Dreizehntes Kapitel

Die Liebe denkt nichts Arges; sie freut sich nicht an der Ungerechtigkeit, freut sich aber an der Wahrheit

Wer den Heiland liebt, will nichts anderes, als was Er will.

1. Die Liebe geht immer Hand in Hand mit der Wahrheit, und weil sie erkennt, daß Gott das einzige wahre Gut ist, verabscheut sie alle Ungerechtigkeit, die sich dem Willen Gottes widersetzt, und hat an nichts Freude als an dem, was Gott will. Daher kommt es auch, daß eine Seele, die Gott liebt, sich wenig darum kümmert, was man von ihr spricht, und ihre Aufmerksamkeit nur darauf richtet, das zu tun, was Gott gefällt. „Vor Gott steht gewiß derjenige sehr gut“, sagt der heilige Heinrich Seuse, „der in allen Dingen der Wahrheit nachzukommen sucht, und nicht darauf achtet, für was ihn die Menschen halten oder wie sie ihn behandeln.“

2. Wir haben schon oben gesagt, daß alle Heiligkeit und Vollkommenheit einer Seele darin bestehe, daß sie sich selbst verleugne und den Willen Gottes tue; es ist aber hier der Ort, noch ausführlicher darüber zu sprechen. Wenn wir heilig werden wollen, müssen wir uns unablässig bestreben, nicht unserem eigenen, sondern dem Willen Gottes zu folgen; denn das Wesen aller göttlichen Gebote und Räte läßt sich in die wenigen Worte zusammenfassen: daß wir alles tun und leiden sollen, was Gott will, und wie Er es will. Bitten wir also den Herrn, daß Er uns die heilige Freiheit des Geistes verleihen möge; denn wer diese Gabe besitzt, umfaßt willig und freudig alles, was Gott gefällt, ohne auf den Widerstand der Eigenliebe oder auf menschliche Rücksichten zu achten. Die Liebe Jesu Christi versetzt die Liebenden in eine völlige Gleichgültigkeit, so daß ihnen das Bittere ebenso viel gilt wie das Süße, daß sie niemals das wollen, was ihnen gefällt, sondern nur das, was Gott gefällt, und daß sie sich mit derselben Gemütsruhe mit großen wie mit kleinen, mit angenehmen wie mit unangenehmen Dingen beschäftigen, weil es ihnen genügt, zu wissen, daß Gott es so haben will.

3. Der heilige Augustinus sagt: „Liebe und tue, was Du willst.“ Wer Gott wahrhaft liebt, sucht nichts anderes als das Wohlgefallen Gottes, und in diesem Wohlgefallen findet er seinen Trost und seine Freude. „Wer nur die Befriedigung des Geliebten sucht“, sagt die heilige Theresia, „ist mit allem zufrieden, was dem Geliebten gefällt.“ Es ist dies die Gewalt der Liebe, wenn sie vollkommen ist, daß die Seele ihren eigenen Trost und Vorteil vergißt und alle ihre Gedanken nur daraufrichtet, dem Geliebten zu gefallen, Ihn zu ehren und zu verherrlichen und nach Kräften sich zu bemühen, daß Er auch von anderen geehrt und verherrlicht werde. Ach, Herr, all unser Elend kommt daher, weil wir nicht mit unverwandtem Auge auf Dich blicken. Wenn wir immer nur auf den Weg achten würden, der zu Dir führt, und auf nichts anderes, so würden wir bald zum Ziel gelangen; so aber fallen wir, so straucheln wir unzählige Male, so weichen wir auch ganz von dem wahren Weg ab, weil wir nicht unsere ganze Aufmerksamkeit darauf verwenden. Dies soll also das einzige Ziel aller unserer Gedanken und Handlungen, unserer Wünsche und Gebete sein: das Wohlgefallen Gottes; und dann wandeln wir auf dem Wege der Vollkommenheit, wenn wir nach dem Willen Gottes wandeln.

