Achtes Kapitel

Die Liebe handelt nicht unbesonnen.

Wer den Heiland liebt, flieht die Lauheit und strebt nach der Vollkommenheit, zu welcher man durch das Verlangen und den festen Entschluß, vollkommen zu werden, durch die Betrachtung, die Kommunion und das Gebet gelangt.

1. Der heilige Gregor sagt über diesen Text: „Sie handelt nicht unbesonnen“, daß die Liebe, weil sie sich unablässig bestrebt, Gott allein und immer mehr zu lieben, nichts zuläßt, was nicht recht und gut wäre. „Weil sie sich in der alleinigen Liebe Gottes erweitert, ist ihr alles fremd, was von der Richtschnur des Rechten und Guten abweicht“ (Mor. 1. 10. c. 8). Und schon früher sagte der Apostel, daß die Liebe das Band ist, welches in der Seele die vollkommenen Tugenden vereinigt: „Habt die Liebe, welche das Band der Vollkommenheit ist“ (Kol 3,14). Da nun die Liebe nach Vollkommenheit strebt, so verabscheut sie die Lauheit im Dienste Gottes, welcher so viele sich hingeben mit der größten Gefahr, die Liebe, die Gnade Gottes, die Seele und alles zu verlieren.

2. Man muß jedoch wohl acht haben, daß es eine zweifache Lauheit oder Unvollkommenheit gibt: die eine kann vermieden werden, die andere kann es nicht. Die unvermeidliche ist diejenige, von welcher niemand und selbst die Heiligen nicht frei sind, und die sich durch solche Fehler äußert, die ohne volle Überlegung, und daher auch nicht ganz freiwillig, sondern aus menschlicher Gebrechlichkeit begangen werden. Fehler dieser Art sind: die Zerstreuungen im Gebete, die innerlichen Aufregungen, die unnützen Worte, die Befriedigungen einer zwecklosen Neugierde, das Verlangen, mit den Menschen zu verkehren, das sinnliche Wohlgefallen im Essen und Trinken, die Regungen der Begierlichkeit, die nicht augenblicklich unterdrückt wurden, und ähnliches. Diese Fehler sollen wir vermeiden, so viel wir können; allein wegen der Schwäche unserer durch die Sünde verderbten Natur ist es uns unmöglich, alle zu vermeiden. Immer aber müssen wir Fehler dieser Art, nachdem wir sie begangen haben, bereuen und verabscheuen, weil sie Gott mißfällig sind, ohne jedoch, wie bereits im vorigen Kapitel bemerkt wurde, die innere Ruhe deshalb zu verlieren. „Alle diese Gedanken, die uns beunruhigen“, sagt der heilige Franz von Sales, „kommen nie von Gott, dem Fürsten des Friedens, sondern entweder vom bösen Feind oder von der Eigenliebe oder von der Meinung, die wir von uns selbst haben.“

3. Man muß also diese Gedanken, wenn sie uns beunruhigen, sogleich ausschlagen und weiter nicht darauf achten. Derselbe Heilige sagt, daß die Fehler aus Unüberlegtheit, so wie sie ohne ausdrückliche Zustimmung des Willens begangen werden, auf ähnliche Weise auch ausgelöscht werden. Ein Akt der Reue im allgemeinen, ein Akt der Liebe reicht hin, solche Beschuldigungen zu tilgen. Der ehrwürdigen Schwester Maria Kruzifixa, aus dem Orden der Benediktinerinnen, ward eines Tages in einer Vision eine Feuerkugel gezeigt, aufweiche viele Strohhalme geworfen und sogleich in Asche verwandelt wurden, um sie durch dieses Bild zu belehren, daß ein eifriger Akt der Liebe die Verschuldungen aus menschlicher Schwachheit ebenso in einer Seele verzehre, wie das Stroh von der Flamme verzehrt wird. Diese Wirkung bringt auch die Kommunion hervor, wie das Konzil von Trient lehrt (Sess. 13, cap. 2), welches die Eucharistie das Antidot oder Gegenmittel nennt, wodurch wir von den täglichen Verschuldungen befreit werden. Solche Fehler sind also allerdings Fehler und Verschuldungen; aber sie verhindern die Vollkommenheit nicht, das heißt, das Streben nach Vollkommenheit; denn zur Vollkommenheit im strengen Sinne können wir nicht in diesem Leben, sondern erst in der seligen Ewigkeit gelangen.

4. Unvereinbar mit dem Streben nach Vollkommenheit ist aber jede Lauheit, die vermieden werden kann: wenn man nämlich mit voller Überlegung und mit offenen Augen läßliche Sünden begeht; denn vor Verschuldungen dieser Art können wir uns mit dem Beistand der göttlichen Gnade auch in unserem gegenwärtigen Zustande sehr wohl hüten. Deshalb sagte die heilige Theresia: „Gott bewahre euch vor jeder vorbedachten Sünde, wie klein sie auch sein möge.“ Dergleichen sind z.B. freiwillige Lügen, kleine Ehrabschneidungen, Verwünschungen und Ausbriiche der Ungeduld, Sticheleien, Verspottungen oder Beleidigungen des Nächsten, eitles Selbstlob, Abneigungen, die man in seinem Herzen nährt, oder ungeordnete Affektionen für Personen des anderen Geschlechts. Dies sind die Motten, sagt dieselbe Heilige, die man nicht eher gewahr wird, als bis sie unsere Tugenden schon zernagt haben. Und an einem anderen Ort sagt sie, daß der böse Feind mit solchen kleinen Fehlern die Mauern der Festung durchlöchere, um allmählich großen und schweren Fehlern einen Zugang zu eröffnen.

5. Man muß also zittern, vorbedachte Fehler zu begehen; denn wegen solcher Fehler zieht Gott die besonderen innerlichen Erleuchtungen und die stärksten Gnadenhilfen von uns zurück und beraubt uns der Süßigkeiten des innerlichen Trostes. Die Folge aber davon ist, daß man dann die geistlichen Übungen mit Ekel und Widerwillen verrichtet, allmählich anfängt, das Gebet, die Kommunion, die Besuchung des allerheiligsten Sakramentes, die Andachten vor den großen Festtagen zu unterlassen, und zuletzt leicht dahin kommt, alles fahren zu lassen, wie dies schon so vielen zu ihrem größten Unglück begegnet ist.

6. Dies ist die Bedeutung der Drohungen, die der Herr wider die Lauen ausspricht: „Du bist weder kalt noch warm. O daß du kalt wärest! Weil du aber lau bist, werde ich anfangen, dich auszuspeien aus meinem Munde“ (Offb 3,15). Dieser Ausspruch setzt uns beim ersten Anblick in Erstaunen. O daß du kalt wärest! Soll es denn besser sein, kalt, dies heißt: der Gnade Gottes beraubt, als lau zu sein? In gewisser Weise allerdings, insofern nämlich der in der Liebe Gottes ganz Erkaltete leichter durch die Vorwürfe seines Gewissens aufgerüttelt und bewogen wird, sich zu bessern, während der Laue in seinen Fehlern eingeschlafen ist und sich so daran gewöhnt hat, daß es ihm gar nicht in den Sinn kommt, sich zu ermuntern und sein Leben zu ändern, und daß man daher an seiner Heilung fast verzweifeln muß. Der heilige Gregor nennt die Lauheit, die vom Eifer abgefallen ist, einen hoffnungslosen Zustand. Der ehrwürdige Pater Ludwig de Ponte dagegen sagte, er habe in seinem Leben unzählige Fehler begangen, aber er habe nie Frieden mit seinen Fehlern geschlossen. Dies tun aber viele, sie schließen Frieden, sie kämpfen nicht mehr gegen ihre Fehler, und dies wird die Ursache ihres Verderbens; besonders, wenn die herrschende Leidenschaft der Ehrgeiz und die Sucht, vor der Welt zu glänzen, oder das Verlangen ist, reich zu werden, oder wenn es sich um einen Groll wider seinen Nächsten oder um eine ungeordnete Zuneigung zu einer Person des anderen Geschlechts handelt. In solchen Fällen ist große Gefahr, wie der heilige Franziskus von Assisi sagte, daß die Bande, mit welchem die Seele gebunden ist, und die anfänglich nur so dünn wie ein Haar sind, allmählich zu Stricken werden, die sie in die Hölle hinab ziehen. Wenigstens wird eine solche Seele nie zur Vollkommenheit gelangen und die schöne Krone verlieren, die Gott ihr bereitet hat, wenn sie der Gnade treu geblieben wäre. Wenn der Vogel frei und an nichts gebunden ist, erhebt er sich sogleich in die Lüfte: ebenso schwingt eine Seele sich sogleich zu Gott auf, wenn sie von allen irdischen Anhänglichkeiten frei ist; hält sie aber eine solche Anhänglichkeit gebunden, so ist der dünne Faden hinreichend, ihren Aufschwung zu Gott zu verhindern. O wie viele geistliche Personen werden nur deshalb nicht heilig, weil sie keine Gewalt anwenden, sich von gewissen kleinen Anhänglichkeiten loszureißen!

