Fünftes Kapitel

Die Liebe ist geduldig.

Eine Seele, die den Heiland liebt, liebt das Leiden.

1. Hier auf Erden ist der Ort und die Zeit der Verdienste und folglich auch der Ort und die Zeit des Leidens. Unsere Heimat, wo Gott uns die ewige Ruhe in einer unaussprechlichen Seligkeit bereitet hat, ist der Himmel. Die Zeit, die wir auf dieser Welt zubringen, ist zwar kurz, aber die Mühseligkeiten und Trübsale, die wir in dieser kurzen Zeit zu erdulden haben, sind groß: „Der Mensch vom Weibe geboren, lebt eine kurze Zeit und wird mit vielem Elende erfüllt“ (Jo 14,1). Man muß leiden, so lautet das allgemeine Gesetz, und alle haben zu leiden, die Gerechten wie die Sünder; jeder hat sein Kreuz zu tragen. Wer es in Geduld trägt, wird gerettet, wer es in Ungeduld trägt, geht verloren. Dieselben Leiden und Prüfungen, sagt der heilige Augustinus, führen die einen in den Himmel und die anderen in die Hölle. Durch die Probe des Leidens, sagt derselbe Heilige, scheidet sich in der Kirche Gottes das Stroh vom Weizen: wer sich in den Trübsalen demütigt und in den Willen Gottes ergibt, ist ein Weizenkorn für die Scheune des himmlischen Hausvaters, und wer sich hochmütig auflehnt, in Zorn gerät, und deshalb sich von Gott abwendet, ist Stroh für die Flammen der Hölle.

2. Um an dem Tage, an welchem die Sache unseres ewigen Heiles entschieden wird, den glücklichen Spruch der Auserwählung zu vernehmen, muß unser Leben mit dem Leben Jesu Christi gleichförmig befunden werden: „Denn die er vorgesehen hat, die hat er auch vorherbestimmt, dem Bilde seines Sohnes gleichförmig zu werden“ (Rom 8,29). Deshalb ist das ewige Wort vom Himmel zur Erde herabgestiegen, um uns durch sein Beispiel zu lehren, die Kreuze, die Gott uns zuschickt, in Geduld zu tragen: „Christus hat für uns gelitten und uns ein Beispiel hinterlassen, damit wir seinen Fußstapfen nachfolgen“ (1 Petr 2,21). So also hat Jesus Christus leiden wollen, um uns zum Leiden zu ermutigen; was hat aber Er nicht alles gelitten, und wie war sein Leben ein Leben der Schmach und der Pein! Der Prophet nannte den Heiland: „Den Verachteten, den letzten der Menschen, den Mann der Schmerzen“ (Is 53,3). Er war der letzte der Menschen, weil Er wie der niedrigste, wie der Auswurf aller Menschen behandelt wurde; Er war ein Mann der Schmerzen, weil sein ganzes Leben eine ununterbrochene Reihe unerträglicher Leiden und Mühseligkeiten war.

3. Wie aber Gott seinen geliebten Sohn behandelt hat, so behandelt er jeden, den Er liebt und zu seinem Kinde angenommen hat: „Wen der Herr lieb hat, den züchtiget Er; und Er geißelt jeden, den Er zu seinem Sohn annimmt“ (Hebr 12,6). So sprach auch der Herr eines Tages zur heiligen Theresia: „Wisse, meine Tochter, daß diejenigen Seelen meinem Vater die teuersten sind, welche am meisten zu leiden haben.“ Deshalb pflegte auch die Heilige, wenn sie von schweren Trübsalen heimgesucht war, zu sagen, sie möchte diese Trübsale nicht mit allen Schätzen der Welt vertauschen. Nach ihrem Tode aber offenbarte sie einer frommen Seele, daß sie einen großen Lohn im Himmel empfangen habe, aber nicht so sehr für ihre guten Werke, als vielmehr für die Leiden, die sie aus Liebe zu Gott ertragen hatte, und wenn es einen Grund geben könnte, sich die Rückkehr auf diese Welt zu wünschen, so wäre es der: noch mehr für Gott zu leiden.

