Die Art und Weise, vertraulich mit Gott umzugehen
Heiliger Alfons Maria von Liguori
Inhalt
Vorwort
Die Art und Weise, immer vertraulich mit Gott umzugehen
Eine Anleitung wie du alle deine Handlungen
Gott recht wohlgefällig machen kannst
Von der Liebe Gottes und den Mitteln, dieselbe zu erlangen
Gebet
Sichere Merkmale, an denen man erkennen kann,
ob man Gott wahrhaft liebt
Vorwort
Auch wenn der hl. Alfons Maria von Liguori (1696‑1787) eine französische Vorlage benutzt hat, offenbart seine Abhandlung „Die Art und Weise, immer vertraulich mit Gott umzugehen“ eine große Ähnlichkeit seiner Spiritualität mit der der hl. Theresia vom Kinde Jesu, in deren Jubiläumsjahr zum 100. Todestag wir uns befinden. Im Manuskript C ihrer autobiographischen Aufzeichnungen beschreibt die Heilige, wie sie ihren Weg der geistlichen Kindschaft gefunden hat. Sie habe einen neuen, geraden und kurzen Weg zur Heiligkeit gesucht und sei dabei in der Heiligen Schrift auf die Worte gestoßen: „Ist jemand ganz klein, so komme er zu mir“ (Spr 9,4). Dann fährt sie fort: „So kam ich denn, ahnend, daß ich gefunden hatte, was ich suchte, und weil ich wissen wollte, o mein Gott! was du dem ganz Kleinen tätest, der deinem Ruf folgen würde, setzte ich meine Erkundigungen fort, und schauen Sie, was ich fand: ‑ Wie eine Mutter ihr Kind liebkost, so will ich euch trösten; an meiner Brust will ich euch tragen und auf meinen Knien euch wiegen! Ach! niemals sind zartere, lieblichere Worte erfreuend an meine Seele gedrungen.“ Genau diese Worte aus dem Propheten Isaias (66,13.12) führt der hl. Alfons an, um den zärtlichen Empfang zu beschreiben, den Gott jenem bereitet, der sich ihm mit dem Vertrauen, der Offenherzigkeit und der Zärtlichkeit eines Kindes naht. Dann fährt er fort: „Gleichwie eine Mutter ihre Freude daran findet, wenn sie ihr geliebtes Kind auf den Schoß nehmen, es da nähren und liebkosen kann, ebenso freut Sich Gott, wenn Er auf gleiche Weise Seelen behandeln kann, die sich Ihm ganz geschenkt haben und die auf Seine Güte all ihr Vertrauen setzen."
Vielleicht als eine Bestätigung dieser Spiritualität der geistlichen Kindschaft darf die Tatsache gedeutet werden, daß Gott seinen treuen Diener nach dessen Tod durch den Mund von Kindern hat verherrlichen lassen. Über die erste Zeit nach seinem Begräbnis schreibt sein Biograph Tannoja: „Ein wahrhaft Verwunderung erweckender Umstand war der Zulauf der vielen unschuldigen Kinder; sie kamen in großer Menge, ließen sich bei dem Grab auf die Knie nieder, empfahlen sich Alfonsen, nannten ihn einen Heiligen, und küßten wiederholt den Stein mit allen Beweisen der Andacht und der Liebe.“ Dilgskron, dessen Biographie wir dieses Zitat entnommen haben (Regensburg 1887, Bd. 2, S. 501), führt aus den Akten des Seligsprechungsprozesses noch das Zeugnis von Kanonikus Gaetano Fusco an, der sich am Tag nach der Beerdigung des Heiligen ein Bildchen desselben verschafft hatte. Dieser berichtet: „Ich ließ nun meinen Neffen Giuseppe Fusco bringen.., und zeigte ihm in Gegenwart der Verwandten das Bildchen. Der Knabe blickte es etwa während der Zeit eines Ave Maria aufmerksam an, dann fing er, trotzdem er noch im zartesten Alter stand und kaum zu reden begonnen hatte, wie verzückt und außer sich zu unserer höchsten Erstaunung und zu unserer tiefsten Rührung zu rufen an: ‘Alfonso, Alfonso!’ Er deutete mit dem Finger auf das Bild, erhob seine kleinen Hände und Augen zum Himmel und fuhr fort: ‘Im Himmel, im Himmel!’ Und voll Entzückung, Freude und Jubel wiederholte er dieselben Worte: ‘Alfonso, Alfonso, der Heilige, der Heilige.’ (...) Bei diesem ungewohnten, wunderbaren Schauspiele wurde ich wie die Hausgenossen aufs Äußerste überrascht; einerseits weil wir das Kind ganz flüssig sprechen, andererseits weil wir aus seinem Munde einen Namen hörten, den es weder damals noch früher, weder von uns noch von andern Personen vernommen und so sprechen gelernt haben konnte."
Die Beliebtheit der heiligen Theresia von Lisieux zeigt, wie sehr der Weg der geistlichen Kindheit den tiefsten Sehnsüchten des auf die göttliche Liebe angewiesenen menschlichen Herzens entspricht. Die Heilige wollte nach ihrem Tod diesen Weg viele Seelen lehren. Möge dazu auch die vorliegende Schrift des heiligen Alfons bei tragen, der zwei Jahre vor der Geburt der kleinen Theresia zum Kirchenlehrer ernannt wurde. Im Himmel gibt es ja keine Konkurrenz unter den Heiligen, sondern nur vollendete Harmonie im Zusammenwirken und in der Bezeugung des Wortes des Herrn, das für alle Zeiten gilt: „Ich preise Dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, daß Du dies vor Weisen und Klugen verborgen, den Kleinen aber geoffenbart hast“ (Mt 11,25).
Wigratzbad, den 13. August 1997, P. Engelbert Recktenwald
Die Art und Weise, immer vertraulich mit Gott umzugehen
1. Als der heilige Mann Job betrachtete, welche Sorge Gott fortwährend um das Wohl der Menschen trägt, so daß es scheint, es liege Ihm nichts mehr am Herzen, als uns zu lieben und unsere Gegenliebe zu erlangen, rief er aus: „Was ist der Mensch, daß du ihn erhebest, oder warum wendest du dein Herz ihm zu“ (Job 7,17).
Daraus sieht man, daß man sich irrt, wenn man glaubt, man fehle an der Achtung, die man der unendlichen Majestät Gottes schuldig ist, wenn man sich Ihm mit großem Vertrauen und voll Offenherzigkeit nähert. Freilich müssen wir Gott voll Demut verehren und uns in Seiner Gegenwart erniedrigen, besonders wenn wir daran denken, wie undankbar wir gewesen sind und welche Beleidigungen wir Ihm früher zugefügt haben, aber das darf uns dennoch nicht abhalten, mit der innigsten und vertrauensvollsten Liebe, deren wir nur fähig sind, mit Ihm umzugehen. Gott ist die unendliche Herrlichkeit, aber Er ist auch die unendliche Güte und Liebe. Wir können uns keinen mächtigeren Herrn denken als Gott, aber wir können uns auch niemanden vorstellen, der uns inniger lieben könnte als Er. Gott ist nicht ungehalten auf uns, nein, Er freut sich, wenn wir mit demselben Vertrauen, mit derselben Offenherzigkeit und Zärtlichkeit, die ein Kind zu seiner Mutter trägt, mit Ihm umgehen. Er selbst lädt uns ein, uns Ihm zu nähern, und verspricht uns den zärtlichsten Empfang: „An den Brüsten wird man euch tragen, und auf den Knien euch liebkosen: wie einen, der seine Mutter liebkoset, so will ich euch trösten“ (Is 66,12). Gleichwie eine Mutter ihre Freude daran findet, wenn sie ihr geliebtes Kind auf den Schoß nehmen, es da nähren und liebkosen kann, ebenso freut sich Gott, wenn Er auf gleiche Weise Seelen behandeln kann, die sich Ihm ganz geschenkt haben und die auf Seine Güte all ihr Vertrauen setzen.
2. Sei überzeugt, geliebte Seele, daß du keinen Freund, keinen Bruder, keinen Vater, keine Mutter, keinen Gatten, daß du niemanden hast, der dich mehr liebt als dein Gott. Die Gnade Gottes ist jener Schatz, durch den wir aus verächtlichen Geschöpfen und Knechten die geliebten Freunde unseres Schöpfers werden: „Denn sie ist ein unerforschlicher Schatz für die Menschen, wer ihn benutzet, wird der Freundschaft Gottes teilhaftig“ (Weish 14). Um unser Vertrauen zu vermehren, hat Gott Sich selbst vernichtet, Er ist Mensch geworden, damit Er um so vertraulicher mit uns umgehen könne: „Er wandelte unter den Menschen“ (Baruch 3,38).
Damit unser Vertrauen zu Ihm wachse, ist er als Kind auf Erden erschienen, ist er arm geworden, hat er am Kreuze sterben wollen, bleibt Er unter den Gestalten des Brotes bei uns, wird er unser Genosse auf Erden, vereinigt Er Sich aufs innigste mit uns: „Wer mein Fleisch ißt und mein Blut trinket, der bleibt in mir und ich bleibe in ihm“ (Jo 6,56). Aus dem allem siehst du, geliebte Seele, daß Seine Liebe zu dir so groß ist, daß es scheint, Er liebe nur dich alleine; so mußt denn auch du nichts anderes als Gott allein lieben, so daß du Ihm mit der Braut im Hohenlied zurufen könnest: „Mein Geliebter ist mein und ich bin sein.“ Gott hat sich ganz mir geschenkt, ich will Ihm ganz angehören, Er hat mich als Gegenstand Seiner Liebe erwählt, ich will nur Ihn alleine lieben: „Mein Geliebter ist weiß und rot, auserwählt aus Tausenden“ (Hl 5,15).
3. Du mußt häufig zu Gott sprechen: Warum liebst Du mich so sehr? Was findest Du Gutes an mir? Hast Du vergessen, wie oft ich Dich beleidigt habe? Wäre es möglich, daß ich in der Folge etwas anderes liebte als Dich, mein höchstes Gut, mein alles, der Du statt mich zur Hölle zu verdammen, wie ich es verdient habe, mich mit Gnaden überhäufest.
Liebenswürdigster Gott! Am meisten betrübt es mich, daß ich durch meine früheren Sünden Dir, der Du eine unendliche Liebe verdienst, mißfallen habe, und dieser Gedanke schmerzt mich mehr, als wenn ich an die Strafe denke, die ich dafür verdient habe. „Aber ein zerknirschtes und gedemütigtes Herz wirst Du, o Gott nicht verachten“ (Ps 50,19). O wenn ich doch in der Folge in diesem und in jenem Leben nichts wünschte als Dich allein: „Was habe ich im Himmel, und was liebe ich auf Erden außer Dir, Gott meines Herzens und mein Teil in Ewigkeit“ (Ps 72,26). Du allein bist und bleibst der alleinige Herr meines Herzens, meines Willens, Du allein bist mein einziges Gut, mein Himmel, meine Hoffnung, meine Liebe, mein alles: „Gott meines Herzens, mein Teil in Ewigkeit!"
4. Um dein Vertrauen auf Gott, geliebte Seele, zu vermehren, so bedenke häufig, wie liebevoll Er dich bisher geleitet, welche Mittel Er angewandt hat, damit du der ungeordneten Lebensweise, die du früher geführt, und der Anhänglichkeit an irdische Dinge entsagen mögest, und damit Er dich bewege, Ihn zu lieben. Wenn du entschlossen bist, Gott zu lieben und Ihm so sehr zu gefallen, als du es nur vermagst, so mußt du fürchten, wenn du nur mit geringem Vertrauen dich deinem Gott nahest. Die Barmherzigkeit, die Gott an dir geübt hat, ist das sicherste Zeichen der Liebe, die Er zu dir trägt. Es mißfällt aber Gott, wenn Seelen, die Ihn wahrhaft lieben und die Er liebt, Ihm noch mißtrauen. Wenn du also Seinem liebevollen Herzen gefallen willst, so mußt du von heute an mit dem größten Vertrauen, mit all der Zärtlichkeit, deren du fähig bist, mit Gott umgehen: „Siehe, in meine Hände habe ich dich gezeichnet, deine Mauern sind immerdar vor meinen Augen“ (Is 49,16). Warum fürchtest du dich, geliebte Seele? Warum bist du so zaghaft? Ich, dein Gott, habe dich in meine Hände gezeichnet, damit ich nie vergesse, dir Gutes zu erweisen. Fürchtest du etwa deine Feinde? Wisse, daß ich stets darauf bedacht bin, dich zu verteidigen, da es mir unmöglich ist, dich zu vergessen. Deshalb rief David jubelnd aus: „Herr, wie mit einem Schilde hast Du mit Deinem guten Willen uns gekrönt“ (Ps 5,13). Wenn Du, o Herr, mit Deiner Güte und Liebe uns verteidigst und von allen Seiten beschützest, wer kann alsdann uns schaden? Aber vor allem mußt du dein Vertrauen stärken durch den Gedanken an das große Geschenk, das Gott gemacht, da Er uns Jesum Christum gegeben hat: „Denn also hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingeborenen Sohn dahingab“ (Jo 3,16). Wie können wir auch nur fürchten, ruft der Apostel aus, daß Gott uns noch irgend ein Gut versagen werde, nachdem Er uns Seinen eigenen Sohn geschenkt hat: „Für uns alle hat er ihn gegeben, sollte er nicht auch mit ihm uns alles geschenkt haben?“ (Röm 8,32).
