286. Jesus vor Herodes
(Lk 23)
I Jesus wird zu Herodes geführt
Sie aber wurden ungestüm und sprachen: «Er bringt mit seiner Lehre das Volk im ganzen Judenlande in Aufruhr, von Galiläa angefangen bis hierher.»
Kehre zum Prätorium zurück und höre die neuen Anschuldigungen gegen Jesus. «Er wiegelt das Volk auf!» ruft man von allen Seiten. Was tut Pilatus? Er sucht sein Heil in menschlicher Klugheit und möchte die Verantwortung, die auf ihm lastet, andern zuschieben.
Da er erfuhr, daß Jesus ein Galiläer sei, schickte er Ihn zu Herodes, der in diesen Tagen zu Jerusalem war. Warum legt Gott das Schicksal seines Sohnes in die Hände des wankelmütigen, schwachen Pilatus? Gott hat selbst die Richter seines Sohnes vorherbestimmt, und Er wählte gerade solche, die jede Gelegenheit, Ihn seinen Feinden zu entreißen, unbenutzt entschlüpfen lassen. Jede Einzelheit des bitteren Leidens ist in Gottes Plan vorhergesehen, und Jesus geht vollkommen auf die Anordnungen der göttlichen Gerechtigkeit ein. Er verwirft keinen seiner Richter, damit alle Vertreter der Obrigkeit bei seinem Tode beteiligt seien. Begleite den Heiland auf dem Wege zum Palast des Herodes und bereite dich mit Ihm auf Demütigungen vor.
II Jesus erscheint vor Herodes
Herodes freute sich sehr, als er Jesus sah. Denn er hätte Ihn schon längst gern gesehen, weil er viel von Ihm gehört hatte und ein Wunder von Ihm zu sehen hoffte.
Betrachte den Heiland vor Herodes! Was tut Er dort? Welche Absicht führt Ihn dahin? Suche dir dies klar zu machen. Herodes bereitet Jesus erst einen wohlwollenden Empfang. Er erwartet von der Begegnung mit Jesus eine angenehme Zerstreuung, interessante Erörterungen und Befriedigung seiner Neugierde. Das ist aber nicht die rechte Vorbereitung, um die Wahrheit in sich aufzunehmen.
Er stellte deshalb viele Fragen an Ihn; doch Jesus antwortete ihm nichts. Herodes fragt Ihn aus; aber Jesus antwortet nicht. Jesus schweigt vor jenen, die nicht würdig sind, Ihn zu hören. Die göttliche Weisheit erscheint vor der menschlichen Weisheit nur, um sie mit Blindheit zu schlagen, sich vor ihr zu verbergen. Mit den Demütigen spricht sie, ihnen offenbart sie sich mannigfach und läßt sich in lange Unterredungen mit ihnen ein. Lerne hier, wie du Jesus bewegen kannst, dich in den Heilswahrheiten zu unterrichten. Lege zu seinen Füßen all deinen Stolz nieder, alles starrsinnige Festhalten am eigenen Urteil, alle Voreingenommenheit, alle eitle Neugier und unreine Absicht.
Herodes wird Jesus nicht sprechen hören, er wird kein Wunder sehen. Wunder wirkt Jesus nur für die Menschen, die guten Willens sind, damit sie in ihrer Überzeugung von der Allmacht Gottes befestigt werden und seine unendliche Güte verkosten. Man wird nur dann würdig, Wunder zu sehen, wenn man demütig genug ist, aufrichtig Nutzen daraus zu ziehen.
III Jesus wird als Tor verspottet
Da verhöhnte Ihn Herodes mit seinem ganzen Gefolge. Er ließ Ihm zum Spott ein weißes Kleid anziehen und schickte Ihn so zu Pilatus zurück.
Der Erlöser wird dem öffentlichen Spott preisgegeben, sein Schweigen wird als Torheit ausgelegt. «Wir haben einen Narren vor uns und wollen ihn demgemäß behandeln», sagen diese Menschen.
Sieh, wie Jesus mit dem Spottgewand bekleidet wird! Er läßt es geschehen mit dem Mut eines Erlösers. Auf Kosten seiner Ehre will Er uns das weiße Gewand der Unschuld wieder erwerben. Lerne hier, nach welcher Tugendgröße du dem Willen deines Heilands gemäß streben sollst! In Zukunft sollst du die törichte Weisheit der Welt durch die Torheit des Kreuzes beschämen. Die Welt verdient es nicht anders, da sie das Spottgewand der Toren jenen reicht, die dem Banner Christi folgen.
Gib dem als Toren verspotteten Heiland Beweise liebender Ehrfurcht und großmütiger Hingabe. Knie vor Ihm nieder und bringe Ihm alle Huldigungen des Himmels und der Erde dar! Strebe dahin, Ihm durch unentwegte Treue die Schmach zu sühnen, die Ihm der Mörder seines Vorläufers antut. Verachte von nun an alle Ehren der Welt!