7. Das ganze Übel kommt aber daher, weil ihre Liebe zu Jesus Christus so gering ist. Einige sind von sich selbst und ihren Vorzügen eingenommen; andere überlassen sich dem Kummer und der Traurigkeit, wenn das nicht geschieht, was sie wünschen; andere sind sehr nachsichtig gegen sich aus Furcht, ihrer Gesundheit zu schaden; andere öffnen ihr Herz allem, was von außen kommt, leben in einer beständigen Zerstreuung und wollen alles hören und wissen, und auch solche Dinge, die mit der Ehre und dem Dienste Gottes nichts gemein haben, und nur dazu dienen, ihre Neugierde zu befriedigen; andere sind empfindlich, wenn man es an Aufmerksamkeit und Rücksichten für sie im mindesten fehlen läßt, geraten darüber in Unruhe, und vernachlässigen dann das Gebet und die Sammlung des Geistes; andere sind bald voll Andacht und Jubel und bald voll Ungeduld und Kleinmut, je nachdem es nach ihrem Sinne oder anders geht, als sie es wünschten. Diese und alle, von denen Ähnliches gilt, lieben Jesus Christus nicht oder doch nur sehr wenig und bringen die wahre Frömmigkeit in üblen Ruf.

8. Was soll aber derjenige tun, der in diesen elenden Zustand der Lauheit geraten ist. Es ist allerdings eine sehr schwierige Sache, daß eine lau gewordene Seele zu ihrem früheren Eifer zurückkehre; allein der Herr bezeugt, daß er Dinge wirke, die den Menschen unmöglich erscheinen: „Was unmöglich ist bei den Menschen, das ist möglich bei Gott“ (Lk 18,27). Wer betet und die nötigen Mittel anwendet, wird alles erlangen, was er mit aufrichtigem Herzen zu erlangen wünscht. Die vorzüglichen Mittel aber, um aus dem Stande der Lauheit herauszukommen und den Weg der Vollkommenheit zu betreten, sind folgende fünf: Das Verlangen und der feste Entschluß, vollkommen zu werden, die Betrachtung, die öftere Kommunion und das Gebet.

9. Das erste Mittel ist also das Verlangen, vollkommen zu werden. Die heiligen Begierden sind gleichsam Flügel, die uns über die Erde erheben; weil sie uns, wie der heilige Justinianus sagt, einerseits Kraft und Stärke verleihen, und andererseits die Beschwerden erleichtern. Sie geben uns Kraft, auf dem Wege der Vollkommenheit zu wandeln, und sie machen zugleich, daß wir die Beschwerden dieses Weges weniger fühlen. Wer ein wahres Verlangen nach Vollkommenheit hat, läßt nicht ab, auf ihren Wegen fortzuschreiten, und wenn er nicht abläßt, wird er zuletzt sein Ziel erreichen. Wer aber dieses Verlangen nicht hat, geht immer mehr rückwärts und ist am Ende unvollkommener als er es zu Anfang war. Nicht vorwärtsgehen auf den Wegen Gottes ist zurückgehen, sagt der heilige Augustinus. Wer sich keine Gewalt antut, um voranzukommen, der wird von der verderbten Natur zurückgedrängt und von der Strömung seiner Leidenschaften abwärts gezogen.

10. Es ist ein großer Irrtum, wenn einige meinen, Gott wolle nicht, daß wir alle heilig seien. Der Apostel sagt das Gegenteil: „Dies ist der Wille Gottes, eure Heiligung“ (1 Thess 4,3). Gott will, daß alle heilig seien, jeder in seinem Stande: Der Religiöse im Ordenstande, der Weltliche in der Welt, der Priester im Priestertum, der Verheiratete im Ehestand, der Kaufmann in seinem Geschäft, der Soldat im Kriegsstand, und so fort, jeder seinem Stand gemäß. Sehr schön spricht sich die heilige Theresia, meine große Patronin, über diesen Gegenstand aus. Sie sagt: „Unsere Gedanken sollen auf große Dinge gerichtet sein; denn dadurch werden uns große Gnaden zukommen.“ Und an einem anderen Orte: „Wir müssen mit unseren Wünschen nicht bei dem Gemeinen und Gewöhnlichen stehen bleiben, sondern das feste Vertrauen in Gott setzen, daß wir allmählich, wenn wir uns Gewalt antun, mit dem Beistand seiner Gnade dahin gelangen können, wohin viele Heilige gelangt sind.“ Zur Bestätigung fügt sie bei, die Erfahrung habe sie gelehrt, daß mutige und entschlossene Seelen in kurzer Zeit größere Fortschritte machen als furchtsame in vielen Jahren, und zwar aus dem Grund, weil dem Herrn die heiligen Begierden ebenso wohlgefällig sind, als wäre das schon vollbracht, was die Seele will und wünscht. An einem anderen Ort sagt sie: „Gott verleiht keinem große und besondere Gnaden, der nicht ein großes Verlangen hat, Ihn zu lieben.“ Und an einem anderen Orte: „Gott unterläßt niemals, heilige Begierden in diesem Leben zu belohnen, denn Er ist ein Freund großmütiger Seelen, wenn sie nur alles Vertrauen auf sich selbst abgelegt haben.“ Von solchen großartigen Gesinnungen war die Heilige selbst, und zwar im höchsten Grade, beseelt. Sie sagte eines Tages zum Herrn, es werde ihr keinen Kummer machen, im Himmel andere zu sehen, die eine größere Glorie genießen als sie; aber sie wisse nicht, wie sie es ertragen werde, andere zu sehen, die Ihn mehr lieben als sie.

11. Wir müssen also mit Mut und Entschlossenheit vorangehen. „Gütig ist der Herr der Seele, die Ihn sucht“ (Klgl 3). Gott ist unendlich gütig und großmütig gegen alle, die Ihn von ganzem Herzen suchen; und auch die begangenen Sünden sind kein Hindernis, vollkommen zu werden, wenn wir ein aufrichtiges Verlangen danach tragen. Die oft genannte Heilige sagt: „Der böse Feind sucht uns vorzuspiegeln, daß es ein Hochmut sei, großartige Begierden zu nähren und die Heiligen nachahmen zu wollen; allein es ist sehr nützlich, sich zu großen Dingen zu ermutigen; denn hat die Seele noch nicht die Kraft hierzu, so gibt ihr doch schon das Verlangen danach einen Schwung, der sie in die Vollkommenheit fördert und vorwärts bringt.“ „Denen die Gott lieben, dienen alle Dinge zum Besten“, sagt der Apostel (Rom 8,28); und die Glosse fügt hinzu: Auch unsere Sünden können zu unserer Heiligung mitwirken, insofern nämlich die Erinnerung daran uns demütiger und zugleich dankbarer macht, indem wir sehen, daß Gott uns so sehr mit Gnaden überhäuft, ungeachtet dessen, daß wir Ihn so sehr beleidigt haben. Ich vermag nichts, soll der Sünder sprechen, und ich verdiene nichts, ich verdiene nur die Hölle; aber ich stehe einem Gott gegenüber, der unendlich gütig ist und der jeden zu erhören verheißen hat, der Ihn anruft. Nachdem Er mich in seiner Barmherzigkeit dem Stande der Verdammnis entrissen hat, will Er, daß ich heilig werde und bietet mir seinen Beistand an; ich kann mich also heiligen, nicht durch meine eigenen Kräfte, wohl aber durch die Gnaden meines Gottes, der mich stärkt: „Ich vermag alles in dem, der mich stärkt“ (Phil 4,13). Haben wir also gute und heilige Begierden, so sollen wir Mut fassen und im Vertrauen auf Gott trachten, sie ins Werk zu setzen, und stoßen wir dann in unserem geistlichen Leben auf etwas, das sich nicht ausführen läßt, so müssen wir uns mit dem Willen Gottes beruhigen; denn der Wille Gottes muß uns mehr sein als alle unsere, wenn auch heiligen Wünsche und Begierden. Die heilige Maria Magdalena von Pazzi wollte lieber der Vollkommenheit entsagen, als sie besitzen, ohne sie nach dem Willen Gottes erlangt zu haben.

