Vierzehntes Kapitel

Die Liebe erträgt alles.

Wer den Heiland liebt, leidet ihm zu Liebe alles, insbesondere Krankheiten, Armut und Verachtung.

1. Wir haben bereits im fünften Kapitel von der Tugend der Geduld im allgemeinen gehandelt; hier wollen wir von einigen besonderen Fällen sprechen, in welchen diese Tugend geübt werden soll.

Niemand soll glauben, sagt P. Balthasar Alvarez, daß er in der Vollkommenheit schon was erreicht hat, wenn er nicht die Schmerzen, die Armut und die Schmach Jesu Christi auf das tiefste seinem Herzen eingeprägt hat, um aus Liebe zu Ihm jeden Schmerz, jede Armut und jede Schmach mit liebreicher Geduld zu ertragen. Wir wollen zuerst von den Krankheiten und körperlichen Leiden sprechen, durch die wir uns große Verdienste und eine schöne Krone erwerben können, wenn wir sie mit Geduld ertragen. „Wenn wir den kostbaren Schatz kennen würden, der in den Krankheiten verborgen ist“, sagt der heilige Vinzenz von Paul, „so würden wir sie mit einem Jubel annehmen, wie wenn uns die größte Wohltat erwiesen würde.“ Und wie der Heilige sprach, so handelte er auch. Er war beständig von großen Leiden heimgesucht, die ihn oft weder bei Tag noch bei Nacht ruhen ließen: allein er ertrug sie mit einem solchen Frieden und einer solchen Sicherheit, ohne sich zu beklagen, daß es schien, er habe nichts zu leiden. Welch ein erbauliches Beispiel geben Kranke, die ihr Leiden so ertragen, wie sie der heilige Franz von Sales ertrug. Wenn er erkrankte, ließ er den Arzt rufen, erklärte ihm einfach sein Übel, befolgte pünktlich alle seine Vorschriften, nahm alle verordneten Arzneien, wie widerlich sie auch sein mochten, und blieb dann im tiefsten Frieden, ohne sich über sein Leiden zu beklagen. Viele dagegen, wenn sie das mindeste Übel befallt, finden des Klagens und Jammers kein Ende und möchten alle ihre Verwandten und Freunde um sich versammelt sehen, um von ihnen bedauert zu werden. Die heilige Theresia gab ihren Klosterfrauen folgende Lehre: „Schwestern, gewöhnt Euch, etwas aus Liebe zu Gott zu leiden, ohne daß es sogleich alle erfahren.“ Der ehrwürdige P. Ludwig de Ponte wurde einst an einem Karfreitag von dem Herrn mit so heftigen Schmerzen beschenkt, daß kein Teil an seinem Leibe war, der nicht seine besondere Marter gehabt hätte. Er erzählte dies einem seiner Freunde, bereute aber später diese Mitteilung so sehr, daß er das Gelübde ablegte, nie mehr seine geheimen Leiden jemandem zu offenbaren.

2. Ich sagte, daß er mit diesen Schmerzen beschenkt wurde; denn die Heiligen betrachten die Krankheiten und Schmerzen, die Gott ihnen zugeschickt, wie Geschenke seiner Barmherzigkeit. Als der heilige Franziskus von Assisi einst unter großen Schmerzen im Bett lag, sagte der Bruder, der ihn pflegte, zu ihm: „Mein Vater, bitte doch Gott, daß Er deine Schmerzen lindere und daß seine Hand nicht so schwer auf Dir hege.“ Als der Heilige diese Worte vernahm, sprang er aus dem Bett, kniete sich auf den Boden nieder, und dankte Gott für diese Schmerzen; sodann aber wandte er sich zum Bruder und sagte: „Wenn ich nicht wüßte, daß Du nur aus Einfalt so gesprochen hast, würde ich Dich nicht mehr vor mir sehen wollen.“

