281. Verleugnung des Petrus
(Mt 26, Mk 14, Lk 22, Joh 18)
I Petrus setzt sich der Gefahr aus
Es standen aber die Knechte und Diener am Kohlenfeuer1 und wärmten sich, denn es war kalt; auch Petrus stand bei ihnen und wärmte sich.2
Betrachte heute die unendliche Barmherzigkeit Gottes, deren deine Schwäche bedarf. Der himmlische Vater willigt ein, daß der Fürst der Apostel, das zukünftige Oberhaupt der Kirche, gedemütigt werde, um alle Gläubigen im Vertrauen zu stärken.
Suche Petrus im Hof des Kaiphas auf, wo er sich unter die am Feuer sitzenden Feinde Jesu gemischt hat! Was macht er hier? Erinnere dich seines Versprechens. Er hat beteuert, er werde sich mutig zeigen, und nun verbirgt er sich. Er hat seinem Meister aufopfernde Treue gelobt, und nun verstellt er sich und heuchelt, Ihn nicht zu kennen. Er versucht, den Fremden dem gegenüber zu spielen, der ihm doch mehr als Freund ist. Erbärmliche Ausflüchte und Kunstgriffe einer falschen Klugheit und Vorsicht, die meist Fahnenflucht und Abfall vorbereiten. Das heißt, sich ohne Waffen auf dem Kampfplatz einfinden, ohne Kenntnis der eigenen Schwäche und der List und Stärke des Feindes. Vergessen sind alle Warnungen, alle Erfahrungen früherer Zeit, man rechnet leichtsinnig auf eine unvorhergesehene Hilfe. Ist unter solchen Umständen etwas anderes zu erwarten als eine Niederlage?
Erlebst du nicht hier aufs neue die Geschichte deiner Fehltritte? Gedenke in Scham und Reue deiner eigenen Niederlagen! Danke dem Heiland für die Barmherzigkeit und Langmut, deren Gegenstand du so oft gewesen bist. Die Erbarmungen des Herrn will ich ewig preisen!
1 Im Morgenland besteht jede größere Wohnung aus niedrigen Gebäuden, die einen geräumigen Hof umgeben. Eine schwere Türe verschließt den Eingang gegen die Straße.
2 Zu dieser Jahreszeit sind die Nächte in Judäa um so kühler, je heißer der Tag gewesen ist.
II Die dreimalige Verleugnung des Petrus
Da kam eine Magd auf ihn zu und sagte: «Du warst auch bei Jesus aus Galiläa.» Er leugnete es vor allen ab und sprach: «Ich verstehe nicht, was du sagst.»
Betrachte die verschiedenen Anlässe, die Petrus zum Fall bringen! «Gehörst du nicht zu seinen Jüngern», wird er gefragt. Sofort verneint es Petrus. Er fügt sogar bei: «Ich kenne diesen Menschen nicht.» Die bloße Möglichkeit einer Gefahr nimmt der furchtsamen Seele alle Geistesgegenwart, alle Besonnenheit, alle Erinnerung an feurige Versprechungen.
Erwäge, wie verletzend diese Antwort für den Heiland ist. Jesus hat sich dem Petrus gegenüber in überzeugender Weise geoffenbart, und nun wirken Menschenfurcht und Leidensscheu so auf ihn ein, daß er sagt: «Ich kenne diesen Menschen nicht. Ich weiß nicht, ob Er gut oder böse ist; ich weiß nicht, woher Er kommt und was Er will; ich weiß nicht, ob das, was Er sagt, wahr ist.»
Während einer ganzen Stunde wiederholt er seine schmählichen Beteuerungen und das nur wenige Schritte von seinem beschimpften, verleumdeten und verurteilten Meister! — Wie können doch der ehrlichste Wille und das treueste Herz so veränderlich und schwankend sein! Daraus läßt sich schließen, daß oft gerade jene am meisten einem Fehler ausgesetzt sind, die sich desselben am wenigsten fähig glauben. Erkenne also demutsvoll deine eigene Schwäche und beklage den Fall des Apostels! Siehe ihn in der Tiefe des Abgrundes, in den er sich gestürzt hat! Versuche die Unruhe seiner Seele zu ermessen, verkoste seine Trostlosigkeit und höre die Stimme des Gewissens, die ihn quält. Dahin führten sein Mangel an Wachsamkeit, sein Selbstvertrauen und sein unkluges, unvorsichtiges Verhalten. Den Feinden Jesu Zugeständnisse machen heißt den Weg des Verderbens einschlagen. Wende dich an die göttliche Barmherzigkeit und flehe sie an, dich vor dir selbst zu schützen!
III Die Erkenntnis und Reue des Petrus
Da wandte sich der Herr um und sah Petrus an. Nun erinnerte sich Petrus an das Wort des Herrn, das Er zu ihm gesagt hatte: «Noch ehe der Hahn kräht, wirst Du mich dreimal verleugnen.» Und er ging hinaus und weinte bitterlich.
Betrachte die Barmherzigkeit Jesu. Lasse wie Petrus den Blick des Heilands tief in deine Seele dringen und Tränen der Reue hervorrufen! Wie, wenn der Sonnenstrahl auf das erstarrte Erdreich fällt, das Eis auftaut und alle Lebenskeime sich entfalten, so schwindet unter Jesu Gnadenblick alles, was deinem Fortschritt hinderlich ist, und die Wahrheit bricht siegreich durch. Glücklicher Fehltritt, der einer Seele, die bis dahin trotz Gnaden schwach geblieben ist, zu einer beharrlichen Festigkeit verhilft!
Im Licht der Wahrheit, das aus Jesu Augen strahlt, wird Petrus sich plötzlich über seinen Zustand klar und erwacht zum wahren Leben. Sieh, wie er das Erdreich seiner Seele mit seinen Tränen begießt, die wie ein fruchtbarer Tau darauffallen. Demut, Vertrauen, kurz alles, was die Kraft der Seele ausmacht, keimt hervor. Vermessenheit, Menschenfurcht, Leidensscheu und alles, was die Schwäche einer Seele bekundet, ist abgeschüttelt. Der reuige Apostel ist nun zum festen Grundstein geworden, der allen Stößen und Stürmen widerstehen wird. Die Wahl Jesu ist gerechtfertigt, sein Werk ist beendet, Er kann ruhig sterben.
So wirkt also alles, selbst unsere Fehler, im Plan Gottes mit. Sogar unsere bedauerlichsten Schwächen gebraucht die göttliche Weisheit des himmlischen Vaters zu unserer Heiligung. Jesus überläßt den Apostel Petrus einen Augenblick sich selbst, um ihn vollkommen von sich selbst loszuschälen. Den Unterweisungen, die Er ihm gegeben hat, läßt Er die persönliche Erfahrung folgen.
Ziehe Nutzen aus dieser Begebenheit und befestige dich in einem unerschütterlichen und demütigen Gottvertrauen, das in allen Lebenslagen standhält. Die göttliche Barmherzigkeit, die dem ungetreuen Apostel verzeiht, ist stets bereit, auch dir zu vergeben. Die einzige Bedingung, die Jesus stellt, ist, daß du mit dem gänzlichen Vertrauen auf Ihn ein unbegrenztes Mißtrauen gegen dich selbst verbindest. Bemühe dich, dieser Bedingung zu entsprechen!