12. Das zweite Mittel, zur Vollkommenheit zu gelangen, ist der feste Entschluß und Vorsatz, sich ganz Gott zu schenken. Viele sind zur Vollkommenheit berufen, werden von der Gnade dazu angetrieben, bringen es auch bis zu einem Verlangen danach; weil sie es aber nicht zugleich dahin bringen, sich herzhaft zu entschließen, leben und sterben sie in dem üblen Geruch ihrer Lauheit und Unvollkommenheit. Es ist nicht genug, daß man die Begierde nach der Vollkommenheit habe, wenn man nicht auch den festen Vorsatz faßt, aus allen Kräften danach zu streben. Wie viele Seelen weiden sich an ihren Begierden und Wünschen, ohne jemals einen Schritt zu machen, um den Weg der Vollkommenheit in der Tat zu betreten. Dies sind die Wünsche, von denen der Weise spricht: „Die Wünsche töten den Faulen, denn seine Hände wollen nichts tun“ (Spr 21,25). Der Träge wünscht immer, aber er entschließt sich nie, die Mittel zu ergreifen, die seinem Stande zukommen, um sich zu heiligen. Er spricht: O wäre ich in einer Wüste und nicht in diesem Hause! O könnte ich in einem anderen Kloster leben, wie wollte ich mich da Gott ganz schenken! Dabei hat er aber eine Abneigung gegen diesen oder jenen seiner Genossen; dabei kann er keinen Widerspruch ertragen; dabei gießt er sich in unnützen Sorgen und Geschäften aus; dabei begeht er tausend Fehler der Lüsternheit des Gaumens, des Vorwitzes, der Eitelkeit und der Hoffart: spricht und seufzt aber dennoch in den Wind hinein: O wäre ich! O könnte ich! Dergleichen Wünsche und Begierden schaden viel mehr, als sie nützen, weil solche Leute sich dabei beruhigen und ihr unvollkommenes Leben fortsetzen, als ob nichts daran zu bessern wäre. Der heilige Franz von Sales sagte: „Ich billige es nicht, daß diejenigen, die an gewisse Verpflichtungen oder an einen gewissen Beruf gebunden sind, ein Verlangen tragen nach einer anderen Lebensweise, die ihren Verhältnissen nicht angemessen ist, oder nach anderen geistlichen Übungen, die sich mit ihrem gegenwärtigen Stande nicht vereinigen lassen; denn solche Gedanken zerstreuen den Geist und stören die Ruhe des Herzens und machen, daß der Eifer auch in den notwendigen geistlichen Übungen nachläßt.“

13. Man muß also ein Verlangen tragen, vollkommen zu werden; man muß aber zugleich entschlossen sein, alle Mittel zu ergreifen, die zur Vollkommenheit führen. „Gott will von uns nur einen festen Entschluß“, sagt die heilige Theresia, „um dann von seiner Seite alles zu tun. Unentschlossene Seelen fürchtet der böse Feind nicht.“ Und dazu dient das innerliche Gebet. Einige verrichten viele Gebete, aber sie machen dabei keine Vorsätze. Diese mögen beherzigen, was dieselbe Heilige sagt: „Ich will lieber ein Gebet, das nur kurze Zeit dauert, aber heilsame Früchte bringt, als ein vieljähriges Gebet, in welchem die Seele nicht zum Vorsatz kommt, irgend etwas von Bedeutung für Gott zu tun.“ Und an einem anderen Ort sagt sie: „Ich weiß aus Erfahrung: wer sich gleich im Anfange herzhaft zu etwas entschließt, was Gott wohlgefällig ist, wird alle Schwierigkeiten überwinden, so groß sie auch sein mögen.“

14. Vor allem muß man den Vorsatz machen, die äußerste Gewalt anzuwenden und eher zu sterben, als mit Vorbedacht auch nur die geringste Sünde zu begehen. Zwar reichen alle unsere Kräfte ohne den Beistand Gottes nicht hin, die Versuchungen zu überwinden; allein Gott will oft diese Anstrengung aller unserer Kräfte, weil Er dann das Weitere durch seine Gnade ersetzt und unserer Schwachheit zu Hilfe kommt, um den Sieg zu erkämpfen. Dieser Vorsatz befreit uns von den Hindernissen, die sich dem Fortschreiten auf dem Wege der Vollkommenheit entgegenstellen, und tröstet und ermutigt uns zugleich, weil er uns die mögliche Sicherheit gibt, daß wir im Stande der Gnade sind. Der heilige Franz von Sales sagt: „Die höchste Sicherheit, die wir in diesem Leben haben können, daß wir in der Gnade Gottes sind, besteht nicht in dem Gefühle, Gott zu lieben, sondern darin, daß wir uns auf vollkommene und unwiderrufliche Weise seinen Händen überlassen und fest entschlossen sind, nie in eine Sünde, weder in eine schwere noch in eine läßliche, einzuwilligen.“ Dies ist es, was man ein zartes Gewissen nennt, welches jedoch von einem skrupelhaften Gewissen wohl zu unterscheiden ist. Die Zartheit des Gewissens ist notwendig, um sich zu heiligen, die Skrupelhaftigkeit dagegen ist ein Fehler, welcher den geistlichen Fortgang hindert. Man muß daher in allem seinem geistlichen Führer gehorchen, und die Skrupel ausschlagen, die nichts sind als leere und unvernünftige Ängstlichkeiten.

15. Ferner muß man den Vorsatz machen, immer und ohne Vorbehalt das Bessere zu wählen, das heißt: nicht bloß was Gott wohlgefällig ist, sondern was zu seinem größeren Wohlgefallen gereicht. Der heilige Franz von Sales sagt: „Man muß mit dem festen und standhaften Entschluß beginnen, sich Gott zu schenken, indem man beteuert, Ihm allein und unbedingt angehören zu wollen, und sodann diesen Vorsatz öfter erneuern.“ Der heilige Andreas Avellino machte das Gelübde, täglich in der Vollkommenheit fortzuschreiten. Es ist nicht notwendig, ein solches Gelübde abzulegen, um sich zu heiligen; aber man soll wenigstens trachten, täglich etwas zu tun, was uns in der Vollkommenheit fördert. Der heilige Laurentius Justinianus sagt: „Wer in Wahrheit auf dem Wege der Vollkommenheit wandelt, fühlt unablässig in sich das Verlangen, weiter voranzukommen, und je mehr er an Vollkommenheit zunimmt, desto mehr nimmt auch dieses Verlangen zu; denn da er immer mehr Licht von oben empfangt, scheint es ihm, daß er noch gar keine Tugend besitze und noch gar nichts Gutes getan habe; und wenn er sich auch manchmal nicht verhehlen kann, ein gutes Werk verrichtet zu haben, so erscheint es ihm doch so mangelhaft und unvollkommen, daß er keinen Wert darauf legt. Und so geschieht es, daß er unablässig nach größerer Vollkommenheit strebt, ohne jemals in diesem Streben zu ermüden.“

16. Man muß aber rasch und ohne Säumen vorangehen und nicht auf den kommenden Tag warten; denn keiner weiß, ob er später noch Zeit dazu haben wird. Darum sagt der Prediger: „Was immer deine Hand tun kann, das tue mit allem Eifer.“ Was du tun kannst, das tue schnell, ohne es zu verschieben; und er fügt auch den Grund bei: „Weil dort, wohin du eilst, in der anderen Welt, weder Werk noch Einsicht, noch Weisheit, noch Wissenschaft ist“ (Sir 9,10). In dem anderen Leben gibt es keine Zeit mehr zum Wirken, und weder Einsicht, um sich Verdienste zu sammeln, noch Weisheit, um Gutes zu tun, noch Wissenschaft oder Erfahrung, um dich gut zu beraten; denn was in diesem Leben getan ist, bleibt getan für immer. Die Schwester Bonaventura führte in dem Kloster Torre de' Specchi in Rom ein sehr laues und unerbauliches Leben, und als der Pater Lancicius berufen wurde, um den Klosterfrauen die geistlichen Exerzitien zu halten, begann sie die Übungen mit dem größten Widerwillen, weil sie keine Lust hatte, ihrer Lebensweise zu entsagen. Allein schon bei der ersten Predigt wurde sie so erschüttert und von der Gnade ergriffen, daß sie sich dem Prediger zu Füßen warf und ausrief: „Mein Vater, ich will heilig werden, und ich will schnell heilig werden!“ Und so geschah es auch mit dem göttlichen Beistand der Gnade; denn sie lebte nur noch acht Monate, aber sie lebte während dieses kurzen Zeitraumes wie eine Heilige und starb wie eine Heilige.