5. „Meine Lust ist es, bei den Menschenkindern zu sein“ (Spr 8,31). Das Herz des Menschen ist, so zu sagen, ein Paradies für Gott. Gott liebt dich, so liebe denn auch du deinen Gott. Es gewährt Ihm Freude, wenn Er bei dir sein kann; lasse es denn auch deine Freude sein, mit Ihm vereinigt zu leben und dein ganzes Leben hindurch bei dem zu bleiben, in dessen liebenswürdigster Gesellschaft du die selige Ewigkeit zuzubringen hoffst.
6. Gewöhne dich denn also, geliebte Seele, ganz allein und verborgen, vertraulich und voll Zuversicht mit Gott zu reden, gleichwie mit deinem teuersten und geliebtesten Freunde. Wie gesagt, es ist ein großer Irrtum, wenn man meint, zaghaft und wie ein ängstlicher Sklave, der furchtsam und zitternd seinem Herrn nahet, mit Gott umgehen zu müssen. Aber man würde sich noch mehr irren, wenn man meinte, der Umgang mit Gott sei bitter und langweilig: „Denn sein Umgang hat nichts Bitteres und seine Gesellschaft nichts Widriges“ (Weish 7,16). Frage jene Seelen, die wahrhaft Gott lieben, und sie werden dir bekennen, daß sie in den Leiden des Lebens keinen größeren Trost finden als den liebevollen Umgang mit Gott.
7. Man verlangt nicht von dir, daß du unausgesetzt deinen Geist anstrengst, und deshalb deinen gewöhnlichen Beschäftigungen und der erlaubten Erholung entsagest, man will nichts anderes, als daß, ohne deine gewöhnlichen Beschäftigungen zu verlassen, du dich gegen Gott ebenso verhältst wie gegen jene, die du liebst und die dich lieben.
8. Gott ist immer in deiner Nähe, Er ist in deinem Herzen: „Denn in Ihm leben wir, und bewegen uns und sind wir“ (Apg 17,28). Du brauchst dich nicht durch einen Dritten anmelden zu lassen, denn Gott wünscht, daß du dich voll Vertrauen unmittelbar an Ihn wendest. Rede mit Ihm von deinen Geschäften, von deinen Plänen, von deinen Leiden, von deinen Ängsten, von allem, was dein ist. Tue das mit großem Vertrauen und offenherzig, denn Gott pflegt nicht mit denen zu reden, die sich nicht zuerst an Ihn wenden; auch würden sie Ihn nicht verstehen, da sie sich nicht an Seinen Umgang gewöhnt haben. Darüber beklagt sich Gott im Hohenlied (Hl 8,8), da Er fragt: „Unsere Schwester ist klein, was sollen wir mit ihr tun?“ Ihre Liebe ist so gering, was soll ich tun, sie versteht mich noch nicht! Wenn wir Gottes Gnade verachten, dann will Er, daß wir in Ihm einen mächtigen und furchtbaren Herrn kennenlernen, aber solange wir Ihn lieben, will er, daß wir Ihn gleich wie unseren geliebtesten Freund behandeln, und daß wir voll Vertrauen und ohne alle Scheu mit Ihm reden.
9. Es ist wahr, daß du Gott immer die größte Ehrfurcht erweisen mußt, aber wenn Er dir die Gnade erzeigt und dir deutlich Seine Gegenwart und Seinen Wunsch zu erkennen gibt, daß du mit Ihm, der dich über alles liebt, redest, dann mußt du offen und voll Vertrauen ausrufen: „Gott kommt denen zuvor, die nach Ihm verlangen, um sich ihnen zu zeigen“ (Weish 6,14). Wenn du Ihn wahrhaft zu lieben begehrst, so wartet Er nicht ab, daß du Ihm entgegengehst, nein, Er kommt dir zuvor und bietet dir die Gnaden und Heilsmittel an, derer du bedarfst. Er wartet nur darauf, daß du Ihn anredest, um dir zu zeigen, wie nahe Er dir ist, und wie bereit Er ist, dich zu erhören und zu trösten.
10. Weil Gott unermeßlich ist, so ist Er allenthalben gegenwärtig; aber Er befindet sich an zwei Orten auf eine ganz besondere Weise, nämlich im Himmel, wo Er in Seiner Glorie, die Er den Heiligen mitteilt, thronet ‑ und auf Erden, in einer demütigen Seele, die Ihn liebt: „Denn er wohnt bei denen, die zerknirscht und demütigen Geistes sind“ (Is 57,15). Obschon Gott in Seiner Herrlichkeit im Himmel wohnt, so verschmäht Er es dennoch nicht, Tag und Nacht Sich mit Seinen treuen Dienern in Einöden und stillen Kammern zu unterhalten, um ihnen daselbst jene göttlichen Tröstungen zukommen zu lassen, deren einzige alle Freuden der Welt weit übertrifft, und die man nur deshalb nicht wünscht, weil man sie nicht kennt: „Verkostet und seht, denn der Herr ist süß“ (Ps 33,9).
11. Freunde kommen an festgesetzten Stunden zusammen, um sich miteinander zu unterhalten, müssen sich aber wieder trennen; allein wenn du willst, brauchst du dich nie von Gott zu trennen: „Du wirst ruhen, und dein Schlaf wird süß sein, denn der Herr ist zu deiner Rechten“ (Spr 4). Gott wacht an deiner Seite, wenn du schläfst, Er verläßt dich nicht, Er denkt unausgesetzt an dich, damit wenn du in der Nacht erwachest, Er durch Seine Einsprechungen mit dir reden, von dir einige Akte der Liebe, der Hingabe in Seinen Willen und der Danksagung empfangen könne, und damit Er auf solche Weise Seine süße und liebevolle Unterhaltung mit dir nie unterbreche. Ja, manchmal läßt dich Gott sogar, während du schläfst, Seine Stimme vernehmen, damit, nachdem du erwacht bist, du sogleich Seinen Willen erfüllen könnest: „Im Traum will ich zu ihm reden“ (Nm 12,6).
12. Früh Morgens, wenn du erwachst, erwartet dich der Herr, um einige Worte der Liebe und des Vertrauens von dir zu vernehmen, Er wartet, um deine ersten Gedanken und alle Handlungen, die du den Tag über aus Liebe zu Ihm verrichten, um alle Leiden, die du, um Ihn zu verherrlichen, erdulden willst, in Empfang zu nehmen. Aber gleichwie Er alsdann nie ermangelt, Sich einzustellen und dich zu wecken, so darfst auch du nie unterlassen, Ihn sogleich liebevoll anzublicken und dich zu freuen über die fröhliche Nachricht, daß dein Gott nicht mehr, gleich wie zu jener Zeit, da die Sünde dich von Ihm trennte, fern ist, du mußt dich alsbald freudig daran erinnern, daß Er dich liebt, daß Er deine Liebe begehrt, daß Er Selbst dir zuruft: „Du sollst den Herrn, deinen Gott lieben, aus deinem ganzen Herzen“ (Nm 6,5).
13. Mache es nicht wie die meisten Menschen, fliehe niemals die süße Gegenwart Deines Gottes, rede mit Ihm, sooft du kannst, denn Er wird deshalb nie ungeduldig und ungehalten, gleich den Herren dieser Welt; wenn du Ihn wahrhaft liebst, so wirst du Ihm auch jedesmal etwas mitzuteilen haben. Erzähle Ihm alles, was dich und deine Angelegenheiten betrifft, gleich als ob du einen guten Freund vor dir hättest. Du mußt nicht meinen, Gott gleiche einem mächtigen Fürsten, der nur mit vornehmen Leuten umgehen will, und der nur über wichtige Angelegenheiten reden mag. Gott läßt Sich gerne zu uns herab, Er freut Sich, wenn wir Ihm unsere kleinsten und unbedeutendsten Angelegenheiten mitteilen. Er liebt dich so sehr und trägt so große Sorge um dich, daß es scheint. Er habe an nichts anderes als an dich allein zu denken. Er ist so sorgfältig auf deinen Vorteil bedacht, daß es scheint, als ob Seine Vorsehung Ihm nur dazu diene, dir beizustehen, Seine Allmacht, dir zu helfen, Seine Barmherzigkeit und Güte, Mitleid mit dir zu tragen, dir Gutes zu tun, und durch Seine zarte Liebe dein Vertrauen, deine Liebe zu gewinnen. So öffne du Ihm denn auch ganz freimütig dein Inneres und bitte Ihn, Er wolle dich also leiten, daß du immer aufs vollkommenste Seinen heiligen Willen erfülltest, und daß alle deine Wünsche und Pläne nichts anderes bezwecken als Sein Wohlgefallen: „Bitte Gott, daß er deine Wege leite, und daß alle deine Anschläge in ihm verbleiben“ (Tob 4,20).
14. Wende nicht ein, daß es unnötig sein würde, Gott deine Bedürfnisse mitzuteilen, da Er sie besser kenne, als wir selbst. Er kennt sie, aber Er handelt gegen uns, als ob Er nichts wisse von all dem, was wir Ihm verschweigen, und um was wir bei Ihm keine Hilfe suchen. Unser Heiland wußte, daß Lazarus gestorben war, aber Er gab dies erst zu erkennen, nachdem Magdalena es Ihm gesagt hatte, worauf Er sie alsbald mit dem Versprechen tröstete, daß ihr Bruder auferstehen werde.
15. Auch mußt du, wenn eine Krankheit, eine Versuchung oder Verfolgung über dich kommt, alsbald zum Gebete deine Zuflucht nehmen, damit der Herr dir beistehe. Es genügt, wenn du Ihm zurufst: Blicke auf mich, o Gott, denn ich werde geplagt. Er wird dich alsdann gewiß trösten, oder dir wenigstens Kraft geben, geduldig dein Leiden zu ertragen, was dir oft nützlicher sein wird, als wenn Er dich ganz davon befreie. Sage Ihm, welche Gedanken dich peinigen, was du fürchtest, warum du traurig bist, sprich zu Ihm: O mein Gott! Auf Dich setze ich alle meine Hoffnung, ich opfere Dir dies Leiden auf, ich ergebe mich ganz in Deinen heiligen Willen, habe Mitleid mit mir, befreie mich von der Last, die mich niederdrückt, oder gib mir wenigstens Kraft, sie zu tragen. Das Versprechen, das Er im Evangelium gegeben hat, alle Leidenden zu trösten und ihnen, sooft sie zu Ihm ihre Zuflucht nehmen, beistehen zu wollen, wird Er alsdann erfüllen: „Kommt zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, und ich will euch erquicken“ (Mt 12,18).
16. Gott wird nicht unwillig, wenn du in deinen Leiden Trost bei deinen Freunden suchst, aber Er will, daß du hauptsächlich zu Ihm deine Zuflucht nehmest. Hast du dies unterlassen, so mußt du wenigstens, nachdem du bei den Geschöpfen Hilfe gesucht und keinen Trost gefunden hast, dich zu deinem Schöpfer wenden und Ihm sagen: Herr, die Menschen haben nur Worte, sie können mich nicht trösten, ich entsage jetzt ihren Tröstungen, Du allein bist meine Hoffnung, meine Liebe. Tröste mich, o mein Gott! Gib, daß mein Trost darin bestehe, jetzt zu tun, was Dir am meisten gefällt, ich bin bereit, dies Leiden mein ganzes Leben hindurch zu erdulden, ich will es die ganze Ewigkeit ertragen, wenn es Dir also gefällt, stehe Du mir nur bei.