3. Dagegen wird vielleicht ein Kranker einwenden: Was mir schwerfällt, ist nicht so sehr die Krankheit und das Leiden, sondern daß ich nicht in die Kirche gehen, nicht meine Andachten verrichten, nicht kommunizieren, nicht der heiligen Messe beiwohnen kann; ich kann nicht mit den Brüdern im Chor erscheinen, ich kann die heilige Messe nicht lesen, ich kann nicht einmal beten, weil mein Kopf zu schwach und zu leidend ist. Aber sage mir doch, werde ich ihm erwidern, warum willst du kommunizieren und die Messe lesen oder anhören? Ohne Zweifel, um Gott zu gefallen und seinen Willen zu tun. Nun will aber Gott nicht, daß du im Chor erscheinst, daß du kommunizierst, das du die Messe hörst, sondern er will, daß du ruhig im Bett bleibst und die Schmerzen deiner Krankheit in Geduld erträgst. Wenn dich aber diese meine Erwiderung nicht befriedigt, so gibst du zu erkennen, daß du nicht das zu tun verlangst, was Gott gefällt, sondern was dir gefällt. Der ehrwürdige Johannes von Avila schrieb einem Priester, der solche Klagen vorbrachte: „Lieber Freund, kümmere dich jetzt nicht um das, was du tun würdest, wenn du gesund wärst, sondern begnüge dich damit, krank sein zu wollen, solange es Gott so gefällt: wenn du nichts suchst und verlangst, als daß der Wille Gottes geschehe, was liegt dann daran, ob du gesund oder krank bist.“

4. Vielleicht wird aber ein Kranker darauf bestehen, das eine falle ihm so schwer, daß er wegen Schwäche des Kopfes nicht einmal beten könne. Gut, antworte ich, du kannst allerdings nicht betrachten und deine gewöhnlichen mündlichen Gebete nicht verrichten: aber warum solltest du nicht Akte der Gleichförmigkeit mit dem Willen Gottes erwecken können: und wenn du dies tust und deine Schmerzen aus Liebe zu Gott umfängst, welches bessere und schönere Gebet könntest du verrichten? So machte es der heilige Vinzenz von Paul. Wenn er schwer krank war, versetzte er sich auf eine sanfte Weise in die Gegenwart Gottes, ohne sich Gewalt an zu tun, um den Geist auf einen bestimmten Gegenstand zu richten, und erweckte von Zeit zu Zeit einen kleinen Akt der Liebe, des Vertrauens, des Dankes, vorzüglich aber der Ergebung in den göttlichen Willen, wenn die Schmerzen sich steigerten. Der heilige Franz von Sales sagt: „Das Leiden, in sich betrachtet, ist etwas Furchtbares, wenn wir es aber in dem Willen Gottes ansehen, so verwandelt es sich in Liebe und Süßigkeit.“ Beklage dich also nicht, daß du nicht beten kannst; denn wenn du von Zeit zu Zeit auf den Gekreuzigten hinbückst, Ihm sein bitteres Leiden aufopferst, und das wenige, was du zu leiden hast, mit den unermeßlichen Schmerzen vereinigst, die Er am Kreuze erduldet hat, so verrichtest du ein Gebet, wie du dir kein vortrefflicheres wünschen kannst.

5. Einer frommen Dame, die krank daniederlag und große Schmerzen litt, reichte eine ihrer Dienerinnen von Mitleid bewogen ein Kruzifix und sagte ihr, sie solle Gott bitten, daß Er sie von diesen Peinen befreien möge; allein die Dame erwiderte ihr: „Was mutest du mir zu? Wie soll ich verlangen, vom Kreuze herabzusteigen, während ich einen gekreuzigten Gott in den Händen halte? Ich will für denjenigen leiden, der für mich viel größere Schmerzen gelitten hat.“ Dasselbe sagte der Herr der heiligen Theresia, als sie einst krank und von großen Schmerzen heimgesucht war. Er erschien ihr mit Wunden bedeckt und sprach: „Betrachte, meine Tochter, die Größe und die Bitterkeit meiner Leiden und erwäge, ob die deinigen damit verglichen werden können.“ Wenn daher die Heilige in der Folge wieder erkrankte, pflegte sie zu sagen: „Wenn ich bedenke, was und in wie verschiedener Weise der unschuldige Heiland aus reiner Liebe zu mir gelitten hat, so weiß ich nicht, wie ich so sinnlos sein konnte, mich über meine Leiden zu beklagen.“ Die heilige Lidwina hatte durch achtunddreißig Jahre ununterbrochen die verschiedensten und schmerzlichsten Übel zu erdulden: heftige Fieber, die Gicht in den Händen und Füßen, Geschwüre und offene Wunden am ganzen Leibe; da sie aber immerfort das bittere Leid Jesu Christi vor Augen hatte, war sie immer heiter und fröhlich. Als der heilige Joseph von Leonessa, aus dem Orden der Kapuziner, sich einer sehr schmerzlichen Operation unterziehen mußte, wollten die Brüder, bevor der Wundarzt Hand anlegte, ihn mit Stricken fest binden, damit er nicht in der Heftigkeit des Schmerzes eine unglückliche Bewegung mache; allein der Heilige nahm ein Kruzifix in die Hand und sprach: „Was wollt ihr mit den Stricken, seht hier denjenigen, der mich bindet, um aus Liebe zu Ihm jeden Schmerz geduldig ertragen zu können.“ Und so hielt er die Operation aus, ohne daß ein Wort der Klage aus seinem Munde kam. Der heilige Märtyrer Jonas mußte auf Befehl des Tyrannen eine ganze Nacht auf dem Eis liegen; am anderen Morgen aber versicherte er, nie eine ruhigere Nacht zugebracht zu haben, denn er habe sich den Heiland, wie Er am Kreuze hing, vorgestellt, und so seien ihm im Vergleiche mit den Schmerzen des Herrn die seinigen nicht wie eine Marter, sondern süß und lieblich vorgekommen.