4. Gott will, daß jeder von uns Ihn aus ganzem Herzen liebe: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben aus deinem ganzen Herzen. Es liebt Gott aber aus ganzem Herzen, wer wahrhaft und von Herzen spricht, was der Apostel sprach: „Herr, was willst Du, das ich tue?“ (Apg 9,6) Herr, gib mir zu erkennen, was Du von mir verlangst, ich bin bereit, alles zu tun. Und dabei dürfen wir nicht außer acht lassen, daß wir immer unser eigenes Bestes wollen, wenn wir das wollen, was Gott will, weil Gott ganz gewiß nur das beabsichtigt, was für uns das Beste ist. „Die Gleichförmigkeit unseres Willens mit dem Willen Gottes“, sagt der heilige Vinzenz von Paul, „ist der Schatz des Christen und ein Heilmittel gegen alle Übel; denn sie schließt die Selbstverleugnung, die Vereinigung mit Gott und alle Tugenden in sich.“ So läßt sich denn die ganze Vollkommenheit in die wenigen Worte zusammenfassen: Herr, was willst Du, daß ich tue? Als der Herr seinen Jüngern die Leiden und Verfolgungen voraussagte, die ihnen bevorstanden, fügte er zu ihrem Trost die Verheißung hinzu: „Und kein Haar von eurem Haupte soll verloren gehen“ (Lk 22,18). Damit hat er uns allen verheißen, daß er uns alles vergelten wolle, was wir in Vereinigung mit seinem heiligsten Willen tun und leiden werden: jeden guten Gedanken, jede Meinung, Ihm zu gefallen, jede Trübsal, die wir in Frieden und Geduld umfassen. Die heilige Theresia sagt: „Der Herr schickt uns nie ein Leiden, ohne es uns sogleich mit einer besonderen Gnade zu vergelten, wenn wir es mit Ergebung in seinem Willen annehmen.“

5. Unsere Gleichförmigkeit mit dem Willen Gottes muß aber vollkommen sein, ohne uns etwas vorzubehalten, und zugleich beharrlich, ohne sie jemals zu widerrufen. Dies ist der Gipfel der Vollkommenheit, und darauf sollen, ich wiederhole es, alle unsere Handlungen, Wünsche und Gebete abzielen. Manche, dem Gebete ergebene Seelen, wenn sie von den Ekstasen und Entzückungen der heiligen Theresia, des heiligen Philipp Neri und anderer Heiliger lesen, möchten gleichfalls auf solche übernatürliche Weise zur Vereinigung mit Gott gelangen. Allein solche Wünsche muß man ausschlagen, weil sie der Demut entgegen sind; wenn wir heilig werden wollen, muß unser Verlangen nur auf die wahre Vereinigung mit Gott gerichtet sein, nämlich auf die vollkommene Gleichförmigkeit unseres Willens mit dem Willen Gottes. „Es täuschen sich diejenigen“, sagt die heilige Theresia, „die glauben, daß die Vereinigung mit Gott in Ekstase, Entzückungen und himmlischen Genüssen bestehe. Sie besteht einzig und allein darin, daß wir unseren Willen dem Willen Gottes unterwerfen; und diese Unterwerfung ist dann vollkommen, wenn unser Wille von allen irdischen Dingen losgeschält und so mit dem göttlichen Willen vereinigt ist, daß er durch nichts als nur durch den Willen Gottes bewegt wird. Dies ist die wahre und wesentliche Vereinigung, die ich immer gewünscht und um die ich den Herrn unablässig gebeten habe.“ Hierauf fügt sie noch hinzu: „Ach wie viele sind wir, die wir dies sagen und denen es scheint, daß sie nichts anderes als dies wollen, aber ach, wie elend sind wir, wie wenige von uns erreichen es in der Tat!“ Und wie die Heilige es sagt, so ist es. Viele von uns sprechen: Herr, ich schenke Dir allein meinen Willen, ich will nur, was Du willst: schickt uns aber der Herr dann Leiden und Widerwärtigkeiten, so wollen wir uns doch nicht mit seinem heiligsten Willen beruhigen. Und daher kommen dann die Klagen, daß wir so unglücklich seien auf dieser Welt, daß uns alles mögliche Unglück treffe, und daß wir ein so trauriges Leben führen.

