Eine Betrachtung über die göttliche Liebe

 

Erste Erwägung: die Wohltaten Gottes

Gott ist unser größter Wohltäter. Die ganze Welt und alles, was sie enthält, hat Gott für uns und zu unserem Wohl geschaffen.

 

Die allgemeinen Wohltaten

Wir sollen uns jene Gaben ins Gedächtnis rufen, die Gott allen Menschen schenkt. Die irdische Schöpfung mit den vielen Wundern der Natur, ihren Schönheiten, ihrer Harmonie und ihrer weisen Ordnung. Schaut an einem schönen Tag in die Welt, in das Bilderbuch des lieben Gottes. Betrachtet den Abglanz seiner Schönheit im Großen, in der Majestät der Berge, in der Weite des Meeres, in der Unermeßlichkeit des Firmaments. Die Lieblichkeit im Kleinen, in den Blumen, im duftenden Veilchen, in der Rose, im Edelweiß, in der sprudelnden Quelle, in einem glitzernden Stein. Die Liebe Gottes hat dies alles ersonnen, um uns Freude zu bereiten.

Noch wunderbarer strahlt die göttliche Liebe auf in den übernatürlichen Gnaden: Das Wirken unseres Herrn Jesus Christus, seine Lehre, seine tröstenden Worte, die Wunder und vielen Wohltaten, die Er für uns alle gewirkt hat. Die Fortsetzung des Erlösungswerkes durch die Sakramente, besonders durch die hl. Eucharistie, welche die Sonne unserer Religion ist mit der hl. Messe und ihrem unerschöpflichen Gnadenstrom, das ganze Wirken der Kirche mit ihrem Priestertum, mit ihrer beglückenden Lehre und die Einladung zur ewigen Glückseligkeit! — Gott erweist uns all das als reines Geschenk, denn er schuldet uns überhaupt nichts. Welch unfaßbare Liebe!

 

Die Gaben, die Gott mir persönlich geschenkt hat

Gott hat gewisse Dinge nur mir allein, vielleicht sogar einmalig und nur für mich geschenkt. So hat er mich ins Leben gerufen und mir durch einen besonderen Schöpfungsakt die unsterbliche Seele eingehaucht, weil Er mich von Ewigkeit her liebt. Er hat mir Talente und Vorzüge geschenkt, die nur mir eigen sind.

Viele Menschen sind unzufrieden, weil sie so sein möchten, wie andere, die sie törichterweise beneiden. Nein, ich muß doch mich selbst sein und mit dem wirken, was Gott in mich hineingelegt hat! Es tut gut, einmal die eigenen guten Eigenschaften näher anzuschauen, um sich in dankbarem Stolz in Gott zu freuen. Da gibt es gewiß natürliche Vorzüge: Fähigkeiten für den Beruf, vielleicht handwerkliche oder gar künstlerische Talente. Oder auch eine besondere Seelenstärke zum Üben der Geduld, der Einfühlung, der Hilfsbereitschaft gegenüber dem Nächsten; vielleicht sogar die Kraft, Leiden und Krankheiten mit Ergebenheit aushalten zu können, und vieles mehr. Es soll mir bewußt werden: ich bin kein Massenmensch, ich bin als Person vor Gott einzigartig und soll im himmlischen Chor einmal eine eigene, unersetzliche und vollendete Stimme singen!

 

Noch beglückender ist die Betrachtung der persönlich empfangenen Gnaden

Gott hat mich am Leben erhalten und mir sein göttliches Leben in der Taufe geschenkt. Was Großes ist die Taufgnade: sie ist der Anfang des ewigen Lebens, durch die Taufe bin ich Kind Gottes!

Er hat mir durch meine Eltern den wahren Glauben geoffenbart und bis heute erhalten — eine ganz unverdiente Gnade und eine Auserwählung unter Millionen! Ich durfte gefirmt werden und so oft die heilige Kommunion empfangen! Wer überdies auserwählt ist zur Nachfolge Christi im Ordensstand oder gar im Priestertum, welch ein Glück! Und wie oft hat Gott die Schuld von meiner Seele genommen in der heiligen Beichte. — Wie gut ist doch der Herr, wie unendlich seine Barmherzigkeit!

