287. Jesus wird dem Barabbas nachgesetzt
(Mt 27, Mk 15, Lk 23, Joh 18)
I Abermalige Rechtfertigung Jesu durch Pilatus
Pilatus rief nun die Hohenpriester, die Mitglieder des Hohen Rates und das Volk zusammen und sagte zu ihnen. «Ich habe Ihn in eurer Gegenwart verhört, aber keine der Anklagen, die ihr gegen diesen Menschen vorbringt, begründet gefunden. So will ich Ihn denn züchtigen lassen und dann freigeben.»
Finde dich demütig beim Heiland ein, der dem Neid und Undank der Menschen ausgeliefert ist. Während Pilatus über seine Freilassung verhandelt, besinne dich, auf welche Weise du deinem göttlichen Meister Trost bereiten könntest.
«Dieser Mensch ist schuldlos», sagt der Richter. «Er ist kein Verführer; Er leitet das Volk durchaus nicht irre.» — Bewundere hier die göttliche Weisheit, die, wann sie will, der Wahrheit zum Sieg verhilft, und vertraue dich rückhaltlos ihrer Führung an. Pilatus aber urteilt wie alle Sklaven der Menschenfurcht, er sagt: «Ich will Ihn also züchtigen lassen.» Nicht die Ausübung der Gerechtigkeit beschäftigt ihn, sondern der Gedanke, wie er der schwierigen Lage, in welche man ihn gebracht hat, entgehen könne. Er denkt mehr an seinen Vorteil als an seine Pflicht. Er fürchtet für sich das Urteil und die Stimmung des Volkes, wenn er Jesus freigibt. Nach allem, was er gesehen und gehört hat, glaubt er den Schluß ziehen zu können, Jesus sei ein unbedeutender Mensch, den man ungestraft mißhandeln könne.
Jesus willigt ein, in so verächtlichem Licht zu erscheinen. Obgleich Er unschuldig ist, erduldet Er eine so schmachvolle Behandlung. Danke Ihm, daß Er ein Sühnopfer für dich werden wollte. Lerne hier die Demütigungen hochschätzen!
II Barabbas wird Jesus vorgezogen
Man hatte damals einen berüchtigten Gefangenen namens Barabbas. Pilatus fragte also die versammelte Menge: «Wen soll ich euch freigeben, Barabbas oder Jesus, der Messias genannt wird?»
Der charakterlose Pilatus tut Jesus die Schmach an, Ihn mit einem Verbrecher auf die gleiche Stufe zu stellen. Siehe, wie der Heiland diese unaussprechliche Herabwürdigung erträgt; ganz freiwillig will Er sie unter den Augen einer großen Volksmenge erdulden.
Wie beredt spricht dieses Verhalten Jesu von seiner Liebe zu dir. Sieh Ihn neben Barabbas! Ist Er in dieser Demütigung weniger schön und weniger nachahmungswürdig?
«Welchen von beiden soll ich euch freigeben?» fragt Pilatus. — Komme der Menge zuvor und entscheide dich für Jesus! Wahrlich, dein Heiland hat reichlich genug getan, damit du Ihn und sein Evangelium allen Geschöpfen und aller Sündenlust vorziehst. Sühne durch dieses mutige Eintreten für Jesus, daß du dich früher so oft auf die Seite seiner Feinde gestellt hast! Was tust du, wenn du eine Sünde begehst? Du stellst deinen Erlöser auf gleiche Stufe mit einem verächtlichen Geschöpf. Zaudern bei der Wahl zwischen Gott und deiner verderblichen Lust, heißt schwanken zwischen Jesus und Barabbas. Gestehe in Demut und Reue, daß du deinem Erlöser gar oft diese Schmach angetan hast!
III Die Frau des Pilatus verwendet sich zugunsten Jesu
Während er auf dem Richterstuhl saß, ließ seine Frau ihm sagen: «Hab nichts zu schaffen mit jenem Gerechten! Denn ich habe seinetwegen heute im Traum viel ausgestanden.»
Höre die schüchterne Stimme einer heidnischen Frau zugunsten Jesu. Wie schnell entschlossen verwendet sie sich für den Heiland! Beschämt sie dich nicht bei manchen Gelegenheiten, wo du für den verkannten und mißachteten Gottessohn eintreten könntest und müßtest? Soll der Jünger sich in ein bequemes Schweigen hüllen, wenn ein schwaches Weib es wagt, für den verachteten Erlöser einzutreten?
Diese Frau ist wie ein guter Schutzgeist des Pilatus. Wird er ihre Warnung zu seinem Heil benützen? Leider nicht, denn die Pflicht der Gerechtigkeit liegt ihm nicht am Herzen. Er denkt nur an sich und möchte sich bei den Juden nicht unbeliebt machen. Statt kraftvoll von seiner Autorität Gebrauch zu machen, begnügt er sich mit Vorstellungen. Durch seine feige Nachgiebigkeit verhilft er dem Unrecht zum Sieg.
Die ganze Verantwortung des Urteils fällt auf Pilatus! Beklage ihn und lerne hier, dich selbst zu beherrschen und auch dein Ansehen bei andern in der rechten Weise auszunützen. Lerne, Jesus aus den Händen seiner Feinde zu erretten und seiner Lehre, seinen Grundsätzen trotz allem Widerspruch zum Sieg zu verhelfen. Befestige dich in der Abscheu gegen alle feigen Zugeständnisse, welche die Wahrheit entstellen!