264. Von der Vollendung des Erlösungswerkes
(Joh 16)
I Jesus bemüht sich, die Traurigkeit der Apostel zu lindern
«Nun aber gehe ich hin zu dem, der mich gesandt hat, und keiner von euch fragt mich mehr: Wohin gehst du? Vielmehr ist euer Herz voll Traurigkeit, weil ich euch das gesagt habe. Aber ich sage euch die Wahrheit: Es ist gut für euch, daß ich hingehe.»
Höre, wie der göttliche Meister die Schlußgedanken seiner Abschiedsrede entwickelt. Er tadelt die Apostel, daß sie so wenig nach seinen Geheimnissen fragen. «Niemand fragt mich nach dem Himmel, wohin ich zurückkehre, nach dem Reich, das ich gründe, nach dem unsterblichen Leben, von welchem ich rede. Meine körperliche und fühlbare Gegenwart unter euch scheint das einzige Gut zu sein, um das ihr euch Sorge macht.» So ist in der Tat die Gesinnung der Apostel. Was Jesus ihnen zu ihrem Trost sagt, betrübt sie; was Er ihnen zur Belebung ihres Mutes vorausverkündet, drückt sie nieder. Sie sind überzeugt, daß mit dem Hingang ihres Meisters alles für sie verloren sei. Wie groß ist daher ihr Erstaunen bei den Worten: «Es ist gut für euch, daß ich hingehe.»
Ihre liebenden Herzen widersprechen; aber sie wagen nicht, um Aufklärung zu bitten, sie schweigen. Tue du, was sie nicht wagen! Frage den Meister: «Wie kann es gut für uns sein, daß eine abscheuliche Verschwörung Dich uns entreißt, ein blutiger Tod Dich uns raubt? Da Du ganz allein uns genügst, warum sprichst Du jetzt beständig davon, uns einen Ersatz für Deine Gegenwart zu geben, Dich nur verschleiert uns zu nahen, Vermittler zwischen Dir und uns aufzustellen?» Erflehe dir himmlisches Licht, um den geheimnisvollen Nutzen seines Scheidens zu begreifen.
II Jesus verheißt abermals den Heiligen Geist
«Wenn ich nicht hingehe, kommt der Beistand nicht zu euch; wenn ich aber hingehe, werde ich ihn zu euch senden.»
Das Werk unserer Heiligung, das Jesus mit so großer Mühe bis hierher geleitet hat, muß vollendet werden. Jesus ist zu uns gekommen, um uns zu Gott zurückzuführen. Mit unserer Menschheit hat Er sich bekleidet, damit wir Ihn sehen und hören und gleichsam seine Hand erfassen können, um Ihm zu folgen. Indes die heilige Menschheit, die unserer Anbetung und Liebe so würdig ist, ist doch nur ein Mittel, um zu Gott zu gelangen. Sie ist nur Weg, nicht aber letztes Ziel. Statt in ihr den endgültigen Zweck meines Lebens zu suchen, soll sie mir ein kräftiger Antrieb sein, mich zum Gipfel meiner Bestimmung, zum himmlischen Vater, zu erschwingen. — So bleibe nicht auf halbem Weg stehen, meine Seele. Liebe deinen Erlöser aus allen deinen Kräften. Aber liebe Ihn, wie Er geliebt sein will! Liebe Ihn als Führer, Meister, Gefährten, Freund und Erlöser.
«Es ist gut für euch, daß ich hingehe. — Wenn ich euch entschwunden bin, werdet ihr lernen, Gott um Gottes willen zu suchen. Von meiner Menschheit werdet ihr zur Gottheit aufsteigen. Wenn ihr immer die Süßigkeit meiner sichtbaren Gegenwart genießen könntet, so würdet ihr euch auf dem Weg aufhalten; bin ich einmal euren Blicken entschwunden, so werdet ihr eure Schritte beschleunigen. Was ich euch durch meine Menschheit gegeben habe, sollt ihr von nun an durch den Heiligen Geist erhalten.» Wende diese Belehrung auf dich an und stimme deinem göttlichen Meister zu.
Höre noch, was Er beifügt! Das Leben und Verhalten Jesu muß vor den Augen der Menschen gerechtfertigt, die Welt muß ihrer Bosheit und Sünde überwiesen werden. Auch aus diesem Grund weicht Jesus dem Heiligen Geist.
«Alles, was ihr alsdann hören, sehen und empfinden werdet, wird in euren Seelen endlich das zustande bringen, was ich in dieser Stunde nicht erreichen kann.» Verstehst du diese Worte, so höre auf zu klagen; frohlocke vielmehr! Bestrebe dich, auch andere Seelen, die du beunruhigt und trostlos weißt, mit Frieden und Freude zu erfüllen.
III Jesus beschwichtigt die Apostel und versichert ihnen, daß sein begonnenes Werk zu Ende geführt werde
«Noch vieles hätte ich euch zu sagen, aber ihr könnt es jetzt nicht ertragen. Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit, kommt, wird er euch in alle Wahrheit einführen.»
Der Heiland ist im Begriff, die Erde zu verlassen; es bleibt Ihm noch viel zu sagen und viel zu tun, wie du aus seinen Worten ersehen kannst. Um seine Jünger besser zu trösten, möchte Er sie vollständiger unterweisen. Nichts tröstet ja so, wie das Verständnis der Lehre vom Kreuz. Wer die Notwendigkeit des Leidens einsieht, wird bereitwillig alles annehmen, was Gottes väterliche Vorsehung sendet.
Aber Jesus kann den Seelen nur das sagen, was sie zu hören fähig sind. Ist es nicht befremdend, daß die Apostel nach drei Jahren der Belehrung durch Jesus selbst noch so wenig fähig sind, die Wahrheit des Evangeliums zu erfassen und zu tragen? So suche denn deinen Mut und dein Vertrauen zu stärken. Der Heilige Geist wird das Begonnene fortsetzen durch Erleuchtung, Belehrung und Heiligung. Gib dich seiner Leitung hin! Die Absichten der ewigen Weisheit werden trotz deines Unvermögens erreicht werden.