17. Fürchte nicht, daß du Gott mißfallest, wenn du manchmal dich zärtlich bei Ihm beklagst und Ihm sagst: Herr, warum bist Du so fern von mir? Du weißt, mein Gott, daß ich nichts anderes als Deine Liebe begehre, komme mir aus Liebe zu Hilfe, verlasse mich nicht! Dauert dein Leiden zu lange, ist deine Angst allzu groß, so mußt du dich dem betrübten und sterbenden Jesus am Kreuze vereinigen, und um Barmherzigkeit flehen und ausrufen: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Mt 27,46). Deine Leiden müssen dir dazu dienen, dich immer mehr vor Gott zu verdemütigen, wenn du bedenkest, daß, wer Gott beleidigt hat, keinen Trost verdient, und um dein Vertrauen zu vermehren, da du weißt, daß Gott uns alle Leiden für unser Bestes schickt oder daß Er sie deshalb zuläßt: „Alles wirkt ihnen zum Guten“ (Röm 8,28). Wenn du aber von Mißtrauen und Angst gepeinigt wirst, so rufe voll Zuversicht aus: „Der Herr ist mein Licht und mein Heil, wen sollte ich fürchten?“ (Ps 26). Du mußt meinen Verstand erleuchten. Du mußt mich retten, auf Dich vertraue ich: „Auf Dich, Herr, hoffe ich, lasse mich nimmermehr zuschanden werden“ (Ps 30,1). Du mußt dich mit dem Gedanken beruhigen, daß niemand, der auf Gott sein Vertrauen gesetzt hat, verlorengegangen ist: „Keiner, der auf den Herrn gehofft hat, ist zuschanden geworden“ (Sir 2,10). Bedenke, daß Gott dich mehr liebt, als du selbst dich lieben kannst, was fürchtest du denn also? Tröste dich mit den Worten Davids: „Der Herr sorgt für mich“ (Ps 39,18). Herr, ich übergebe mich ganz Dir, ich will nur daran denken, wie ich Dich lieben, wie ich Dir wohlgefallen kann; siehe, ich bin bereit zu tun, was Du von mir verlangst. Du wünschest nicht nur, daß es mir wohlergehe, nein, Du selbst trägst Sorge für mein Bestes, mögest Du selbst die Mittel für mein Heil ausfindig machen. Ich verlasse mich auf Dich, ich will mich stets auf Dich verlassen, denn Du willst, daß ich immer alle meine Hoffnung auf Dich allein setze: „Ich schlafe in Frieden und ruhte, denn Du, Herr, hast mich vollkommen festgestellt in der Hoffnung“ (Ps 479).
18. „Denket gut von dem Herrn“ (Weish 1). Der Weise lehrt uns durch diese Worte, daß unser Vertrauen auf die göttliche Barmherzigkeit weit größer als die Furcht vor Gottes Gerechtigkeit sein muß, weil Gott uns unendlich lieber Wohltaten als Strafen zukommen läßt, denn nach dem heiligen Jakobus „erhebt sich die Barmherzigkeit über das Gericht“ (Jak 2,13). Deshalb lehrt uns der heilige Petrus, daß, wenn wir uns fürchten wegen unseres zeitlichen oder ewigen Wohlergehens, wir uns unbedingt der Barmherzigkeit Gottes hingeben müssen, da Er die größte Sorge für uns trägt: „Alle eure Sorgen werfet auf ihn, denn er sorget für euch“ (Petr 5,7). Wenn wir das bedenken, so erkennen wir, daß David Recht hatte, wenn er sagte: „Unser Gott ist ein Gott voll der Sorge, uns selig zu machen“ (Ps 67,21); was nach der Auslegung Bellarmins sagen will, daß es Gottes eigentliches Geschäft ist, nicht zu verdammen, sondern alle selig zu machen, und daß, obgleich Er denen, die Ihn verachten, Seine Ungnade drohe, Er doch sicher Seine Barmherzigkeit allen verheiße, die Ihn fürchten, nach den Worten Mariens: „Seine Erbarmung kommt über jene, die ihn fürchten“ (Lk 2). Ich stelle dir, geliebte Seele, alle diese Texte der Heiligen Schrift vor Augen, damit, wenn der Gedanke dich ängstigt, du könnest nicht selig werden, du seiest nicht auserwählt, dich der Blick auf die Verheißungen, die Gott dir fürs ewige Leben gegeben hat und Sein Wunsch, dich zu retten, wenn du entschlossen bist, Ihm zu dienen, Ihn zu lieben, deine arme Seele tröste.
19. Geht es dir gut, so mußt du ja nicht dem Beispiel der meisten undankbaren und untreuen Menschen folgen, die zur Zeit der Leiden zu Gott ihre Zuflucht nehmen, die aber, wenn heitere Tage folgen, Ihn vergessen und verlassen. Beweise du alsdann Gott dieselbe Treue, die du einem geliebten Freunde, der Teil an deinem Glücke nimmt, beweisen würdest; teile Ihm alsbald deine Freude mit, preise Ihn, danke Ihm, bekenne, daß alles Gute von Gott kommt, erfreue dich deines Glücks deshalb, weil Seine Liebe es dir bereitet hat, da du dich dann nur in Ihm freust und in Ihm allein Trost findest: „Ich will mich freuen in dem Herrn und frohlocken in Gott meinem Heiland“ (Hab 3,18).
Ich preise Dich, o mein Jesus! Ich will Dich stets preisen für die vielen Gnaden, die Du mir erwiesen hast, obgleich ich wegen der Dir zugefügten Beleidigungen vielmehr Strafe verdient hätte. Ich danke Dir, o Herr! Ich will nie die Wohltaten vergessen, die Du mir ehemals erwiesen hast, und die Du mir jetzt noch zukommen läßt, damit ich, die ganze Ewigkeit hindurch, Dich deshalb lobe und preise.
20. Wenn du Gott wahrhaft liebst, geliebte Seele, so mußt du dich mehr über Seine als über deine eigene Seligkeit freuen. Wer einen Freund recht innig liebt, hat größere Freude an dem Glück desselben als an dem eigenem Wohlergehen. Die Erkenntnis von der unendlichen Glückseligkeit deines Gottes ist dein größter Trost, du mußt oft zu Ihm sprechen und sagen: Lieber Gott, ich freue mich mehr über Deine Seligkeit als über mein eigenes Wohlergehen, denn ich liebe Dich mehr als mich selbst.
21. Du kannst Gott auch einen Beweis deines Vertrauens zu Ihm geben, wenn du, nachdem du einen Fehler begangen hast, dich nicht schämst, alsbald Ihm zu Füßen zu fallen und Ihn um Verzeihung zu bitten. Bedenke, daß Gottes Wunsch, den Sündern zu verzeihen, so groß ist, daß, nachdem sie sich von Ihm entfernt haben, Er ihren Verlust beklagt, und wieder liebevoll zu Sich ruft: „Warum wollt ihr sterben, Haus Israels... Bekehret euch und lebet“ (Ez 18,31). Er verspricht jeder Seele, die Ihn verlassen hat, sobald sie in Seine Arme zurückkehrt, sie freundlich wieder aufnehmen zu wollen: „Wendet euch zu mir, und ich werde mich zu euch wenden“ (Ez 18). Möchten es also doch die Sünder begreifen, mit welcher Liebe der Herr sie erwartet, um ihnen zu verzeihen: „Es wartet der Herr, sich eurer zu erbarmen“ (Is 30,18). Möchten sie begreifen, wie sehr Er wünscht, sie bekehrt zu sehen, wie gerne Er ihnen die Strafe ersparte, wie gerne Er sie umarmen und an Sein Herz drücken möchte. Er beteuert: „So wahr ich lebe, ich habe kein Wohlgefallen am Tode des Gottlosen, sondern daß der Gottlose sich bekehre von seinem Wege und lebe“ (Ez 33,11). Und er fügt hinzu: „Kommt und klaget über mich, wenn eure Sünden wie Scharlach wären, sollen sie weiß werden wie Schnee, und wenn sie rot wie Purpur wären, sollen sie weiß werden wie Wolle" (Is 1,18). Als ob Er sagte: Bereut es, ihr Sünder, daß ihr mich beleidigt habt, und kehrt zu Mir zurück. Klagt über Mich, wenn Ich euch nicht sogleich verzeihe, tadelt Mich, behandelt Mich wie einen Wortbrüchigen; aber nein, Ich halte Mein Versprechen, wenn ihr kommt, so seid überzeugt, daß, wenn auch euer Gewissen durch eure Sünden noch so schwarz wäre, Ich es durch Meine Gnade alsbald weiß wie Schnee machen werde.
22. Gott selbst erklärt uns, daß, wenn eine Seele es bereut, Ihn beleidigt zu haben, Er alle ihre Sünden vergißt: „Ich will aller seiner Missetaten nicht mehr gedenken“ (Ez 18,22). Wende also, sobald du einen Fehler begangen hast, sogleich deine Augen auf Gott, erwecke einen Liebesakt, bekenne deine Schuld, hoffe stets, daß Er dir verzeihen werde, und sage Ihm: „Herr, siehe, den du liebst, der ist krank“ (Jo 11,3), dies Herz, das Du liebst, ist krank, ist voll Wunden, heile mich, denn ich habe vor Dir gesündigt. Du selbst suchst die reumütigen Sünder auf, siehe hier einen großen Sünder, der Dich sucht, um Dir zu Füßen zu fallen; das Übel ist geschehen, was soll ich jetzt tun? Du willst nicht, daß ich verzage; selbst nachdem ich gesündigt habe, willst Du noch mein Bestes. Ich liebe Dich, ja mein Gott, ich liebe Dich von ganzem Herzen, es reut mich, daß ich Dir mißfallen habe, ich nehme mir fest vor, es nie wieder zu tun, Du bist ja mein süßer, mein sanftmütiger, mein barmherziger Gott! Lasse mich, wie früher Magdalena, jene trostreichen Worte vernehmen: „Deine Sünden sind dir vergeben", und stärke mich, damit ich Dir in der Folge treu bleibe.
23. Hast du einen Fehler begangen, so mußt du auch, um nicht den Mut zu verlieren, alsbald auf Jesus am Kreuz blicken, du mußt dem himmlischen Vater Seine Verdienste aufopfern und auf Verzeihung hoffen, da Gott, um dir deine Sünden zu vergeben, Seinen eigenen Sohn nicht verschont hat. Du mußt mit Vertrauen zu Ihm sagen: „Blicke auf Deinen Gesalbten.“ Bedenke, o mein Gott, daß Dein eigener Sohn für mich gestorben ist, aus Liebe zu Ihm vergib mir. Vergiß nie, geliebte Seele, die Lehre, die dir alle geistlichen Seelenführer geben, jedesmal, nachdem du einen Fehler begangen hast, sollte dies auch hundertmal am Tage geschehen, schnell zu Gott deine Zuflucht zu nehmen, und darauf dich alsbald zufrieden zu geben; tust du das nicht, so wirst du mutlos und unruhig werden wegen des begangenen Fehlers, du wirst dich immer weniger mit Gott unterhalten, der Wunsch, Ihn zu lieben, wird immer mehr in dir erkalten, dein Vertrauen wird abnehmen, und du wirst geringe Fortschritte auf dem Weg des Heils machen. Wenn du hingegen dich als bald an Gott wendest, wenn du Ihn um Verzeihung bittest, wenn du Ihm versprichst, dich zu bessern, so werden deine Fehler sogar dazu beitragen, deine Liebe zu Gott zu vermehren. Die Freundschaft zwischen Menschen wird oft weit enger, wenn, nachdem einer den andern beleidigt hat, der Fehlende sich demütigt und um Verzeihung bittet. So mußt du es mit Gott machen, du mußt machen, daß deine Fehler dazu beitragen, dich immer mehr in der Liebe zu Gott zu befestigen.
24. Treue Freunde beraten sich miteinander, wenn ihnen Zweifel vorkommen, du mußt ein Gleiches mit Gott tun, du mußt Ihn bitten, Er wolle dich erkennen lassen, was Er von dir wünscht: „Gib, o Herr, dein Wort in meinen Mund, rate meinem Herzen, was ich tun soll“ (Jdt 9,18). Sage mir, was ich tun, was ich antworten soll, ich will Dir folgen: „Rede, o Herr, denn dein Knecht hört“ (1 Kg 3,10).
25. Du mußt aber nicht nur die eigene, sondern auch die Not anderer vertrauensvoll Gott anempfehlen. Wie wohlgefällig muß es Gott sein, wenn Er sieht, daß du manchmal deinen eigenen Vorteil vergißt, um Ihm das Elend anderer, besonders derer, die schwer bedrängt sind, anzuempfehlen; wenn du Ihn bittest, Er wolle Mitleid haben mit Seinen geliebten Seelen im Fegfeuer, die nach dem Anschauen ihres Gottes seufzen, Er wolle Sich der armen Sünder erbarmen? O mein Gott! Du bist so liebenswürdig, Du verdienst unendliche Liebe, wie kannst Du gestatten, daß so viele Seelen in der Welt, denen Du so viel Gutes tust, Dich nicht kennen, nicht lieben wollen, Dich beleidigen und verachten! Bewirke, o liebenswürdiger Gott, daß alle Dich kennen und lieben: „Geheiligt werde Dein Name, zu uns komme dein Reich": möchten doch alle Deinen heiligen Namen anbeten, möchte Deine Liebe in allen Herzen wohnen. Lasse mich nicht von Dir gehen, ohne daß Du mir eine Gnade für diese armen Seelen, für die ich jetzt bitte, gewährt hast.