6. Wenn wir uns in allen Widerwärtigkeiten vollkommen in den Willen Gottes ergäben, so würden wir gewiß heilig werden und die glücklichsten Menschen auf Erden sein. Unsere ganze Aufmerksamkeit soll also darauf gerichtet sein, unseren Willen in der Vereinigung mit dem göttlichen Willen zu erhalten, es mag uns was immer begegnen, möge es uns angenehm oder unangenehm, erfreulich oder schmerzlich sein. „Drehe dich nicht nach jedem Winde“, ermahnt uns der Heilige Geist (Eccl 5,11). Manche gleichen den Wetterfahnen, die sich drehen, wie der Wind weht. Ist der Wind günstig, wie sie es wünschen, so sind sie ganz fröhlich und sanftmütig: ist ihnen aber der Wind entgegen, gehen die Dinge nicht nach ihrem Wunsche, so sind sie traurig und ungeduldig, und so gelangen sie nie zur Vollkommenheit und fuhren immer ein unzufriedenes Leben, weil auf dieser Welt die Leiden und Trübsale immer viel häufiger sind als die erfreulichsten Ereignisse. Der heilige Dorotheus sagte, es gebe kein besseres Mittel, beständig den Frieden und die Ruhe des Herzens zu bewahren, als wenn man alles aus der Hand Gottes annimmt, was immer kommen möge; und darum seien die Altväter in der Wüste niemals unwillig oder traurig gewesen, weil sie in allem, was ihnen begegnete, die Fügung Gottes erblickten und es aus seinen Händen freudig annahmen. Selig, wer sich dem Willen Gottes ganz überlassen hat; das Glück macht ihn nicht übermütig und das Unglück nicht kleinmütig, denn er weiß, daß das eine wie das andere aus der Hand Gottes kommt. Der Wille Gottes ist die einzige Richtschnur seines Wollens, und darum tut er nur, was Gott will, und will nur, was Gott tut. Er bemüht sich nicht, vieles zu tun, sondern nur das vollkommen zu tun, was er erkannt hat, daß es Gott wohlgefällig sei; und darum zieht er die kleinen und unscheinbaren Verrichtungen seines Standes den großartigsten und glorreicheren Taten vor, weil er wohl weiß, daß sich in diese die Eigenliebe einschleichen kann, während man bei jenen sicher ist, den Willen Gottes zu tun.

7. Wir werden also glücklich sein, wenn wir alle Fügungen Gottes in vollkommener Gleichförmigkeit mit seinem heiligsten Willen annehmen, ohne darauf zu achten, ob sie unserer natürlichen Neigung entsprechen oder nicht. Die heilige Johanna von Chantal sagt: „Wann werden wir anfangen, in allem, was uns widerfährt, die Süßigkeit des göttlichen Willens zu verkosten und auf nichts zu achten als auf das Wohlgefallen Gottes, der mit gleicher Liebe die tröstlichen wie die schmerzlichen Ereignisse zu unserem Besten anordnet? Wann werden wir anfangen, uns ganz in die Arme unseres liebreichsten himmlischen Vaters zu werfen, und Ihm die Sorge für uns und für unsere Angelegenheiten überlassen, ohne uns etwas anderes vorzubehalten als das Verlangen, Ihm zu gefallen?“ Die Freunde des heiligen Vinzenz von Paul pflegten zu sagen: „Unser Vinzenz ist immer und allezeit unser Vinzenz.“ Sie wollten damit ausdrücken, daß der Heilige in allen günstigen und widrigen Zufällen seines Lebens dieselbe Heiterkeit bewahre und sich immer gleich bleibe, weil er sich ganz der Führung Gottes überlassen hatte und daher nichts fürchtete, aber auch nichts wünschte, als daß der Wille Gottes geschehe. „Aus dieser heiligen Hingabe an Gott“, sagt die heilige Theresia, „entspringt jene schöne Freiheit des Geistes, die den vollkommenen Seelen eigen ist und welche alle Glückseligkeit in sich begreift, die in diesem Leben erreicht werden kann; denn da sie nichts fürchten, nichts wollen und nichts wünschen von den Dingen dieser Welt, besitzen sie alles.“

8. Viele dagegen legen sich den Begriff der Heiligkeit so zurecht, wie er ihren natürlichen Neigungen entspricht. Die Melancholischen setzen die Heiligkeit in ein abgeschlossenes und einsames Leben; die mehr zur Tätigkeit Geneigten in das Predigen und andere Verrichtungen dieser Art; die härteren Naturen in strenge Bußwerke und Abtötungen; andere, die gerne geben, in reichliche Almosen; andere in viele mündliche Gebete; andere in häufige Wallfahrten: und damit schließen sie ihre Heiligkeit ab. Es sind dies allerdings gute Werke; aber alle äußerlichen Werke dieser Art sind nur Früchte der Liebe zu Jesus Christus; das Wesen dieser Liebe aber besteht in der völligen Gleichförmigkeit mit dem Willen Gottes und folglich darin, daß wir uns selbst verleugnen und nur das erwählen, was Gott am wohlgefälligsten, und nur aus dem Grunde, weil Er es so verdient.

