Siebtes Kapitel

Die Liebe beneidet nicht.

Eine Seele, die den Heiland liebt, beneidet nicht die Glücklichen dieser Welt, sondern nur diejenigen, welche ihren Geliebten mehr lieben als sie.

1. Der heilige Gregor sagt über dieses dritte Kennzeichen der Liebe, daß die Liebe niemanden wegen zeitlicher Güter beneide, weil sie diese Güter nicht verlange, sondern verachte. „Die Liebe ist nicht eifersüchtig, denn da nichts auf dieser Welt ist, nach dem sie ein Verlangen trägt, weiß sie gar nicht, was der Neid wegen irdischer Erfolge ist.“ Man muß also zwei Arten von Eifersucht unterscheiden, eine heilige und eine verwerfliche. Die letztere ist diejenige, die sich wegen zeitlicher Güter, welche andere auf dieser Welt besitzen, betrübt. Heilig ist dagegen die Eifersucht einer Seele, welche die Glücklichen dieser Welt, die in Ehren und Freuden leben, nicht nur nicht beneidet, sondern vielmehr bemitleidet, die nichts sucht und verlangt außer Gott und sich nichts wünscht auf dieser Welt, als Gott zu lieben aus allen ihren Kräften, die deshalb diejenigen beneidet, die Ihn mehr lieben als sie, weil sie in der Liebe selbst die Seraphim übertreffen möchte.

2. Dieses ist das einzige Ziel, das heilige Seelen hier auf Erden sich vorsetzen; dadurch aber gewinnen sie die Liebe ihres göttlichen Bräutigams in solchem Maße, daß er ausruft: „Du hast mein Herz verwundet, meine Schwester, meine Braut, mit einem deiner Augen“ (Hl 4,9). Dieses eine Auge bedeutet die Absicht, die eine mit Gott verlobte Seele bei allen ihren Gedanken, Handlungen und Übungen hat: nämlich die Absicht, Gott zu gefallen. Die Kinder dieser Welt sehen die Dinge mit mehreren Augen an, weil sie verschiedene Zwecke verfolgen: den Menschen zu gefallen, Lob und Ehre zu gewinnen, Reichtümer zu erwerben, oder wenn nichts anderes, wenigstens ihren Willen zu tun. Die Heiligen dagegen haben nur ein Auge, um in allem, was sie tun, nur auf Gott zu schauen und nur sein Wohlgefallen zu suchen und sprechen mit David: „Was habe ich im Himmel, und was verlange ich auf Erden, außer Dir, o Gott meines Herzens und mein Anteil in Ewigkeit“ (Ps 72,26). Was sollte ich in dieser und in der anderen Welt verlangen, außer Dir, o mein Gott, Du bist mein einziger Reichtum und der alleinige Herr meines Herzens. „Mögen die Reichen sich ihrer Reichtümer erfreuen“, sagte der heilige Paulinus, „und die Herrscher ihrer Herrschaft: mein Ruhm und mein Reichtum ist Christus.“

3. Wir sollen wohl darauf acht haben, daß es nicht genügt, gute Werke zu verrichten, um vor Gott ein Verdienst zu haben. Man muß das Gute tun, aber man muß es gut tun. Damit unsere Werke vor Gott gut und vollkommen seien, müssen sie mit der reinen Meinung, Ihm dadurch zu gefallen, verrichtet werden. Dies war das würdige Lob, das dem Heiland hier auf Erden erteilt wurde: „Er hat alles wohl getan“ (Mk 7,37). Viele Handlungen sind in sich lobwürdig, haben aber dessenungeachtet vor Gott wenig oder keinen Wert, weil man etwas anderes dabei suchte als die Ehre Gottes. Die heilige Maria Magdalena von Pazzi sagte: „Gott belohnt unsere Werke nach dem Gewichte ihrer Reinheit.“ Dies heißt: unsere Handlungen sind dem Herrn insoweit wohlgefällig, und Er belohnt sie insoweit, als die Meinung und Absicht rein war, die wir dabei hatten. Aber ach, wie selten sind die Handlungen, die rein nur wegen Gott verrichtet werden! Ich kannte einen ehrwürdigen Ordensmann, der viel für Gott gearbeitet hatte, ein hohes Alter erreichte und im Rufe der Heiligkeit starb. Eben dieser Ordensmann blickte eines Tages auf sein vergangenes Leben zurück und sagte zu mir ganz betrübt und erschreckt: „Weh mir, wenn ich alle Werke meines Lebens betrachte, find ich nicht ein einziges, daß ich rein nur wegen Gott verrichtet habe.“ Unselige Eigenliebe, die uns der Früchte unserer guten Werke ganz oder doch dem größten Teile nach beraubt! Wie viele sind mit den heiligsten Verrichtungen beschäftigt und plagen und bemühen sich in ihrem Berufe als Prediger, Beichtväter und Missionare und gewinnen dennoch wenig oder gar nichts, weil sie dabei nicht Gott allein, sondern ihren Ruhm vor der Welt, ihren zeitlichen Vorteil, die Eitelkeit, öffentlich aufzutreten, oder zum mindesten ihre natürliche Neigung vor Augen haben.