4. Wer Gott liebt, zieht aus dem Leiden einen doppelten Gewinn, und deshalb hielt der heilige Vinzenz von Paul es für ein großes Unglück, wenn man auf dieser Welt nichts zu leiden hat. Er pflegte auch zu sagen, daß Gemeinden und einzelne Personen, die keine Leiden haben und denen die Welt mit ihrem Lob und Beifall entgegenkommt, dem Falle nahe sind. Der heilige Franz von Assisi war sehr bekümmert, wenn ein Tag vergangen war, an welchem er kein besonderes Kreuz zu tragen hatte; denn er fürchtete, daß Gott ihn gleichsam vergessen habe. So sagt auch der heilige Johannes Chrysostomus, daß Gott demjenigen, dem Er die Gnade zu leiden gibt, damit eine größere Gunst erweise, als wenn Er ihm die Macht verleihen würde, Tote zu erwecken; denn die Wundergabe mache den Menschen zum Schuldner Gottes, das Leiden aber mache Gott zum Schuldner des Menschen. Und sollte einer, der etwas für Gott leidet, keine andere Gabe empfangen, als die: für Gott, den er liebt, leiden zu können, so wäre er dadurch überfließend belohnt. Deshalb hielt es auch der Heilige für eine größere Gnade, daß der heilige Paulus gewürdigt wurde, für seinen göttlichen Meister in Fesseln geschlagen zu werden, als daß er gewürdigt wurde, in den dritten Himmel entrückt zu werden.

5. „Die Geduld hat ein vollkommenes Werk“, sagt der heilige Jakobus (1,4). Nichts ist daher Gott angenehmer als der Anblick einer Seele, welche in Frieden und Geduld die Kreuze trägt, die Er ihr zusendet. Es ist dies eine Wirkung der Liebe, sie macht den Liebenden dem Geliebten ähnlich. „Aus den Wunden des Heilandes“, sagt der heilige Franz von Sales, „gehen ebenso viele Stimmen hervor, die uns lehren, daß wir mit Ihm und für Ihn leiden müssen. Dies ist die Wissenschaft der Heiligen: standhaft für Jesus zu leiden, und dies ist der Weg, schnell heilig zu werden.“ Eine Seele, die Ihn liebt, wünscht ebenso behandelt zu werden, wie Er behandelt wurde; sie wünscht arm, verachtet und verspottet zu sein wie Er. Der heilige Johannes sah in der Offenbarung alle Heiligen in weißen Gewändern und mit Palmenzweigen in den Händen. „Sie waren angetan mit weißen Kleidern und hatten Palmen in ihren Händen“ (Offb 7,9). Die Palme ist das Zeichen des Martyriums. Nicht alle Heiligen sind aber gemartert worden: warum tragen also alle Palmen in ihren Händen? Der heilige Gregorius antwortet hierauf, daß alle Heiligen in Wahrheit Märtyrer waren, entweder durch das Schwert oder durch die Geduld, und er setzt hinzu: „So können auch wir ohne das Schwert Märtyrer sein, wenn wir die Geduld bewahren.“

6. Alles Verdienst einer Seele, die den Heiland liebt, besteht im Lieben und Leiden. „Glaubst du, meine Tochter“, sagte der Herr einmal zur heiligen Theresia, „das Verdienst bestehe im Genuß? Nein, es besteht im Leiden und im Lieben. Betrachte die Mühen und Schmerzen meines Lebens auf Erden und halte dir immer vor Augen, daß mein Vater den Seelen, die Er am meisten liebt, die schwersten Kreuze zusendet, und daß das Maß der Kreuze dem Maße der Liebe entspricht. Blicke auf diese Wunden, so weit werden deine Schmerzen niemals reichen. Es ist eine Torheit, sich einzubilden, eine Seele könne ohne Leiden in die Freundschaft meines Vaters aufgenommen werden.“ Zu unserem Trost fügt aber die heilige Theresia hinzu: „Gott schickt niemals ein Leiden, ohne es sogleich mit einer Gunstbezeigung zu vergelten.“ Der seligen Baptista Varani sagte der Herr einst in einer Erscheinung, daß unter den Wohltaten, die Er seinen geliebten Seelen erweise, drei die größten seien: Die erste ist, daß Er sie vor der Sünde bewahrt; die zweite größere ist die Gnade, gute Werke zu tun; die dritte endlich und die größte ist die Gnade, aus Liebe zu Ihm zu leiden. Damit stimmt überein, was die heilige Theresia sagt: daß Gott, wenn wir irgendein gutes Werk zu seiner Ehre verrichtet haben, es uns mit einem Leiden, das Er uns schickt, belohne. Daher sehen wir, daß die Heiligen Gott dankten, wenn sie mit schweren Trübsalen heimgesucht wurden. Der heilige Ludwig, König von Frankreich, sagte, wenn von seiner Gefangenschaft unter den Sarazenen die Rede war: „Ich freue mich mehr und danke Gott mehr für die Geduld, die Er mir in meiner Gefangenschaft verliehen hat, als wenn ich das ganze Land erobert hätte.“ Als die heilige Elisabeth, Landgräfin von Thüringen, nach dem Tode ihres Gemahls samt ihrem Sohne aus ihren Staaten vertrieben wurde und sich ohne Heimat und Obdach und von allen Menschen verlassen sah, begab sie sich in ein Kloster der Franziskaner und ließ das „Großer Gott, wir loben Dich“ singen zur Danksagung, daß Gott ihr die Gnade erwiesen habe, zu leiden aus Liebe zu Ihm.