9. Andere wollen Gott dienen; aber nur in gewissen Ämtern und Verrichtungen, an gewissen Orten, mit gewissen Gefährten, unter gewissen Umständen: Und geht es nicht nach ihrem Sinn, so unterlassen sie das gute Werk ganz oder verrichten es nur mit Widerwillen. Solche Leute gehören nicht zu den Freien dem Geist nach, sondern sind Sklaven ihrer Eigenliebe; und darum haben sie auch bei dem, was sie tun, ein geringes Verdienst und leben in einer ständigen Unruhe; denn da sie an ihrem eigenen Willen hängen, ist es nicht anders möglich, als daß ihnen das süße Joch Jesu Christi zur Last werde. Die Seelen dagegen, die eine wahre Liebe zu Jesus Christus haben, lieben nur, was ihm gefällt, und nur, weil es ihm gefällt, und wann er es will, und wo er es will, und wie er es will; möge er sie in ehrenvollen oder in niedrigen und demütigen Verrichtungen, möge er sie öffentlich vor der Welt oder in der Verborgenheit zu seinem Dienste verwenden wollen. Dies verlangt die wahre und reine Liebe zu Jesus Christus, und danach sollen wir alle streben und die Gelüste der Eigenliebe bekämpfen, die uns immer nur in glorreichen oder unserer Neigung entsprechenden Verrichtungen beschäftigt sehen möchte. Was könnte es uns auch nützen, wenn wir auf dieser Welt noch so geehrt, noch so reich, noch so groß vor den Menschen wären, aber gegen den Willen Gottes? Der selige Heinrich Seuse sagte: „Ich möchte lieber ein Wurm hier auf Erden sein, wenn es so der Wille Gottes wäre, als ein Seraph im Himmel nach meinem eigenen Willen.“

10. Der Herr sagt im Evangelium, daß viele am Tage des Gerichtes sich darauf berufen werden, daß sie große Dinge in seinem Namen gewirkt haben: „Herr, haben wir nicht in deinem Namen geweissagt, haben wir nicht Teufel ausgetrieben und Wunderbares gewirkt in deinem Namen?“ Allein er werde ihnen antworten: „Ich habe euch nie gekannt, weicht von mir, ihr Übeltäter“ (Mt 7,22). Geht, ich habe euch nie als meine wahren Jünger erkannt; denn ihr wolltet lieber eurer Eigenliebe folgen als meinen Willen tun. Und dies hat vorzüglich für die Priester zu gelten, die sich für das Seelenheil anderer verwenden und andere zur Vollkommenheit anleiten, dabei aber selbst in dem Schlamme ihrer eigenen Unvollkommenheiten stecken bleiben. Zur Vollkommenheit sind drei Dinge nötig: eine aufrichtige Verachtung seiner selbst, eine völlige Abtötung aller Gelüste der Eigenliebe und eine vollkommene Gleichförmigkeit mit dem Willen Gottes; und wer es an einem dieser drei Erfordernisse fehlen läßt, wandelt nicht auf dem Wege der Vollkommenheit. Ein großer Diener Gottes sagte deshalb, die Meinung, alles zu tun, damit der Wille Gottes geschehe, sei besser als die Meinung, alles zur größten Ehre Gottes zu tun; denn wenn wir den Willen Gottes tun, gereicht dies ganz gewiß immer zu seiner größeren Ehre, in dem anderen Falle aber kann man sich täuschen, und unter dem Vorwand, die größere Ehre Gottes zu befördern, seinen eigenen Willen tun. „Es gibt viele“, sagt der heilige Franz von Sales, „die mit dem Munde sprechen: Herr, ich übergebe mich Dir ohne allen Vorbehalt; aber nur wenige, die es in der Tat üben. Die wahre Hingabe an Gott besteht in der Gleichmütigkeit, mit welcher man alles annimmt, was uns in diesem Leben nach der Ordnung der göttlichen Vorsehung begegnet: die Leiden wie die Freuden, das Lob wie die Verachtung, die Ehrenbezeichnung wie die Beschimpfungen.“