26. Man sagt, daß im Fegfeuer eine besondere Strafe jene erwartet, die hier auf Erden nur geringe Begierde gehabt haben, in den Himmel zu kommen, und das mit Recht, denn sie geben dadurch zu erkennen, daß sie wenig Wert auf das unschätzbarste Glück: das ewige Leben setzten, das Jesus Christus uns durch Seinen Tod erworben hat. Deshalb mußt du denn auch häufig, geliebte Seele, nach dem Himmel seufzen und vor Gott bekennen, daß die Zeit, in der du Ihn nicht von Angesicht zu Angesicht sehen kannst, dir entsetzlich lang vorkomme; Du mußt dich danach sehnen, diesen Ort der Verbannung, wo die Sünde herrscht und wo wir stets in Gefahr sind, Gott zu verlieren, verlassen zu können, um in deiner wahren Heimat, wo die Liebe herrscht und wo du deinen Gott aus allen deinen Kräften lieben wirst, anzugelangen. O mein Gott, solange ich hier auf Erden lebe, bin ich immer in Gefahr, Dich zu verleugnen, Deine Liebe zu verlieren; wann wird die selige Stunde schlagen, da ich diese Welt, auf der ich Dich doch immer beleidige, verlassen kann, um mich ganz mit Dir zu vereinigen, ohne Furcht, mich je wieder von Dir zu trennen? Auf solche Weise sehnte sich die heilige Theresia nach ihrer Vereinigung mit Gott, sie freute sich, wenn sie die Glocke schlagen hörte, und dachte alsdann, daß wieder eine Stunde vorübergegangen sei, in der sie Gott hätte beleidigen können. Ihre Sehnsucht nach dem Tode und nach dem Anschauen ihres Gottes war so groß, daß sie aus Sehnsucht nach dem Tode starb, weshalb sie denn auch in einem ihrer Lieder ausrief: Ich sterbe, weil ich nicht sterben kann!
27. Aus allem, was ich bis jetzt gesagt habe, geliebte Seele, geht hervor, daß, wenn du dem liebevollen Herzen deines Gottes gefallen willst, du suchen mußt, so gut du es vermagst, dich unausgesetzt und voll Vertrauen mit Ihm zu unterhalten; alsdann wird der Herr nicht ermangeln, dir zu antworten und auf gleiche Weise mit dir zu reden. Die Ohren deines Leibes werden zwar nicht die Stimme Gottes vernehmen, aber wenn du der Unterhaltung mit den Geschöpfen entsagst, wenn du ganz allein mit Gott redest, so wird Er auf sehr verständliche Weise deinem Herzen antworten: „Ich will sie in die Wüste führen und zu ihrem Herzen reden“ (Oseas 2,14). Gott wird dich belohnen, und ‑ durch Einsprechungen, durch innere Erleuchtungen, durch Erkenntnis Seiner Güte, durch süße Rührungen des Herzens, durch Versicherung, daß dir deine Sünden vergeben seien, durch Vorgeschmack des himmlischen Friedens, durch die Hoffnung, bald in den Himmel zu kommen, durch innere Seligkeit, durch jene Süßigkeit, die nur eine Frucht der Gnade sein kann, durch liebevolle Vereinigung mit dir, ‑ dein Vertrauen auf Ihn vergelten. Er wird jene Liebessprache reden, die nur jene verstehen, die der Herr liebt, und die nichts anderes als Gott suchen.
28. Damit du dir alles, was ich bis jetzt gesagt habe, leicht ins Gedächtnis zurückrufen könnest, so will ich dir hier eine Anleitung zusammenstellen, wie du alle deine Handlungen Gott recht wohlgefällig machen kannst:
Eine Anleitung wie du alle deine Handlungen
Gott recht wohlgefällig machen kannst
Wenn du des Morgens aufwachst, so muß dein erster Gedanke auf Gott gerichtet sein. Du mußt alles, was du den Tag über tun und leiden wirst, Ihm aufopfern; du mußt Ihn bitten, daß Er dir mit Seiner Gnade beistehe, und die Meinung machen, alle Ablässe, die du den Tag über erlangen kannst, zu gewinnen. Darauf mußt du dein Morgengebet verrichten, Gott danken, Akte der Liebe erwecken, Ihn um seinen Beistand bitten und dir stets vornehmen, den gegenwärtigen Tag zuzubringen, als ob es der letzte deines Lebens wäre. Der Pater Saint Jure lehrt, daß man des Morgens sich gleichsam mit Gott verabreden müsse, daß jedesmal, wenn man ein gewisses Zeichen macht, zum Beispiel, wenn man die Hand aufs Herz legt, oder den Himmel oder ein Kruzifix anblickt, man die Meinung mache, zugleich einen Akt der Liebe, der Hingabe in Gottes Willen und ähnliche Anmutungen zu erwecken. Nachdem du hierauf deine Seele in die Seitenwunde deines Heilandes unter den Schirm Mariens verborgen hast, damit Sie dich den Tag über in Schutz nehme, mußt du, ehe du zu arbeiten anfängst, wenigstens eine halbe Stunde lang beten oder eine Betrachtung anstellen; du mußt vor allem die Schmerzen und die Verachtung, die Christus während Seines Leidens zu erdulden hatte, zum Gegenstande deiner Betrachtung wählen; denn die Seelen, die Gott lieben, betrachten am liebsten hierüber, weil das Leiden Christi am meisten die Liebe Gottes in uns entzündet. Willst du Fortschritte im geistlichen Leben machen, so mußt du dir vor allem drei Andachtsübungen angelegen sein lassen: die Andacht zum Leiden Christi, zur allerseligsten Jungfrau Maria und zum allerheiligsten Altarsakrament. Während du betest, mußt du auch oft Akte der Reue, der Liebe zu Gott, der Hingabe in Seinen Willen erwecken. Pater Caraffa pflegte zu sagen, daß ein eifriger Akt der Liebe Gottes, den man am Morgen verrichtet, genüge, um uns den Tag über eifriger im Dienste Gottes zu erhalten.
29. Ehe du eine andere Beschäftigung, zum Beispiel die Studien oder Handarbeit, je nachdem es dein Stand von dir fordert, beginnst, mußt du ja nicht vergessen, am Anfang einer jeden Arbeit sie Gott aufzuopfern und Ihn zu bitten, damit Er dir beistehe, sie ohne Fehler zu verrichten. Auch unterlasse nicht, manchmal einen Blick auf dein Inneres zu werfen und dich durch Liebesakte mit Gott zu vereinigen, wie das die heilige Katharina von Siena zu tun pflegte. Tue alles, was du tust, mit Gott und für Gott. Verläßt du dein Haus oder dein Zimmer, oder kehrst du in dasselbe zurück, so empfiehl dich jedesmal durch ein „Gegrüßt seist Du Maria“ der Muttergottes. Begibst du dich zum Essen, so opfere vorher das Vergnügen oder den Wiederwillen, den die Speisen oder Getränke, welche man dir vorsetzen wird, in dir erregen könnten, Gott auf; hast du gegessen, so sprich: „Herr, wie viel Gutes erweisest Du mir, der ich Dich so oft beleidigt habe!“ Vergiß ja nicht, den Tag über eine geistliche Lesung und einen Besuch zum allerheiligsten Altarsakrament und zur allerheiligsten Jungfrau zu machen, bete deinen Rosenkranz, prüfe dich am Abend, wie du den Tag zugebracht hast, erwecke die Akte Glaube, Liebe, Hoffnung, Reue, und mache einen festen Vorsatz, dich zu bessern und im Leben und Sterben die heiligen Sakramente zu empfangen, mache zugleich die Meinung, alle Ablässe, die du gewinnen kannst, zu erlangen. Wenn du zu Bette gehst, so bedenke, daß du verdient hättest, in der Hölle zu brennen, umarme dein Kruzifix und sage: „Ich schlafe in Frieden und Ruhe."
[30. Es folgen einige Beispiele für Ablässe. Wegen der neuen Ablaßordnung sind diese Beispiele aber überholt]. 31. Damit du immer gesammelt und mit Gott vereinigt bleiben könnest, mußt du in allem, was du siehst und hörst, etwas aufzufinden suchen, was dein Gemüt zu Gott erheben oder dich an die Ewigkeit erinnern könne. Gießt man Wasser aus einer Flasche, so bedenke, daß auf gleiche Weise deine Tage verfließen und du dich stets dem Tode näherst. Siehst du ein Licht, das aus Mangel an Öl verlöscht, so bedenke, daß dein Leben einst ebenso enden wird. Erblickst du ein Begräbnis oder Leichen, so erinnere dich daran, daß ein gleiches Los dich erwartet. Siehst du, wie die Großen dieser Welt in deiner Gegenwart sich über ihre Würden und Reichtümer erfreuen, so bemitleide ihre Torheit und sage: „Mein Gott genügt mir, diese verlassen sich auf Wagen und jene auf Rosse, wir aber rufen den Namen des Herrn an“ (Ps 19,8). Sie suchen ihren Ruhm in Eitelkeiten, ich will ihn in der Gnade Gottes und in Seiner Liebe suchen. Hält man feierliche Totenämter und Leichenbegängnisse vornehmer Herren, so bedenke: Was nützt ihnen alle diese Pracht, wenn sie in der Hölle sind? Wandelst du am Ufer des Meeres und findest du es ruhig oder wild bewegt, so stelle Vergleichungen an zwischen einer Seele, die im Stande der Gnade, und einem Herzen, das durch die Sünde von Gott getrennt ist. Findest du einen verdorrten Baum, so denke daran, daß eine Seele, die Gott nicht liebt, ins Feuer geworfen zu werden verdient. Hast du Gelegenheit, gegenwärtig zu sein, wenn ein schwerer Verbrecher, zitternd vor Angst und Scham, sein Urteil empfängt, so bedenke, welche Angst der Sünder dereinst vor dem Richterstuhl Jesu Christi ausstehen wird. Überfällt dich Furcht, wenn es blitzt und donnert, so denke an die Peinen, welche die Verdammten in der Hölle, wo sie das Donnern des göttlichen Zornes beständig vernehmen, ausstehen müssen. Hörst du, daß ein zum Tode Verurteilter händeringend ausruft: „So kann ich denn also nicht mehr dem Tode entgehen!", so denke alsbald an die Verzweiflung einer Seele, die, zur Hölle verdammt, laut aufschreit: „Kein Mittel bleibt mir übrig, dem ewigen Untergang zu entfliehen!"
32. Erblickst du eine schöne Gegend, das Meer, Blumen, Früchte und andere Gegenstände, deren Anblick das Auge ergötzt, so mußt du ausrufen: Wenn Gott schon hier auf Erden so schöne Geschöpfe hervorgebracht hat, damit ich Ihn liebe, o wie ganz andere Freuden wird Er mir als dann im Himmel bereitet haben! Die heilige Theresia sagte, daß, wenn sie liebliche Hügel und freundliche Täler erblickte, es ihr schien, als ob dieselben ihr ihren Undank gegen Gott vorwürfen, und der Stifter der Trappisten, der Abt Rancé, ward durch die schönen Werke Gottes an seine Verpflichtung, Ihn zu lieben, erinnert. Gleich ihm rief schon der heilige Augustin aus: ,,Himmel und Erde, alles sagt mir, daß ich Dich lieben soll!“ Man erzählt, daß ein frommer Mann, der Blumen und Kräuter auf dem Felde fand, sie mit seinem Stocke schlug und ausrief: „Schweigt, haltet mir nicht länger meinen Undank gegen Gott vor, ich habe euch verstanden. Schweigt und laßt mich in Frieden.“ Wenn die heilige Maria Magdalena von Pazzi einen schönen Apfel oder eine liebliche Blume betrachtete, so spürte sie, daß das Feuer der Liebe Gottes sich in ihrem Herzen entzündete, da sie bedachte, daß Gott von aller Ewigkeit her daran gedacht habe, diesen Apfel, diese Blume zu erschaffen, um ihr einen Beweis Seiner Liebe zu geben.
33. Flüsse und Bäche erinnern dich daran, daß, gleichwie diese Gewässer unausgesetzt dem Meere zueilen, so auch du nie aufhören darfst, nach Gott, deinem alleinigen und höchsten Gute, zu streben. Wenn du reitest oder fährst, so sage zu dir selbst: „Siehe, diese unschuldigen Tiere ermüden sich, um mir zu dienen; lasse ich es mich auch etwas kosten, um Gott zu dienen, um Ihm wohlzugefallen?“ Erblickst du einen Hund, der um ein elendes Stück Brot seinem Herrn so treu dient, so bedenke, welche Verpflichtung du hast, Gott treu zu bleiben, Ihm, der dich erschaffen hat und der dich fortwährend erhält, bewahrt und mit so großen Wohltaten überhäuft. Hörst du den Gesang der Vögel, so sprich: „Geliebte Seele, vernimmst du nicht das Lob Gottes, das diese kleinen Geschöpfe verkündigen, was tust du, lobst du Ihn auch durch Liebesakte?“ Kräht der Hahn, so denke daran, daß auch du, gleichwie Petrus, deinen Gott verleugnet und Seinen Schmerz und Seine Tränen erneuert hast. Siehst du das Haus oder den Ort, wo du früher gesündigt hast, so bitte Gott: „Der Sünden meiner Jugend und meines Unverstandes gedenke nicht“ (Ps 24,7).
