Siebzehntes Kapitel

Die Liebe duldet alles.

Wer den Heiland mit einer starkmütigen Liebe liebt, läßt nicht ab. Ihn zu lieben in den Versuchungen und in der Dürre und Trostlosigkeit.

1. Die Leiden, die Gott liebenden Seelen am schmerzlichsten fallen, sind nicht Armut, Krankheit, Verachtung, Verfolgung, sondern die Versuchungen und die Zustände geistlicher Verlassenheit und Trostlosigkeit. Solange eine Seele die Gegenwart Gottes und die Süßigkeit seiner Liebe empfindet, trösten körperliche Leiden, Beschimpfungen und Mißhandlungen sie viel mehr, statt sie zu betrüben; weil sie ihr Gelegenheit geben, Gott ein Opfer und ein Unterpfand ihrer Liebe darzubringen, und sie sind wie das Holz, das man auf dem Herde zulegt, und wodurch die Flamme noch lebhafter auflodert. Wenn aber eine Seele, die den Heiland von ganzem Herzen liebt, sich durch die Versuchungen der Gefahr ausgesetzt sieht, die göttliche Gnade zu verlieren, oder im Zustand der Dürre und Trostlosigkeit fürchtet, sie schon verloren zu haben, so ist dies für sie ein Leiden, das alle übrigen an Bitterkeit übertrifft. Allein eben die Liebe gibt ihr die Kraft, auch dieses Leiden in Geduld zu ertragen und von dem Wege der Vollkommenheit nicht abzuweichen. Und wenn sie standhaft ausharrt, wird sie eben in solchen Prüfungen, wodurch Gott ihre Liebe auf die Probe stellt, die raschesten Fortschritte in der Vollkommenheit machen.

§ 1: Von den Versuchungen.

2. Die Versuchungen sind für Gottes liebende Seelen deshalb die größte Marter, weil sie durch alle anderen Übel, die sie mit Ergebung aus der Hand Gottes annehmen, angetrieben werden, sich noch mehr mit Gott zu vereinigen; während sie im Gegenteil durch die Versuchungen gedrängt werden, zu sündigen und durch die Sünde sich von Gott zu trennen. Hierbei ist jedoch wohl zu beachten, daß keine Versuchung, die zum Bösen reizt, von Gott kommt, sondern immer entweder von dem bösen Feind oder von unserer bösen Begierlichkeit, wie der heilige Jakobus bezeugt: „Niemand sage, wenn er versucht wird, daß er von Gott versucht werde“ (Jak 1,13). Dessen ungeachtet läßt es Gott manchmal zu, daß die Seelen, die Er am meisten liebt, am heftigsten versucht werden, und zwar aus verschiedenen Gründen. Vorerst, damit sie durch die Versuchungen besser erkennen, wie schwach sie aus sich selbst sind und wie sehr sie der Gnade bedürfen, um nicht zu fallen. Wenn eine Seele mit großen Gnaden und Tröstungen heimgesucht wird, so scheint es ihr, daß sie im Stande sei, jeden Angriff ihrer Feinde zu überwinden und alles, auch die schwierigsten Dinge, für die Ehre Gottes zu unternehmen. Wenn sie aber dann heftig angefochten wird, um sich am Rande des Abgrunds und dem Falle ganz nahe sieht, erkennt sie viel besser ihr Elend, ihre Ohnmacht und ihr gänzliches Unvermögen, der Versuchung zu widerstehen, wenn Gott ihr mit seiner Gnade nicht zu Hilfe kommt. So geschah es dem heiligen Apostel Paulus. Damit die Größe der Gnaden und Offenbarungen, die er empfing, ihn nicht zur Selbsterhebung verleite, ließ Gott es zu, daß er von einer sinnlichen Versuchung belästigt wurde; wie er selbst berichtet: „Damit ich mich nicht wegen der vielen Offenbarungen überhebe, wurde mir ein Stachel des Fleisches gegeben, ein Engel des Satans, daß er mich mit Fäusten schlage“ (2 Kor 12,7).

3. Ferner läßt Gott die Versuchungen zu, damit wir mehr von allen irdischen Dingen losgeschält werden und eine größere Sehnsucht haben, bald zu seiner Anschauung im Himmel zu gelangen. Wenn fromme Seelen sich unausgesetzt bei Tag und bei Nacht von so vielen Feinden bedrängt sehen, so werden sie das Leben überdrüssig und rufen mit dem Psalmisten aus: „Weh' mir, daß mein Aufenthalt sich verlängert hat“ (Ps 119,5). Und sie seufzen nach dem Augenblick, wo sie sagen können: „Der Strick ist gerissen, und wir sind frei geworden“ (Ps 123,7). Die Seele möchte zu Gott auffliegen; aber so lange dieses Leben dauert, hält sie ein Strick an diese Erde festgebunden, wo sie unablässig mit Versuchungen zu kämpfen hat; und da dieser Strick nicht anders als durch den Tod zerrissen werden kann, so seufzen liebende Seelen nach dem Tode, der sie von der Gefahr, Gott zu verlieren, befreit.

4. Ferner läßt Gott die Versuchungen zu, um uns mit größeren Verdiensten zu bereichern; wie dem Tobias gesagt wurde: „Und weil du Gott angenehm warst, war es notwendig, daß die Versuchung dich bewähre“ (Tob 12,13). Wenn daher eine Seele schwere Versuchungen erleidet, soll sie deshalb nicht fürchten, in der Ungnade Gottes zu sein; im Gegenteil sie darf um so mehr hoffen, daß Gott sie liebt. Es ist eine List und ein Betrug des bösen Feindes, wenn er manche, die zum Kleinmut geneigt sind, glauben machen will, daß die Versuchungen an und für sich Sünden seien, durch welche die Seele befleckt wird. Nicht die bösen Gedanken sind es, durch die wir die Gnade Gottes verlieren, sondern die Einwilligung in die bösen Gedanken. Mögen die Eingebungen des bösen Feindes noch so zudringlich und die unlauteren Bilder, die sich uns aufdrängen, noch so lebhaft sein: wenn wir sie nicht wollen, beflecken sie unsere Seele nicht nur nicht, sondern sie machen sie noch reiner, kraftiger und Gott wohlgefälliger. Der heilige Bernhard sagt, daß wir uns durch jede überwundene Versuchung eine neue Krone verdienen: „Sooft wir überwinden, so oft werden wir gekrönt.“ Einem Bruder aus dem Orden der Zisterzienser erschien einmal ein Engel und überreichte ihm eine Krone mit dem Auftrag, sie einem anderen Bruder zu überbringen und ihm zu sagen, er habe sich diese Krone durch den Sieg verdient, den er kurz vorher über eine schwere Versuchung davon getragen hatte. Es darf uns auch nicht erschrecken, wenn ein böser Gedanke nicht sogleich weicht, sondern fortfährt, uns zu quälen, denn es genügt, wenn wir ihn verabscheuen und uns bemühen, ihn auszuschlagen.

