Sechstes Kapitel
Die Liebe ist gütig.
Eine Seele, die den Heiland liebt, liebt die Sanftmut.
1. Der Geist der Sanftmut und des Wohlwollens ist der Geist Gottes. „Mein Geist ist süßer als Honig“ (Sir 24,27). Eine Gott liebende Seele liebt daher alle, die von Gott geliebt werden, und folglich alle ihre Nebenmenschen, und trachtet, so viel es ihr gestattet ist, allen zu helfen, alle zu trösten, alle zufrieden zu stellen. Der heilige Franz von Sales, Meister und Muster in dieser Tugend, sagt: „Die Demut und Sanftmut sind die Tugenden aller Tugenden, die Gott uns so sehr empfohlen hat; sie müssen daher allezeit und in allen Verhältnissen geübt werden“. Er stellt sodann folgende Regel auf: „Was du glaubst, mit Liebe erreichen zu können, das tue, und was ohne Zank und Streit nicht erreicht werden kann, das unterlasse.“ Dies versteht sich jedoch immer unter der Bedingung, daß es ohne Beleidigung Gottes unterlassen werden kann: denn diese muß immer, und sobald es möglich ist, von denjenigen verhindert werden, die hierzu verpflichtet sind.
2. Diese Sanftmut und Freundlichkeit soll man vorzüglich gegen die Armen üben, die gewöhnlich, weil sie arm sind, eine rauhe Behandlung erfahren. Ferner gegen die Kranken, die durch ihre Leiden niedergedrückt sind, und größtenteils bei anderen nur wenig Trost und Hilfe finden. Endlich und am meisten soll man sie gegen Feinde üben: „Überwinde das Böse durch das Gute“ (Rom 12,21). Man muß den Haß durch Liebe und die Verfolgung durch Sanftmut überwinden; so haben es die Heiligen gemacht und dadurch die Herzen ihrer bittersten Feinde gewonnen.
3. Nichts erbaut den Nächsten mehr, sagt der heilige Franz von Sales, als liebreiche Freundlichkeit im Umgang. Und wie er lehrte, so tat er. Er hatte gewöhnlich ein anmutiges Lächeln auf seinen Lippen, und nicht bloß aus seinem Angesichte, sondern aus allen seinen Bewegungen und Worten leuchtete das Wohlwollen gegen alle Menschen hervor; so daß der heilige Vinzenz von Paul von ihm sagte, er habe nie einen Menschen gekannt, der mehr das Gepräge des Wohlwollens an sich trug, und es scheine ihm, daß der Herr Bischof von Genf in dieser Beziehung ein treues Abbild der Güte unseres göttlichen Heilandes ist. Selbst wenn er etwas verweigern mußte, was er ohne Verletzung seines Gewissens nicht gewähren konnte, tat er es in so freundlicher Weise, daß die Abgewiesenen, obgleich sie es anfänglich nicht beabsichtigten, zuletzt ihn dennoch in einer ganz zufriedenen und geneigten Stimmung verließen. Er war freundlich und sanftmütig gegen jedermann: gegen Höherstehende ebenso wie gegen seinesgleichen und gegen seine Untergebenen; er war es nicht bloß außer Hause, sondern auch zu Hause, und hierin unterschied er sich von gewissen Leuten, welche, um seine eigenen Ausdrücke zu gebrauchen, außer Haus wahre Engel, zu Hause aber wahre Teufel zu sein schienen. Im Verkehr mit seinen Dienstleuten beklagte er sich nie über ihre Nachlässigkeiten; kaum daß er sie zuweilen darauf aufmerksam machte, immer jedoch mit freundlichen Worten. Ein Beispiel, das man Vorgesetzten nicht genug zur Nachahmung empfehlen kann; denn ein Oberer soll seine Untergebenen immer auf freundliche Weise behandeln, und wenn er ihnen Aufträge erteilt, mehr bitten als befehlen. „Wenn die Oberen wollen“, sagt der heilige Vinzenz von Paul, „daß ihre Untergebenen die erhaltenen Aufträge auf das beste vollziehen, so werden sie dies durch nichts besser erreichen als durch die Sanftmut.“ Ebenso sagt die heilige Johanna von Chantal: „Ich habe es mit mehreren Methoden versucht zu regieren, aber zuletzt gefunden, daß es keine bessere gibt, als die, mit Sanftmut und Geduld zu regieren.“