34. Betrachtest du ein reizendes Tal, so bedenke, daß gleichwie dasselbe durch das von den Bergen herabfließende Wasser befruchtet wird, die Gnaden vom Himmel nur in demütige Seelen niedersinken und die Stolzen leer ausgehen. Eine schön gezierte Kirche sei dir das Bild einer Seele, die in der Gnade Gottes ist, und die wahrhaft ein Tempel Gottes genannt zu werden verdient. Das Meer stellt die Unendlichkeit und Größe Gottes vor. Siehst du Feuer oder Lichter auf dem Altar, so sage zu dir selbst: „Seit wie langen Jahren hätte ich verdient, in der Hölle zu brennen? Du, o mein Gott, hast mich bis heute verschont; gib, daß mein Herz, gleichwie dies Holz oder diese Lichter, von Liebe zu Dir entbrenne.“ Bewunderst du den Sternenhimmel, so sage mit dem heiligen Andreas Avellino: „Einst werde ich hoch über diesen Sternen erhaben stehen!"
35. Um dich recht oft an die Geheimnisse des Lebens unsers Erlösers zu erinnern, mußt du jedesmal, wenn du Heu oder eine Krippe oder einen Stall erblickst, an das Jesukindlein in Bethlehem denken. Siehst du eine Säge, einen Hobel, einen Hammer, so stelle dir Jesus vor, wie Er in der Werkstätte des heiligen Joseph arbeitet. Seile, Stricke, Ketten, Dornen und Nägel müssen dir das Leiden und den Tod deines Heilands ins Gedächtnis zurückrufen. Begegnete der heilige Franz von Assisi einem Lamme, so fing er an zu weinen und sagte: „Für mich ließ sich mein Herr Jesus, gleichwie ein Lamm, zum Tode führen. „Erblickst du einen Altar, einen Kelch oder Meßgewänder, so denke sogleich an die Liebe Jesu Christi, der Sich dir im Altarssakramente geschenkt hat.
36. Den Tag über mußt du dich oft, gleichwie die heilige Theresia, Gott aufopfern und Ihm sagen: „Siehe Herr, hier bin ich, mache mit mir, was Dir immer gefällt, sage mir, was Du von mir verlangst, ich bin zu allem bereit.“ Erwecke, sooft du kannst, Liebesakte zu Gott, denn die heilige Theresia sagt, daß dieselben dem Holze gleichen und im Herzen das Feuer der göttlichen Liebe unterhalten. Begehst du einen Fehler, so demütige dich und suche durch einen desto eifrigeren Liebesakt, dich wieder vom Falle aufzurichten. Stößt dir ein Ungemach zu, so opfere Gott dieses Leiden auf, und ergib dich in Seinen heiligen Willen, gewöhne dich daran, in allen Widerwärtigkeiten zu dir selbst zu sagen: „Dies ist jetzt Gottes Wille und darum will ich es auch.“ Es gibt keinen Gott angenehmeren Liebesakt als die Ergebung in Seinen Willen.
37. Du mußt auch, ehe du einen Entschluß faßt oder andern einen wichtigen Rat erteilst, dich jedesmal vorher Gott anempfehlen. Wiederhole, sooft du kannst, mit der heiligen Rosa von Lima die Bitte: „Herr, hilf mir, überlasse mich nicht mir selbst!“ Blicke oft auf ein Kruzifix oder auf ein Bild Mariens, rufe die heiligen Namen Jesus und Maria aus, und das besonders in der Zeit der Versuchungen. Gott, der unendlich gut ist, wünscht nichts mehr, als uns Seine Gnade mitzuteilen, und Pater Alvarez sah eines Tages unseren Heiland, die Hände voll Gnaden, und suchend, wem Er sie mitteilen könne; aber Gott will, daß wir Ihn um Seine Gnade bitten: „Bittet, und ihr werdet empfangen.“ Tun wir das nicht, so zieht der Herr Seine Hand von uns, bitten wir Ihn hingegen, so teilt Er uns mit, was immer wir wünschen: „Wer, der ihn angerufen hat, ist verschmäht worden?“ (Sir 2,10). David sagt, daß Gott barmherzig und sehr barmherzig gegen die ist, die Ihn anrufen: „Du bist gütig und mild und von großer Erbarmung für alle, die dich anrufen“ (Ps 8,55). Wie gut und freigebig beweist Sich der Herr gegen alle, die Ihn liebevoll suchen: „Gut ist der Herr denen, die auf ihn hoffen, der Seele, die ihn sucht“ (Ps 8,55). „Wenn jene, die ihn nicht gesucht haben, ihn finden“ (Röm 10,20), um wieviel leichter wird Ihn alsdann der finden, der Ihn sucht, um sich ganz Seinem Dienste zu weihen.
38. Die heilige Theresia sagt, daß die Gerechten auf Erden in der Liebe den Seligen im Himmel gleichen müssen, gleich ihnen müssen sie nur mit Gott beschäftigt sein, sie müssen an nichts anderes denken und nichts anderes wünschen, als Seine Ehre, Seine Liebe. ‑ So auch du, geliebte Seele! Gott sei hier auf Erden deine Seligkeit, Er sei der einzige Gegenstand deiner Neigungen und das Ziel aller deiner Handlungen und Wünsche, bis daß du im Himmel, wo alle deine Begierden Befriedigung finden, Ihn dereinst vollkommen und unaufhörlich lieben wirst.
Von der Liebe Gottes und den Mitteln, dieselbe zu erlangen.
1. Weil unser guter Gott uns so lieb hat, so wünscht Er innig, daß auch wir Ihn lieben, und deshalb hat Er uns nicht nur durch so häufig wiederholte Einladungen in der Heiligen Schrift, Ihn zu lieben, und durch so viele allgemeine und besondere Wohltaten zur Liebe Gottes zu bewegen gesucht, sondern Er hat uns sogar das ausdrückliche Gebot erteilt, Ihn zu lieben, und hat der Seele, die Ihn nicht liebt, die Hölle gedroht, der, die Ihn liebt, den Himmel verheißen. Gott will, daß alle sich retten, daß keiner verloren gehe, wie uns das die heiligen Apostel Petrus und Paulus nur allzu deutlich gelehrt haben: „Gott, welcher will, daß alle Menschen selig werden“ (1 Tim 2,4). „Er hat Geduld mit euch und will nicht, daß jemand verlorengehe, sondern daß sich alle zur Buße wenden“ (2 Petr 3,9). Wenn aber Gott alle selig haben will, warum hat er dann die Hölle erschaffen? Nicht deshalb, damit wir verdammt würden, sondern damit die Welt Gott liebe. Wenn ungeachtet der Hölle die meisten Menschen lieber die Verdammnis wählen, als daß sie Gott lieben, wer würde Ihn da wohl lieben, wenn es keine Hölle gäbe! Deshalb hat denn auch der Herr denen, die Ihn nicht lieben wollen, ewige Strafen gedroht, damit, wenn man Ihn nicht gutwillig lieben will, man Ihn wenigstens aus Furcht liebe, um die Hölle zu vermeiden.
2. Oh mein Gott, wie glücklich, wie hochgeehrt würde sich wohl ein Mensch schätzen, dem sein König sagen würde: Liebe mich, denn ich liebe dich. Ein Fürst wird sich indes wohl hüten, seinen Untertan um seine Liebe zu bitten. Aber Gott, die unendliche Güte, der Herr aller Dinge, die Allmacht, die Weisheit selbst, ein Gott, der unendliche Liebe verdient, der uns mit zeitlichen und geistigen Wohltaten überhäuft hat, Er läßt Sich so tief herab, uns um unsere Liebe zu bitten, Er ermahnt, Er befiehlt uns, Ihn zu lieben, sollte Seine Bitte unerfüllt bleiben? „Was verlangt der Herr, dein Gott, von dir, als daß du den Herrn, deinen Gott, fürchtest ‑ und ihn liebst“ (Dt 10,12). Deshalb ist denn auch der Sohn Gottes auf Erden gekommen und hat unter uns gewandelt, wie Er selbst es uns lehrt: „Ich bin gekommen, Feuer auf die Erde zu werfen, und was will ich anderes, als daß es brenne“ (Lk 12,49). Merken wir uns diese Worte: „und was will ich anderes, als daß es brenne!", als ob ein Gott, der in Sich selbst unendlich glücklich ist, ohne unsere Liebe nicht glücklich sein könne.
3. Wir dürfen also nicht zweifeln, daß Gott uns liebt, daß er uns sehr lieb hat. Weil er uns nun also liebt, so will Er, daß auch wir Ihn von ganzem Herzen lieben, und ruft deshalb einem jeden von uns zu: „Du sollst den Herrn deinen Gott lieben aus deinem ganzen Herzen“ (Dt 6), worauf Er hinzufügt: „Es sollen diese Worte in deinem Herzen sein, du sollst sie betrachten, wenn du in deinem Hause sitzest und wenn du auf der Reise bist, wenn du dich niederlegst und wenn du aufstehst, und sollst sie wie ein Zeichen an deine Hand binden und vor deinen Augen haben und an die Pfosten und Türen deines Hauses schreiben“ (Dt 6). Wir müssen in allen diesen Worten den Wunsch und die Sorge bemerken, die Gott hat, damit jeder von uns Ihn liebe. Er will, daß die Worte, durch die Er uns Seine Liebe befiehlt, tief in unser Herz eingeschrieben seien, und damit wir sie nie vergessen, will Er sogar, daß wir sie zu Hause, auf der Reise, beim Schlafengehen und beim Aufstehen betrachten, ja, Er will sogar, daß ein äußeres Zeichen, das wir in den Händen tragen, uns immer an Seinen Befehl erinnere.
4. Der heiligen Gregor von Nazianz sagt: „O seliger Pfeil, der zugleich Gott, den Bogenschützen, in unser Herz bringt", das heißt, wenn Gott einen Pfeil Seiner Liebe in ein Herz schießt, wenn Er nämlich auf besondere Weise unseren Verstand erleuchtet, daß wir Seine Güte und Seine Liebe zu uns und Seinen Wunsch, daß auch wir Ihn lieben, erkennen, so kommt in demselben Augenblicke Gott selbst mit diesem Liebespfeile in unser Herz, weil Er, der ihn uns sendet, die Liebe selbst ist: „denn Gott ist die Liebe", sagt der heilige Johannes. Gleichwie ein Pfeil in dem Herzen, das er verwundet hat, steckenbleibt, so bleibt auch Gott, wenn Er eine Seele mit seiner Liebe verwundet, immer mit derselben vereinigt. Suchen wir uns denn also zu überzeugen, o Menschen, daß nur Gott uns wahrhaft liebe. Die Liebe unserer Freunde und all derer, die sagen, daß sie uns lieben (ausgenommen jene, die uns nur um Gottes willen lieben), ist keine wahre Liebe, es ist eigennützige Liebe, in der man, um irgend eines eigennützigen Zweckes willen, liebt. Ja, mein Gott, ich erkenne es, daß Du allein mich liebst, und das nicht um Deines Vorteils willen, sondern allein um Deiner Güte und um der Liebe willen, die Du zu mir trägst, und ich Undankbarer, ich habe niemandem so viel Kummer und Schmerz verursacht wie Dir, der Du mich so sehr geliebt hast. O mein Jesus, laß nicht zu, daß ich wieder undankbar gegen Dich sei, Du allein hast mich wahrhaft geliebt, auch ich will die noch übrigen Tage meines Lebens Dich wahrhaft lieben. Ich rufe Dir mit der heiligen Katharina von Genua zu: „Oh meine Liebe, nur keine Sünde mehr, nur keine Sünde mehr, Dich allein will ich lieben und nichts außer Dir."
5. Der heilige Bernhard sagt, daß eine Seele, die wahrhaft Gott liebt, nichts anders lieben könne, als was Gott will. Bitten wir denn also Gott, daß Er uns mit Seiner Liebe verwunde, weil eine dadurch verwundete Seele nichts anderes wollen kann, als was Gott will und allen Wünschen der Eigenliebe entsagt hat. Wenn wir uns so ganz von uns selbst losschälen und uns unbedingt Gott schenken, so geben wir Gott jenen Pfeil, womit Ihn, wie Er es selbst erklärt, Seine Braut, die heilige Seele, verwundet hat: „Du hast mein Herz verwundet, meine Schwester, meine Braut“ (Hl 5,7).