5. Gott läßt niemals zu, daß eine Versuchung unsere Kräfte übersteige; wie der Apostel bezeugt: „Gott ist getreu; Er wird nicht zulassen, daß ihr über eure Kräfte versucht werdet, sondern mit der Versuchung einen guten Ausgang geben“ (1 Kor 10,13). Wer daher der Versuchung widersteht, der verliert nicht nur nichts, sondern er hat dabei noch einen großen Gewinn: Er wird einen guten Ausgang geben. Und darum läßt Gott es manchmal geschehen, daß gerade seine geliebtesten Seelen die heftigsten Versuchungen zu bestehen haben, damit sie sich dadurch größere Verdienste in diesem Leben und eine größere Glorie in dem anderen Leben erwerben. Stehendes Wasser, das nicht bewegt wird, gerät leicht in Fäulnis; und so verhalt es sich auch mit den Seelen, die keine Kämpfe haben und durch keine Versuchungen aus ihrer Ruhe aufgerüttelt werden. Sie sind in der Gefahr, durch ein eitles Wohlgefallen an ihren vermeintlichen Tugenden und Verdiensten in eine geistige Fäulnis zu geraten. Da sie sich schmeicheln, die Vollkommenheit bereits erreicht zu haben, fürchten sie wenig mehr für ihr Leid, sie rufen daher auch weniger Gott um seinen Beistand an und sind weniger besorgt, ihre Auserwählung durch gute Werke sicher zu stellen. Sobald sie aber durch schwere Versuchungen aufgeschreckt werden und sich in der Gefahr sehen, in den Abgrund der Sünde zu stürzen, erwacht wieder ihr Eifer. Sie flehen zu Gott um Hilfe, sie nehmen zur heiligsten Jungfrau ihre Zuflucht, sie erneuern den Vorsatz, eher zu sterben, als Gott zu beleidigen, sie demütigen sich und werfen sich ganz in die Arme der göttlichen Barmherzigkeit, und auf diese Weise gewinnen sie wieder neue Kräfte und schließen sich enger an Gott an, wie die Erfahrung lehrt.

6. Indessen dürfen wir uns die Versuchung nicht wünschen; wir sollen vielmehr Gott immerfort bitten, daß Er uns von den Versuchungen befreien wolle, insbesondere von denjenigen, von welchen Er voraussieht, daß wir ihnen unterliegen würden. Dies ist die Bedeutung der Bitte im „Vater unser“: „Und führe uns nicht in Versuchung.“ Wenn es jedoch Gott zuweilen zuläßt, daß wir von Versuchungen überfallen werden, sollen wir uns durch die abscheulichen Gedanken, die uns einfallen, nicht verwirren lassen und kleinmütig werden, sondern auf Jesus Christus vertrauen, und Ihn um seinen Beistand anrufen: Er wird gewiß nicht ermangeln, uns die nötige Kraft zum Widerstand zu verleihen. „Wirf dich in seine Arme“, sagt der heilige Augustinus, „und fürchte nichts; Er wird sich Dir nicht entziehen, damit du fallen müßtest.“ Vertraue auf Gott und sei ohne Furcht; denn wenn Gott dich dem Kampfe aussetzt, wird Er dich nicht allein lassen und dich der Niederlage preisgeben.

7. Wir kommen jetzt zu den Mitteln, die wir anwenden müssen, um die Versuchungen zu überwinden. Die geistlichen Lehrer geben sehr viele an; ich will jedoch nur von dem notwendigsten und sichersten sprechen, welches darin besteht, daß wir mit Demut und Vertrauen zu Gott unsere Zuflucht nehmen und sprechen: „O Gott! merke auf meine Hilfe! Herr, eile mir zu helfen!“ Dieses Gebet wird hinreichen, alle Anfalle der bösen Geister zurückzuschlagen, sollte auch die ganze Hölle sich vereinigt haben, um wider uns zu streiten; denn vor der Allmacht Gottes löst sich die Macht der Hölle in Nichts auf. Gott weiß es ja, daß wir nicht die Kraft besitzen, den Versuchungen der höllischen Mächte zu widerstehen; und deshalb sagt der gelehrte Kardinal Gotti, daß Gott verbunden ist, uns die zureichende Kraft zum Widerstand zu verleihen, wenn wir in Gefahr sind, zu unterliegen, und Ihn um Hilfe anrufen: „Wenn wir versucht werden und zu Gott unsere Zuflucht nehmen, ist Er verpflichtet, uns die Kraft zu verleihen, durch die wir widerstehen können und in der Tat widerstehen“ (Theol. Schol. T.2, Tr. 6, qu. 2, §. 3, n. 30).

8. Wie könnten wir auch fürchten, daß der Herr uns nicht helfen werde, da Er es uns in den heiligen Schriften so oft und so ausdrücklich versprochen hat: „Kommt zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, und ich will euch erquicken“ (Mt 11,28). Kommt zu mir alle, die ihr mit Versuchungen beladen und im Kampfe ermüdet seid: ich will euch neue Kräfte verleihen. „Rufe zu mir am Tage der Trübsal, und ich will dich erretten, und du sollst mich verherrlichen“ (Ps 49,15). Wenn du von deinen Feinden bedrängt wirst, rufe mich an, und ich werde dich aus der Gefahr erretten, und du wirst mich loben und preisen. „Dann wirst du den Herrn anrufen, und Er wird dich erhören: du wirst zu Ihm schreien, und Er wird dir antworten: Siehe, hier bin ich“ (Is 56,9). Du wirst den Herrn um Hilfe anrufen, du wirst schreien: Schnell, o Herr, komme mir schnell zu Hilfe! und Er wird dir antworten: Hier bin ich; ich bin Dir gegenwärtig, um dir zu helfen. „Wer hat Ihn je angerufen und wäre von Ihm verachtet worden?“ (Eccl 2,12) Wer hat je in der Versuchung Gott um Hilfe angerufen, und Gott hätte sein Gebet verschmäht und wäre Ihm nicht zur Hilfe gekommen? Der Psalmist hielt das Gebet für ein so sicheres Mittel, alle seine Feinde zu überwinden, daß er sprach: „Lobpreisend werde ich den Herrn anrufen, und ich werde von meinen Feinden errettet sein“ (Ps 17,4). Und der heilige Paulus fügt hinzu, daß der Herr nicht karg ist mit seinen Gnaden, sondern sie reichlich an alle verteilt, die Ihn darum bitten: „Er ist reich für alle, die Ihn anrufen“ (Rom 10,12).