4. Der Obere soll auch dann die Sanftmut bewahren, wenn er Fehler zu rügen hat. Etwas anderes ist es, mit Nachdruck rügen, und etwas anderes, mit Bitterkeit rügen. Man muß manchmal strenge und nachdrückliche Verweise geben, wenn der Fehler schwer ist, und besonders wenn der Untergebene ihn wiederholt begangen hat, nachdem er bereits hierüber ermahnt wurde, aber man soll sich vor dem Zorn und der Erbitterung hüten; denn ein im Zorn erteilter Verweis schadet mehr als er nützt. Vor diesem bitteren Eifer warnt eben der heilige Jakobus. Manche tun sich etwas zu Gute darauf, daß sie in ihren Familien oder Gemeinden auf diese Weise das Regiment führen, und stellen es als ein Muster auf; allein der Apostel sagt: „Wenn ihr bitteren Eifer habet... so rühmt euch dessen nicht“ (Jak 3,14). Wenn es wirklich in seltenen Fällen notwendig ist, einige scharfe Worte zu gebrauchen, damit der Schuldige die Größe des Fehlers erkenne, so soll man doch am Schluß immer einige Süßigkeiten beimischen und ihn mit einigen gütigen Worten entlassen. Man soll die Wunden heilen, wie es der Samariter im Evangelium getan hat. „Gleich wie das öl“, sagt der heilige Franz von Sales, „wenn es mit anderen Flüssigkeiten gemischt wird, immer obenan bleibt, so soll auch in allen unseren Handlungen die Güte obenan sein.“ Und wenn derjenige, der zurechtgewiesen werden muß, sich in einer heftigen Gemütsbewegung befindet, ist es besser, den Verweis aufzuschieben und zu warten, bis sich seine Aufregung gelegt hat, sonst wird er noch mehr gereizt. „Wenn das Haus brennt, muß man nicht noch Holz in die Flammen werfen“, pflegte der heilige Johannes aus dem Orden der regulierten Chorherren zu sagen.
5. „Ihr wißt nicht, wessen Geistes ihr seid“ (Lk 9,55). So sprach der Herr zu Johannes und Jakobus, als sie von Ihm i verlangten, Er solle die Samariter mit schweren Züchtigungen heimsuchen, weil sie Ihn nicht aufgenommen hatten.
Was ist dies für ein Geist? sagte ihnen der Herr, dies ist nicht der meinige, mein Geist ist ein Geist der Milde und der Güte; meine Aufgabe ist nicht, die Menschen zu richten, sondern sie zu erlösen: „Der Menschensohn ist nicht gekommen, die Seelen zu verderben, sondern sie selig zu machen“ (Lk 9,56). Und ihr wollt mich bewegen, sie zu verderben? Schweigt, und begehrt nie mehr solche Dinge von mir; denn dies ist nicht mein Geist. Und in der Tat, mit welcher Milde behandelte der Herr die Ehebrecherin: „Frau“, sprach er zu ihr, „niemand hat dich verdammt, so will auch ich dich nicht verdammen; gehe hin und sündige nicht mehr“ (Jo 8,10). Er begnügte sich, sie zu ermahnen, nicht mehr zu sündigen, und entließ sie in Frieden. Mit welcher Güte behandelte und bekehrte Er ferner die samaritanische Frau! Zuerst bittet Er sie, sie solle Ihm zu trinken geben, sodann spricht Er zu ihr: „Wenn du wüßtest, wer derjenige ist, der von dir zu trinken verlangt!“ (Jo 4,10) und endlich offenbart er ihr, daß Er der erwartete Messias sei.
Mit welcher Sanftmut suchte Er ferner seinen Verräter, den treulosen Judas, zu bekehren! Er läßt ihn aus derselben Schüssel essen, Er wäscht ihm die Füße, Er ermahnt ihn noch im Augenblicke des Verrats mit den sanften Worten: „Judas, mit einem Kuß verrätst du den Menschensohn?“ (Lk 22,48) Wie bekehrt Er endlich den Apostel, der Ihn dreimal verleugnet hatte. „Der Herr wandte sich um und sah Petrus an“ (Lk 22,61). Als der Herr aus dem Hause des Hohenpriesters in die Vorhalle trat, in der sich Petrus befand, wandte Er sich um, und ohne ihm einen Vorwurf zu machen, sah Er ihn mit einem liebevollen Blicke an, und durch diesen Blick ward Petrus bekehrt und so bekehrt, daß er sein ganzes Leben hindurch nicht mehr abließ, den Schmerz zu beweinen, den er seinem göttlichen Meister zugefügt hatte.