4. Der Herr ermahnt uns im Evangelium, das Gute nicht zu tun, um gesehen zu werden, weil wir sonst keinen Lohn zu erwarten haben: „Hütet euch, daß ihr eure Gerechtigkeit nicht übt vor den Menschen, damit ihr von ihnen gesehen werdet, sonst werdet ihr keinen Lohn haben bei eurem Vater, der im Himmel ist“ (Mt 6,1). Wer arbeitet, um sich selbst zu genügen, hat schon seinen Lohn und wird keinen anderen empfangen: „Wahrlich sage ich euch, sie haben ihren Lohn schon empfangen“ (Mt 6,5). Und welchen Lohn? Den leeren Dunst einer eitlen Ehre oder eine augenblickliche Befriedigung, die schnell vorüber geht und der Seele keinen Gewinn bringt. Es sind dies diejenigen, von denen der Prophet Aggäus sagt, daß sie ihren Lohn in einen zerrissenen Sack legen, und wenn sie ihn öffnen, nichts darin finden: „Ihr habt viel gesät und nichts eingebracht... und wer den Lohn sammelte, hat ihn in einen durchlöcherten Sack gelegt“ (Hag 1,6). Deshalb werden sie auch unruhig und ' bestürzt, wenn sie etwas unternommen haben und die Sache trotz ihrer Bemühungen fehlschlägt. Es ist dies ein Beweis, daß sie etwas anderes als die alleinige Ehre Gottes gesucht haben; denn wer bei seinen Arbeiten und Bemühungen nur die Ehre Gottes sucht, beunruhigt sich nicht, wenn sie keinen Erfolg haben, weil er dessenungeachtet das erreicht hat, was er erreichen wollte: das Wohlgefallen Gottes.

5. Die Zeichen, aus denen sich erkennen läßt, ob jemand bei geistlichen Arbeiten und Verrichtungen nur die Ehre Gottes sucht, sind folgende. Erstens: wenn er, wie eben gesagt wurde, durch den ungünstigen Erfolg nicht in Unruhe versetzt wird, weil er nur das will, was Gott will. Zweitens: , wenn er sich über das Gute, das andere wirken, ebenso freut, j als hätte er es selbst getan. Drittens: wenn er keine anderen { Ämter und Verrichtungen verlangt als die, welche ihm der Gehorsam auferlegt. Viertens: wenn er für das, was er geleistet hat, weder einen Dank von den Menschen erwartet, ; noch ihr Lob und ihren Beifall sucht, und daher sich auch nicht betrübt, wenn andere seine Handlungsweise tadeln oder dagegen murren, sondern immer zufrieden ist, wenn nur Gott mit ihm zufrieden ist. Und sollte ihm das Lob der Welt zuteil werden, so erhebt er sich deshalb nicht, sondern antwortet der Versuchung zur eitlen Ehre, die sich in sein Herz einschleichen will, was der ehrwürdige Johannes von Avila in solchen Fällen zu antworten pflegte: „Geh deines Weges, du kommst zu spät, denn ich habe dieses Werk schon Gott geschenkt.“

6. Dies heißt Eingehen in die Freude des Herrn: wenn man sich nämlich erfreut an der Freude und dem Wohlgefallen Gottes, wie dies den treuen Knechten verheißen ist: „Wohlan, du guter und getreuer Knecht, weil du über weniges getreu gewesen bist, so gehe ein in die Freude deines Herrn“ (Mt 25,23). „Wenn du gewürdigt wurdest“, sagt der heilige Johannes Chrysostomus, „etwas zu tun, was Gott wohlgefällig ist, welchen anderen Lohn willst Du verlangen?“ (Lib. 2. De. Compunct. cord.). Dies ist der größte Lohn und das größte Glück, das einem Geschöpf zuteil werden kann: sich das Wohlgefallen seines Schöpfers zu erwerben.

