück; flüchte dich zu demjenigen, der vor dem schrecklichen Untergang bewahrt. Was sagt Er? «Jetzt ist der Menschensohn verherrlicht.» Jesus fühlt sich wie von einer drückenden Last befreit. Es war für Ihn schmerzlich, an seiner Seite einen Feigling, einen Verräter, einen Gottesmörder zu wissen. Nun atmet Er wie erlöst auf. Er sagt: «Jetzt, wo Judas an der Arbeit ist, jetzt, wo meinen Feinden alle Freiheit, mir zu schaden, eingeräumt ist, gehe ich meiner Verherrlichung entgegen. Sprechen wir von den glorreichen Kämpfen, die mir bevorstehen.» Von diesem Gesichtspunkt betrachtet Jesus die Zukunft. Er will dir begreiflich machen, welche Ehre darin liegt, für die Interessen Gottes und der Seelen zu leiden und zu sterben.

«Jetzt ist Gott verherrlicht.» Was du bis dahin gesehen hast, gibt dir keinen Begriff von dem, was du sehen wirst. Um Gott die Ehre zu erweisen, die Ihm gebührt, bedarf es Wunder einer ganz anderen Art. Alles, was bis jetzt die Bewunderung der Menschen erregte, war nur der Beginn. Jetzt naht die Vollendung. Das Werk der Verherrlichung Gottes wird in mir und durch mich zustande kommen.

Versenke dich in diese Gedanken und lege deine Furcht vor den Leiden ab. Die Leiden, welche die Nachfolge Jesu Christi auferlegt, gereichen zum Heil. Vereinige dich mit dem Heiland im Hymnus der Danksagung!1

1 Vor dem Ostermahle betete man den 112. und den ersten Teil des 113. Psalms; nach dem Mahle betete man den zweiten Teil des 113. sowie den 114., 115., 116. und 117. Psalm.