9. Wollte Gott, alle Menschen würden in ihren Versuchungen sogleich zu Ihm ihre Zuflucht nehmen! Gewiß würde dann keiner Gott mit einer schweren Sünde beleidigen! Die Unseligen fallen aber, weil sie, von ihren bösen Gelüsten verlockt, lieber Gott, das höchste Gut, verlieren als einer vorübergehenden Lust entsagen wollen. Die Erfahrung beweist zur Genüge, daß diejenigen nicht fallen, die in den Versuchungen sogleich Gott anrufen, und daß diejenigen fallen, die dies unterlassen, besonders was die Versuchungen gegen die Reinheit betrifft. Der Weise sagt, er habe wohl gewußt, das die Enthaltsamkeit eine Gabe sei, die von Gott kommen müsse, und darum habe er in den Versuchungen zu Gott seine Zuflucht genommen: „Weil ich aber wußte, daß ich nicht enthaltsam sein könnte, wenn es mir nicht von Gott gegeben wird... so trat ich vor den Herrn und bat ihn“ (Weish 8,21). In solchen Versuchungen gegen die Reinheit (und dasselbe gilt von den Versuchungen gegen den Glauben) darf man jedoch nicht der Versuchung ins Angesicht schauen und gleichsam Stirn gegen Stirn wider sie kämpfen, sondern man soll trachten, sie gleich im Anfange auf mittelbare Weise zu verscheuchen durch Erwecken eines Aktes der Liebe Gottes oder der Reue über seine Sünden, oder indem man sich mit einer gleichgültigen Handlung beschäftigt, um den Geist von der Versuchung abzuziehen. Sobald wir daher gewahr werden, daß ein Gedanke in uns aufsteigt, der ein schlimmes Aussehen hat, so müssen wir ihn sogleich abweisen, gleichsam die Tür vor ihm zuschlagen und ihm den Eintritt verweigern, ohne erst seinen Inhalt und sein Begehren genauer untersuchen zu wollen. Wir müssen es mit solchen bösen Eingebungen so machen, wie wir es zu machen pflegen, wenn zufällig ein Feuerfunke auf uns gefallen ist: man schüttelt ihn ab, ohne lange zu untersuchen, wie oder woher er gekommen ist.

10. Sollte aber der unlautere Gegenstand schon in unsere Vorstellung eingegangen sein und die Vorstellung die Sinnlichkeit aufgeregt haben, so gibt uns der heilige Hieronymus folgende Vorschrift: „Sobald die Begierlichkeit eine sinnliche Empfindung hervorgerufen hat, sollen wir sogleich einen Notschrei ausstoßen und sprechen: Herr, Du bist mein Helfer!“ (2 Epist. 22. ad. Eustach) Sobald wir uns aufgeregt fühlen, sollen wir unverzüglich zu Gott unsere Zuflucht nehmen, Ihn um Hilfe anflehen und die heiligsten Namen Jesus und Maria anrufen, die eine besondere Kraft haben, solche Versuchungen zu unterdrücken. Wenn ein Kind den Wolf erblickt, sagt der heilige Franz von Sales, so flüchtet es sich sogleich in die Arme des Vaters oder der Mutter, wo es sich sicher weiß: und so sollen auch wir es machen, Jesus und Maria anrufen und uns in ihre Arme flüchten, und zwar unverzüglich, ohne der Versuchung Gehör zu geben und ohne uns mit ihr einzulassen. Der heilige Pachomius, wie in den Sprüchen der Altväter erzählt wird, hörte eines Tages einen bösen Geist sich rühmen, daß er einen Bruder öfters zum Falle gebracht habe, weil derselbe in der Versuchung ihm Gehör gab und sich nicht gleich zu Gott wendete. Dagegen hörte er einen anderen bösen Geist sich beklagen, daß er gegen einen gewissen Bruder nichts vermöge, weil dieser mimer sogleich zu Gott seine Zuflucht nehme und so in allen Versuchungen den Sieg davontrage.

11. Sollte die Versuchung länger anhalten, so sollen wir uns hüten, darüber in Unruhe oder in Zorn zu geraten; denn der böse Feind könnte diese Verwirrung des Gemütes zu seinem Vorteil nutzen. Wir sollen vielmehr in Demut uns darein ergeben, von diesen abscheulichen Gedanken gequält zu werden, weil es Gott so zulassen will, und sprechen: Herr, ich habe es verdient, daß mich dieser Unflat belästige, es ist dies eine gerechte Strafe für die Beleidigungen, die ich Dir zugefügt habe: aber an Dir ist es, mir beizustehen und mich davon zu befreien. Und wenn die Versuchung nicht ablaßt, uns zu belästigen, sollen auch wir nicht ablassen, die heiligsten Namen Jesus und Maria anzurufen. Sehr heilsam ist es auch in solchen Fällen, den Vorsatz zu erneuern, lieber jede Pein und tausendmal den Tod zu erleiden, als Gott zu beleidigen, ohne jedoch mit den Bitten um den Beistand der göttlichen Gnade auszusetzen. Und sollte die Versuchung so heftig werden, daß wir in großer Gefahr sind, einzuwilligen, so sollen wir den Eifer im Gebete verdoppeln, uns vor dem allerheiligsten Sakrament oder vor einem Kruzifix oder vor einem Bild der seligsten Jungfrau niederwerfen und inbrünstig beten, seufzen und um Hilfe rufen. Gott ist zwar immer bereit, unsere Bitten zu erhören, und von Ihm und nicht von unseren Bemühungen haben wir die Kraft zum Widerstand zu erwarten; allein Er will manchmal von uns die äußersten Anstrengungen, und wenn wir tun, was wir können, wird Er ersetzen, was unsere Schwachheit nicht vermag, und uns den endlichen Sieg verleihen.

12. Sehr nützlich und heilsam ist es ferner, während der Versuchung öfters Stirn und Brust mit dem heiligen Kreuze zu bezeichnen, und ebenso ist es sehr zu empfehlen, daß man die Versuchung seinem geistlichen Führer offenbare; denn, wie der heilige Philipp Neri sagte: „Sobald man eine Versuchung offenbart, hat man sie schon zur Hälfte überwunden.“ In dieser Beziehung ist jedoch wohl zu beachten, daß nach der gemeinen Lehre der Theologen, selbst der strengsten, gottesfürchtige Personen, die schon durch lange Zeit ein geistliches Leben geführt haben, sooft sie im Zweifel und nicht gewiß sind, in eine schwere Sünde eingewilligt zu haben, für gewiß halten sollen, daß sie die Gnade Gottes nicht verloren haben. Denn es ist moralisch unmöglich, daß ein seit langer Zeit in guten Vorsätzen befestigter Wille plötzlich in das Gegenteil umschlage und in eine schwere Sünde einwillige, ohne daß diese Änderung in das volle und klare Bewußtsein eintreten sollte. Und dies darum, weil die Todsünde ein so furchtbares Ungeheuer ist, daß sie sich in eine Seele, welche sie seit langer Zeit verabscheut hat, nicht einschleichen kann, ohne sogleich bemerkt und klar erkannt zu werden; wie ich dies in meiner Moraltheologie (Lib. 6. n. 476) ausführlich bewiesen habe. Die heilige Theresia sagt: „Niemand geht zu Grunde, ohne es zu wissen, und niemand wird betrogen, der nicht betrogen werden will.“