6. O wieviel mehr gewinnt man mit Sanftmut als mit Bitterkeit! Nichts ist bitterer, sagt der heilige Franz von Sales, als eine unreife Nuß; wenn man sie aber gehörig einmacht, wird sie süß und lieblich: so sind auch Verweise an und für sich etwas Mißliebiges, sie werden aber annehmlich, wenn sie mit Sanftmut und Güte gegeben werden und bringen auch größeren Nutzen. Man erzählt vom heiligen Vinzenz von Paul, daß er während der vieljährigen Regierung seiner Kongregation nur dreimal Untergebene mit harten Worten zurechtgewiesen habe, weil er dies für notwendig hielt, daß er es aber später bereut habe, weil er nichts damit ausgerichtet hatte, während die in Güte gegebenen Verweise immer eine gute Wirkung hervorbrachten.
7. Der heilige Franz von Sales erreichte durch seine Herzensgüte alles, was er wollte, und es gelang ihm, auf diese Weise, selbst die verstocktesten Sünder für Gott zu gewinnen. Dasselbe wird vom heiügen Vinzenz von Paul gerühmt, der seinen Priestern dringend empfahl, immer vor Augen zu haben, daß Freundlichkeit, Liebe und Demut eine wunderbare Kraft besitzen, die Herzen der Menschen zu gewinnen und sie dahin zu bringen, daß sie sich zu Dingen entschließen, die der Natur am meisten widerstreben. Er übergab einmal einem Priester seiner Kongregation einen Menschen, der in große Laster versunken war, um ihn zur Buße zu bewegen. Der Priester gab sich große Mühe; allein er vermochte nichts auszurichten, und bat endlich den Heiligen, selbst mit diesem Menschen zu sprechen. Der Heilige tat es, und zwar mit dem glücklichsten Erfolge, und nur seine außerordentliche Sanftmut und Liebe waren es, welche diese Bekehrung bewirkten und das Herz des Sünders erweichten, wie dieser späterhin selbst bekannte. Er konnte daher nichts weniger ertragen als ein hartes und rauhes Benehmen der Missionare im Beichtstuhl und sagte oft zu seinen Priestern, daß es der böse Feind sei, der manche zu einer übertriebenen Strenge antreibe, um die Seelen um so gewisser in das Verderben zu stürzen.
8. Die Sanftmut und die Freundlichkeit sind Tugenden, die man gegen alle, zu allen Zeiten und zu allen Gelegenheiten üben muß. Der heilige Bernhard sagt, daß manche sanftmütig sind, so lange ihnen alles nach Wunsch geht; wenn sie aber auf Widersprüche oder Schwierigkeiten stoßen, sich sogleich erhitzen und zu rauchen anfangen wie der Vesuv, so daß man sie mit einer Kohle, die unter der Asche glüht, vergleichen kann. Wer heilig werden will, muß wie eine Lilie unter Dornen sein, die nicht aufhört, eine Lilie zu sein, wenn sie auch von den Dornen gestochen wird, d.h., er muß immer gleich ruhig und sanftmütig sein. Eine Gott liebende Seele bewahrt allezeit den Frieden des Herzens, und zeigt dies auch äußerlich, indem sie sich immer gleich bleibt bei freudigen und unglücklichen Ereignissen; wie dies der Kardinal Petrucci in folgenden schönen Versen ausgesprochen hat: Wenn auch dem Wechsel untergeben Ringsum sie her die Welt erscheint, Bleibt doch ihr inn'res Geistesleben Im tiefsten Grund mit Gott vereint.
9. In der Widerwärtigkeit zeigt sich, wessen Geistes ein Mensch ist. Der heilige Franz von Sales liebte den Orden der Heimsuchung, dessen Stiftung ihm so viele Mühe und Sorge gekostet hatte, auf das zärtlichste. Mehrmals wurde dieser Orden durch die Verfolgungen, die er zu erleiden hatte, der Auflösung nahe gebracht; allein der Heilige verlor deshalb niemals den Frieden des Herzens und wäre ganz zufrieden gewesen, sein mühsames Werk vernichtet zu sehen, wenn es Gott so gefallen hätte. Es war bei dieser Gelegenheit, wo er die oben angeführten Worte niederschrieb: „Seit einiger Zeit erfüllen mich die Kämpfe, die ich zu bestehen, und die geheimen Widersprüche, die ich zu erleiden habe, mit einem süßen innerlichen Frieden, den ich mit nichts vergleichen kann und der mir ein Vorzeichen zu sein scheint, daß meine Seele bald in Gott allein ruhen wird, was in Wahrheit mein einziger Ehrgeiz und mein einziges Verlangen ist.“
10. Wenn uns jemand übel behandelt, und es notwendig ist, ihm zu antworten, so soll dies immer mit Sanftmut geschehen. „Eine sanfte Antwort bricht den Zorn“ (Spr 15,1). Ein einziges sanftes Wort ist oft imstande, die Glut des Zornes auszulöschen. Und fühlen wir uns aufgeregt, so ist es besser zu schweigen, weil wir uns in einem solchen Zustande berechtigt glauben, alles zu sagen, was uns auf die Zunge kommt, und erst später, wenn die Aufregung sich gelegt hat, erkennen, daß alles, was wir vorgebracht haben, unrecht und gefehlt war.