7. Der heilige Joseph von Calasanza wiederholte oft den Spruch: „Um den Himmel zu gewinnen, ist jede Mühe gering.“ Es ist damit nur ausgesprochen, was der Apostel sagt: „Die Leiden dieser Zeit sind nicht zu vergleichen mit der zukünftigen Herrlichkeit, die an uns offenbar werden wird“ (Rom 8,18). Wäre es nicht ein großer Gewinn, unser ganzes Leben alles das zu leiden, was die heiligen Märtyrer gelitten haben, um auch nur für einen Augenblick die Freuden des Paradieses zu genießen? Um wieviel mehr sollen wir also unsere viel geringeren Kreuze willig auf uns nehmen, da wir wissen, daß wir uns durch die kurzen Leiden dieses flüchtigen Lebens eine ewige und unvergängliche Seligkeit erwerben können. „Denn unsere gegenwärtige Trübsal, die augenblicklich und leicht ist, bewirkt eine überschwengliche, ewige, alles überwiegende Herrlichkeit in uns (2 Kor 4,17). Als dem heiligen Agapitus, einem Knaben von fünfzehn Jahren, vom Tyrannen gedroht wurde, er werde ihm einen glühend gemachten Helm auf das Haupt setzen lassen, erwiderte der Märtyrer: „Welches größere Glück könnte mir widerfahren, als daß mein Kopf hier auf Erden verbrannt werde, um im Himmel gekrönt zu werden?“ Ebenso sprach der heilige Franziskus: „Das Gut, das ich erwarte, ist so groß, daß sich mir aller Schmerz in Freude verwandelt.“ Wollen wir aber im Himmel gekrönt werden, so müssen wir hier auf Erden kämpfen und leiden. „Wenn wir mit Ihm dulden, werden wir auch mit Ihm herrschen“ (2 Tim 2,12). Ohne Verdienst gibt es keinen Lohn und ohne Geduld kein Verdienst. „Nur der wird gekrönt, der rechtmäßig gekämpft hat“ (2 Tim 2,5). Und wer mit größerer Geduld kämpft, wird auch eine schönere Krone erhalten. Es ist eine sonderbare Sache mit den Weltkindern. Wenn es sich um zeitliche Güter handelt, haben sie niemals genug, handelt es sich aber um die ewigen Güter, so sprechen sie: Wir sind mit einem Winkel im Himmel zufrieden. Dies ist nicht die Sprache der Heiligen. Was das Zeitliche betrifft, sind sie mit allem zufrieden, ja sie berauben sich freiwillig der irdischen Güter; was aber die geistlichen Güter betrifft, so setzen sie sich kein Ziel, sondern trachten so viele Schätze für die Ewigkeit zu erwerben, als ihnen möglich ist. Ich frage nun: Wer handelt weiser und klüger, diese oder jene?