13. Wenn daher Seelen, die ein zartes Gewissen haben und in der Tugend fest begründet, aber furchtsam sind, von Versuchungen sehr beängstigt werden, so ist es manchmal ratsam, besonders wenn die Versuchungen gegen den Glauben oder die Reinheit gerichtet sind, daß der geistliche Führer ihnen verbiete, dieselben vorzubringen und davon zu sprechen. Denn wenn sie diese Versuchungen vorbringen müßten, so wären sie genötigt, nachzudenken, wie ihnen diese Gedanken gekommen sind, ob sie sich nicht dabei aufgehalten, ein Wohlgefallen daran gehabt oder eingewilligt haben: je mehr sie aber hierüber nachdenken würden, desto mehr würden sich ihnen die bösen Vorstellungen einprägen, und desto mehr würden sie darüber in Unruhe geraten. Wenn der Beichtvater moralisch gewiß ist, daß eine solche Person in die Versuchungen und bösen Eingebungen nicht einwilligt, so ist es besser, wenn er ihr unter dem Gehorsam auferlegt, nicht mehr davon zu sprechen. Das Beichtkind soll dann dem Beichtvater folgen, wie es die heilige Mutter Johanna von Chantal tat. Sie war, wie sie selbst erzählt, durch viele Jahre auf das Furchtbarste von Versuchungen bestürmt; da sie jedoch niemals klar erkannte, eingewilligt zu haben, beichtete sie dieselben nicht, sondern hielt sich an die Vorschrift, die ihr geistlicher Führer ihr gegeben hatte. Sie sagt: „Ich habe niemals eine klare Erkenntnis gehabt, eingewilligt zu haben.“ Aus diesen Worten erhellt, daß ihr allerdings einige Skrupel oder Zweifel hierüber geblieben waren, daß sie sich aber dessen ungeachtet bei dem Gehorsam gegen ihren Gewissensführer beruhigte, der ihr diese Zweifel zu beichten verboten hatte. Im allgemeinen jedoch, besondere Fälle ausgenommen, ist es immer nützlich und heilsam, alle seine Versuchungen dem Beichtvater zu offenbaren, wie schon oben bemerkt wurde.

14. Ich wiederhole jedoch; das wirksamste und notwendigste unter allen Mitteln, das Mittel aller Mittel, um die Versuchung zu überwinden, besteht darin, daß man Gott anrufe und um seine Hilfe bitte und so lange fortfahre, Ihn zu bitten, als die Versuchung dauert; denn oft hat Gott beschlossen, uns nicht gleich auf die erste Bitte davon zu befreien, sondern erst auf die zweiten, dritten oder noch öfters wiederholten Bitten den endlichen Sieg zu verleihen. Kurz, wir sollen überzeugt sein, daß von dem Gebet alles abhängt: unser geistliches Wohl, die Änderung des Lebens, die Überwindung der Versuchungen, die Liebe Gottes, die Vollkommenheit, die Beharrlichkeit und die ewige Seligkeit.

15. Ich bin vielleicht manchem, der meine geistlichen Schriften gelesen hat, überlästig geworden, weil ich gar so oft von der Wichtigkeit des Gebetes spreche und auf die Notwendigkeit, Gott beständig um seinen Beistand zu bitten, zurückkomme. Mir aber scheint es, daß ich nicht zu viel, sondern vielmehr zu wenig davon gesprochen habe, wenn ich auf der einen Seite betrachte, daß wir Tag und Nacht von der Hölle versucht werden, und daß der böse Feind keine Gelegenheit versäumt, uns zum Falle zu bringen: auf der anderen Seite aber, daß wir ohne den Beistand Gottes die Kraft nicht besitzen, diesen Angriffen zu widerstehen. Dies ist der Grund, warum der Apostel uns ermahnt, die Waffenrüstung Gottes anzuziehen: „Zieht an die Rüstung Gottes, damit ihr bestehen könnt gegen die Nachstellungen des Teufels; denn wir haben nicht zu kämpfen wider Fleisch und Blut, sondern wider die Fürsten und Mächte und wider die Beherrscher dieser Welt und ihre Finsternisse“ (Eph 6,11.12). Worin bestehen aber diese Waffen, mit welchen wir uns bekleiden sollen, um den Angriffen der Hölle zu widerstehen? Der Apostel erklärt sich hierüber sogleich in folgenden Worten: „Betet bittend und flehend zu aller Zeit im Geiste, und wacht darin mit anhaltender Inständigkeit“ (Eph 6,11.18). Dies sind also unsere Waffen: die eifrigen und unablässigen Gebete zu Gott, daß er uns beistehe, damit wir nicht im Kampf unterliegen. Hierzu kommt noch die Betrachtung, daß in den heiligen Schriften, des alten wie des neuen Testaments, nichts häufiger vorkommt, als die Ermahnung zu beten. „Rufe mich an, und ich will dich erretten“ (Ps 49,15). „Rufe zu mir, und ich will dich erhören“ (Jer 33,3). „Man muß allezeit beten und nicht ablassen“ (Lk 18,1). „Bittet, so wird euch gegeben werden“ (Mt 7,7). „Wachet und betet“ (Joh 6,2). „Betet ohne Unterlaß“ (1 Thess 5,17). Und somit scheint es mir, daß ich nicht zu viel, sondern sehr wenig vom Gebet gesprochen habe.

16. Ich wünschte, daß alle Prediger nichts so sehr ihren Zuhören empfehlen möchten als das Gebet, daß alle Beichtväter ihren Beichtkindern nichts so sehr an das Herz legen möchten als das Gebet, daß alle Schriftsteller, die geistliche Bücher verfassen, von nichts so häufig und weitläufig sprechen möchten als vom Gebet. Dies ist es aber, worüber ich klage und was ich für eine Strafe für unsere Sünden halte, daß so viele Prediger, Beichtväter und Schriftsteller so wenig vom Gebet sprechen. Ich bezweifle nicht im mindesten, daß die Betrachtung, die Kommunion, die Abtötungen ausgezeichnete Hilfsmittel sind, um ein geistliches Leben zu ftihren: wenn aber dann die Versuchungen kommen und wir rufen Gott nicht um seinen Beistand an, so werden wir fallen trotz aller Betrachtungen, Kommunionen, Abtötungen und trotz aller gefaßten Vorsätze. Beten wir also immerfort, wenn wir selig werden wollen, rufen wir allezeit unseren göttlichen Erlöser Jesus Christus um seinen Beistand an, besonders aber zur Zeit der Versuchung, und bitten wir ihn nicht bloß um die heilige Beharrlichkeit, sondern auch um die Gnade, zu beten und vom Gebete nicht abzulassen. Empfehlen wir uns auch allezeit der heiligen Jungfrau und Mutter unseres Herrn, der Ausspenderin der Gnaden, wie der heilige Bernhard uns ermahnt: „Suchen wir die Gnade und suchen wir sie durch Maria.“ Derselbe Heilige sagt, es sei der Wille Gottes, daß uns keine Gnade anders zuteil werde als durch Maria: „Gott wollte, daß wir nichts erlangen sollen, was nicht durch die Hände Maria gegangen wäre.“