17. Der königliche Prophet sprach: „Ich sage es: nun will ich anfangen“ (Ps 76,11). Und ebenso wiederholte der heilige Karl Borromäus täglich: „Heute fange ich an, Gott zu dienen.“ So sollen auch wir sprechen, wie wenn wir bisher noch gar nichts Gutes getan hätten; wie denn in Wahrheit alles nichts ist, was wir für Gott tun, weil wir nie mehr tun, als wir zu tun schuldig sind. Entschließen wir uns also, täglich mit neuem Eifer anzufangen, ganz Gott anzugehören, und achten wir nicht darauf, was andere und wie sie es tun; denn die Zahl derer, die in Wahrheit nach Vollkommenheit streben, ist sehr gering. „Es kann nicht anders sein, als daß das Vollkommene vereinzelt dasteht“, sagt der heilige Bernhard. Wenn wir dem gemeinen und gewöhnlichen Gang der Menschen folgen wollen, werden wir immer unvollkommen bleiben, weil die Menschen gemeinsam unvollkommen sind. Man muß alles überwinden, allem entsagen, um alles zu gewinnen. „Weil wir es nie zu dem Entschluß bringen“, sagte die heilige Theresia, „Gott alle unsere Liebe zu schenken, schenkt auch Gott uns nicht alle seine Liebe.“ Ach, wie wenig ist alles, was wir für Jesus Christus tun, der sein Blut und sein Leben für uns hingegeben hat! „Alles, was wir immer tun können“, sagt dieselbe Heilige, „ist ein wahrer Bettel, wenn wir es mit einem einzigen Blutstropfen vergleichen, den der Herr für uns vergossen hat.“ Die Heiligen wissen nichts von Sparen und Schonen, wenn es sich darum handelt, sich das Wohlgefallen eines Gottes zu erwerben, der sich ganz und ohne Vorbehalt für uns hingegeben hat, um uns zu verpflichten und zu bewegen, daß auch wir Ihm nichts verweigern. „Ganz hat Er sich dir gegeben, nichts hat Er zurückbehalten“, sagt der heilige Johannes Chrysostomus. Und der Apostel bezeugt, daß Er für uns alle sterben wollte, damit jeder von uns nur mehr für denjenigen lebe, der für uns gestorben ist: „Christus ist für alle gestorben, damit, die da leben, nicht mehr sich selbst leben, sondern dem, der für sie gestorben ist“ (2 Kor 5,15).

18. Das dritte Mittel, sich zu heiligen, ist das innerliche oder betrachtende Gebet. Wer die ewigen Wahrheiten nicht betrachtet, sagt Gerson (De. med. cons. 7), kann ohne Wunder kein wahrhaft christliches Leben führen. Der Grund ist, weil wir ohne das betrachtende Gebet kein Licht haben und im Finstern wandeln. Man sieht die Wahrheiten des Glaubens nicht mit den leiblichen Augen, sondern mit den Augen des Geistes, und dies geschieht durch die Betrachtung. Wer also nicht betrachtet, sieht sie nicht, er wandelt daher ohne das Licht des Glaubens, und so wird er in der Dunkelheit leicht sein Herz an die irdischen Güter hängen und die ewigen Güter verachten. „Es scheint uns oft“, schreibt die heilige Theresia an den Bischof von Osma, „daß wir keine Unvollkommenheit an uns haben, weil wir sie nicht wahrnehmen; allein sie kommen sogleich zum Vorschein, sobald uns Gott die Augen des Geistes öffnet, wie Er dies in dem innerlichsten Gebete zu tun pflegt.“ Schon früher sagte der heilige Bernhard, daß, wer nicht betrachtet, vor sich selbst nicht erschrickt, weil er sich nicht kennt. Das betrachtende Gebet, sagt derselbe Heilige, regelt die Neigungen unseres Herzens und gibt unseren Handlungen die Richtung gegen Gott, unser höchstes Gut; wo es daher fehlt, neigt sich das Herz zu den irdischen Gütern, die Handlungen richten sich nach den Neigungen des Herzens, und so gerät alles in Unordnung und Verwirrung.

19. Einen heilsamen Schrecken muß uns einflößen, was in dem Leben der ehrwürdigen Schwester Maria Kruzifixa erzählt wird. Als sie eines Tages im Gebet war, hörte sie einen bösen Geist sich rühmen, er habe eine Klosterfrau verleitet, die gemeinschaftliche Betrachtung zu unterlassen, und sah zugleich im Geiste, daß die Klosterfrau in Folge dieser Unterlassung hart von demselben versucht wurde und nahe daran war, in eine schwere Sünde einzuwilligen. Sie erhob sich sogleich, warnte die Unglückliche und bewahrte sie dadurch vor dem Falle. Wer das Gebet unterläßt, sagt die heilige Theresia, wird bald eine Bestie werden oder ein Teufel.

20. Wer vom Gebet abläßt, wird auch von der Liebe zu Jesus Christus ablassen. Das Gebet ist jener glückselige Feuerherd, auf dem die heiligen Flammen der Liebe entzündet und erhalten werden. „In meiner Betrachtung wird sich ein Feuer entzünden“ (Ps 38,4). Die heilige Katharina von Bologna sagte: „Wer das betrachtende Gebet nicht ununterbrochen und beharrlich übt, beraubt sich des kräftigsten Mittels, wodurch die Seelen mit Gott vereinigt und in dieser Vereinigung gehalten werden.“ Wenn daher eine solche Seele in der göttlichen Liebe erkaltet ist, so wird es dem bösen Feinde nicht schwer sein, sie zu verleiten, von einem vergifteten Apfel zu essen, wie einst unsere Stammeltern. Wenn dagegen eine Seele beharrlich ist, so hat sie nichts zu fürchten. „Wenn jemand im Gebete ausharrt“, sagt die heilige Theresia, „so mag ihm der böse Geist noch so viele Sünden vorwerfen, ich halte dennoch für gewiß, daß er in den Hafen des ewigen Heils eingehen wird.“ Und an einem anderen Orte: „Wer auf dem Weg des Gebetes nicht innehält, und vom Gebete nicht abläßt, wird zuletzt doch, wenn auch spät, sein Ziel erreichen.“ Und wieder an einem anderen Ort sagt sie, daß der böse Feind sich so sehr bemühe, die Seelen vom Gebete abzuhalten, weil er weiß, daß eine Seele, die beharrlich dem Gebete obliegt, für ihn verloren ist. O welchen großen Gewinn zieht man aus dem Gebete! Im Gebete werden heilige Gedanken gefaßt, heilige Anmutungen geübt, heilige Begierden erweckt, heilige Vorsätze gemacht, sich ganz Gott zu schenken; und so gelangt die Seele dahin, alle ihre ungeordneten Neigungen und alle irdischen Freuden dem Herrn aufzuopfern. „Ohne vieles Gebet gibt es keine wahre Vollkommenheit“, sagte der heilige Aloisius von Gonzaga. Mögen alle, die nach Vollkommenheit streben, diesen goldenen Spruch beherzigen.