8. Wenn wir aber auch nur dieses zeitliche Leben ins Auge lassen, so ist gewiß, daß mehr Frieden hat, wer mehr Geduld hat. Der heilige Philipp Neri sagte, es gäbe auf dieser Welt kein Fegefeuer, sondern nur einen Himmel und eine Hölle: wer die Leiden dieses Lebens in Geduld erträgt, hat den Himmel auf Erden, und wer sie nicht mit Geduld erträgt, der hat die Hölle auf Erden. So ist es in der Tat; denn, wie die heilige Theresia sagt, wer die Kreuze, die ihm der Herr auferlegt, umfängt, fühlt ihre Last nicht. Als der heilige Franz von Sales einst von schweren Trübsalen heimgesucht war, schrieb er: „Seit einiger Zeit erfüllen mich die Kämpfe, die ich zu bestehen, und die geheimen Widersprüche, die ich zu erleiden habe, mit einem süßen innerlichen Frieden, den ich mit nichts vergleichen kann, und der mir ein Vorzeichen zu sein scheint, daß meine Seele bald in Gott allein ruhen wird, was in Wahrheit mein einziger Ehrgeiz und mein einziges Verlangen ist.“ Nichts ist gewisser, als daß man in einem ungeregelten Leben den Frieden nicht finden kann; den innerlichen Frieden genießt nur, wer in Vereinigung mit Gott und seinem heiligsten Willen lebt. In Indien sollte ein Verbrecher hingerichtet werden. Er stand bereits unter dem Galgen, als er einen Ordensmann und Missionar gewahrte, ihn zu sich rief und folgende Worte zu ihm sagte: „Wisset, mein Vater, ich habe einst eurem Orden angehört, und solange ich die Ordensregel beobachtete, führte ich ein sehr zufriedenes Leben; sobald ich aber anfing, in meinem Eifer nachzulassen, empfand ich in allen Dingen Unlust und Beschwerde. Ich verließ endlich aus Überdruß den Orden, gab mich in der Welt allen meinen Leidenschaften hin, und bis zu welchem unseligen Abschluß meines Lebens sie mich geführt haben, das habt ihr vor Augen.“ Er fügte noch hinzu: „Ich teile euch dieses mit, damit mein Beispiel anderen als Warnung dienen möge.“ Der ehrwürdige Pater Ludwig de Ponte sagt: „Bemühe dich, es dahin zu bringen, daß dir die Süßigkeiten dieses Lebens bitter und die Bitterkeit süß vorkommen, und du wirst allzeit einen innerlichen Frieden genießen.“ Er sagt dies mit allem Recht; denn die Süßigkeiten schmeicheln zwar den Sinnen, da wir aber meistens ein schuldbares Wohlgefallen daran haben, lassen sie die Bitterkeit des Lebens zurück; die Bitterkeiten dieses Lebens dagegen verwandeln sich in Trost und Süßigkeit, wenn wir sie mit Geduld aus der Hand Gottes annehmen und aus Liebe zu Ihm ertragen.

9. Seien wir versichert, daß man in diesem Tränental keinen wahren Frieden genießen kann, wenn man nicht die Leiden dieses Lebens aus Liebe zu Gott und um Ihm wohlgefällig zu werden auf sich nimmt. Es kann dies nicht anders sein; denn es ist eine Folge der Sünde und der Verderbnis der menschlichen Natur, welche sie herbeigeführt hat. Der Stand der Heiligen auf Erden besteht darin, daß sie lieben im Leiden; der Stand der Heiligen im Himmel, daß sie lieben im Genüsse. Der P. Paul Segneri riet einem seiner Beichtkinder, um es zur Geduld im Leiden zu ermuntern, folgende Worte unter ein Kruzifix zu schreiben: „So liebt man.“ Nicht aber das Leiden an sich und für sich, sondern das Leiden wollen aus Liebe zu Jesus Christus ist das sichere Zeichen, aus welchem sie erkennen laßt, ob eine Seele Ihn in Wahrheit liebt. „Was kann es Tröstlicheres geben“, sagt die heilige Theresia, „als ein Zeugnis zu haben, daß wir Gott wohlgefällig sind.“ Leider aber erschrecken die meisten Menschen schon, wenn sie vom Kreuz, von Leiden und Demütigungen auch nur sprechen hören. Indessen gibt es immer noch Seelen, die ihren größten Trost im Leiden finden, und untröstlich wären, wenn sie hier auf Erden ohne Leiden leben müßten. „Wenn ich auf Jesus den Gekreuzigten blicke“, sagt eine heilige Seele, „wird mir das Kreuz so liebenswürdig, daß es mir scheint, ich könnte ohne Leiden nicht glücklich sein; die Liebe Jesu Christi ist mir ein Ersatz für alles.“ Was fordert der Herr von jedem, der sein Jünger sein will? Daß er sein Kreuz auf sich nehme: „Er nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach!“ (Lk 9,23) Man muß es aber nicht gezwungener Weise auf sich nehmen und mit Widerwillen tragen, sondern mit Demut, Geduld und Liebe.