6. O welchen Schatz von Verdiensten können wir uns durch die Geduld in Krankheiten und körperlichen Leiden erwerben! Dem ehrwürdigen P. Balthasar Alvarez wurde die Glorie gezeigt, die Gott einer frommen Klosterfrau zum Lohn für die große Geduld, mit der sie eine schmerzliche Krankheit ertrug, bereitet hatte, und es wurde ihm zugleich gesagt, daß dieselbe in den acht Monaten ihrer Krankheit sich größere Verdienste erworben habe als einige andere sehr fromme Klosterfrauen in vielen Jahren. Das geduldige Ertragen der Schmerzen in unseren Krankheiten vollendet großenteils und vielleicht größtenteils die Krone, die Gott uns im Himmel bereitet hat; wie dies der heiligen Lidwina offenbart wurde. Nachdem sie die vielen und schmerzhaften Krankheiten ausgestanden hatte, von denen oben die Rede war, wünschte sie sich, aus Liebe zu Jesus Christus als Märtyrerin zu sterben, und als sie eines Tages nach dem Martyrium seufzte, sah sie eine herrliche Krone, die aber noch nicht ganz fertig war, und vernahm, daß dieselbe für sie bestimmt sei. Dieser Anblick erweckte in ihr ein heißes Verlangen nach der Vollendung ihrer Krone; sie bat deshalb den Herrn inständig, daß er ihre Schmerzen vermehren wolle; und ihre Bitte wurde auch erhört. Der Herr ließ es zu, daß einige ruchlose Soldaten in ihre Kammer eindrangen und sie nicht nur mit Schimpfworten und Lästerungen, sondern auch mit Schlägen auf das Grausamste mißhandelten. Dies war ihre letzte Prüfung; es erschien ihr ein Engel mit der fertigen Krone und sagte ihr, daß diese Leiden der Krone die Edelsteine, die ihr noch fehlten, eingesetzt hätten, und bald darauf starb sie.

7. O wie süß und lieblich sind Schmerz und Schmach den Seelen, die von einer glühenden Liebe zu Jesus Christus durchdrungen sind! Darum gingen die heiligen Märtyrer so freudig der Folter, den eisernen Krallen, dem glühenden Roste und dem Henkerbeile entgegen. Der heilige Prokopius sprach während der Marter zum Tyrannen: „Peinige mich, so viel du willst, aber wisse, daß es für diejenigen, die unseren Herrn Jesus Christus lieben, nichts Süßeres gibt als zu leiden aus Liebe zu Ihm.“ In ähnlicher Weise sprach der heilige Märtyrer Gordianus zum Tyrannen, der ihm drohte, ihn hinrichten zu lassen: „Du drohst mir mit dem Tode: mich aber schmerzt nur das eine, daß ich nicht öfter als einmal für Jesus Christus, meinen Herrn und Gott, sterben kann.“ Sprachen diese Heiligen vielleicht nur so, weil sie die Schmerzen nicht empfanden, oder weil der Schmerz sie betäubt hatte? Nein, antwortet der heilige Bernhard: „Dies hat nicht die Betäubung, sondern die Liebe bewirkt.“ Sie waren weder betäubt noch abgestumpft; sie empfanden die Schmerzen ihrer Marter sehr wohl; aber weil sie Gott liebten, achteten sie es als den größten Gewinn, alles zu leiden und alles, selbst das Leben, zu verlieren aus Liebe zu Gott.