6. Wie schön drückt sich hierüber der heilige Bernhard aus: „Lernen wir denn also unsere Herzen wie Pfeile Gott zusenden.“ Wenn eine Seele sich nämlich ganz Gott schenkt, so schwingt sie gewissermaßen ihr Herz wie einen Pfeil zu dem Herzen Gottes empor, worauf Gott selbst erklärt, daß diese Seele, die sich Ihm ganz geschenkt hat, Ihn zu ihrem Gefangenen gemacht habe. Darum üben sich alle Seelen, die sich Gott ganz geschenkt haben, im Gebete, sie geben sich ganz Gott und suchen immer von neuem durch Stoßgebete sich mit Gott zu vereinigen. Sie rufen häufig aus: „Mein Gott und mein alles, ich will nur Dich und nichts anderes.“ ‑ "Mein Gott, ich schenke mich ganz Dir, und wenn ich mich nicht ganz Dir übergebe, so nimm Du selbst mich.“ ‑ „Und wen, o mein Jesus, könnte ich nur lieben wollen außer Dir, der Du für mich gestorben bist.“ ‑ „Ziehe mich Dir nach, o mein Heiland, reiße mich aus dem Schlamm meiner Sünden heraus und ziehe mich ganz zu Dir.“ ‑ "Binde mich, o Herr, mit den Ketten Deiner Liebe, damit ich Dich nie wieder verlasse.“ ‑ „Ich will ganz Dir angehören, mein Gott, hast Du mich verstanden? Ich will ganz Dein, ganz Dein sein; Du selbst mußt dies bewirken.“ ‑ „Was könnte ich nur anderes wollen als Dich, meine Liebe, mein alles!“ ‑ „Da Du willst, daß ich Dich liebe, so gib mir auch die notwendigen Kräfte, um Dir zu gefallen, wie Du es wünschst. Wen als Dich könnte ich auch nur lieben wollen, der Du eine unendliche Güte bist und eine unendliche Liebe verdienst.“ ‑ „Du hast mir den Wunsch eingeflößt, Dein zu sein, vollende Dein Werk.“ ‑ „Was will ich anderes in der Welt als Dich, der Du das höchste Gut bist? Ich schenke mich Dir unbedingt, nimm mich an und mache, daß ich Dir bis zu meinem Tode treu bleibe.“ ‑ „Ich will Dich hier auf Erden innig lieben, um Dich die ganze Ewigkeit hindurch lieben zu können."
Jesu mein, Geliebter mein,
Sieh, ich will nur Dich allein;
Gott, ich schenk mich gänzlich Dir,
Mach’ nur, was Du willst mit mir.
7. Wie glücklich ist jene Seele, die in Wahrheit sagen kann: „Mein Geliebter ist mein und ich bin sein“ (Hl 2,6). Gott hat sich mir ganz geschenkt, ich habe mich ganz ihm geschenkt, ich gehöre nicht mehr mir selbst an, ich gehöre ganz und gar meinem Gott an. Wer wahrhaft so reden kann, sagt der heilige Bernhard, der ist bereit, lieber die Peinen der Hölle zu dulden (wenn dies möglich wäre, ohne sich von Gott zu trennen), als einen Augenblick von Gott getrennt zu bleiben. O weIch ein großer Schatz ist die Liebe Gottes, o selig, wer ihn besitzt; er trage alle Sorge und wende alle Mittel an, um ihn zu erhalten und zu vermehren; wer hingegen diesen großen Schatz noch nicht besitzt, der muß sein Möglichstes tun, um ihn zu erlangen.
8. Das erste Mittel zur Liebe Gottes besteht darin, daß man sich von allen irdischen Neigungen befreie. Die Liebe Gottes findet keinen Raum in einem Herzen, das voll irdischer Dinge ist. Je mehr Irdisches im Herzen ist, desto weniger Liebe Gottes kann darin herrschen. Wer also sein Herz mit der Liebe Gottes zu erfüllen wünscht, der muß vor allem die irdischen Neigungen daraus entfernen. Um selig zu werden, muß man den heiligen Paulus nachahmen, der, um die Liebe Christi zu erlangen, alle Güter dieser Welt wie Kot betrachtete: „Alles achte ich wie Kot, damit ich Christum gewinne“ (Phil 3,8). Bitten auch wir den Heiligen Geist, daß er uns mit seiner heiligen Liebe entflamme, damit auch wir alsdann alle Reichtümer, Freuden, Ehren und Würden dieser Welt, um derentwillen die meisten Menschen verlorengehen, verachten, und sie als das, was sie sind, als Eitelkeit und bloßen Dunst und Unrat erkennen.
9. Wenn die Liebe Gottes in einem Herzen einkehrt, dann setzt man keinen Wert mehr auf das, was die Welt hoch schätzt: „Gäbe auch ein Mensch alle Habe seines Hauses für die Liebe, für nichts würde man es achten“ (Hl 8,7). Der heilige Franz von Sales sagt, daß, wenn ein Haus brennt, man das Gerät zum Fenster hinauswirft, das heißt, wenn ein Mensch von der Liebe entzündet ist, dann sucht er selbst, ohne daß man ihn in der Predigt oder im Beichtstuhl dazu ermahnen müsse, sich von weltlichen Gütern, von Ehren, Reichtümern und allem Irdischen zu entblößen, um nichts anders mehr als Gott zu lieben.
10. Gilbertus sagt, daß es einem Herzen, das wahrhaft Gott liebt, schwer und unerträglich sei, seine Liebe zwischen Gott und den Geschöpfen zu teilen, und der heilige Bernhard behauptet, daß die Liebe Gottes unverschämt sei, weil Gott in einem Herzen, das ihn liebt, keinen Genossen seiner Liebe dulde, da er allein das Herz besitzen will. Verlangt Gott etwa zuviel, wenn er will, daß die Seele nichts anderes als ihn liebe? Die unendliche Liebenswürdigkeit muß allein geliebt werden, sagt der heilige Bonaventura. Da Gott die unendliche Güte und Liebenswürdigkeit ist, welche eine unendliche Liebe verdient, so hat er Recht, wenn er verlangt, daß ein Herz, das er gerade deshalb erschaffen hat, damit es Ihn liebe, Ihm auch wirklich ganz angehöre, denn bloß deshalb, um allein geliebt zu werden, hat Gott alles für dieses Herz getan, wie das der heilige Bernhard sagt, da er von der Liebe spricht, die Gott zu ihm trägt: „Alles hat Er für mein Bestes hingegeben.“ Das kann und muß ein jeder von uns sagen, wenn er an Jesus Christus denkt, der für jeden von uns Sein Leben und Sein Blut aufgeopfert hat, als Er am Kreuz von Schmerzen verzehrt starb, und der uns nach Seinem Tode Seinen Leib, Sein Blut, Seine Seele, ganz Sich selbst im allerheiligsten Altarsakrament hinterlassen hat, damit Er eine Speise und ein Trank unserer Seelen werde und dadurch einen jeden von uns aufs engste mit Sich vereinige.
11. Glücklich die Seele, sagt der heilige Gregor, die dahin gelangt, daß ihr alles unerträglich ist, was nicht Gott ist, den sie allein liebt. Deshalb muß sie sich von aller Anhänglichkeit an die Geschöpfe hüten, damit diese nicht einen Teil dessen rauben, was Gott allein besitzen will. Wenn solche Anhänglichkeit auch erlaubt wäre, wie z.B, die Liebe zu Verwandten und Freunden, so muß man doch gar wohl bedenken, was der heilige Philipp Neri sagt, daß wir nämlich alle Liebe, die wir den Geschöpfen schenken, Gott rauben.
12. Wir müssen, gleichwie die Braut im Hohenlied, verschlossene Gärten werden. „Ein verschlossener Garten bist du, meine Schwester“ (Hl 4). Jene Seelen, die den Zugang zu den Neigungen irdischer Dinge nicht öffnen, sind verschlossene Gärten. Wenn also ein Geschöpf Teil an unserem Herzen nehmen will, so müssen wir ihm den Zugang versagen und zu Jesus eilen und sprechen: „O mein Jesus, Du allein genügst mir, ich will nichts anderes, als Dich lieben! Gott meines Herzens und mein Teil in Ewigkeit, Du sollst der einzige Herr meines Herzens, meine einzige Liebe sein.“ Deshalb dürfen wir denn auch nie aufhören, Gott um Seine heilige Liebe zu bitten, denn der heilige Franz von Sales lehrt uns: „Die reine Liebe Gottes verzehrt alles, was nicht Gott ist, um alles in Sich umzuwandeln."
13. Das zweite Mittel zur Liebe Gottes ist die Betrachtung des Leidens Christi, denn es ist gewiß, daß Jesus Christus nur deshalb so wenig in der Welt geliebt wird, weil die undankbaren Menschen es versäumen, wenigstens von Zeit zu Zeit zu betrachten, wieviel Jesus für sie gelitten hat, und die Liebe, mit der Er für sie gelitten hat. Der heilige Gregor sagt, es scheine eine Torheit zu sein, daß ein Gott für uns Elende sterbe, und dennoch sei es eine Glaubenswahrheit, „daß Christus uns geliebt und Sich als ein Opfer für uns hingegeben hat“ (Eph 5,2). „Denn er hat uns geliebt und uns gewaschen von unseren Sünden mit seinem Blute“ (Apk 1).
14. Der heilige Bonaventura ruft aus: „O mein Gott, Du hast mich so sehr geliebt, daß es scheint, Deine Liebe zu mir mache, daß Du Dich selbst hassest.“ Ja, Er hat uns sogar mit Seinem heiligen Leib in der heiligen Kommunion speisen wollen, so daß nach dem Ausspruch des heiligen Thomas Gott sich so tief vor uns gedemütigt hat, als ob Er unser Knecht und als ob jeder von uns Sein Gott wäre.
15. Das bewog denn auch den Apostel auszurufen: „Die Liebe Christi drängt uns", ja, sie drängt, sie zwingt uns gewissermaßen, Ihn zu lieben. O mein Gott, was tun die Menschen nicht aus Liebe zu den Geschöpfen, die sie gerne haben, und ein Gott von unendlicher Güte, von unendlicher Schönheit, der für jeden von uns am Kreuze hat sterben wollen, wird so wenig geliebt! Ahmen wir doch alle den heiligen Paulus nach, der ausrief: „Es sei ferne von mir, mich zu rühmen, außer in dem Kreuze unseres Herrn Jesus“ (Gal 6,14). Denn welche größere Ehre kann man mir in der Welt erweisen als die, daß ein Gott aus Liebe zu mir sein Leben hat aufopfern, sein Blut hat vergießen wollen. So muß ein jeder sprechen, der den Glauben hat. ‑ Wenn jemand den Glauben hat, wie kann er dann noch etwas anderes als Gott lieben. O mein Gott, wie ist es möglich, daß eine Seele, die Christum am Kreuz betrachtet, der mit drei Nägeln daran geheftet, aus Liebe für uns vor Schmerz stirbt, wie ist es möglich, daß sie sich nicht hingezogen und gewissermaßen gezwungen sehe, Jesus aus allen Kräften zu lieben.
16. Das dritte Mittel, um zur vollkommenen Liebe Gottes zu gelangen, ist die Gleichförmigkeit mit dem Willen Gottes bei allem, was uns zustößt. Der heilige Bernhard sagt, daß, wer Gott wahrhaft liebt, nichts wollen könne, als was Gott will. Manche sagen freilich, sie seien ganz ergeben bei allem, was Gott anordne, aber wenn ihnen etwas Widerwärtiges oder eine unangenehme Krankheit zustößt, so können sie sich nicht zufrieden geben. So machen es aber nicht jene Seelen, die wahrhaft in den Willen Gottes ergeben sind; sie sagen: So gefällt es, so hat es dem Geliebten gefallen, und beruhigen sich sogleich. Der heiligen Liebe, sagt der heilige Bonaventura, ist alles süß. Jene Seelen wissen, daß Gott alles, was in der Welt geschieht, entweder anordnet oder zuläßt, und deshalb beugen sie sich demütig unter seinem Willen, es möge was immer geschehen, und bleiben zufrieden bei allem, was Gott anordnet. Denn obgleich Gott manchmal nicht will, daß die anderen uns verfolgen und Böses tun, so will Er dessenungeachtet aus heiligen Absichten, daß wir geduldig jene Verfolgungen, jenen Schaden leiden.
17. Die heilige Katharina von Genua sagte: Wenn Gott mich in den tiefsten Abgrund der Hölle hinabgestürzt hätte, so würde ich dennoch sagen: Es ist gut hier sein. Ich würde ausrufen: Es genügt mir, daß mein Geliebter es will, daß ich hier sei, denn Er liebt mich mehr als alle anderen und weiß, was mir am nützlichsten ist. Es ruht sich gut in den Armen des göttlichen Willens.