10. O welches Wohlgefallen hat Gott an einer Seele, die in Demut und Geduld die Kreuze umfangt, die Er ihr zusendet! Der heilige Ignatius sagt: Es gibt kein Holz, das geeigneter wäre, die Liebe zu Gott zu erwecken und zu bewahren als das Holz des Kreuzes; dies heißt mit anderen Worten: Keine Liebe ist verdienstlicher als die Liebe im Leiden. Die heilige Gertrud fragte einst den Herrn, was sie tun solle, um Ihm das angenehmste Opfer zu bringen, und Er antwortete ihr: „Meine Tochter, du kannst nichts tun, was mir angenehmer wäre, als wenn du alle Leiden und Trübsale, die über dich kommen, in Geduld erträgst“. Die große Dienerin Gottes, Victoria Angelini, nahm keinen Anstand, zu behaupten, ein Tag am Kreuze zugebracht wiege schwerer vor Gott, als wenn man hundert Jahre in allen möglichen Andachtsübungen zubringen würde. Ähnlich ist der Ausspruch des ehrwürdigen Thomas von Avila: „Ein 'Gott sei gelobt' in der Trübsal ist mehr wert, als tausend Danksagungen im Wohlergehen.“ Ach, wie wenig kennen aber die Menschen den Wert des Leidens, das man aus Liebe zu Gott erträgt! „Wenn die Menschen wüßten“, sagt die heilige Angela von Foligno, „was es bedeutet, für Gott zu leiden, so würden die Leiden zu einem Gegenstande gewaltsamen Raubes werden.“ Einer würde nämlich dem anderen die Gelegenheiten, für Gott etwas zu leiden, zu rauben suchen. Eine andere heilige Seele, die den unschätzbaren Wert des Leidens vollkommen zu würdigen wußte, war die heilige Maria Magdalena von Pazzi; denn sie wünschte sich, lieber noch länger zu leben als zu sterben und sogleich in den Himmel einzugehen, weil man, wie sie sagte, im Himmel nicht mehr leiden kann.

11. Das Ziel, das jede Gott liebende Seele sich vorsetzt, ist kein anderes, als die vollkommene Vereinigung mit Gott. Hören wir aber, wie die heilige Katharina von Genua über die Mittel, dieses Ziel zu erreichen, sich ausspricht: „Um zur Vereinigung mit Gott zu gelangen, sind Leiden und Widerwärtigkeiten durchaus notwendig; denn sie sind die Mittel, deren sich Gott bedient, um uns von unseren bösen Gelüsten und ungeordneten Neigungen nach innen und außen zu reinigen. Verachtung, Beschimpfung, Abwendung unserer nächsten Verwandten und Freunde, Krankheiten, Beschämungen, Versuchungen und ähnliches sind die Mittel, die wir bedürfen, um durch unablässige Kämpfe und Siege alle bösen Gelüste in uns zu ersticken und aus unseren Herzen hinauszuschaffen. Solange wir nicht dahin gelangt sind, daß uns die Widerwärtigkeiten nicht mehr bitter, sondern Gott zu lieb süß vorkommen, werden wir die vollkommene Vereinigung mit Gott nicht erreichen.“