8. Vor allem aber müssen wir zur Zeit der Krankheit bereit sein, zu sterben, wenn es Gott so gefällt, und so zu sterben, wie es ihm gefällt. Der Tod erwartet uns alle, eine letzte Krankheit wird dem Laufe unseres Lebens ein Ziel setzen; da wir aber nicht wissen, welche Krankheit für uns die letzte sein wird, so sollen wir uns in jeder Krankheit vorbereiten, den Tod, den uns Gott bestimmt hat, aus seinen Händen willig anzunehmen. Aber, wird vielleicht mancher sagen, ich habe so viele Sünden begangen und noch keine Buße gewirkt; ich wünschte daher noch länger zu leben, nicht um des Lebens willen, sondern um der Gerechtigkeit Gottes einige Genugtuung zu leisten, bevor ich sterbe. Weißt du denn aber, antworte ich, ob du, wenn du noch länger lebst, Buße wirken und nicht vielleicht es noch ärger machen wirst, als zuvor? Jetzt kannst du hoffen, daß Gott dir verziehen hat; und was die Buße betrifft, so kannst du keine würdigere Buße wirken, als wenn du dich ganz in den Willen Gottes ergibst und bereit bist zu sterben, wenn es ihm so gefällt. Diese Gedanken sprach der heilige Aloisius von Gonzaga, der als ein Jüngling von dreiundzwanzig Jahren starb, auf dem Sterbebett aus: „Jetzt bin ich, wie ich hoffe, im Stand der Gnade Gottes; ich weiß aber nicht, was in der Zukunft aus mir werden wird, und darum sterbe ich gerne, wenn es Gott gefällt, mich jetzt aus diesem Leben abzurufen.“ Johannes von Avila ist der Meinung, daß jeder, wenn er sich in einer guten, ja selbst wenn er sich nur in einer mittelmäßigen Verfassung befindet, wünschen soll, zu sterben, um der Gefahr zu entgehen, der wir alle hier auf Erden ausgesetzt sind, der Gefahr nämlich, zu sündigen und die Gnade Gottes zu verlieren.

9. Überdies müssen wir bedenken, daß wir wegen unserer natürlichen Gebrechlichkeit auf dieser Welt nicht leben können, ohne wenigstens läßliche Sünden zu begehen und schon deshalb sollten wir den Tod mit Freuden annehmen, um Gott nicht mehr zu beleidigen. Und wenn wir Gott wahrhaft lieben, sollen wir denn nicht danach verlangen und danach seufzen, ihn im Himmel zu schauen und aus allen Kräften zu lieben, was wir auf dieser Welt in ganz vollkommener Weise nicht zu erreichen vermögen. In diese selige Heimat der Liebe können wir aber nicht eingehen, wenn uns der Tod nicht die Pforte öffnet. Darum rief der liebende heilige Augustinus aus: „Eja, Herr laß mich sterben, damit ich dich schaue.“ Laß mich sterben, denn wenn ich nicht sterbe, kann ich nicht zu Dir gelangen, um Dich zu schauen von Angesicht zu Angesicht und Dich zu lieben aus allen meinen Kräften.

10. Wir kommen nun zum zweiten Punkt: zur Armut. Denn es ist gewiß, daß diejenigen, die an zeitlichen Gütern Mangel leiden, sich vorzugsweise in der Tugend der Geduld zu üben haben. Der heilige Augustinus sagt: „Wer Gott nicht hat, hat nichts; wer Gott hat, hat alles.“ Wer Gott besitzt und mit seinem heiligsten Willen vereinigt ist, findet in Gott alle Güter, die er sich wünschen kann. Betrachten wir einen heiligen Franziskus, wie er barfuß, mit einem Sack bekleidet, von aller irdischen Habe entblößt, ausruft: „Mein Gott und mein alles!“ und durch diesen Ausruf zeigt, daß er sich reicher fühlt als alle Könige dieser Welt. Arm ist derjenige, welcher nach Gütern verlangt, die er nicht besitzt; wer aber nichts verlangt und mit seiner Armut zufrieden ist, muß vielmehr reich und überaus reich genannt werden. Diese sind es, von denen der Apostel spricht: „Die nichts haben und alles besitzen“ (2 Kor 6,10). Die Gott wahrhaft lieben, haben nichts und haben doch alles, denn wenn ihnen die zeitlichen Güter mangeln, so sprechen sie: Mein Jesus, du allein bist mir genug! und sind ruhig und getröstet. Die Heiligen haben nicht nur die Armut mit Geduld ertragen, sondern sich selbst aller irdischen Güter zu entäußern gesucht, um von allen Geschöpfen losgeschält mit Gott allein vereinigt zu sein. Haben wir aber den Mut nicht, allen Gütern dieser Welt zu entsagen, so sollen wir uns wenigstens mit dem Stand, in welchem Gott uns haben will, zufriedengeben, nicht nach irdischen Reichtümern trachten, sondern nach den himmlischen Schätzen, die unendlich kostbarer sind und ewig dauern, und den Ausspruch der heiligen Theresia beherzigen: „Je weniger wir diesseits besitzen, desto mehr werden wir jenseits besitzen.“