Er schenkt mir auch seine helfende Gnade auf Schritt und Tritt. Wir könnten ja aus uns selbst nicht einmal etwas Gutes denken wollen, wenn Gott nicht seine Anregung dazu gäbe, geschweige denn etwas Heiliges vollbringen, ohne daß Gott uns stärken und es in uns wirken würde. Ein heiliger Bischof sprach zu seinen Priestern: «Wie werden wir einst staunen im Himmel, wenn wir klar erkennen, wie sehr wir in unserem Leben von Gott abhängig und ganz von ihm umsorgt und getragen waren!»

Wer könnte bei solchen Erwägungen seine Seele der Unzufriedenheit oder gar der Trübsal überlassen?

 

Betrachten wir die Eigenschaften der göttlichen Liebe:

1. Die Liebe Gottes ist wirksam. Gott zeigt uns seine Liebe nicht nur durch wohlwollende Gedanken, sondern auch durch die Tat. Man denke nur an die unermeßliche Sorgfalt; mit der Gott bei der Schöpfung zu Werke ging, wo Er jedes Atom der kleinsten und größten Geschöpfe geordnet hat. Betrachte das Leben unseres Herrn Jesus Christus, wie Er sich abgemüht hat für uns durch sein Leiden und Sterben.

2. Die Liebe Gottes ist ohne Maß. Er schenkt immer alles und sich selber ganz und gar. Gott behält sich nichts vor, sondern gibt uns als seinen Kindern durch die heiligmachende Gnade ganz Anteil an seiner göttlichen Natur (vgl. 2 Petr 1, 4).

3. Die Liebe Gottes ist unermüdlich. «Da er die Seinen liebte, liebte Er sie bis zur Vollendung.» So sagt der hl. Evangelist Johannes beim Abendmahl vom Herrn (Joh 13, 1). Die göttliche Liebe ist immer tätig und begnügt sich nicht damit, in uns das Gute zu erschaffen, sondern seine Liebe ist erst zufriedengestellt, wenn Er uns im Himmel in seinem ewigen Glück vollendet sieht.

 

Unsere Antwort auf die göttliche Liebe

Diese Erwägungen sollten uns zeigen, daß sich die Liebe nicht auf fromme Gefühle beschränkt, sondern für den Geliebten tätig werden will. Der hl. Ignatius sagt deshalb: «Ich will mit großer Hingebung erwägen wie Großes Gott unser Herr für mich getan und wie viel Er mir von dem gegeben hat, was Er besitzt, und folgerichtig, wie sehr derselbe Herr danach verlangt, sich selbst mir zu geben, soweit Er es nur vermag gemäß seiner göttlichen Herablassung. Und dann lenke ich meine Gedanken auf mich selbst und erwäge mit viel Begründung und Gerechtigkeit, was ich von meiner Seite seiner göttlichen Majestät anbieten und geben muß, nämlich alles, was ich habe, und mich selbst dazu, wie einer, der es mit großer Hingabe darbietet:

Nimm Dir, Herr, und nimm an meine ganze Freiheit, mein Gedächtnis, meinen Verstand und meinen ganzen Willen, mein ganzes Haben und Besitzen. Du hast es mir gegeben, zu Dir, Herr, wende ich es zurück; das Gesamte ist dein; verfüge nach deinem Willen, gib mir nur deine Liebe und Gnade, das ist mir genug.»

Ja, wer könnte angesichts dieser unendlichen Liebe Gott, dem Herrn, noch etwas verweigern wollen oder Ihm einen Winkel im Herzen verschließen, den wir in falschem Mißtrauen oder Egoismus Gott nicht zu öffnen bereit wären.

Wer wollte sich beschränken und sich nur mit einer mittelmäßigen Frömmigkeit begnügen, anstatt sich in eifrigem Streben und flammender Liebe Gott täglich neu hinzugeben? Wer Gott seinen Willen schenkt, indem er sich immer wieder bemüht, auf den seit der Erbsünde verkehrten Eigenwillen und Eigensinn zu verzichten, der zeigt, daß er Gott wirklich liebt.

Wie sehr müssen wir Gott um die Vermehrung unserer schwachen Liebe bitten, bis die Gottesliebe unsere Eigenliebe überwiegt und wir endlich ohne Wenn und Aber bereit sind zu allem, was Er von uns verlangt.