7. Dies ist es auch, was Jesus Christus von einer Seele, die Ihn liebt, verlangt: „Setze mich wie ein Siegel auf dein Herz, wie ein Siegel auf deinen Arm“ (Hl 8,6). Er will, daß sie Ihn wie ein Siegel auf ihr Herz und ihren Arm setze: auf das Herz, damit sie alles, was sie zu tun gedenkt, nur aus Liebe zu Gott zu tun sich vornehme: auf den Arm, damit sie alles, was sie tut, tue, um Gott zu gefallen, so daß Gott immer das einzige Ziel ihrer Gedanken und aller ihrer Handlungen sei. Wer heilig werden will, sagt die heilige Theresia, darf in seinem Herzen kein anderes Verlangen nähren, als das: Gott zu gefallen. Die erste geistliche Tochter der Heiligen, die ehrwürdige Beatrix von der Menschwerdung, pflegte zu sagen: „Es gibt keinen Preis, der hoch genug wäre, um damit etwas zu bezahlen, was für Gott getan wurde, so geringfügig es auch in sich selbst sein möge.“ Sie sagte dies mit Recht; denn alles, was man tut, um Gott zu gefallen, ist ein Akt der Liebe, der uns mit Gott vereinigt und uns ewige Güter erwirbt.

8. Man hat die Reinheit der Meinung passend mit der Alchimie oder der vermeintlichen Kunst, Eisen in Gold zu verwandeln, verglichen und sie die himmlische Alchimie genannt, weil dadurch die gewöhnlichsten und unscheinbarsten Handlungen, wie z. B. arbeiten, Speise zu sich nehmen, sich erholen, ausruhen, wenn sie für Gott geschehen, in das Gold der heiligen Liebe verwandelt werden. Die heilige Maria Magdalena von Pazzi hielt es deshalb für gewiß, daß diejenigen, die alles, was sie tun, mit einer reinen Meinung tun, ohne ein Fegefeuer zu erleiden, geraden Weges in den Himmel kommen. In einem geistlichen Buch (Erario spir. Tom. 4. cap. 4.) wird erzählt, daß ein heiliger Einsiedler jedesmal, bevor er irgend etwas zu tun oder zu verrichten begann, ein wenig stille stand und die Augen zum Himmel erhob, und als man ihn fragte, warum er dies tue, antwortete: „Ich tue es, um sicher zu sein, daß der Schuß nicht fehl gehe.“ Gleichwie der Schütze, wollte er damit sagen, bevor er den Pfeil abschießt, nicht unterläßt zu zielen, um dem Pfeil die rechte Richtung zu geben, so nehme ich mir Gott zum Ziele, bevor ich irgendein Werk beginne, damit es zur größeren Ehre Gottes gereiche und ihm wohlgefällig sei. So sollen auch wir es machen, und wir werden sehr gut tun, die gute Meinung nicht bloß zu Anfang eines guten Werkes zu erwecken, sondern sie auch von Zeit zu Zeit zu erneuern.

9. Diejenigen, die in allen ihren Handlungen nur den Willen Gottes vor Augen haben, genießen allezeit jene heilige Freiheit des Geistes, die den Kindern Gottes eigen ist, und diese Freiheit des Geistes macht, daß sie alles ergreifen und ausführen, was sie als Gott wohlgefällig erkennen, ohne auf das Widerstreben ihrer Eigenliebe und auf menschliche Rücksichten zu achten. Die wahre und reine Liebe versetzt die liebenden Seelen in einen Zustand völliger Gleichgültigkeit gegen die irdischen Dinge, so daß ihnen das Bittere wie das Süße ganz gleich ist; denn sie wollen nicht das, was ihnen gefällt, sondern was Gott gefallt, und sie verrichten daher mit demselben innerlichen Frieden die wichtigsten wie die geringfügigsten, die angenehmsten wie die widerlichsten Geschäfte, weil es ihnen genug ist, zu wissen, daß es Gott so gefällt.