18. Deshalb müssen wir denn auch immer mit David bitten: „Herr, lehre mich deinen Willen tun", wenn Du willst, daß ich selig werde, und deshalb kann man keinen vollkommeneren Akt der Liebe Gottes machen, als wenn man mit dem heiligen Paulus bei seiner Bekehrung ausruft: „Herr, was willst du, daß ich tue“ (Apg 9,6). Sage mir, o mein Gott, was Du von mir verlangst, ich bin bereit, es zu tun. SoIch ein Akt ist mehr wert, als tausendmal fasten und sich geißeln. In allen unseren Werken, Wünschen und Gebeten müssen wir den Willen Gottes erfüllen. Wir müssen die allerseligste Jungfrau Maria, unsere Fürsprecherin, wir müssen unseren Schutzengel bitten, daß sie uns von Gott die Gnade erlangen, Seinen Willen zu erfüllen. Wenn etwas geschieht, was unserer Eigenliebe schmerzt, so können wir durch einen Akt der Ergebung in den Willen Gottes große Schätze von Verdiensten erlangen, wir müssen uns alsdann daran gewöhnen, mit Christus zu antworten: „Sollte ich den Kelch, den mir mein Vater gegeben hat, nicht trinken? Ja, Vater, denn also ist es dir angenehm gewesen", es hat Dir also gefallen, auch ich bin damit zufrieden, oder mit Job: „Wie es dem Herrn gefallen hat, also ist es geschehen, der Name des Herrn sei gebenedeit."
19. Das vierte Mittel, um von der Liebe zu Gott entzündet zu werden, ist das betrachtende Gebet. Die ewigen Wahrheiten sieht man nicht mit den Augen des Leibes, wie die sichtbaren Gegenstände auf Erden, sondern im Geiste durch die Betrachtung. Wenn wir nun also nicht einige Zeit dazu anwenden, die ewigen Wahrheiten zu betrachten, besonders unsere Pflicht, Gott zu lieben, wie er es verdient, sowohl wegen der vielen Wohltaten, die er uns erwiesen, als auch wegen der Liebe, die Er zu uns getragen hat, so werden wir schwerlich die Neigungen zu den Geschöpfen verlieren, um all unsere Liebe Gott zu schenken. Im Gebete läßt uns Gott erkennen, wie verächtlich alles Irdische und wie wertvoll die himmlischen Güter sind, da entzündet Er die Herzen der Seinen, die Ihm nicht widerstehen, mit seiner Liebe. Manche Seelen beklagen sich, daß sie das Gebet üben und dennoch Gott in demselben nicht finden. Das kommt daher, weil sie ihr Herz noch voll irdischer Anhänglichkeit haben. „Wende dein Herz von den Geschöpfen ab", sagt die heilige Theresia, „und suche Gott, so wirst du Ihn gewiß finden.“ „Voll Güte ist der Herr gegen den, der ihn sucht“ (Klgl 3,5). Um Gott im Gebet zu finden, muß man sein Herz von den Neigungen an irdische Dinge losschälen, alsdann spricht Gott gewiß zu uns: „Ich will sie in die Wüste führen und zu ihrem Herzen sprechen“ (Hl 2,14). „Aber", sagt der heilige Gregor, „um Gott zu finden, genügt es nicht, daß der Leib, nein, auch die Seele muß in der Einsamkeit sein", weshalb der Herr zur heiligen Theresia eines Tages sprach: „Ich würde gerne zu manchen Seelen reden, aber die Welt macht so viel Lärmen in ihren Herzen, daß sie meine Stimme nicht hören können.“ Wenn eine von irdischen Dingen losgeschälte Seele betet, o wie schöne Dinge sagt ihr dann nicht Gott. Er läßt sie erkennen, wie sehr Er sie liebt, die Seele von Liebe brennend, spricht zwar nicht, aber wie beredt ist alsdann nicht ihr Stillschweigen. Wenn man vor Liebe zu Gott still schweigt, sagt man Gott mehr, als wenn man alle menschliche Beredsamkeit anwendete, denn jeder Seufzer deckt das Innerste der Seele auf; dann kann die Seele nicht satt werden, auszurufen: „Mein Geliebter ist mein und ich bin Sein."
20. Das fünfte Mittel, um zu einem hohen Grade der Liebe Gottes zu gelangen, ist das Bittgebet. Wir sind arm an allem, aber wenn wir bitten, sind wir reich, weil Gott versprochen hat, alles, um was wir Ihn bitten, zu erfüllen: „Bittet, und es wird euch gegeben werden“ (Mt 7,1). Kann wohl ein Freund seinem Freund ein größeres Zeichen seiner Liebe geben, als daß er ihm sagt: Erbitte dir, was immer du wünschst, ich will es dir geben. Und das sagt Gott einem jeden von uns. Gott ist der Herr aller Dinge, Er verspricht uns, uns alles zu geben, um was wir Ihn bitten. Bleiben wir also arm und elend, so ist das unsere Schuld, weil wir uns nicht die Gnaden erbeten haben, derer wir bedürfen. Das betrachtende Gebet ist deshalb beinahe notwendig, um selig zu werden, weil, wenn wir nicht betrachten und uns dagegen fortwährend mit weltlichen Dingen beschäftigen, wir wenig an unser Seelenheil denken; aber wenn wir betrachten, so erkennen wir die Bedürfnisse unserer Seele, und dann bitten wir um Gnade, die Gott uns sicher gewährt.
21. Die Heiligen haben ihr ganzes Leben im Gebet zugebracht, und alle Gnaden, durch die sie heilig geworden, haben sie durchs Gebet erlangt. Wollen wir also selig und heilig werden, so müssen auch wir immer an der Pforte der göttlichen Barmherzigkeit anklopfen und um die Almosen, die uns zu unserem Unterhalt notwendig sind, Gott bitten. Brauchen wir Demut, so bitten wir darum, wir werden alsdann bald demütig sein; brauchen wir Geduld in Leiden, so bitten wir darum, und wir werden bald geduldig sein. Wünschen wir Gott zu lieben, so bitten wir Ihn darum, denn Er hat uns versprochen: „Bittet und es wird auch gegeben werden.“ Gott kann Sein Versprechen nicht unerfüllt lassen. Um unser Vertrauen auf die Kraft des Gebetes noch zu vermehren, hat Christus uns versprochen, daß der Vater uns alle Gnaden, die wir in Seinem Namen, das heißt, entweder aus Liebe zu Ihm oder um Seiner Verdienste willen erbitten, geben werde: „Wahrlich, wahrlich ich sage euch, wenn ihr den Vater in meinem Namen um etwas bittet, so wird er es euch geben“ (Jo 16,23). Und an einem andern Orte sagt Er: „Wenn ihr mich um etwas bittet in meinem Namen, das will ich tun“ (Jh 14,14). Und das deshalb, weil der Glaube uns lehrt, daß Christus dieselbe Macht hat wie Gott Selbst, weil Er der Sohn Gottes ist.
22. Ich begreife nicht, wie eine Seele, die den Glauben hat, sie möge auch noch so kalt in der Liebe Gottes sein, nicht von Liebe zu Jesus entzündet werde, wenn sie auch nur oberflächlich betrachtet, was die Heilige Schrift von der Liebe sagt, die Christus uns in Seinem Leiden und im allerheiligsten Altarsakrament bewiesen hat. Als Isaias Jesu Leiden betrachtete, rief er aus: „Wahrlich, er trägt unsere Krankheiten und lädt auf sich unsere Schmerzen, denn er ist verwundet um unserer Missetat willen, zerschlagen um unserer Sünden willen“ (Is 5,34). Der Glaube lehrt uns, daß Christus alle Schmerzen und Peinen, die wir verdienten, hat dulden wollen, um uns von der ewigen Verdammnis zu befreien, und hat Er das nicht aus Liebe zu uns getan? ‑ Ja, sagt der heilige Paulus, „Christus hat uns geliebt und sich für uns dahingegeben“ (Eph 5). Er, „der uns geliebt und uns gewaschen hat von unseren Sünden in seinem Blut“ (Apk 5,1). Und als Christus das allerheiligste Altarsakrament einsetzte, sprach Er zu uns allen: „Nehmet hin und esset, denn dies ist mein Leib“ (1 Kor 11,15). Nachdem Er vorher gesagt hatte: „Wer mein Fleisch ißt und mein Blut trinkt, der bleibt in mir und ich in ihm“ (Jo 6,56). Wie kann ein gläubiger Christ das lesen und sich nicht gedrängt fühlen, seinen Heiland zu lieben, der, nachdem Er Sein Blut und Seinen Leib aus Liebe für uns aufgeopfert, uns im allerheiligsten Sakrament des Altars diesen selben Leib hinterlassen hat, damit er eine Speise unserer Seele sei, und sich ganz mit uns in der Kommunion vereinige.
23. Jesus Christus zeigt Sich uns in Seinem Leiden mit drei Nägeln an ein Kreuz geheftet, mit Blut bedeckt und vor Schmerz sterbend. Warum zeigt Sich unser Heiland in einem so traurigen Zustande? etwa bloß um unser Mitleid zu erregen? Nein, nicht so sehr deshalb, als damit wir Ihn lieben. Wenn Christus uns sagt, daß Er uns von Ewigkeit her geliebt habe: „Mit ewiger Liebe liebe ich dich“ (Jer 31,1), so sollte das ein hinlänglicher Grund für uns sein, Ihn zu lieben. Da nun aber der Herr sah, daß das nicht hinreichte, unser laues Herz zu Seiner Liebe zu bewegen, so hat Er uns durch die Tat zeigen wollen, wieweit Seine Liebe zu uns ging, indem Er Sich uns zeigte voll Wunden und vor Schmerz sterbend, damit wir aus Seinem Leiden Seine unendliche und zarte Liebe erkennen möchten, was der heilige Paulus so schön durch jene Worte ausdrückt: „Er hat uns geliebt und sich selbst für uns dahingegeben."
Gebet
O meine gekreuzigte Liebe, o mein liebenswürdigster Jesus, ich glaube und bekenne, daß Du der wahre Sohn Gottes, der Heiland der Welt bist. Ich bete Dich aus dem Abgrund meines Elends an und danke Dir, daß Du für mich einen so schmerzlichen Tod hast erdulden wollen, um mir das Leben der Gnade zu erlangen. O treuester Freund, o liebevollster Vater, o liebenswürdigster Herr und Heiland! Dir verdanke ich mein Heil, meine Seele, meinen Leib, alles, was ich besitze. Du hast mich von der Hölle befreit, Du hast mir Vergebung meiner Sünden erlangt, Du hast mir die Hoffnung, in den Himmel zu kommen, geschenkt. Aber ich Undankbarer, statt Dich zu lieben, habe ich Dich von neuem beleidigt, ungeachtet so vieler Beweise Deiner Liebe und Barmherzigkeit; zur Strafe verdiente ich, Dich nicht mehr lieben zu dürfen. Aber nein, mein Jesus, wähle jede andere Strafe, nur nicht diese. Wenn ich Dich auch früher verachtet habe, so liebe ich Dich doch jetzt, so wünsche ich doch, Dich jetzt von ganzem Herzen zu lieben! Aber Du weißt, daß ich ohne Deinen Beistand nichts vermag. Da Du selbst mir befiehlst, daß ich Dich liebe und da Du mir alle Gnaden verleihen willst, wenn ich Dich nur in Deinem Namen darum bitte, so erscheine ich jetzt voll Vertrauen auf Deine Güte und auf Dein Versprechen vor der Pforte Deiner Barmherzigkeit und bitte Dich um der Verdienste Deines bitteren Leidens willen vor allem um Vergebung meiner Sünden, die ich von ganzem Herzen bereue, weil ich Dich, unendliche Güte, dadurch beleidigt habe. Vergib sie mir und verleihe mir zugleich die Beharrlichkeit in deiner Gnade bis zu meinem Tode. Verleihe mir, o Herr, Deine heilige Liebe! Oh mein Jesus, meine Hoffnung, einziger Gegenstand meiner Liebe, entzünde in meiner Seele jenes Licht der Wahrheit und jenes Feuer der Liebe, das Du durch Deine Ankunft hast auf die Erde bringen wollen. Erleuchte mich, damit ich immer mehr erkenne, wie sehr Du verdienst, geliebt zu werden, damit ich erkenne, wie unendlich Du mich geliebt hast, indem Du so viel für mich hast leiden, indem Du sogar für mich hast sterben wollen. Bewirke, daß jene Liebe, mit der Dich Dein ewiger Vater liebt, auch in mein Herz einkehre, bewirke, daß, gleichwie Seine Liebe in Dir ist und eins mit Dir ist, auch ich durch wahre Liebe zu Dir in Dir sei, und daß ich durch vollkommene Vereinigung meines Willens mit Deinem Willen eins mit Dir werde. Verleihe mir also, o Jesus, die Gnade, daß ich Dich von ganzem Herzen liebe, daß ich Dich immer liebe, und daß ich Dich immer um die Gnade bitte, Dich zu lieben, damit, wenn ich in Deiner Liebe sterbe, ich in den Himmel komme, um Dich da mit der vollkommensten Liebe zu lieben, und um nie wieder aufzuhören, Dich zu lieben, da ich Dich dann die ganze Ewigkeit hindurch besitzen werde. O Mutter der schönen Liebe, allerseligste Jungfrau Maria, meine Fürsprecherin, meine Mutter, meine einzige Hoffnung nach Jesus, Du liebst Gott mehr als alle anderen Geschöpfe, und Du wünschst nichts mehr, als daß alle Ihn lieben, aus Liebe zu Deinem Sohne, der für mich vor Deinen Augen hat sterben wollen, bitte Ihn für mich und erlange mir die Gnade, Ihn immer und von ganzem Herzen zu lieben. Darum bitte ich Dich, und ich hoffe, daß Du meine Bitte erfüllen werdest. Amen.
