271. Die Todesangst Jesu
(Mt 26, Mk 14, Lk 22)
I Jesus entfernt sich von seinen Jüngern und betet
Und Er entfernte sich von ihnen einen Steinwurf weit1, kniete nieder und betete: «Vater, wenn Du willst, so nimm diesen Kelch hinweg von mir. Doch nicht wie ich will, sondern wie Du willst.»
Nahe dich deinem betenden Heiland und erbitte dir einen Platz bei seinen Vertrauten! Jesus verlangt nichts sehnlicher, als dir diese Gunst zu gewähren. — Entferne dich mit Ihm einen Steinwurf weit von allen irdischen Sorgen und zerstreuenden Gedanken. Dringe bis zum Eingang der Grotte vor, die Jesus betritt, um sein Leiden zu beginnen. Bereite auch du dich vor auf alle Kämpfe, die dich erwarten! Versenke dich in den Anblick deines Heilands! Er kniet nieder und neigt sein Angesicht zur Erde. Er erscheint vor seinem himmlischen Vater schmerzlich niedergebeugt, da Er sich mit den Sünden der ganzen Welt beladen sieht. Er betrübt und demütigt sich ihretwegen, als ob Er sie selbst begangen hätte. Durch seine ewige Geburt vom Vater ist Er der wahre Sohn Gottes — nun sieht Er sich den Sündern gleichgestellt und bis unter den letzten von ihnen erniedrigt. Er fühlt, wie auf Ihm die Last für alle Vergehen ruht, die von Anbeginn der Welt begangen worden sind und bis zum jüngsten Tag noch begangen werden. Er, die Heiligkeit selbst, ist erschüttert und demütigt sich aufs tiefste vor Gott.
Höre seinen Angstruf: «Vater, wenn es möglich ist, gehe dieser Kelch an mir vorüber!» Betrachte diesen Kelch, vor dem dein Heiland zurückschreckt, und verkoste seine entsetzliche Bitterkeit! Laß an deiner Seele vorbeiziehen alle Missetaten der vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Geschlechter, all den Undank, die empörenden Verbrechen, die schmählichen Ausschweifungen, den schrecklichen Abfall vom Glauben und die schändlichen Sakrilegien. Denke mit bitteren Reuetränen an deine eigenen Sünden, verdemütige dich und bitte um Gnade und Erbarmen!
1 Die Todesangstgrotte ist in den ersten christlichen Jahrhunderten in ein Heiligtum umgewandelt worden. Der Felsen, in den sie eingehauen war, ist im ursprünglichen Zustand erhalten und nicht mit Marmor überkleidet worden. Jetzt erhebt sich über diesem Felsen eine schöne Kirche.
II Jesus empfängt durch einen Engel Trost und Ermutigung
Es erschien Ihm aber ein Engel vom Himmel und stärkte Ihn.
Begrüße den tröstenden Engel! Während Jesus betete, brachte dieser Himmelsbote sein Flehen vor den göttlichen Thron, alle glückseligen Geister vereinigten sich mit Ihm. Was aber war der Wille des Allerhöchsten? Er hat beschlossen, daß sein eingeborener Sohn sich als Sühnopfer für die Sünden der Welt hingebe, dieser muß deswegen die Bahn der Demütigungen bis zum äußersten Ende durchlaufen. In namenlosen Schmerzen muß Er sterben, damit die göttliche Gerechtigkeit uns schone. So sehr hat Gott die Welt geliebt!
Bedenke, daß du dem Heiland den bitteren Leidenskelch versüßen kannst durch dein Mitleid, deine Liebe, deine Hingabe. Bewundere die Demut, womit der Sohn Gottes die Worte des Engels aufnimmt. Die ewige Weisheit läßt sich belehren, die Urkraft läßt sich stützen, die Allmacht sich ermutigen. Bringe dem Todesangst leidenden Heiland das Opfer deines stolzen Selbstvertrauens; lerne Demut im Hinblick auf deinen Erlöser!
III Jesus wird von Todesangst befallen
Und als Ihn Todesangst befiel, betete Er noch inständiger. Er fiel auf die Erde nieder und betete, daß, wenn es möglich wäre, diese Stunde an Ihm vorüberginge.
Verharre in der Nähe deines Erlösers! Der Engel ist entschwunden, aber die Trostlosigkeit ist nicht gewichen, Jesu Leiden nimmt zu. Lerne beim Anblick deines Heilands dich selbst überwinden und mit Aufbietung aller Kräfte für die Ehre Gottes und das Heil deiner Seele zu kämpfen. Lerne den Willen Gottes auf Kosten des deinigen erfüllen! Lerne alles leiden, was der himmlische Vater verhängt oder zuläßt. Überlasse Ihm, wie Jesus in der Todesangst, dein Leben und dein Sterben, Leib und Seele und alles, was dein ist, für Zeit und Ewigkeit.
Worin besteht das Geheimnis der Kraft Jesu? Es liegt im Gebet. Jesus betet, Er verlängert sein Gebet. Wenn aller Mut dir entschwindet, bewahre dir wenigstens den Mut zu beten. Durch das Gebet bleibt man stark in der Schwäche. Der in Todesangst betende Heiland fordert dich auf, im Gebet zu verharren, bis die Verwirrung dem Frieden weicht, bis aller Aufruhr und alles Widerstreben besiegt und vollkommene Ergebung errungen ist. Verlasse den Heiland nicht in dieser schweren Stunde, da Er sein Leben für dich aufopfert.
Sein Schweiß ward wie Blutstropfen, die auf die Erde herabrannen. Fange das heilige Blut auf, das sein bleiches Angesicht benetzt, trockne mit zitternder Ehrfurcht seine Tränen und erzeige Ihm die zarten Liebesbeweise eines Freundes. Tröste sein Herz mit der Versicherung deiner Treue!