Gebet

O Jesus, mein göttlicher Erlöser, ich hoffe, daß Du mir durch die Kraft deiner Verdienste und deines kostbaren Blutes meine Sünden schon verziehen hast, und daß ich Dir dafür ewig im Himmel danken werde: Den Erbarmungen Gottes werde ich lobsingen durch alle Ewigkeit. Bin ich früher in elender Weise gefallen und wieder gefallen, so war es, weil ich unterlassen habe, Dich um die heilige Beharrlichkeit zu bitten. Um diese Beharrlichkeit bitte ich dich aber jetzt: Laß nicht zu, daß ich von Dir getrennt werde; und ich nehme mir vor, Dich allzeit zu bitten, besonders aber zur Zeit der Versuchung. Dies nehme ich mir vor und dies verspreche ich Dir, aber was werden mir dieser Vorsatz und dieses Versprechen helfen, wenn Du mir nicht die Gnade verleihst, zu Dir meine Zuflucht zu nehmen und bei deinen Füßen Hilfe zu suchen? Ach mein Jesus, ich bitte Dich durch die Verdienste deines bitteren Leidens: Verleihe mir diese Gnade, Dich in allen meinen Anliegen und Nöten um Hilfe anzurufen. O Maria, meine Kömgin und meine Mutter, ich bitte Dich um der Liebe willen, die Du zu Jesus trägst, erbitte mir die Gnade, zu allen Zeiten meines Lebens zu deinem göttlichen Sohn und zu Dir meine Zuflucht zu nehmen.

§ 2: Von der Dürre und Trostlosigkeit

17. „Es ist ein großer Irrtum“, sagt der heilige Franz von Sales, „wenn man den Grad der Andacht nach den geistlichen Tröstungen, die man empfindet, bemessen will. Die wahre Andacht in dem Dienste Gottes besteht in dem festen und entschlossenen Willen, alles zu vollbringen, was Gott gefällt.“ Die geistliche Dürre und Trostlosigkeit ist das Mittel, womit Gott die Seelen, die Er am meisten liebt, an sich zieht. Da das Hindernis der vollkommenen Vereinigung in unseren ungeordneten Neigungen und Anhänglichkeiten liegt, so sucht der Herr die Seelen, die Er in seine vollkommene Liebe einführen will, allmählich von der Liebe zu den Geschöpfen zu reinigen. Zu diesem Zweck nimmt Er ihnen zuerst die zeitlichen Güter: die weltlichen Freuden und Ehren, das Vermögen, die Freunde und Verwandten, die Gesundheit des Leibes, damit sie durch diese Verluste, Kränkungen oder Unbilden, durch diese Todesfälle von den irdischen Dingen losgeschält werden und alle ihre Liebe Ihm allein zuwenden.

18. Um der Seele Liebe zu den geistlichen Gütern einzuflößen, läßt sie der Herr im Anfang die Süßigkeiten seines Trostes verkosten und unter überfließenden Tränen die Zärtlichkeit seiner Liebe empfinden, und dadurch wird die Seele nicht nur bewogen, den sinnlichen Vergnügen zu entsagen, sondern sie fühlt sich angetrieben, durch Bußwerke: durch Fasten, Bußkleider und Disziplinen ihren Leib zu kasteien. Wenn aber eine Seele dahin gelangt ist, so soll ihr geistlicher Führer wohl acht haben, die Zügel festzuhalten und ihr diese Bußwerke nicht erlauben, wenigstens nicht alle, die sie zu üben verlangt, weil sie sonst, durch diesen fühlbaren Eifer hingerissen, leicht durch unbescheidene Abtötung ihre Gesundheit untergraben könnte. Es ist darunter oft ein Kunstgriff des bösen Feindes verborgen. Wenn er sieht, daß eine Seele sich ganz Gott schenken will, und daß der Herr sie mit jenen süßen Tröstungen heimsucht, die Er den Anfängern zu verleihen pflegt, so treibt er sie zu unbeschreiblichen Bußwerken an, damit sie dadurch ihre Gesundheit zerstöre, und wenn sie einmal schwach und kränklich geworden ist, nicht nur die Bußwerke, sondern auch die Betrachtung, die Kommunionen und alle ihre Andachtsübungen unterlasse und zu ihrem früheren Leben zurückkehre. Deshalb soll der Beichtvater bei solchen Seelen, die das geistliche Leben erst angefangen haben und die Erlaubnis zu Bußwerken begehren, sehr zurückhaltend sein und sie ermannen, sie sollen sich zuerst in der innerlichen Abtötung üben: Kränkungen, Beleidigungen und Widerwärtigkeiten geduldig ertragen, ihren Oberen in allem willig gehorchen, die Neugierde und die Lust, unnütze Dinge zu hören oder zu sehen, abtöten und ähnliches. Erst wenn sie sich eine Fertigkeit in der innerlichen Abtötung erworben hätten, werde man weiter sehen, ob sie würdig seien, zu den äußerlichen Abtötungen fortzuschreiten. Übrigens ist es ein großer Irrtum, wenn einige aus faulen Gründen behaupten, daß die äußerlichen Abtötungen wenig oder gar nichts nützen. Es ist kein Zweifel, daß die innerlichen wichtiger und notwendiger sind, um vollkommen zu werden; aber deshalb sind die äußerlichen nicht überflüssig. Der heilige Vinzenz von Paul sagt, wer die äußerliche Abtötung nicht übe, werde weder äußerlich noch innerlich abgetötet sein. Einem Beichtvater, der die Kasteiungen verwirft, fügt der heilige Johannes vom Kreuz hinzu, soll man keinen Glauben beimessen, wenn er auch Wunder wirken sollte.

19. Wir wollen aber zu unserem Gegenstand zurückkehren. Es wurde gesagt, daß eine Seele, die ein geistliches Leben zu fuhren begonnen hat und die Tröstungen empfindet, womit Gott sie an sich locken will, sich von den irdischen Dingen losreißt und sich an Gott anschließt; allein dieses Anschließen an Gott ist ein sehr mangelhaftes, weil es mehr durch die Empfindung des Trostes als durch den wahren Willen, Gott wohlgefällig zu sein, bewirkt wird. Die Seele gibt sich der Täuschung hin, daß sie Gott um so mehr liebe, je mehr Geschmack sie an ihren Andachtsübungen findet. Daraus entspringen aber große Übelstände. Vorerst wird sie unruhig und verwirrt werden, wenn sie in den Andachtsübungen, die ihr zum Trost gereichen, gestört wird, oder wenn ihr der Gehorsam, die christliche Liebe oder Pflichten ihres Standes andere Verrichtungen auferlegen. Da es ferner zum Elend der menschlichen Natur gehört, in allen Dingen seine eigene Befriedigung zu suchen, wird sie die Andachtsübungen, wenn sie keinen Trost dabei findet, leicht entweder ganz unterlassen oder doch abkürzen und vermindern, und allmählich so lange abkürzen und vermindern, bis nichts mehr übrig bleibt. So ergeht es unglücklicherweise vielen Seelen, die Gott zu seiner vollkommenen Liebe berufen hat: sie betreten den Weg der Vollkommenheit, machen auch einige Fortschritte, solange die Tröstungen dauern, wenn sie aber aufhören, lassen sie alles fahren und kehren zu ihrer früheren Lebensweise zurück. Deshalb ist es so notwendig, überzeugt zu sein, daß die Liebe Gottes und die Vollkommenheit nicht in Tröstungen und süßen Empfindungen, sondern in der Überwindung der Eigenliebe und in der Vereinigung mit dem Willen Gottes besteht. „Gott ist immer gleich liebenswürdig“, sagt der heilige Franz von Sales, „Er mag uns mit Tröstungen oder mit Trübsalen heimsuchen.“