21. Man soll sich aber nicht deshalb in das Gebet begeben, um die Süßigkeiten der göttlichen Liebe zu empfinden; wer sich dies als Grund und Ziel des Gebetes vorsetzt, verliert seine Zeit und wird wenig Nutzen davon haben. Wir sollen das Gebet einzig und allein verrichten, um Gott zu gefallen, daß heißt, um zu erkennen, was Gott von uns verlangt, und um Ihn zu bitten, Er möge uns mit seiner Gnade beistehen, es zu vollbringen. Der ehrwürdige Pater Antonius Torres sagte: „Eine Seele, die das Kreuz trägt ohne allen Trost, geht nicht auf dem Weg der Vollkommenheit, sondern sie fliegt.“ Das Gebet ohne fühlbaren Trost ist immer das heilsamste und gnadenreichste; und beklagenswert ist eine Seele, die es unterläßt, weil sie keinen Geschmack dabei empfindet. „Eine Seele, die vom Gebete abiaßt“, sagte die heilige Theresia, „schlägt gleichsam selbst den Weg zur Hölle ein, und bedarf der bösen Geister nicht, um sie dahin zu führen.“

22. Das betrachtende Gebet bewirkt ferner, daß man beständig an Gott denkt. „Die wahrhaft Liebenden“, sagt dieselbe Heilige, „erinnern sich unablässig an den Geliebten.“ Dieses beständige Denken an Gott aber bewirkt, daß Personen, die dem Gebete ergeben sind, immerfort von Gott sprechen, weil sie wissen, wie wohlgefällig es Ihm ist, wenn die liebenden Seelen ihre Freude daran haben, von Ihm und von der großen Liebe, die Er zu uns trägt, zu sprechen, und so auch in den Herzen anderer das Feuer der heiligen Liebe zu entzünden. „Bei den Unterredungen der Diener Gottes“, sagt dieselbe Heilige, „ist Jesus Christus immer gegenwärtig, weil Er ein großes Wohlgefallen daran hat, wenn sie sich an Ihm und in Ihm erfreuen.“

23. Das betrachtende Gebet erzeugt ferner das Verlangen, sich an einsame Orte zurückzuziehen, um mit Gott allein zu verkehren, und die Sammlung des Geistes auch dann zu bewahren, wenn man später notwendige äußerliche Geschäfte zu verhandeln hat. Ich sage: notwendige Geschäfte, das heißt solche, zu welchen man verpflichtet ist, die zur Leitung des Hauses und der Gemeinde gehören oder vom Gehorsam auferlegt sind. Denn eine dem Gebet ergebene Person soll die Einsamkeit lieben, und darf sich nicht durch freiwillig übernommene unnütze Geschäfte zerstreuen, weil sie sonst die Sammlung des Geistes verliert, die eines der vorzüglichen Mittel ist, sich in der Vereinigung mit Gott zu erhalten. „Ein verschlossener Garten bist du, meine Schwester, meine Braut“ (Hl 4,12). Eine mit Jesus Christus verlobte Seele soll ein Garten sein, der für alle Geschöpfe verschlossen ist, und darf in ihr Herz keine anderen Gedanken einlassen, als die Gedanken an Gott und an Angelegenheiten, die zu seiner größeren Ehre gereichen. Ein Herz, das für die Geschöpfe offen steht, wird sich niemals heiligen. Heilige Personen, die für das Heil der Seelen arbeiten, verlieren bei allen ihren Arbeiten die Sammlung des Geistes nicht, sie mögen predigen, oder Beichten abnehmen oder Kranken und Sterbenden beistehen oder andere Werke der Nächstenliebe verrichten. Dasselbe gilt von denjenigen, die sich mit Studien beschäftigen. Es gibt viele, die viel und mit großem Eifer studieren, um gelehrt zu werden, und weder heilig noch gelehrt werden, weil die wahre Gelehrsamkeit in der Wissenschaft der Heiligen besteht, darin nämlich: daß man Jesus Christus zu lieben wisse, während im Gegenteil die göttliche Liebe die Wissenschaft und alle anderen Güter mit sich bringt: „Es sind mir mit ihr alle Güter zugekommen“ (Weish 7,11), nämlich mit der göttlichen Liebe. Der ehrwürdige Johannes Berchmans hatte eine große Neigung zu den Studien; allein seine Tugend und Frömmigkeit wußte diese Neigung so zu regeln, daß sie für einen geistlichen Fortgang kein Hindernis war. „Ihr sollt nicht mehr wissen wollen“, sagt der Apostel, „als zu wissen notwendig ist, sondern mit Nüchternheit“ (Rom 12,3). Die Wissenschaft ist insbesondere den Priestern unentbehrlich, weil sie die anderen in den Gesetzen Gottes zu unterrichten haben: „Die Lippen des Priesters werden die Wissenschaft bewahren, und man wird das Gesetz aus seinem Munde verlangen“ (Mal 2,7). Die Priester sollen sich also auf die Wissenschaft verlegen, aber sie sollen nach den Worten des Apostels die Nüchternheit, daß heißt, das rechte Maß dabei beobachten. Wer wegen der Studien das Gebet unterläßt, gibt zu erkennen, daß er in den Studien nicht Gott, sondern sich selbst sucht. Wer in den Studien nur Gott sucht, unterläßt sie, wenn sie für den Augenblick nicht notwendig sind, um das Gebet nicht zu versäumen.

24. Das Schlimmste aber ist: daß man ohne die Betrachtung auch nicht betet. Ich habe mich in mehreren meiner geistlichen Schriften über die Notwendigkeit des Gebetes ausgesprochen, insbesondere in dem Büchlein: „Von dem Gebete, dem großen Heilsmittel“; und werde auch in diesem Buch weiter unten einiges hierüber sagen. Ich begnüge mich deshalb hier, aus den Schriften des ehrwürdigen Palafox, Bischofes von Osma, eine hierher gehörige Stelle anzuführen (in seinen Anmerkungen zu den Briefen der hl. Theresia). Er sagt: „Wie können wir die göttliche Liebe bewahren, wenn Gott uns nicht die Beharrlichkeit gibt? Und wie wird uns Gott die Beharrlichkeit geben, wenn wir Ihn nicht darum bitten? Wie wollen wir aber anders darum bitten als im Gebete? Ohne Gebet haben wir nicht jenen Verkehr mit Gott, der uns notwendig ist, um die Tugenden und alles Gute in uns zu erhalten. Wer aber das innerliche Gebet nicht übt, erkennt weder die Bedürfnisse seiner Seele, noch die Gefahren seines Heiles, noch die Mittel genügend, die er anwenden muß, um die Versuchungen zu überwinden, und da er so die Notwendigkeit zu beten nicht gehörig einsieht, unterläßt er das Gebet, und geht ganz gewiß zugrunde.“

25. Was den Stoff der Betrachtung betrifft, so ist es im allgemeinen am nützlichsten, die letzten Dinge: den Tod, das Gericht, die Hölle und den Himmel zu betrachten, ganz besonders aber den Tod, und sich vorzustellen, man liege auf dem Sterbebett, das Kruzifix in den Händen, und erwarte den letzten Augenblick, um von der Zeit in die Ewigkeit einzugehen. Vor allem jedoch ist es das bittere Leiden und Sterben des Herrn, das jedem, der Ihn liebt und immer mehr zu lieben verlangt, den fruchtbarsten Stoff zur Betrachtung liefert. Der heilige Franz von Sales nennt den Kalvarienberg den Berg der Liebenden. Alle liebenden Seelen machen sich unablässig etwas auf diesem Berg zu schaffen, auf dem man keine andere Luft als die der göttlichen Liebe einatmet „Er hat uns geliebt und sich selbst für uns hingegeben“ (Eph 5,2). Bei dem Anblick eines sterbenden Gottes, der stirbt, weil Er uns liebt, und für uns sein Leben hingibt, ist es nicht möglich, Ihn nicht wieder zu lieben. Aus den Wunden des Gekreuzigten fliegen immerfort Liebespfeile ab, welche selbst Herzen von Stein verwunden. Selig, wer in diesem Leben beständig auf dem Kalvarienberg sich aufhält! O teurer, heiliger, liebenswürdiger Berg, wer kann von dir lassen, wenn er dich einmal kennengelernt hat? Du entzündest mit den Flammen, die aus dir hervorbrechen, die Herzen aller, die beharrlich in der Nähe verweilen.