11. Dies ist also das Kennzeichen, daß eine Seele den Heiland wahrhaft liebt, wenn sie alles, was ihr schwer fällt und der Eigenliebe zuwider ist, geduldig erträgt und freudig umfaßt. „Wer nicht bereit ist“, sagt Thomas von Kempen, „alles zu leiden und in allen Dingen dem Willen des Geliebten zu Gebote zu stehen, ist nicht würdig, den liebenden Seelen beigezählt zu werden.“ Wer dagegen in allen Leiden und Trübsalen sich ganz in den Willen Gottes ergibt, kommt, wie der P. Alvarez sich ausdrückt, mit der Schnelligkeit eines Kuriers auf dem Wege der Vollkommenheit voran. „Und kann es wohl ein größeres Glück geben“, sagt die heilige Theresia, „als das, ein Zeugnis zu haben, daß wir Gott wohlgefällig sind?“ Und ich möchte meinerseits noch hinzufügen, daß wir gar kein sichereres Zeugnis haben können, daß wir Gott wohlgefällig sind, als wenn wir die Kreuze, die er uns zuschickt, friedlich und freudig umfassen. Es ist zwar dem Herrn sehr angenehm, wenn wir Ihm für die Wohltaten danken, die Er uns in diesem Leben erweist, allein, wie Johannes von Avila sagt, ein einziges: Gott sei gelobt! in der Trübsal ist mehr wert als tausend: Gott sei Dank! im Wohlergehen.

12. Hierbei ist aber wohl zu beachten, daß wir nicht bloß die Widerwärtigkeiten annehmen müssen, die unmittelbar von Gott kommen, zum Beispiel: daß wir von Natur aus geringe Fähigkeiten besitzen, oder wenn wir erkranken, oder wenn wir an unserer Habe oder unserem Vermögen einen zufälligen Verlust erleiden, sondern auch diejenigen, die nur mittelbar von Gott, zunächst aber von den Menschen kommen, z.B. wenn wir bestohlen oder verfolgt oder beschimpft werden; denn auch diese kommen in ihrem letzten Grund von Gott, weil Er sie zuläßt. David wurde auf seiner Flucht vor Absalon von einem seiner Untertanen, Namens Semei, verflucht, und nicht nur mit Worten beschimpft, sondern auch mit Steinen beworfen. Einer aus dem Gefolge wollte hingehen und dem frechen Lästerer den Kopf abschlagen; allein David sagte: „Laßt ihn fluchen; denn der Herr hat ihm befohlen, daß er David fluche“ (2 Kön 16,10). Laßt ihn; denn der Herr bedient sich seiner, um mich für meine Sünden zu züchtigen, und darum läßt er zu, daß dieser Mensch mich mißhandle.

13. Die heilige Maria Magdalena von Pazzi sagt, daß wir alle unsere Gebete mit der Meinung verrichten sollen, von Gott die Gnade zu erlangen, in allen Dingen uns mit seinem heiligsten Willen zu vereinigen. Gewisse, nach geistlichen Genüssen lüsterne Seelen haschen im Gebete nach süßen und zärtlichen Empfindungen, um sich daran zu erfreuen; starke Seelen aber, die ein wahres Verlangen haben, ganz Gott anzugehören, begehren von Gott nichts anderes als Licht, um seinen heiligsten Willen zu erkennen, und Kraft, um ihn auf das Vollkommenste zu vollbringen. Um aber zu einer ganz reinen Liebe zu gelangen, ist es notwendig, seinen Willen in allen Dingen dem Willen Gottes zu unterwerfen. „Keiner soll glauben“, sagt der heilige Franz von Sales, „daß er jene Reinheit der Liebe erreicht hat, die Gott von uns verlangt, solange er seinen Willen nicht in allen Dingen, auch in jenen, gegen welche die Natur sich am meisten sträubt, freudig dem Willen Gottes unterworfen hat.“ Denn, wie die heilige Theresia sagt: „Die Hingabe unseres Willens an Gott zieht die Majestät des Schöpfers zur Niedrigkeit des Geschöpfes herab, um sich mit ihr zu vereinigen.“ Allein hierzu kann man nur gelangen, wenn man das innerliche Gebet übt, die göttliche Majestät unablässig um diese Gnade bittet, und ein wahres Verlangen hat, ganz und ohne Vorbehalt Gott anzugehören.

14. O liebenswürdiges Herz meines göttlichen Erlösers, o Herz, von Liebe zu den Menschen erfüllt, das uns so zärtlich liebt, o Herz, würdig, alle unsere Herzen zu besitzen und zu beherrschen, o könnte ich allen Menschen die Erkenntnis der Liebe einflößen, die Du zu ihnen trägst, und der süßen Vertraulichkeiten, die Du allen Seelen, die dich wahrhaft lieben, erweist! O Jesus, meine Liebe, nimm das Opfer meines Willens, das ich Dir heute darbringe, gnädig an, und laß mich erkennen, was Du von mir verlangst: Ich will alles vollbringen mit dem Beistand deiner Gnade.