11. Aber auch gegen uns selbst müssen wir die Sanftmut üben, wenn es uns begegnet, daß wir in einen Fehler gefallen sind. Über sich selbst deshalb in Zorn geraten, ist keine Demut, sondern ein versteckter Hochmut, weil man sich nicht für das erkennt, was wir alle sind: nämlich für ein armseliges, schwaches und gebrechliches Geschöpf. Die heilige Theresia sagt: „Jede Demut, welche die Seele in Unruhe versetzt, kommt nicht von Gott, sondern vom bösen Feind.“ Dieses Zürnen über sich selbst ist oft ein größerer Fehler als der, den man begangen hat, und zieht gewöhnlich noch viele andere Fehler nach sich, weil man dann meistens das Gebet, die Kommunion und die gewohnten Übungen entweder unterläßt oder doch ohne Andacht und Nutzen verrichtet. Der heilige Aloisius von Gonzaga sagte: „Ist das | Wasser trübe, so läßt sich nichts mehr darin unterscheiden, und dann kommt der böse Feind, um seine Angel auszuwerfen.“ Ist der Frieden einer Seele getrübt, so hat sie weder einen klaren Aufblick zu Gott, noch eine klare Erkenntnis dessen, was sie tun soll. Sind wir also in einen Fehler gefallen, so sollen wir sogleich mit Demut und Vertrauen zu Gott aufblicken, Ihn um Vergebung bitten und mit der heiligen Katharina von Genua sprechen: „Herr, dies sind Früchte, die in meinem Garten gewachsen sind. Ich liebe Dich von ganzem Herzen; ich bereue es, Dich beleidigt zu haben. Ich will mich künftig besser in acht nehmen und bitte Dich, mir mit Deiner Gnade beizustehen.“
Gebet
O selige Bande, die ihr die Seelen mit Gott vereinigt, bindet auch mich, und bindet mich so fest, daß ich mich von seiner Liebe nie mehr losreißen kann. O mein Jesus, ich liebe Dich, Du bist das Gut aller Güter, du bist das Leben meiner Seele; ich umfange Dich, ich halte Dich fest, ich schenke Dir mein Herz und mich selbst. Ich will nicht mehr ablassen, o Herr, Dich zu lieben. Du wolltest, um für meine Sünden genugzutun, gleich einem Verbrecher gebunden werden; Du i wolltest so gebunden durch die Straßen von Jerusalem zum Tode geführt werden; Du wolltest mit Nägeln an das Kreuz geheftet werden und vom Kreuze nicht eher lassen, als bis Du für mich dein Leben gelassen hast. Ach mein Herr und mein Gott, ich bitte Dich durch die Verdienste aller dieser Leiden: laß nicht zu, daß ich jemals wieder von Dir getrennt werde. Ich bereue es aus dem Grunde meines Herzens, daß ich mich eine Zeitlang von Dir abgewendet habe, und ich nehme mir mit deiner Gnade vor, lieber sterben zu wollen, als Dich wieder durch schwere, oder auch nur durch überlegte läßliche Sünden zu beleidigen. O mein Jesus, Dir übergebe ich mich; ich liebe Dich von ganzer Seele, ich liebe Dich mehr als mich selbst. Habe ich Dich früher beleidigt, so schmerzt es mich jetzt über alles, und möchte vor Leid darüber sterben. O reiße mich los von allen Dingen, um mich ganz an Dich zu ziehen. Ich will allem fühlbaren Trost entsagen, ich verlange nur Dich und sonst nichts. Gib mir deine heilige Liebe und mache mit mir, was Dir gefällt. O Maria, meine Hoffnung, fessle mich mit den Banden der heiligen Liebe, damit ich mit Jesus verbunden leben und mit Jesus verbunden sterben und in jenes selige Reich gelangen möge, wo ich nicht mehr fürchten muß, jemals von seiner Liebe geschieden zu werden.