12. Nach allem dem ist gewiß, was der heilige Johannes vom Kreuz sagt: daß eine Seele, die Gott ganz angehören will, sich entschließen muß, in diesem Leben in allen Dingen nicht ihren Trost, sondern das Leiden zu suchen, ein großes Verlangen nach freiwilligen Abtötungen zu tragen, und mit noch größerer Begierde und Liebe die unfreiwilligen Abtötungen zu umfassen, weil diese Gott noch angenehmer sind. Salomon sagt: „Besser ist ein geduldiger Mensch als ein starker“ (Spr 16,32). Fasten, Bußkleider, Disziplinen und ähnliche Abtötungen gefallen Gott wegen der Entschlossenheit, mit der sie geübt werden; noch viel mehr aber gefällt Ihm die Entschlossenheit im geduldigen und freudigen Tragen der Kreuze, die Er uns zugesendet hat. „Die Abtötungen“, sagt der heilige Franz von Sales, „die uns von Gott oder durch seine Zulassung von den Menschen zukommen, sind immer weit kostbarer, als diejenigen, welche Töchter unseres eigenen Willens sind; denn es ist eine allgemeine Regel, daß das Wohlgefallen Gottes und unser geistlicher Gewinn um so größer ist, je weniger etwas nach unserer eigenen Wahl ist.“ Dasselbe spricht auch die heilige Theresia aus: „Man gewinnt an einem Tage mehr durch Leiden, die von Gott oder von den Nächsten kommen, als in zehn Jahren durch Leiden, die man sich selbst auferlegt hat.“ Deshalb sagte die heldenmütige heilige Maria Magdalena von Pazzi, es könne kein so schweres Leiden auf der Welt geben, welches sie nicht in dem Bewußtsein, daß es von Gott komme, mit Freuden auf sich nehmen würde. In der Tat durfte man sie in den überaus harten Prüfungen, die sie durch fünf Jahre zu bestehen hatte, nur erinnern, es sei der Wille Gottes, daß sie dieses leide, und sie war sogleich beruhigt und getröstet. Ach, um einen Gott, ein unendliches Gut zu gewinnen, ist alles, was wir immer tun und leiden mögen, für nichts zu achten. „Gott um jeden Preis, kein Preis ist zu hoch!“ war ein Spruch des gottseligen P. Hippolyt Durazzo.

13. Bitten wir also den Herrn, daß er uns seiner heiligen Liebe würdig mache. Wenn unsere Liebe einmal vollkommen sein wird, werden uns alle Güter der Erde wie Dunst und Kot erscheinen; Schmerzen aber und Demütigungen werden unsere Lust und Freude sein. Der heilige Johannes Chrysostomus beschreibt den Stand einer Seele, die sich ganz Gott geschenkt hat, folgendermaßen: „Wenn eine Seele zur vollkommenen Liebe Gottes gelangt ist, dann kommt es ihr vor, als wäre sie ganz allein auf dieser Welt; sie kümmert sich weder um Ehre noch um Schande; sie verachtet die Versuchungen und die Leiden; sie hat alle Lust und allen Geschmack an irdischen Dingen verloren. Da sie in nichts Ruhe und Trost findet, sucht sie unaufhörlich ihren Geliebten auf, ohne jemals zu ermüden; und mag sie mit einer Arbeit beschäftigt sein oder Nahrung zu sich nehmen, mag sie wachen oder schlafen, mag sie reden oder schweigen, so ist ihr Sinnen und Trachten nur darauf gerichtet, den Geliebten zu finden; denn wo der Schatz ist, da ist auch das Herz.“

Wir haben bisher von der Geduld im allgemeinen gesprochen; im vierzehnten Kapitel aber werden wir von den besonderen Fällen handeln, in welchen diese Tugend vorzüglich geübt werden soll.

Gebet

O mein geliebter Jesus, mein höchstes Gut, mein alles, ich verdiene es nicht, Dich noch lieben zu können, nachdem ich Dich so oft und so schwer beleidigt habe; aber ich bitte Dich durch deine unendlichen Verdienste, mich Deiner Liebe würdig zu machen. Es schmerzt mich über alles, deine Liebe eine zeitlang verachtet und Dich aus meinem Herzen vertrieben zu haben; jetzt aber liebe ich Dich aus dem Grunde meiner Seele und mehr als mich selbst. Ich liebe Dich, ich liebe Dich, o unendliches Gut, und mein einziges Verlangen ist: Dich mit vollkommener Liebe zu lieben, und meine einzige Furcht ist: deine heilige Liebe zu verlieren. Ach, mein liebreicher Erlöser, laß mich erkennen, welch ein Gut Du bist und wie unermeßlich die Liebe ist, die Du zu mir getragen hast, um mich zu zwingen, Dich wieder zu lieben. O mein Gott, laß nicht zu, daß ich deine Güte noch länger mit solchem Undank vergelte. Ich habe Dich nur zu oft und zu sehr beleidigt, aber es soll damit genug sein; ich will nicht mehr von Dir lassen, und die Zeit des Lebens, die mir noch bleibt, nur dazu anwenden, Dich zu lieben und Dir Freude zu machen. O Jesus, meine Liebe, komm mir zu Hilfe, hilf einem Sünder, der Dich lieben und ganz Dir angehören will. O Maria, meine Hoffnung, dein göttlicher Sohn erhört alle deine Bitten, bitte Ihn für mich und erlange mir die Gnade, Ihn mit einer vollkommenen Liebe zu lieben.