20. Solange diese inneren Tröstungen dauern, ist es keine große Tugend, den irdischen Vergnügungen zu entsagen und Unbilden und Widerwärtigkeiten mit Geduld zu ertragen. In einem solchen Zustand erträgt man alles mit Leichtigkeit; allein diese Leichtigkeit hat oft mehr in der Süßigkeit des Trostes ihren Grund als in der Kraft einer wahren Liebe zu Gott. Wenn nun der Herr eine Seele gründlich in der Tugend befestigen will, zieht Er sich zurück und nimmt ihr die fühlbaren Tröstungen, damit sie von der Eigenliebe gereinigt werde, die aus diesen Tröstungen ihre Nahrung zieht. So kommt es dann, daß die Seele, die früher in Akten der Aufopferung, des Vertrauens und der Liebe ihre größte Freude fand, dieselben Akte jetzt, wo die Quelle des Trostes versiegt ist, ohne allen Geschmack und unter Mühen und Peinen erweckt. Alle ihre Andachtsübungen: die Betrachtung, die geistliche Lesung, die Kommunion, sind ihr zum Überdruß: Sie findet darin weder Licht noch Trost, sondern nur Finsternis und Qual, und es scheint ihr, daß alles verloren sei. Sie betet und fängt immer wieder von neuem zu beten an, aber nur zu ihrer größeren Betrübnis, weil sie glaubt, daß Gott sie nicht erhören wolle.

21. Es fragt sich nun, wie wir uns in diesen Zuständen der Dürre und der Trostlosigkeit verhalten sollen. Wenn der Herr in seiner Barmherzigkeit mit seinen Tröstungen uns heimsucht und die Gegenwart seiner Gnade und seiner Liebe fühlen läßt, so wollen wir diese Tröstungen keineswegs zurückweisen, wie einige falsche Mystiker wollen. Wir sollen sie dankbar annehmen, jedoch nicht absichtlich dabei verweilen, um die Süßigkeit dieser zärtlichen Empfindungen mit vollen Zügen zu genießen. Der heilige Johannes vom Kreuz nennt dies mit Recht „eine geistliche Völlerei“, die fehlerhaft und Gott nicht wohlgefällig ist. Wir sollen vielmehr das fühlbare Wohlgefallen an diesen Süßigkeiten ausschlagen und vorzüglich uns vor dem Gedanken hüten, daß Gott uns so gnädig behandle, weil wir besser und vollkommener sind als andere. Dieser eitle Gedanke würde Gott nötigen, sich zurückzuziehen und uns unserem Elende zu überlassen. Wir müssen Gott allerdings für diese Tröstungen von ganzem Herzen danken, weil sie Gaben Gottes sind, die einen unvergleichlichen höheren Wert haben als alle Schätze, Freuden und Ehren dieser Welt. Allein zur Zeit, wo wir sie empfangen, sollen wir uns nicht mit dem Wohlgefallen dieser süßen Empfindungen aufhalten, sondern uns demütigen, uns unsere früheren Sünden vor Augen stellen und denken, daß diese Liebesbezeigungen reine Wirkungen der unendlichen Güte Gottes sind, und daß der Herr vielleicht damit uns auf schwere Trübsale, die Er uns schicken will, vorbereiten und uns im voraus stärken will, damit wir sie dann in Geduld ertragen. Wir sollen daher zur Zeit des Trostes uns Gott aufopfern, im voraus beteuern, daß wir jedes innerliche und äußerliche Leiden: jede Krankheit, Verfolgung oder geistliche Verlassenheit aus seinen Händen anzunehmen bereit sind, und sprechen: Siehe, o Herr, hier bin ich, mache mit mir und allem, was ich bin und habe, was Dir gefällt: gib mir nur die Gnade, Dich zu lieben und deinen heiligsten Willen auf das vollkommenste zu vollbringen, ich verlange sonst nichts von Dir.

22. Wenn dagegen eine Seele nicht bloß der Freuden dieser Welt, sondern auch der himmlischen Tröstungen beraubt, jedoch moralisch gewiß ist, daß sie sich im Stand der Gnade befindet, so ist sie dessen ungeachtet in dem Bewußtsein, daß sie Gott liebt und daß sie von Ihm geliebt wird, mit ihrem Zustand ganz zufrieden. Wenn Gott aber eine solche Seele noch mehr läutern und durch eine reine und vollkommene Liebe mit sich vereinigen will, beraubt Er sie auch dieses tröstlichen Gefühls und dieser Zufriedenheit und wirft sie in den Schmelztiegel der geistlichen Verlassenheit, die unter allen innerlichen und äußerlichen Peinen, die man erleiden kann, die bitterste ist. Er entzieht ihr das Bewußtsein, daß sie im Stand der Gnade ist, und läßt sie in einer so dichten Finsternis, daß es der Seele scheint, sie könne Gott nicht mehr finden, wie sie ihn auch suchen möge. Manchmal läßt Gott es auch zu, daß sie von unlauteren Versuchungen überfallen wird, begleitet von einem Aufruhr der Sinne, oder von Gedanken des Mißtrauens, der Verzweiflung und selbst des Hasses gegen Gott, indem es ihr scheint, daß der Herr sie verstoßen habe und auf ihre Bitten nicht mehr höre. Da nun einerseits ihre Begierlichkeit aufgeregt ist, und der böse Feind durch seine Einflüsterungen sie unablässig zu verwirren sucht und andererseits die geistige Finsternis, in der sich eine solche Seele befindet, so groß ist, daß sie trotz ihres Widerstandes gegen die Versuchungen nicht zu unterscheiden weiß, ob sie genügend widerstanden und nicht eingewilligt habe, so steigert sich in ihr immer mehr Furcht, daß sie Gott verloren und daß der Herr sie wegen ihrer Untreue in diesen Kämpfen gerechterweise ganz verlassen habe. Es kommt ihr daher vor, daß es für sie keine Rettung mehr gebe, daß sie Gott nicht mehr liebe, und daß sie von Gott gehaßt werde. Solche Peinen hat die heilige Theresia erfahren, und sie gesteht, daß ihr in diesem Zustand die Einsamkeit kein Trost war, sondern vielmehr eine Marter, und daß es ihr schien, sie gehe in die Hölle ein, wenn sie sich in das Gebet begab.