26. Das vierte Mittel, um die Vollkommenheit und überhaupt die Gnade der Beharrlichkeit zu erlangen, ist die öftere Kommunion, von der wir bereits im zweiten Kapitel gesprochen haben, wo wir sagten, daß die Seele nichts tun könne, was dem Herrn wohlgefälliger wäre, als wenn sie Ihn öfters im heiligsten Sakramente empfängt. Die heilige Theresia sagt: „Es gibt keine kräftigere Hilfe, um vollkommen zu werden, als die öftere Kommunion. O wie wunderbar wirkt der Herr in der Kommunion auf die Seele ein, um sie immer vollkommener zu machen!“ Sie fugt noch hinzu, daß in der Regel Personen, die öfters kommunizieren, in der Vollkommenheit mehr vorgeschritten sind, und daß auch in den Klöstern, in denen die öftere Kommunion in Übung ist, mehr Geist und Eifer herrscht. Deshalb haben die heiligen Väter die öftere und selbst die tägliche Kommunion so sehr gepriesen und empfohlen, wie in dem Dekret Papst Innozenz XI. vom Jahre 1679 bezeugt wird; und das Konzil von Trient (Sess. 13, cap. 2) hat erklärt, daß die Kommunion uns von den täglichen Fehlern befreie und vor schweren Sünden bewahre. Der heilige Bernhard sagt, daß die Kommunion die Regungen des Zornes und der Unenthaltsamkeit unterdrücke, jener beiden Leidenschaften, von welchen wir am häufigsten und heftigsten angefochten werden. Der heilige Thomas sagt, daß die heilige Kommunion gegen die Versuchungen und Einflüsterungen des bösen Feindes beschütze (III, 79, 1). Der heilige Johannes Chrysostomus endlich sagt, daß die Kommunion uns eine große Neigung zu allen Tugenden und die Bereitwilligkeit, sie auszuüben, einflöße, zugleich einen großen innerlichen Frieden in unseren Seelen ausgieße, und so den Weg der Vollkommenheit uns leicht und süß mache. Vor allem aber entzündet kein anderes Sakrament die Seelen so sehr mit dem Feuer der göttlichen Liebe als das Sakrament der Eucharistie, in dem Jesus Christus sich uns ganz hingibt, um durch die Liebe sich vollkommen mit uns zu vereinigen. Darum sagte der ehrwürdige Johann von Avila: „Wer die Seelen von der öfteren Kommunion abhält, verrichtet das Geschäft des Satans.“ Und so ist es; denn nichts ist dem Satan verhaßter als dieses Sakrament, das den Seelen am meisten Kraft und Stärke verleiht, in der göttlichen Liebe fortzuschreiten.

27. Um die heilige Kommunion mit Frucht zu empfangen, ist eine gehörige Vorbereitung notwendig. Die erste oder entfernte Vorbereitung, um täglich oder mehrmals in der Woche zu kommunizieren, besteht in drei Punkten: daß man keine ungeordnete Neigung, wie gering sie auch sein möge, Überlegterweise und mit offenen Augen zulasse; daß man viel Zeit auf das innerliche Gebet verwende; und endlich daß man seine Sinne und seine Leidenschaften abtöte. Der heilige Franz von Sales sagt: „Wer seine ungeordneten Neigungen größtenteils überwunden hat und bereits einen bedeutenden Grad von Vollkommenheit erreicht hat, könnte täglich kommunizieren“ (Philothea c. 20). Der Engel der Schule, der heilige Thomas, lehrt, daß derjenige wohl täglich kommunizieren könne, der aus Erfahrung erkannt hat, daß durch die Kommunion sein Eifer in der Liebe Gottes zunimmt (Dist. 2. qu. 13. art. 1. sol. 2). Deshalb sagt Innozenz XI. in dem oben erwähnten Dekret, daß der Beichtvater das Maß der mehr oder minder häufigen Kommunion zu bestimmen habe und daß seine Richtschnur hierbei der Nutzen sein solle, den die Seelen, die er leitet, daraus ziehen, und der geistliche Fortgang, den er in der Folge der Kommunion an ihnen wahrnimmt. Was aber die nächste Vorbereitung betrifft, so steht sie in den Andachtsübungen am Morgen des Kommunionstages, und man soll zu diesem Ende wenigstens eine halbe Stunde in dem innerlichen Gebet zubringen.

28. Um großen Gewinn aus der heiligen Kommunion zu ziehen, wird ferner erfordert, daß man nicht bloß eine kurze Danksagung mache, sondern eine längere Zeit darauf verwende. Johannes von Avila sagt, daß die Zeit nach der Kommunion die Zeit sei, wo man große Gnadenschätze gewinnen könne. Ebenso versichert die heilige Maria Magdalena von Pazzi, daß keine Zeit geeigneter sei, in dem Herzen die Flamme der göttlichen Liebe zu erwecken. Und die heilige Theresia sagt: „Versäumen wir nicht nach der Kommunion die Gelegenheit, unmittelbar mit Gott zu verkehren; die göttliche Majestät pflegt uns die Herberge nicht karg zu bezahlen, wenn wir Ihr eine gute Aufnahme bereitet haben.“

29. Gewisse kleinmütige Seelen, wenn sie von ihrem Beichtvater ermuntert werden, öfters zu kommunizieren, erwidern ihm: Ach, ich bin es nicht würdig! Aber weißt du denn nicht, mein Bruder oder meine Schwester, daß du dich immer weniger würdig machst, je länger du die Kommunion aufschiebst, weil du ohne die Kommunion weniger Kraft hast und mehr Fehler begehen wirst. Gehorche also deinem Gewissensführer und lasse dich von ihm leiten: die Fehler sind kein Hindernis der Kommunion, wenn sie nicht ganz freiwillig sind; und überdies ist der größte unter deinen Fehlern ohne Zweifel der, daß du das nicht befolgst, was dir dein geistlicher Führer sagt.

30. Eine andere Einwendung ist: Ich kann es nicht wagen, öfters zu kommunizieren, weil ich früher ein unordentliches Leben geführt habe. Aber weißt du nicht, antworte ich, daß man um so mehr des Arztes und der Arzneien bedarf, je mehr man krank ist. Jesus im heiligsten Sakramente ist der Arzt und die Arznei. „Ich sündige immerfort“, sagte der heilige Ambrosius (De sacram. c. 6), „folglich muß ich immerfort die Arznei gebrauchen.“ Wieder ein anderer wendet ein: Mein Beichtvater sagt mir nichts, daß ich öfters kommunizieren soll. Gut, wenn er dir nichts sagt, so sprich selbst mit ihm darüber und bitte ihn um Erlaubnis, öfter zu kommunizieren. Wenn er sie dir verweigert, so gehorche, aber für jetzt trage ihm deine Bitte vor. Dies scheint mir aber ein hochmütiges Begehren zu sein, wirst du vielleicht weiter sagen, und hierauf antworte ich: Wenn du gegen den Willen deines Beichtvaters kommunizieren wolltest, so wäre dies allerdings ein Zeichen des Hochmutes, wenn du ihn aber demütig darum bittest, so brauchst du dich vor dem Hochmut nicht zu fürchten. Dieses himmlische Brot verlangt, daß man danach hungere. Jesus will ersehnt sein. „Er dürstet danach, daß wir nach Ihm dürsten“, sagt ein frommer Schriftsteller. Und wie erhält schon der Gedanke: Heute habe ich kommuniziert, oder: Morgen werde ich kommunizieren! die Seele in der Spannung und Aufmerksamkeit, keinen Fehler zu begehen und in allen Dingen den Willen Gottes zu tun. Ein anderer endlich wendet ein: Wie soll ich öfter kommunizieren, da ich keinen Eifer habe? Wenn du damit den fühlbaren Eifer meinst, so sage ich dir, daß derselbe nicht notwendig ist, und daß Gott ihn oft seinen geliebtesten Seelen versagt; wesentlich ist nur jener Eifer, der in dem festen Entschluß besteht, Gott ganz anzugehören, und in seiner Liebe immer mehr fortzuschreiten. Wer sich von der Kommunion enthält, sagt Gerson, weil er jene Andacht nicht fühlt, die er fühlen möchte, der gleicht einem Menschen, der sich darum nicht dem Feuer nähern will, weil er keine Wärme in sich empfindet.