15. Es fragt sich jedoch, welches das sicherste Mittel sei, um zu erfahren, was Gott von uns will, und hierüber vollkommen beruhigt zu sein; und ich antworte hierauf: daß das sicherste Mittel der Gehorsam gegen unsere Oberen und Gewissensführer sei und daß es kein untrüglicheres gebe. „Der Wille Gottes kann nicht besser und vollkommener ausgeführt werden“, sagt der heilige Vinzenz von Paul, „als wenn man den Gehorsam gegen seine Oberen übt.“ Und der Heilige Geist bezeugt: „Gehorsam ist besser als Opfer“ (Eccl 4,17). Wenn wir uns dem Gehorsam unterwerfen, ist dieses Opfer unseres Willens dem Herrn angenehmer als alle anderen Opfer, die wir Ihm darbringen könnten; denn durch andere Aufopferungen: Almosen, Abtötungen, Bußwerke und dergleichen geben wir Gott etwas von dem, was wir sind oder haben, durch das Opfer unseres Willens aber geben wir Ihm das Ganze. Wenn wir daher in Wahrheit zu Gott gesprochen haben: Herr, laß mich durch den Gehorsam erkennen, was Du von mir verlangst, ich will alles tun, so haben wir nichts mehr, was wir ihm aufopfern könnten.

16. Wer sich also dem Gehorsam übergeben hat, muß sich vorerst von aller Anhänglichkeit an seine eigenen Meinungen losreißen. „Jeder Mensch hat seine Meinungen und Ansichten“, sagt der heilige Franz von Sales, „und hierin liegt nichts, was der Tugend und Vollkommenheit zuwider wäre, was aber damit im Widerspruch steht, ist die Anhänglichkeit an diese Meinungen.“ Aber ach, wie schwer ist es, von dieser Anhänglichkeit zu lassen, und darum gibt es so wenige Seelen, die sich ganz Gott schenken, weil nur wenige sich ganz dem Gehorsam unterwerfen. Viele hängen so sehr an ihrem Willen, daß sie selbst in dem Falle, wo das ihnen aufgetragene Werk ihren Ansichten und Neigungen entspricht, alle Lust und Freude dazu verlieren, bloß darum, weil es ihnen befohlen wurde, denn sie sind nur dann befriedigt, wenn sie ganz nach ihrem eigenen Sinn und Antrieb handeln können. So machen es die Heiligen nicht, die im Gegenteil ihren Frieden und Trost nur in jenen Handlungen finden, die ihnen der Gehorsam auferlegt. Die heilige Mutter Johanna von Chantal sagte einmal an einem Erholungstage ihren geistlichen Töchtern, sie könnten diesen Tag so zubringen, wie es ihnen gefiele: allein abends kamen diese zu ihr und baten sie inständig, ihnen nie mehr eine solche Erlaubnis zu geben, denn sie hätten noch nie einen Tag mit solcher Unlust zugebracht wie diesen Tag, wo sie vom Gehorsam entbunden waren.

17. Es ist ein großer Irrtum, zu glauben, daß irgendein Werk verdienstlicher sein könnte, als das, welches uns der Gehorsam auferlegt. „Eine Verrichtung unterlassen, die der Gehorsam auferlegt“, sagt der heilige Franz von Sales, „um sich durch das Gebet, die geistliche Lesung oder die Einsamkeit mehr mit Gott zu vereinigen, ist so viel, als sich von Gott entfernen, um sich mit der Eigenliebe zu vereinigen.“ „Wer aber“, sagt weiter die heilige Theresia, „irgendein Werk gegen den Gehorsam verrichtet, wie gut und heilig es auch in sich sein möge, der handelt nicht auf Eingebung Gottes, wie er sich vielleicht schmeichelt, sondern auf Antrieb des bösen Feindes; denn“, sagt die Heilige „die Eingebungen Gottes stehen immer im Einklang mit dem Gehorsam.“ Und an einem anderen Orte sagt sie: „Gott verlangt von einer Seele, die entschlossen ist, Ihn zu lieben, nichts anderes, als daß sie gehorche.“ Das geringfügigste Werk, im Gehorsam verrichtet, hat, wie P. Rodriguez sagt, einen größeren Wert als jedes andere, das wir uns vorstellen können: „Es ist verdienstlicher, im Gehorsame einen Strohhalm von der Erde aufzuheben, als nach seinem eigenen Sinne lange Gebete zu verrichten oder sich bis auf das Blut zu geißeln.“ Die heilige Maria Magdalena von Pazzi sagte, sie wolle lieber nach dem Gehorsam äußerlich beschäftigt sein, als im Gebete verharren; denn wenn sie nach dem Gehorsam handle, sei sie sicher, den Willen Gottes zu tun, diese Gewißheit habe sie aber nicht, wenn sie irgend etwas ohne den Gehorsam verrichte. Alle Geisteslehrer stimmen darin überein, daß es besser sei, eine Andachtsübung aus Gehorsam zu unterlassen, als sie ohne den Gehorsam zu verrichten. Die allerheiligste Jungfrau offenbarte der heiligen Brigitta, daß derjenige sich ein doppeltes Verdienst erwerbe, der aus Gehorsam irgendein Bußwerk unterläßt, nämlich das Verdienst, das Bußwerk gewollt zu haben, und das Verdienst, es aus Gehorsam unterlassen zu haben. Als der berühmte P. Franziskus Alias eines Tages den ehrwürdigen Johannes von Avila, seinen vertrauten Freund, besuchte, fand er ihn nachdenkend und niedergeschlagen, und als er ihn um die Ursache fragte, erwiderte Johannes: „O wie glücklich seid ihr, die ihr unter dem Gehorsam lebt und sicher seid, daß ihr das tut, was Gott will! Was mich betrifft, so habe ich keine Gewißheit, ob es Gott angenehmer ist, daß ich in die Dörfer hinausgehe und das arme Landvolk unterrichte, oder daß ich im Beichtstuhl bleibe, um jeden, der zu mir kommt, anzuhören. Wer aber unter dem Gehorsam steht, ist sicher, wenn er nach dem Gehorsam handelt, daß er nach dem Willen Gottes handelt, ja daß er das tut, was Gott das Wohlgefälligste ist.“ Trostreiche Worte für alle, die unter dem Gehorsam leben!

