303. Die letzten Stunden Jesu

(Lk 23, Mt 27, Mk 15)

 

I Die Verfinsterung der Sonne

Von der sechsten Stunde an brach eine Finsternis über das ganze Land herein bis zur neunten Stunde. Die Sonne verfinsterte sich.

Verweile in immer tieferer Sammlung am Fuß des Kreuzes! Selbst die Natur legt Trauer an beim Tode ihres Schöpfers, sie bedeckt sich mit Finsternis und mahnt uns, im übernatürlichen Licht die Leiden des Erlösers zu betrachten. Sie hüllt sich in tiefes Schweigen, damit die Stimme des Gottessohnes leichter vernehmlich wird. Sie durchbricht die Schranken ihrer Gesetze, um die leichtsinnigen Seelen zu erschüttern und zum Nachdenken zu zwingen. Versenke dich in das Dunkel dieses großen Geheimnisses; erflehe dir vom Heiligen Geist Licht, um die Gedanken Gottes zu erkennen.

Betrachte, wie Jesus am Kreuz betet! Er empfiehlt der göttlichen Barmherzigkeit alle, die Ihm teuer sind. Er betet auch für dich und bittet Gott um Verzeihung für deine Sünden. Er erfleht für dich und alle, die du liebst, die ewige Seligkeit.

Er bietet dir in seinem Blut das wirksamste Heilmittel für deine Fehler und den besten Ersatz für deine Unvollkommenheit an. Er trinkt den bitteren Kelch bis zur Neige, um dir die Bitterkeit der Demütigungen zu versüßen. Er stellt dir die kostbare Perle zur Verfügung, mit der du die ewigen Güter erkaufen kannst. So gibt Er dir einen unwiderleglichen Beweis, daß Er dich nie verlassen wird. Mit dem letzten Tropfen seines Blutes unterzeichnet Er den Vertrag, durch den du ganz Ihm gehörst und Er ganz dein ist für Zeit und Ewigkeit.

 

II Die Gottverlassenheit Jesu

Um die neunte Stunde rief Jesus mit lauter Stimme: «Eli, Eli, lama sabachthani?», das heißt: «Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?»

Höre den Ruf äußerster Trostlosigkeit, der sich dem Herzen deines sterbenden Erlösers entringt. Was bedeutet diese Klage? Fällt denn kein erfrischender Tau, kein belebender Strahl vom Himmel? Ist die Liebe des Vaters zum Sohn erloschen? Oder ist der Heiland des Leidens müde? Nein! Aber Jesus will vor seinem Tode alle Trostlosigkeit und Verlassenheit der Menschen in seinem Herzen empfinden. Er lädt die trostlosen Seelen ein, sich in den Abgrund seiner Gottverlassenheit zu versenken und bietet ihnen dort eine Zuflucht.

«Mein Gott, warum hast Du mich verlassen?» Jesus weiß die Antwort auf diese Frage, aber Er stellt sie um unseretwillen. Höre, was der Vater seinem Sohn antwortet: «O mein Sohn, ich überlasse dich der Trostlosigkeit, um diejenigen, für die Du sterben willst, zu retten. Ihre Liebe zu dir wird durch das Übermaß deiner Leiden gesteigert. Ich verlasse dich also, um sie dir näher zu bringen. Sie werden sich um so inniger dir hingeben, je mehr Du für sie gelitten hast. Deine Trostlosigkeit wird sie mit Opfermut erfüllen. Die Weinenden werden ihre Tränen trocknen, die Armen sich in ihr Schicksal ergeben, die Schwachen Vertrauen schöpfen. Die Waisen finden einen Vater, die Verlassenen einen Freund.» So spricht der Vater zu seinem Sohn.

Sammle diese Worte, welche vom Himmel herabkommen, und suche damit deinen sterbenden Heiland zu trösten. Zeige dich bereit, seine inneren Leiden zu teilen!