31. Ach, wie viele unterlassen es, um die Kommunion zu bitten, weil sie sich nicht entschließen wollen, mit mehr Sammlung des Geistes zu leben und sich mehr von den irdischen Dingen loszureißen; und das ist der wahre Grund, warum sie nicht öfter kommunizieren wollen. Sie fühlen sehr wohl, daß sich gar vieles an ihnen mit der öfteren Kommunion nicht verträgt, daß dieses Verlangen, öffentlich zu erscheinen, diese Eitelkeit in der Kleidung, diese Lüsternheit im Essen und Trinken, diese Weichlichkeit und Bequemlichkeit, diese müßigen Gespräche zum bloßen Zeitvertreib: daß dies alles sich nicht damit vereinigen läßt. Sie fühlen, daß sie mehr beten, sich mehr innerlich und äußerlich abtöten, sich mehr zurückziehen müßten; und deshalb scheuen sie sich, öfters zum Tisch des Herrn hinzutreten. Es ist kein Zweifel, daß solche Seelen sehr gut daran tun, sich von der öfteren Kommunion zu enthalten, so lange sie sich in diesem elenden Zustand der Lauheit befinden: allein wer zu einem vollkommenen Leben berufen ist, soll trachten, um jeden Preis aus diesem Zustand herauszukommen, wenn er sein ewiges Heil nicht einer großen Gefahr aussetzen will.

32. Ein vorzügliches Mittel, den Eifer zu erhalten, ist auch die geistliche Kommunion, eine Andachtsübung, die von dem Konzil von Trient so sehr gerühmt und allen Gläubigen empfohlen wird (Sess. 13, cap. 8). Die geistliche Kommunion besteht nach dem heiligen Thomas (III, 8, 1 ad 3) in dem innigen Verlangen, Jesus Christus im allerheiligsten Sakramente zu empfangen. Wir wissen, daß die Heiligen auf diese Weise mehrmals des Tages kommunizierten; und man kann sich dabei der nachstehenden Formel bedienen: „Mein Jesus, ich glaube, daß Du im allerheiligsten Sakramente wahrhaft und wesentlich gegenwärtig bist. Ich liebe Dich; ich sehne mich nach Dir, o komme, meine Seele geistlicherweise heimzusuchen. Ich umfange Dich, wie wenn Du wirklich gegenwärtig wärest; o laß nicht zu, daß ich jemals von Dir getrennt werde!“ Oder kürzer: „Mein Jesus, komme, meine Seele heimzusuchen. Ich sehne mich nach Dir, ich umfange Dich, wie wenn Du wirklich gegenwärtig wärest; ich will immer mit Dir vereinigt sein.“ Es ist sehr gut, diese geistliche Kommunion öfters des Tages zu verrichten: bei der Betrachtung, bei der Besuchung des allerheiligsten Sakramentes und besonders, wenn man der heiligen Messe beiwohnt, bei der Kommunion des Priesters. Die selige Dominikanerin Angela vom Kreuze sagte: „Ich wüßte nicht, wie ich leben könnte, wenn mein Beichtvater mich nicht gelehrt hätte, auf diese Weise mehrmals des Tages zu kommunizieren.“

33. Das fünfte und notwendigste Mittel, um ein geistliches Leben zu fuhren und zur wahren Liebe Jesu Christi zu gelangen, ist das Gebet. Vor allem ist zu erwägen, daß Gott uns in diesem Heilmittel die Größe seiner Liebe zu uns Menschen zu erkennen gibt. Welchen größeren Beweis kann jemand seinem Freund geben, als wenn er zu ihm spricht: Freund, begehre von mir, was du willst, ich werde dir alles gewähren. So spricht aber der Herr zu uns: „Bittet, so wird euch gegeben werden; suchet, so werdet ihr finden“ (Lk 11,9). Mit Recht wird daher das Gebet allmächtig genannt, um von Gott alles Gute zu erlangen. „Das eine Gebet vermag alles“, sagt Theodoret. Wer bittet, erhält alles von Gott. Wie schön sind die Worte des Psalmisten: „Gepriesen sei Gott, der mein Gebet und seine Barmherzigkeit nicht von mir genommen hat“ (Ps 65,20). „Wenn Du siehst“, sagt der heilige Augustinus über diesen Text, „daß du es am Gebet nicht ermangeln lassest, so kannst du sicher sein, daß die göttliche Barmherzigkeit dir nicht mangeln wird.“ Und der heilige Johannes Chrysostomus fugt hinzu: „Wir empfangen, während wir noch beten.“ „Wenn wir beten, gibt uns der Herr die Gnade, die wir von Ihm verlangen, bevor wir noch unser Gebet beendigt haben. Wenn wir also arm sind, beklagen wir uns nicht darüber; denn wir wollen arm sein und verdienen kein Mitleiden. Welches Mitleiden wird uns ein Bettler einflößen, dem ein reicher Mann, wenn er darum gebeten wird, das Nötige zu geben bereit ist, der aber dennoch in seiner Not und seinem Elend bleibt, weil er um das, was er bedarf, nicht bitten will? In einem solchen Verhältnisse stehen wir zu Gott, der, wie der Apostel sagt, bereit ist, uns reich zu machen, wenn wir Ihn anrufen: „Er ist reich für alle, die Ihn anrufen“ (Rom 10,12).

34. Wir können also durch ein demütiges Gebet alles von Gott erlangen; dabei ist aber wohl zu beachten, daß das Gebet uns nicht nur nützlich, sondern daß es uns auch notwendig ist, um unser Heil zu wirken. Es ist gewiß, daß wir, um die Versuchungen zu überwinden den göttlichen Beistand unumgänglich nötig haben; und bei gewissen heftigeren Anfällen könnte zwar die zureichende Gnade, die Gott allen verleiht, genügen, um zu widerstehen; allein wegen unserer Neigung zum Bösen wird sie nicht genügen, und wir werden einer besonderen Gnade bedürfen. Wer nun betet, wird diese Gnade erhalten: wer nicht betet, erhält sie nicht und geht verloren. Was insbesondere die Gnade der endlichen Beharrlichkeit, die Gnade, in der Freundschaft Gottes zu sterben, anbelangt, die uns zu unserem Heile unumgänglich notwendig ist und ohne die wir für ewig zugrunde gehen, so sagt der heilige Augustinus, daß Gott sie keinem verleiht, der Ihn nicht darum bittet. Und dies ist der Grund, warum so wenige selig werden, weil so wenige daran denken, Gott um diese Beharrlichkeit zu bitten.

35. Wir wollen uns kurz fassen. Die heiligen Väter lehren, daß das Gebet nicht nur notwendig sei, weil es geboten ist (und in dieser Beziehung wird allgemein angenommen, daß von einer schweren Sünde nicht entschuldigt werden könne, wer durch einen Monat unterläßt, Gott sein ewiges Heil anzuempfehlen), sondern daß das Gebet auch als Mittel des Heils in sich selbst notwendig sei, das heißt: daß es unmöglich ist, selig zu werden, wenn man nicht betet. Der Grund ist in Kürze der: weil wir ohne den Beistand der göttlichen Gnaden unser Heil nicht wirken können, und Gott uns diese Gnaden nicht verleiht, wenn wir Ihn nicht darum bitten. Und da wir beständig versucht werden und beständig in Gefahr sind, in die Ungnade Gottes zu fallen, so müssen wir beständig beten. Deshalb sagt der heilige Thomas (III, 39,5): „Dem Menschen ist das beständige Gebet notwendig, damit er in den Himmel eingehe.“ Der Herr sagt selbst im Evangelium: „Man muß allezeit beten und nicht ablassen“ (Lk 18.1). Und sein Apostel sagt: „Betet ohne Unterlaß“ (1 Thess 5,17). In jener Zwischenzeit, in der wir es unterlassen, uns Gott anzuempfehlen, wird der böse Feind uns überwinden. Die Gnade der Beharrlichkeit kann zwar nicht verdient werden, wie das Konzil von Trient lehrt (Sess.6, cap. 13); indessen sagt der heilige Augustinus, daß wir sie wenigstens in gewisser Weise durch demütige und inständige Bitten verdienen können. „Diese Gabe Gottes, die Beharrlichkeit, kann auf flehentliche Weise verdient werden, das heißt: durch flehentliche Bitten erlangt werden“ (De dono persev. c.6). Der Herr will uns seine Gnade mitteilen; aber Er will gebeten, ja, wie der heilige Gregor sagt, Er will ungestüm gebeten und durch unsere Gebete gleichsam gezwungen werden. „Gott will gebeten, Er will gezwungen, Er will durch unseren Ungestüm gewissermaßen überwunden werden.“ Und die heilige Maria Magdalena von Pazzi sagt, daß Gott uns nicht nur erhört, wenn wir Gnaden von Ihm verlangen, sondern daß Er uns in gewisser Weise sogar dafür dankt. Da Er nämlich eine unendliche Güte ist, die sich mitzuteilen wünscht, so hat Er sozusagen ein menschliches Verlangen, seine Güter auszuteilen. Er will jedoch gebeten sein; wenn Er daher sieht, daß eine Seele darum bittet, so hat Er ein solches Wohlgefallen daran, daß Er ihr gewissermaßen dafür dankbar ist.