18. Soll aber der Gehorsam vollkommen sein, so muß man seinen Willen und zugleich sein Urteil unterwerfen. Seinen Willen: indem man gerne und willig gehorcht und nicht bloß notgedrungen, wie es die Sklaven tun. Sein Urteil: indem man ebenso urteilt wie der Obere, ohne den erhaltenen Auftrag oder die Art und Weise, wie er gegeben wurde, einer Kritik zu unterziehen. „Der vollkommene Gehorsam verlangt eine Seele ohne eigenes Urteil“, sagt die heilige Maria Magdalena von Pazzi. Und in demselben Sinne sagte der heilige Philipp Neri, daß es zum vollkommenen Gehorsam nicht genüge, das zu tun, was befohlen wurde, sondern man müsse es ohne alles Grübeln tun und für gewiß halten, daß das Befohlene für uns das Vollkommenste sei, was wir tun können, selbst wenn das Gegenteil an und für sich vor Gott besser sein sollte.

19. Dies gilt aber nicht bloß für Ordensleute, sondern auch für Weltleute, die unter dem Gehorsam gegen ihren geistlichen Führer leben. Wenn sie sich von demselben Verhaltensregeln sowohl für ihre geistlichen Übungen als auch für ihre zeitlichen Verhältnisse geben lassen, so sind sie allezeit sicher, das zu tun, was für sie das Beste und Gott das Wohlgefälligste ist. „Wer auf den Wegen Gottes wandeln und Fortschritte machen will“, sagte der heilige Philipp Neri, „soll sich einem Beichtvater, der Wissenschaft und Einsicht besitzt, unterwerfen und ihm an Gottes Statt gehorchen, und wenn er dies tut, so kann er versichert sein, daß er über alles, was er im Gehorsam getan hat, Gott keine Rechenschaft ablegen wird.“ Ferner ermahnte der Heilige alle, die diesen Rat befolgen, dem Beichtvater zu glauben und zu vertrauen, weil Gott nicht zulassen werde, daß er sich täusche; denn so wie nichts sicherer sei, um den Schlingen des bösen Feindes zu entgehen, als das Gute nach dem Willen des anderen zu tun, so sei auch nichts gefährlicher, als sich selbst leiten zu wollen (Vita üb. 1. cap. 20). Auf gleiche Weise spricht sich auch der heilige Franz von Sales aus, wo er von der Sicherheit handelt, die der Gehorsam gegen einen geistlichen Führer gewährt. „Dies ist die Lehre aller Lehren“, sagt der gottselige Johannes von Avila, „daß man keine größere Sicherheit haben könne, in allen Dingen nach dem Willen Gottes zu handeln, als wenn man diesen Weg des demütigen Gehorsams wandelt, welchen die frommen Seelen aller Zeiten so sehr empfohlen und geübt haben“ (Einleitung, 4. Kapitel). Ebenso sprechen der heilige Bernhard, der heilige Bernardin von Siena, der heilige Antonin, der heilige Johannes vom Kreuze, die heilige Theresia, Gerson und alle Theologen und Geisteslehrer; und der heilige Johannes vom Kreuz sieht es fast wie einen Zweifel am Glauben an, wenn man diese Wahrheit bezweifeln wollte: „Sich bei dem, was der Beichtvater sagt, nicht beruhigen wollen, ist Hochmut und Mangel an Glauben“ (Abhandlung von den Dornen, Kap. 4, §. 2. Nr. 8). Dagegen finden sich unter den geistlichen Sprüchen des heiligen Franz von Sales die nachfolgenden zwei, mit denen sich ängstliche Seelen trösten können. Der eine lautet: „Ein wahrhaft Gehorsamer ist noch niemals zu Grunde gegangen.