Sichere Merkmale, an denen man erkennen kann,
ob man Gott wahrhaft liebt.
In der Heiligen Schrift wird die Liebe Gottes mit dem Feuer verglichen. Als unser Heiland uns im Evangelium erklärte, Er sei auf die Erde gekommen, um uns Seine heilige Liebe mitzuteilen, bediente Er Sich des Ausdrucks, Er sei gekommen, um ein Feuer zu bringen: „Ich bin gekommen, Feuer auf die Erde zu werfen", und Gott selbst gibt der Seele in der Offenbarung den Rat, von Ihm Gold zu kaufen, das im Feuer geläutert ist, das heißt, die heilige Liebe Gottes.
Das Feuer hat die doppelte Eigenschaft, daß es den Hindernissen widersteht, und daß es, anstatt zu verlöschen, dadurch nur wächst und immer mehr um sich greift, denn es ist Feuer, es will tätig sein. Daraus können wir also zwei sichere Merkmale, ob die Liebe Gottes in uns wohnt, kennenlernen: ob wir nämlich wirken und dulden. Arbeiten wir also immer für unseren lieben Gott, wenigstens dadurch, daß wir die gute Meinung machen, in allem seinen göttlichen Willen zu erfüllen, durch alles, was wir tun, nur Ihm gefallen zu wollen; leiden wir gerne aus Liebe zu Ihm alle Widerwärtigkeiten, Armut, Trübsale, Krankheiten, so daß diese Leiden, statt uns von Gott zu entfernen, uns immer enger mit Ihm vereinigen ‑ alsdann besitzen wir die Liebe Gottes, dann ist unsere Liebe ein Feuer, das tätig ist, das den Hindernissen widersteht. Ist das aber nicht der Fall, so besitzen wir nicht die wahre Liebe Gottes, so haben wir eine falsche Liebe, eine Liebe auf der Zunge, nicht im Herzen, vor welcher uns der heilige Johannes warnt: „Meine Kindlein, lasset uns nicht mit Worten und nicht mit der Zunge lieben, sondern mit der Tat und Wahrheit."
Wo die Liebe nicht tätig ist, da ist keine Liebe, sagt der heilige Gregor, und Jesus Christus lehrt uns: „Wer meine Gebote hat und sie hält, der ist es, der mich liebt.“ Alles Bittere und Furchtbare, sagt der heilige Augustinus, wird durch die Liebe leicht und als ob es nicht mehr wäre. Wenn wir also mittelst der guten Meinung immer für Gott arbeiten, wenn wir Seine Gebote halten, wenn wir sie genau halten, wenn wir mit den göttlichen Geboten auch noch die Gebote der Kirche beobachten, die Pflichten unseres Standes und unsere besonderen Verpflichtungen erfüllen, wenn wir großmütig und freudig, aus Liebe zu Gott, die Widerwärtigkeiten besiegen, sie mögen auch noch so unangenehm sein ‑ alsdann besitzen wir die Liebe Gottes, dann ist unsere Liebe ein Feuer, das tätig ist, das den Hindernissen widersteht. Ist das aber nicht der Fall, so besitzen wir nicht die wahre Liebe Gottes, so haben wir eine falsche Liebe, eine Liebe auf der Zunge, nicht im Herzen: „Meine Kindlein, lasset uns nicht mit Worten und nicht mit der Zunge lieben, sondern mit der Tat und Wahrheit."
Setzen wir den Fall, wir könnten einen Gewinn machen, aber er ist ungerecht, wir könnten uns ein Vergnügen verschaffen, aber es ist unerlaubt, die Erfüllung der Pflichten unseres Standes ist beschwerlich, die Mühe, die uns ein unternommenes Werk verursacht, macht, daß wir den Mut verlieren. Aus Liebe zu Gott suchen wir jenen Gewinn nicht, entsagen wir jenem Vergnügen, tun wir alles, bringen wir alles zu Stande ‑ wir besitzen die Liebe Gottes, denn unsere Liebe ist ein Feuer, das tätig ist. Tun wir indes das Gegenteil, so ist unsere Liebe nicht die wahre Liebe Gottes, so ist sie eine falsche Liebe, eine Liebe auf der Zunge, nicht im Herzen: „Meine Kindlein, lasset uns nicht mit Worten und mit der Zunge lieben, sondern mit der Tat und Wahrheit."
Ganz unerwartet kommt ein großes Leiden über uns, man macht uns einen Prozeß, von dem unser ganzes Vermögen abhängt; wir verlieren plötzlich jene Person, auf die wir all unsere Hoffnung setzten, die unsere einzige Stütze war. Sogleich opfern wir alle diese Leiden Gott auf, wir ertragen sie sogar freudig ‑ wir besitzen die Liebe Gottes, denn unsere Liebe ist ein Feuer, das den Hindernissen widersteht. Tun wir indes das Gegenteil, so ist unsere Liebe nicht die wahre Liebe Gottes, so ist sie eine falsche Liebe, eine Liebe auf der Zunge, nicht im Herzen: „Meine Kindlein, lasset uns nicht mit Worten und mit der Zunge lieben, sondern mit der Tat und Wahrheit."
Es ist indes ein weit zuverlässigeres Zeichen, daß man Gott liebe, wenn man für Ihn leidet, als wenn man für Ihn arbeitet, denn derjenige, der arbeitet, bemüht sich für den, den er liebt, was freilich ein Zeichen der Liebe ist; indes der, der aus Liebe leidet, alle seine Aufmerksamkeit auf den Gegenstand seiner Liebe richtet, und darüber sich ganz selbst vergißt, was ein Zeichen ist, daß dieser mehr liebt als jener.
Gott wollte deshalb auch die Liebe des heiligen Mannes Job durch Leiden prüfen. Job trug gewiß immer eine sehr große Liebe zu Gott, aber wann gab er das am meisten zu erkennen? Etwa als er, von einer zahlreichen Nachkommenschaft umgeben, im Überfluß an allen irdischen Gütern lebte, oder da er vollkommen gesund war? Gewiß auch damals, denn auch damals erkannte er, daß alles von Gott komme; er dankte dem Herrn dafür, brachte Ihm Opfer dar, erfüllte seine Pflichten gegen seine Kinder, indem er sie zurechtwies, und immer für sie betete, damit sie nicht etwa Gott durch ihre Sünden beleidigten. Denn er sprach: es möchten vielleicht meine Söhne gesündigt haben. Aber die Größe seiner Liebe zu Gott zeigte sich erst dann, als Gott, um seine Liebe zu prüfen, ihm in einem Augenblick alle seine Güter nahm, als Er plötzlich alle seine Kinder tötete, ihn seiner Gesundheit beraubte, ihn mit Wunden bedeckte, so daß er, auf einem Misthaufen hingestreckt, mit einem Scherben die Eiter aus seinen Wunden drücken mußte. In all diesen Leiden, bei all diesem Unglück wiederholte Job fortwährend mit unüberwindlicher und für alle Zeiten denkwürdiger Geduld: „Der Herr hat es gegeben, der Herr hat es genommen, wie es dem Herrn gefallen hat, also ist es geschehen, der Name des Herrn sei gebenedeit."
Doch warum reden wir von Job? Auch Jesus Christus, als Er Seinen Leiden entgegenging, sagte den Aposteln: Meine lieben Apostel, damit die Welt erkenne, daß ich den Vater liebe ‑ steht auf, lasset uns von hinnen gehen, ‑ das ist also ein sicheres Zeichen, daß man wahrhaft Gott liebe: die Geduld, die Geduld, gerne alles um Gottes willen leiden.
Was die Heiligen gesagt und getan haben, bestätigt uns diese Wahrheit. Die heilige Theresia pflegte zu sagen: „Leiden oder sterben", die heilige Maria Magdalena von Pazzi hingegen: „Leiden und nicht sterben", und der heilige Johannes vom Kreuz rief aus: „Leiden und schweigen."
Die heiligen Märtyrer forderten selbst ihre Henker auf, sie zu peinigen, sie ermunterten die wilden Tiere, sie zu verschlingen. Die heilige Lidwina litt geduldig 33 Jahre lang eine peinliche Krankheit, die heilige Franziska ertrug freudig die ungerechte Verweisung ihres Gemahls und die Einziehung all ihrer Güter, und der heilige Johannes vom Kreuz ließ sich bereitwillig neun Monate lang einkerkern und litt während dieser Zeit die größten Peinen und Qualen.
Geduld, Geduld ist also ein sicheres und unfehlbares Zeichen, daß man Gott liebt; wenn man nämlich leidet, gerne alles leidet um Gottes willen.
Wie glücklich, wie selig ist jener, der in sich diese beiden sicheren Zeichen der wahren Liebe Gottes erkennt: die guten Werke und die Geduld, der gerne für unseren großen Gott wirkt und leidet, er selbst wird erkennen, daß die heilige Liebe Gottes in seinem Herzen wohnt. Alles Gold der Welt ist im Vergleich mit einem ganz geringen Grad der heiligen Liebe Gottes nichts mehr als ein wenig Staub, denn alles Gold ist im Vergleich mit ihr schlechter Sand, ja, alle Reichtümer sind nach dem Ausspruch der heiligen Schrift im Vergleiche mit einem geringen Grad der Liebe Gottes wie nichts zu achten: „Ich hielt den Reichtum für nichts im Vergleich mit ihr“ (Weish 7,8).
Aber was ist das Gold, was sind alle Reichtümer dieser Welt, da sogar die größten übernatürlichen Gaben Gottes ohne die heilige Liebe für nichts zu achten sind? Das lehrt uns der heilige Paulus, der selbst aus Erfahrung am besten die heilige Liebe Gottes kannte und deshalb ihren hohen Wert zu schätzen wußte. Er ruft aus: Wenn ich die Gabe aller Sprachen besäße, wenn ich nicht nur die Sprachen der Menschen, sondern auch die wunderbare Sprache, welche die Engel untereinander reden, verstände: Wenn ich die Sprachen der Menschen und Engel redete ‑ aber die heilige Liebe Gottes nicht hätte, so wäre ich wie ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle. Wenn ich die Gabe der Weissagung hätte und wüßte alle Geheimnisse und besäße alle Wissenschaft, und wenn ich alle Glaubenskraft hätte, so daß ich Berge versetzen könnte, aber hätte die Liebe nicht, so wäre ich nichts. Die heilige Liebe Gottes ist die Königin aller Tugenden, die da herrscht und in Ewigkeit herrschen wird.
Nach unserem Tode wird unser Glaube seine Belohnung erhalten, denn er wird schauen, was er geglaubt hat, aber im Himmel hört der Glaube auf.
Nach unserem Tode wird die Hoffnung ihren Lohn empfangen, denn sie wird besitzen, was sie gehofft hat, aber im Himmel gibt es keine Hoffnung mehr.
Auch die Liebe Gottes wird nach dem Tode ihren Lohn empfangen, sie wird in Ewigkeit herrschen, denn sie wird im Himmel dazu gelangen, mit unendlicher Seligkeit, die ganze Ewigkeit hindurch jenen Gott zu lieben, den sie auf Erden geliebt hat.
Selig, selig ist jener, der diese beiden sicheren Kennzeichen: die guten Werke und die Geduld besitzt, der gerne für seinen Gott wirkt und leidet, er selbst wird erkennen, daß die heilige Liebe Gottes in seinem Herzen wohnt. ‑
Lieben wir denn also alle, lieben wir alle Gott auf die genannte Weise, haben wir Gott bei allem, was wir tun, vor Augen, suchen wir in all unseren Handlungen nur die Befolgung Seines Willens, suchen wir in allem nur Sein Wohlgefallen, ertragen wir nicht nur geduldig, sondern freudig alles, was unsere Eigenliebe, was unsere Empfindlichkeit verletzt.
Bedenken wir, daß der Herr uns nur deshalb erschaffen und in die Welt gesetzt hat, damit wir unseren Gott lieben. Alle unsere Sorge, alle unsere Bemühungen müssen also darauf gerichtet sein, dies unser einziges Ziel zu erlangen. Wir müssen nur auf die Liebe Gottes Wert legen und Gott häufig und dringend bloß allein um Seine Liebe bitten: Gib mir nur Deine Liebe, o Herr, nur Deine Liebe, o Herr, und Deine Gnade verleihe mir, dann bin ich reich genug und bitte Dich um nichts weiter. ‑ Darum bat der große heilige, von Liebe zu Gott entzündete Ignatius.