36. Wenn wir uns also in der Gnade Gottes bis zum Tode erhalten wollen, müssen wir es wie die Bettler machen und nicht müde werden, Gott um seinen Beistand anzurufen, und immerfort wiederholen: Mein Jesus, erbarme dich meiner, laß nicht zu, daß ich von Dir getrennt werde, hilf mir, o Herr, stehe mir bei, mein Gott! Dies war das beständige Gebet der Altväter in der Wüste: „O Gott, merke auf meine Hilfe; Herr, eile mir zu helfen!“ Eile, o Herr, komme mir schnell zu Hilfe; denn wenn Du mit deiner Hilfe zögerst, so werde ich fallen und zugrunde gehen. So müssen wir es hauptsächlich zur Zeit der Versuchung machen, und wer es nicht so macht, ist verloren.

37. Setzen wir also ein großes Vertrauen in das Gebet; denn es ist eine göttliche Verheißung, daß wer bittet, erhört werden solle: „Bittet, und ihr werdet empfangen.“ Zweifeln wir nicht, sagt der heilige Augustinus, der Herr hat sich durch das Versprechen gebunden; Er kann daher nicht unterlassen, uns die Gnade zu gewähren, die wir von Ihm verlangen. „Als Er versprach, hat Er sich uns zum Schuldner gemacht“ (De verbo Dom. serm. 2). Wenn wir also beten, müssen wir ein festes Vertrauen haben, daß Gott uns erhören werde, und wir werden alles erlangen, was wir wünschen. Dies hat uns der Herr selbst im Evangelium gelehrt: „Was ihr immer im Gebete begehrt, glaubt nur, das ihr es erhaltet, und es wird euch geschehen“ (Mk 11,24).

38. Aber, wird mancher dagegen einwenden, ich bin ein Sünder, und verdiene nicht erhört zu werden; allein der Herr macht keine Ausnahme. Er spricht: „Jeder, der bittet, empfängt“ (Lk 11,10). Jeder, also der Gerechte wie der Sünder; denn, wie der heilige Thomas lehrt (IIII, 178, 2), die Kraft des Gebetes gründet sich nicht auf unsere Verdienste, sondern auf die Barmherzigkeit Gottes, der uns zu erhören versprochen hat, wenn wir Ihn bitten. Und um uns alle Furcht und alles Mißtrauen bei dem Gebete zu nehmen, sagt der Herr im Evangelium: „Wahrlich, wahrlich sage ich euch, wenn ihr den Vater in meinem Namen um etwas bitten werdet, so wird Er es euch geben“ (Jo 16,23). Es ist dies so viel, als ob Er sagen würde: Sünder, ihr habt keine Verdienste, die euch würdig machen, Gnaden zu erlangen; ich will euch also lehren, was ihr tun sollt: bittet den Vater, in meinem Namen, durch meine Verdienste, durch meine Liebe, und dann mögt ihr verlangen, was ihr wollt, es wird euch gegeben werden. Zu bemerken sind dabei die Worte: „In meinem Namen“, die nach Erklärung des heiligen Thomas so viel bedeuten als: „im Namen eures Erlösers“, woraus folgt, daß die Gnaden, die wir erlangen, Gnaden sein müssen, die unser ewiges Heil betreffen, und daß daher die Verheißung sich auf die zeitlichen Gnaden bezieht. Diese letzteren gewährt uns der Herr nur, wenn sie uns zu unserem ewigen Heile dienen; ist dies nicht der Fall, so verweigert Er sie uns. Handelt es sich also um zeitliche Dinge, die wir zu erlangen wünschen, so müssen wir immer unter der Bedingung darum bitten, daß sie unserer Seele zum Heile gereichen. Handelt es sich aber um geistliche Gnaden, so bedarf es keiner Bedingungen, sondern wir sollen mit Vertrauen, und mit zuversichtlichem Vertrauen sprechen: Himmlischer Vater, ich bitte Dich im Namen Jesu Christi, befreie mich von dieser Versuchung, gib mir die heilige Beharrlichkeit, gib mir deine Liebe, gib mir den Himmel! Wir können Jesus Christus selbst in seinem eigenen Namen, daß heißt: durch seine Verdienste um solche Gnaden bitten, denn wir haben auch dafür eine Verheißung: „Wenn ihr mich um etwas bittet in meinem Namen, das will ich tun“ (Jo 14,14). Und wenn wir den Herrn um etwas bitten, sollen wir nicht unterlassen, uns auch derjenigen anzuempfehlen, welche die Gnaden verteilt: seiner gebenedeitesten Mutter Maria. Es ist Gott, der uns die Gnaden verleiht, sagt der heilige Bernhard, allein Er verleiht sie durch die Hände Maria. „Suchen wir die Gnade, und suchen wir sie durch Maria; denn was sie sucht, das findet sie; und wird in ihrer Erwartung niemals enttäuscht“ (Sermo de Aquaeduct). Wenn auch Maria fiir uns bittet, sind wir sicher, weil alle ihre Bitten erhört werden, und weil ihr nichts verweigert wird.

Gebet

O Jesus, meine Liebe, ich bin fest entschlossen, Dich zu lieben, so sehr ich es vermag, und mich zu heiligen, und ich will heilig werden, um Dir zu gefallen und Dich mit einer großen Liebe zu lieben in diesem und in dem anderen Leben. Ich vermag nichts, aber Du vermagst alles, und ich weiß, daß es dein Wille ist, daß ich heilig werde. Es ist ja die Wirkung deiner Gnade, daß meine Seele nach Dir seufzt und nichts mehr sucht und begehrt als Dich allein. Ich will nicht mehr mir selbst leben; Du verlangst, daß ich ganz Dein sei, und ich will ganz Dein sein. So komme denn, vereinige mich mit Dir und Dich mit mir. Du bist eine unendliche Güte, Du hast mich so sehr geliebt, Du bist so unaussprechlich liebreich und liebenswürdig: wie könnte ich etwas anderes lieben als Dich? Deine Liebe ist mir unendlich mehr wert als alle Güter und Freuden der Welt und als alle irdischen Dinge. Du bist der einzige Gegenstand und das Ziel aller Gefühle und Neigungen meines Herzens. Ich will alles verlassen, um Dich allein zu lieben, Dich, meinen Schöpfer, meinen Erlöser, meinen Trost, meine Hoffnung, meine Liebe und mein alles! Wie sehr ich Dich auch früher beleidigt habe, so will ich doch nicht den Mut verlieren, heilig zu werden; denn ich weiß, daß Du, o mein Jesus, den Tod erleiden wolltest, um den reumütigen Sündern zu verzeihen. Ich liebe Dich jetzt von ganzer Seele, ich liebe Dich aus dem Grunde meines Herzens, ich liebe Dich mehr als mich selbst, und ich bereue es über alles, Dich, das höchste Gut, verachtet zu haben. Ich gehöre jetzt nicht mehr mir an, ich bin dein Eigentum, o Gott meines Herzens, verfüge mit mir, wie es Dir beliebt. Um Dir zu gefallen, nehme ich alle Leiden und Trübsale an, die Du mir schicken willst: Krankheit, innere Pein, Schmach, Armut, Verfolgung, Trostlosigkeit; alles nehme ich, um Dir zu gefallen, aus deinen Händen an, auch den Tod, so wie Du ihn mir bestimmt hast, mit allen Ängsten, Schmerzen und Nöten, die ihn begleiten werden. Ich bin mit allem zufrieden, wenn Du mir nur eine große Liebe zu Dir verleihst. Komm mir mit deiner Gnade zu Hilfe, o einziger Geliebter meiner Seele und gib mir die Kraft, in den Lebenstagen, die mir noch verbleiben, durch meine Liebe die Bitterkeiten zu ersetzen, die ich Dir früher bereitet habe. O Königin des Himmels, o Mutter meines Herrn, o große Fürsprecherin der Sünder, Maria, auf deine Fürbitte setze ich mein Vertrauen.