“ Und der andere: „Man muß sich mit der Versicherung des geistlichen Führers, daß man auf gutem Wege sei, begnügen, ohne dies selbst einsehen zu wollen.“ Viele Theologen, wie Gerson, der heilige Antonin, Cajetan, Navarrus, Sanchez, Bonacina, Corduba, Castropalaus, und die Salmanticenser mit anderen (Tr. 20. cap. 7. n. 10). lehren, daß Skrupulanten unter einer schweren Sünde verpflichtet sind, gegen ihre Skrupeln zu handeln, wenn zu besorgen ist, daß diese Skrupel sie dahin bringen werden, an der Seele oder am Leibe einen großen Schaden zu erleiden, und ihre Gesundheit oder ihren Verstand einzubüßen; und deshalb sollten sie sich den größten Skrupel daraus machen, daß sie sich dem Urteil des Beichtvaters nicht unterwerfen wollen. Indem ich hiermit dieses Kapitel schließe, will ich nochmals die drei Punkte wiederholen, die in Kürze alles in sich begreifen, was zur Vollkommenheit erfordert wird, nämlich: daß man sich selbst verleugne, daß man sich in allen Dingen nach dem Willen Gottes richte, und daß man Gott unablässig um diese Kraft bitte, das eine und das andere zu vollbringen.

Gebet

„Was habe ich im Himmel und was verlange ich von Dir auf Erden: der Gott meines Herzens und mein Anteil ist Gott in Ewigkeit“ (Ps 72,25). O mein geliebter, o mein unendlich liebenswürdiger Erlöser, da Du vom Himmel herab gestiegen bist, um Dich mir zu schenken, was soll ich auf Erden und im Himmel verlangen außer Dir, der Du das höchste Gut, das einzige Gut und aller Liebe wert bist? So sei denn der alleinige Herr meines Herzens und besitze und beherrsche es unumschränkt, damit meine Seele Dich allein liebe, Dir allein gehorche, Dir allein zu gefallen suche. Mögen andere die Güter und Reichtümer dieser Welt genießen; ich verlange nur Dich, Du bist und wirst mein Gut und Reichtum sein in diesem Leben und durch die ganze Ewigkeit. Dir also, mein Jesus, Dir allein schenke ich mein Herz und meinen Willen ganz und ohne Vorbehalt. Dieser Wille hat sich früher gegen Dich aufgelehnt; aber jetzt soll er ganz Dir angehören. Herr, was willst Du, das ich tue? Sage mir, was Du von mir verlangst, und gib mir deine Gnade dazu: ich will alles tun. Verfüge mit mir und mit allem, was ich bin und habe, nach deinem Gefallen, ich nehme alles an und ergebe mich in alles. O Liebe, die Du einer unendlichen Liebe würdig bist, Du hast mich geliebt bis zum Tode, bis zum Tode des Kreuzes: so will denn auch ich Dich lieben von ganzem Herzen, Dich lieben mehr als mich selbst und meine Seele deinen Händen übergeben. Von diesem Augenblick an entsage ich aller Liebe zu irdischen Dingen, ich nehme für immer Abschied von den Geschöpfen, um mich Dir ganz und ungeteilt zu schenken, und bitte Dich durch die Verdienste deines bitteren Leidens, dieses Geschenk anzunehmen und mir die Gnade zu verleihen, Dir treu zu bleiben bis in den Tod. Mein Jesus, mein Jesus, von nun an will ich nur Dir leben, nichts lieben als nur Dich, nichts suchen als Dein Wohlgefallen. Stehe mir bei mit Deiner Gnade; und Du, o meine Hoffnung, Maria, unterstütze mich mit deiner mächtigen Fürsprache.