11. Der heilige Bonaventura vergleicht den Überfluß an zeitlichen Gütern mit dem Vogelleim, weil die Seele daran kleben bleibt und verhindert wird, sich zu Gott aufzuschwingen. Dagegen ist die Armut, wie der heilige Johannes Klimakus sagt, ein gebahnter Weg, auf dem wir, ohne auf Hindernisse zu stoßen, zu Gott geführt werden. Der Herr selbst hat die Armen selig gepriesen: „Selig sind die Armen im Geiste, denn ihrer ist das Himmelreich“ (Mt 5,3). Was die übrigen acht Seligkeiten betrifft, die in dem Evangelium genannt werden, so ist den Sanftmütigen, den Reinen usw. gleichfalls der Himmel verheißen, aber erst für die Zukunft; den Armen dagegen ist der Himmel, das heißt: himmlischer Friede und Trost schon in diesem Leben versprochen: Ihrer ist das Himmelreich, weil die Armen einen Vorgeschmack des Paradieses schon in dieser Welt genießen. Wenn aber der Herr sagt: Die Armen im Geiste, so sind darunter diejenigen zu verstehen, die nicht nur arm sind an zeitlichen Gütern, sondern auch gar kein Verlangen danach tragen, und wenn sie Nahrung und Kleidung haben, sich damit zufrieden stellen, wie der Apostel uns alle ermähnt: „Wenn wir haben, womit wir uns nähren und kleiden können, so sollen wir damit zufrieden sein“ (1 Tim 6,8). O heilige Armut, ruft der heilige Laurentius Justinianus aus, die nichts besitzt und nichts fürchtet, sie ist immer fröhlich und hat sogar Überfluß, weil sie alles Ungemach, das sie erleidet, zum Nutzen und Gewinn ihrer Seele zu verwenden weiß. „Der Habsüchtige“, sagt der heilige Bernhard, „der nach zeitlichen Gütern begierig ist, hungert wie ein Bettler, der Arme dagegen verachtet sie wie einer, dem alles zu Gebote steht“ (Sermo 2. In cant). Der Habsüchtige ist hungrig wie ein Bettler, weil er niemals satt wird und noch mehr zeitliche Güter verlangt; der Arme dagegen verachtet sie wie ein Übersättigter, weil er kein Verlangen danach trägt.

12. Der Herr selbst sagte eines Tages zur gottseligen Angela von Foligno: „Wenn die Armut nicht ein großes Gut wäre, so würde ich sie weder für mich selbst gewählt, noch meinen Auserwählten zu ihrem Anteil hinterlassen haben.“ Wir sehen in der Tat, daß die Betrachtung der äußersten Armut, in welcher der Herr hier auf Erden gelebt hatte, die Heiligen bewogen hat, die Armut so sehr zu lieben. Der Apostel nennt das Verlangen, reich zu werden, einen Fallstrick, durch den viele ins Verderben gestürzt werden: „Die reich werden wollen, fallen in Versuchung und in die Fallstricke des Teufels und in viele unnütze und schädliche Begierden, welche die Menschen in den Untergang und in das Verderben stürzen“ (1 Tim 6,9). Die Unseligen, um die elenden, vergänglichen Güter dieser Welt zu gewinnen, verlieren sie Gott, das unendliche und vergängliche Gut! Mit Recht antwortete der heilige Märtyrer Basilius dem Kaiser Licinius, der ihm die Würde eines heidnischen Oberpriesters anbieten ließ, wenn er den christlichen Glauben verleugnete: „Sag dem Kaiser: wenn er mir auch sein ganzes Reich geben wollte, so würde er mir doch nicht soviel geben, als er mir dadurch nimmt, daß ich Gott verliere.“ Wir sollen uns daher mit Gott begnügen, mit dem zufrieden sein, was Er uns an zeitlichen Gütern gegeben hat, und uns erfreuen, daß wir arm sind, wenn wir etwas entbehren müssen, das wir nicht erlangen können. Viele sind arm, aber weil sie die Armut nicht lieben, haben sie kein Verdienst davon; denn, wie der heilige Bernhard sagt: „Nicht die Armut ist als eine Tugend anzusehen, sondern die Liebe zur Armut.“