23. Wenn nun eine liebende Seele in solche Zustände gerät, soll sie deshalb nicht den Mut verlieren, und der Beichtvater, der sie leitet, soll darüber nicht erschrecken. Alle diese

sinnlichen Regungen, diese Versuchungen gegen den Glauben und die Hoffnung, diese Antriebe, Gott zu hassen, sind Schreckbilder, sind innerliche Leiden, sind Eingebungen des bösen Feindes, aber sie sind nicht freiwillig und folglich keine Sünden. Die Seele, welche Gott wahrhaft liebt, widersteht sehr wohl und willigt in solche Einflüsterungen nicht ein: da sie aber in der Finsternis, die ihren Geist verdüstert, dies nicht zu unterscheiden weiß, gerät sie in Verwirrung; und da sie sich von der fühlbaren Gegenwart Gottes verlassen sieht, ist sie voll Furcht und Betrübnis. Man kann sich leicht überzeugen, daß bei solchen Gott geprüften Seelen alles nur Furcht und Schrecken ist und in Wahrheit nicht besteht; man darf sie nur fragen, ob sie um irgendeinen Preis mit offenen Augen eine läßliche Sünde begehen wollten, und sie werden mit Entschiedenheit antworten, daß sie bereit seien, lieber den Tod, nicht einfach, sondern tausendfach zu erleiden, als Gott Überlegterweise zu beleidigen.

24. Man muß daher zwei Dinge wohl unterscheiden. Es ist etwas anderes, ein gutes und verdienstliches Werk üben, z.B. einer Versuchung widerstehen, einen Akt des Vertrauens oder der Liebe zu Gott erwecken, sich mit dem Willen Gottes vereinigen, und ein anderes, erkennen, daß man in der Tat ein gutes Werk geübt hat. Das Letztere dient zu unserer Befriedigung und zu unserem Trost; der geistliche Gewinn aber und das Verdienst liegt einzig und allein in dem Ersteren. Mit diesem Ersteren begnügt sich Gott und entzieht der Seele die Erkenntnis, ein gutes Werk geübt zu haben, die das Verdienst nicht vermehrt, um ihr alles zu nehmen, was zu ihrer eigenen Befriedigung dient. Denn er hat immer mehr unseren geistlichen Nutzen als unsere Befriedigung im Auge. Der heilige Johannes vom Kreuz schrieb einer Person, die sich in einem solchen Zustand der geistlichen Verlassenheit befand, folgendes zu ihrem Trost: „Nie haben Sie sich in einem besseren Stande befunden als eben jetzt, denn nie waren Sie mehr gedemütigt, nie mehr von der Welt losgeschält, nie schlechter und elender in Ihren eigenen Augen als jetzt. Nie war Ihre Selbstentäußerung größer und nie haben Sie sich weniger gesucht als jetzt.“ Kurz, wir dürfen niemals glauben, daß wir von Gott mehr geliebt werden, wenn wir die Süßigkeit des geistlichen Trostes empfinden; denn die Vollkommenheit besteht nicht in diesen Tröstungen, sondern in der Abtötung unseres eigenen Willens und in der vollkommenen Gleichförmigkeit mit dem Willen Gottes.

25. Eine Seele, die auf solche Weise von Gott geprüft wird, soll also den Einflüsterungen des bösen Feindes, daß Gott sie verlassen habe, kein Gehör geben und unter keiner Bedingung vom Gebet ablassen; denn dies beabsichtigt er eben, um sie dann ins Verderben zu stürzen. „Die geistliche Dürre und die Versuchungen sind es“, sagt die heilige Theresia, „durch welche Gott die Ihn liebenden Seelen prüft. Sollte aber diese Dürre auch das ganze Leben hindurch fortdauern, so soll die Seele dennoch vom Gebet nicht ablassen; denn es wird eine Zeit kommen, wo ihr alles reichlich vergolten werden wird.“ In einem solchen Zustand muß man sich demütigen, sich an seine früheren Sünden erinnern, bedenken, daß man es wohl verdient habe, so behandelt zu werden, sich demütig in den Willen Gottes ergeben und sprechen: Siehe, Herr, hier bin ich; wenn es dein Wille ist, daß ich mein ganzes Lebens, ja sogar die ganze Ewigkeit so trostlos und betrübt bleibe: ich bin zu allem bereit, gib mir nur deine Gnade, gib, daß ich Dich liebe, und dann verfüge mit mir, wie es Dir gefällt.

26. Auch soll die Seele in einem solchen Zustand nicht selbst erkennen wollen, daß sie im Stand der Gnade ist und daß ihre Leiden nur eine Prüfung und keine Verlassenheit Gottes sind. Dieses Bestreben wäre unnütz und würde sie vielleicht in eine noch größere Unruhe stürzen. Denn Gott will nicht, daß sie dies erkenne, und Er versagt ihr diese Erkenntnis zu ihrem eigenen Besten, damit sie sich noch mehr demütige, eifriger bete und fester auf seine Barmherzigkeit vertraue. Die Seele möchte eine klare Einsicht in ihren Zustand haben, aber dies ist es eben, was Gott ihr nicht gewähren will. Übrigens sagt der heilige Franz von Sales: „Der entschlossene Wille, in keine Sünde einzuwilligen, wie gering sie auch sein möge, gibt uns die Sicherheit, daß wir im Stand der Gnade sind.“ Wenn jedoch eine Seele sich in der äußersten Trostlosigkeit befindet, vermag sie auch dies nicht klar und deutlich zu erkennen. Sie soll aber auch gar nicht verlangen, zu fühlen, daß sie will; es ist genug, wenn sie will in dem oberen Teil der Seele mit der äußersten Spitze des Willens. Und so soll sie sich in die Arme der göttlichen Barmherzigkeit werfen. O wie lieb und teuer sind dem Herrn solche Akte des Vertrauens und der Ergebung in den Finsternissen der äußersten Trostlosigkeit! Ach, vertrauen wir doch einem Gott, der, wie die heilige Theresia sagt, uns mehr liebt, als wir selbst uns lieben können.

27. Mögen sie also Mut fassen, diese von Gott geliebten Seelen, die entschlossen sind, Ihm ganz anzugehören, und dabei sich alles Trostes beraubt sehen. Ihre Trostlosigkeit ist ein Zeichen, daß Gott sie sehr lieb hat und daß Er ihnen einen Platz im Paradies bereitet, wo ihr Trost vollkommen und endlos sein wird. Sie sollen für gewiß halten, daß ihre Tröstungen im Himmel um so größer sein werden, je größer ihre Leiden hier auf Erden waren: „Nach der Menge meiner Schmerzen in meinem Herzen erfreuen deine Tröstungen meine Seele“ (Ps 93,19). Zur Ermutigung solcher betrübten Seelen will ich hier beifügen, was in dem Leben der heiligen Johanna von Chantal berichtet wird, die durch einundvierzig Jahre die entsetzlichsten innerlichen Leiden, die beständige Furcht, in der Ungnade Gottes und von Ihm verlassen zu sein, und die heftigsten Versuchungen zu überstehen hatte. Ihre Leiden waren so groß und so unablässig, daß sie versicherte, nur der Gedanke an den Tod gewähre ihr einigen Trost. Sie sagte: „Die Anfälle sind so wütend, daß ich nicht weiß, wohin ich mich mit meiner armen bedrängten Seele flüchten soll, und manchmal scheint es mir, daß meine Geduld nur noch an einem Faden hängt und daß ich auf dem Punkt stehe, sie zu verlieren und alles fahren zu lassen.“ Sie sagte ferner: „Die Versuchung ist ein so grausamer Tyrann, daß ich zu jeder Stunde bereit wäre, mich mit dem Verluste meines Lebens davon zu befreien, und manchmal verliere ich sogar das Vermögen, zu essen und zu schlafen.“