10. Viele dagegen wollen zwar Gott dienen, aber nur in einem gewissen Amte, an gewissen Orten, mit gewissen Gefährten, in gewissen Verhältnissen; und wenn es nicht nach ihrem Sinne geht, unterlassen sie das gute Werk gänzlich oder verrichten es mit widerwilligem Herzen. Auf diese Weise gelangen sie niemals zur Freiheit des Geistes, sondern bleiben immer Sklaven ihrer Eigenliebe, sie haben daher auch bei dem, was sie tun, ein geringes Verdienst und leben in einer beständigen Unruhe, weil ihnen das leichte und süße Joch Jesu Christi schwer und bitter wird. Die Seelen dagegen, die von einer wahren Liebe zu Jesus erfüllt sind, haben ihre Freude daran, das zu tun, was Ihm gefallt und weil es Ihm gefällt, und es zu tun, wann Er es will, wo Er es will und wie Er es will; und es ist ihnen ganz gleich, ob Er sie in einem glänzenden, vor der Welt ehrenvollen, oder in einer unscheinbaren, von der Welt unbeachteten Stellung verwenden will. Solche Gesinnungen erzeugt die wahre und reine Liebe zu Jesus; und danach sollen auch wir streben und die Gelüste unserer Eigenliebe bekämpfen, die nur an wichtigen und ehrenvollen oder solchen Geschäften und Verrichtungen einen Gefallen hat, die unseren natürlichen Neigungen entsprechen.

11. Wir dürfen aber selbst an unsere geistlichen Übungen keine Anhänglichkeit haben, wenn es Gott gefällt, uns auf andere Weise zu verwenden. Als der ehrwürdige P. Alvarez eines Tages von Geschäften überhäuft war, wollte er sich davon losmachen, um Zeit für das Gebet zu gewinnen, weil es ihm schien, daß er während dieser Geschäfte nicht mit Gott vereinigt sei; der Herr aber sprach zu ihm: „Wenn ich nicht will, daß du in meiner Gesellschaft seiest, so will ich, daß du in meinem Dienste seiest, und es muß dir genügen, daß ich mich deiner bediene.“ Mögen sich dies diejenigen zu Gemüte fuhren, die sich manchmal beunruhigen, wenn der Gehorsam oder die Liebe sie verpflichtet, ihre gewohnten Andachtsübungen zu unterlassen, und mögen sie überzeugt sein, daß diese Unruhe nicht von Gott, sondern vom bösen Feind oder von der Eigenliebe kommt. Tun, was Gott gefällt, und sterben: so lautet das Losungswort der Heiligen.

Gebet

Allmächtiger, ewiger Gott, ich bringe Dir mein Herz dar, um es zu deinem Eigentum zu machen: aber, o Herr, welch ein Herz! Ein Herz, das Du erschaffen hast, Dich zu lieben, und das, statt Dich zu lieben, so oft gegen Dich sich empört. Es ist dies nur zu wahr; siehe aber, mein Jesus, wie dasselbe aufrührerische Herz jetzt von Schmerz und Reue, Dich beleidigt zu haben, durchdrungen ist. Ja mein geliebter Heiland, es schmerzt mich über alles, Dich verachtet zu haben, und ich bin entschlossen, von nun an Dir zu gehorchen, Dir nachzufolgen, Dich zu lieben um jeden Preis. Ach, ziehe mich an Dich mit der Süßigkeit deiner Liebe, derjenigen Liebe, die Du zu mir getragen hast, als Du am Kreuze für mich sterben wolltest. Ich liebe Dich, o mein Jesus, ich liebe Dich aus dem Grunde meines Herzens und mehr als mich selbst, Dich, der Du allein wahrhaft meine Seele liebtest und liebst; denn ich weiß keinen anderen, der aus Liebe zu mir sein Leben hingegeben hätte. Ich weine bittere Tränen, wenn ich den Undank betrachte, mit dem ich Dir deine Liebe vergolten habe. Ich Elender war schon dem ewigen Tode verfallen; aber ich hoffe, daß deine Gnade mir das Leben wieder geschenkt hat; und dies wird mein Leben sein: Dich, mein höchstes Gut, immer und allezeit zu lieben. Gib, daß ich Dich liebe, o unendliche Liebe, und ich verlange weiter nichts von Dir. O Maria, meine Mutter, nimm mich als deinen Diener an, damit Jesus mich als dein Kind annehme.