28. In den letzten acht oder neun Jahren ihres Lebens waren ihre Versuchungen noch heftiger als je zuvor; wie die Schwester Chatel bezeugt, die in ihrer nächsten Umgebung war und mit ihrem Zustand das innigste Mitleid trug. Sie sagt, die Heilige habe bei Tag und bei Nacht ein ununterbrochenes innerliches Martyrium erduldet, sie mochte beten, arbeiten oder ruhen. Mit Ausnahme der Reinheit war die Heilige gegen alle Tugenden versucht, bald durch eine Verfinsterung der Erkenntnis, bald durch Zweifel, die ihr aufstiegen, bald durch den innerlichen Widerwillen, den sie gegen diese Tugend empfand. Manchmal beraubte sie der Herr allen Lichtes und erschien ihr erzürnt, wie wenn er im Begriff wäre, sie für immer zu verstoßen. Sie war dann so von Schrecken ergriffen, daß sie ihren Blick von ihm abwandte und auf einen anderen Gegenstand richtete, um Trost zu suchen; da sie aber keinen Trost fand, war sie gezwungen, wieder auf ihn zu blicken und sich seiner Barmherzigkeit zu überlassen. Es schien ihr in jedem Augenblick, daß sie dem ungestümen Anfall der Versuchungen unterliegen müsse, und obwohl der Beistand der göttlichen Gnade sie keinen Augenblick verließ, kam es ihr doch vor, daß Gott von ihr gewichen sei, weil sie in dem Gebete, in der geistlichen Lesung, in der Kommunion und in allen übrigen Andachtsübungen nicht nur keine Erleichterung und keinen Trost, sondern nur Angst, Schrecken und Uberdruß empfand. In diesem Zustand der äußersten Verlassenheit war ihr einziger Halt der, daß sie auf ihren Gott blickte und sich ihm gänzlich übergab, damit Er mit ihr tue, was Ihm gefiele.

29. „In meiner Verlassenheit“, sagte die Heilige, „ist mir das einfache Leben, das ich führe, ein neues Kreuz, und mein Unvermögen, etwas zu wirken, vermehrt meine Leiden.“ Sie komme sich vor, fügte sie hinzu, wie ein von Schmerzen betäubter Kranker, der unfähig ist, sich von einer Seite zur anderen zu wenden, der stumm ist und die Übel, an denen er leidet, nicht erklären kann, der blind ist und nicht sehen kann, ob diejenigen, die zu ihm kommen, ihm eine Arznei oder einen Gifttrank reichen. Und dann brach sie in Tränen aus und sagte weinend: „Es scheint mir, daß ich ohne Glauben, ohne Hoffnung und ohne Liebe zu meinem Gott bin.“ Der heilige Franz von Sales, der ihr Gewissensführer war und wußte, wie sehr diese schöne Seele von Gott geliebt werde, sagte von ihr: „Ihr Herz ist wie ein tauber Sänger, der die herrlichen Melodien singt, ohne selbst einen Genuß davon zu haben.“ Und ihr selbst schrieb er einmal: „Sie sollen ihrem Heiland dienen, einzig und allein aus Liebe zu seinem heiligsten Willen, in dieser Entbehrung alles Trostes und in diesem Übermaße von Schrecken, Angst und Traurigkeit.“ So sind die Heiligen heilig geworden. Die Kirche singt in den Tagzeiten des Kirchweihfestes:

Mit dem Meißel wohl behauen, Dann mit vielen Hammerschlägen Von dem Meister glatt gemacht, Und mit Bändern wohl verbunden, Fügen sich zum Bau die Steine, Hebt zum Himmel sich der Bau.

Die Heiligen sind die auserwählten Steine, die mit dem Meißel behauen und durch viele Hammerschläge geglättet, das heißt: durch viele Versuchungen, Beängstigungen, Finsternisse und andere innerliche und äußerliche Leiden fähig und würdig gemacht werden, in den Himmel aufzusteigen und die Throne einzunehmen, die Gott ihnen bereitet hat.

Gebet

O Jesus, meine Hoffnung, meine Liebe, meine einzige Liebe, ich verdiene Dich nicht, daß Du mich Deine Tröstungen und deine Liebkosungen verkosten läßt; bewahre sie für jene unschuldigen Seelen, welche Dich immer geliebt haben. Ich bin ein Sünder, ich verdiene sie nicht und verlange sie auch nicht von Dir, ich verlange nichts, als Dich zu lieben und allezeit deinen heiligen Willen zu erfüllen; und dann mögest Du mit mir verfügen, wie es Dir gefällt. Ach, in der Hölle hätten mich zur Strafe für meine Sünden ganz andere Schrecken und Finsternisse und eine andere Verlassenheit erwartet. Dort hätte ich, für immer von Dir geschieden und gänzlich von Dir verlassen, durch eine ganze Ewigkeit geweint und gejammert, ohne Dich mehr lieben zu können. Nein, mein Jesus, ich nehme jede Strafe, jede Pein an, nur diese nicht. Du bist so unendlich liebenswürdig, du hast so vieles und unendlich Großes getan, um meine Liebe zu gewinnen: nein, ich wüßte nicht, wie ich lieben könnte, ohne Dich zu lieben. Ich liebe Dich, o mein höchstes Gut; ich liebe Dich aus ganzem Herzen; ich liebe Dich mehr als mich selbst; ich liebe Dich und will nichts lieben als Dich allein. Dieser mein guter Wille ist ja nur eine Wirkung deiner Gnade, vollende also Dein Werk, o Herr, stehe mir mit deiner Gnade bei bis zum letzten Augenblick meines Lebens; überlasse mich nicht meinen eigenen Händen; gib mir die Kraft, die Versuchungen zu besiegen und mich selbst zu überwinden, und damit ich sicher sei, diese Kraft zu erlangen, gib mir die Gnade, Dich allezeit um Hilfe anzurufen. Ich will ganz Dein sein; Dir schenke ich meinen Leib, meine Seele, meinen Willen und meine Freiheit; ich will nicht mehr mir selbst leben, sondern nur Dir, o mein Schöpfer, mein Erlöser, meine Liebe, mein alles: Mein Gott und mein alles! Ich will heilig werden und hoffe auf deine Barmherzigkeit, es zu werden. Züchtige mich, wie es Dir gefällt, beraube mich aller Dinge: ich bin mit allem zufrieden, wenn Du mich nur deiner Gnade und deiner Liebe nicht beraubst. O Maria, du Hoffnung der Sünder, du vermagst alles bei Gott; auf deine Fürsprache vertraue ich und bitte dich durch die Liebe, die Du zu Jesus, deinem göttlichen Sohn, trägst, komm mir zu Hilfe und mache mich heilig.