13. Diese Liebe zur Armut müssen vorzüglich die Ordensleute üben, die das Gelübde der Armut abgelegt haben. „Viele Ordensleute“, sagt derselbe Heilige, „wollen arm sein, aber unter der Bedingung, daß ihnen nichts abgehe.“ Dasselbe sagt der heilige Franz von Sales: „Sie wollen die Ehre der Armut, aber nicht die Beschwerden der Armut.“ Solche Religiöse mögen sich einen Ausspruch der seligen Salome, aus dem Orden der heiligen Klara, vor Augen halten: „Eine Klosterfrau, die arm sein will und dann sich beklagt, wenn ihr etwas mangelt, wird von den Engeln und von den Menschen verlacht werden.“ Ordensleute, die es in Wahrheit sind und den wahren Geist haben, lieben ihre Armut mehr als alle Schätze und Reichtümer der Welt. Die Tochter des Kaisers Maximilian II. trat in den Orden der unbeschuhten Klarissinnen und wurde als Klosterfrau Margarethe vom Kreuz genannt. Als einst ihr Bruder, der Erzherzog Albrecht, sie besuchte und gewahrte, daß ihr Ordenskleid geflickt war, konnte er sich nicht enthalten, darüber sein Befremden zu äußern und zu bemerken, daß ein solches Kleid sich für ihre hohe Geburt nicht gezieme; allein Margarethe antwortete ihm: Wisse, mein Bruder, daß ich glücklicher und zufriedener bin in diesem geflickten Kleide als Kaiser und Könige in ihrem Purpur. „O selige Ordensleute“, ruft die heilige Maria Magdalena von Pazzi aus, „welche, durch die heilige Armut von allen irdischen Dingen losgeschält, ausrufen können: 'Der Herr ist mein Erbteil!'„ Die heilige Theresia hatte von einem Kaufmann reichliche Almosen empfangen, und indem sie ihm dafür dankte, ließ sie ihm zugleich sagen, sein Name sei in das Buch des Lebens eingetragen, und als Wahrzeichen, daß es so sei, werde ihm von nun an auf dieser Welt alles, was er unternehme, fehlschlagen. Und so geschah es auch; der Kaufmann verlor bald darauf durch Unglücksfälle sein ganzes Vermögen, geriet in die äußerste Dürftigkeit und blieb in dieser Lage bis zu seinem Tode. Ebenso hielt es auch der heilige Aloisius Gonzaga für ein sicheres Zeichen der Auserwählung, wenn jemand in der Furcht Gottes wandelt und dabei auf dieser Welt von Leiden und Trübsalen heimgesucht wird.

14. Man kann es gewissermaßen zur heiligen Armut rechnen, wenn wir nahe Verwandte oder Freunde durch den Tod verlieren, insofern wir dadurch eines zeitlichen Trostes beraubt werden; und in solchen Fällen müssen wir uns gleichfalls in Geduld üben. Manche, wenn sie einen solchen Verlust erlitten haben, schließen sich in ihrem Zimmer ein, um ihren Tränen freien Lauf zu lassen, geben sich der ganzen Traurigkeit hin und werden so ungeduldig und kleinmütig, daß man mit ihnen nicht mehr umgehen kann. Ich möchte einen solchen fragen: Wem, glaubst du denn, durch diese Tränen und diese unmäßige Trauer einen Dienst zu erweisen? Dem lieben Gott gewiß nicht; denn Gott will, daß wir uns in seinen heiligsten Willen ergeben. Oder vielleicht der Seele des Verstorbenen? Auch das nicht; denn entweder ist sie verloren gegangen, und dann haßt sie dich und deine Tränen. Oder sie ist im Himmel; und dann wünscht sie, daß du Gott dafür danken und seine Barmherzigkeit preisen mögest. Oder endlich sie ist im Fegefeuer; und dann wünscht sie, daß du ihr mit deinen Gebeten zu Hilfe kommen, und daß du dich in den Willen Gottes ergeben und heilig werden mögest, um einst im Himmel mit ihr vereinigt zu sein. Wozu also, frage ich, nützen diese Tränen? Als der ehrwürdige Joseph Caracciolo, aus dem Theatinerorden, einen Bruder durch den Tod verloren hatte und mit einigen seiner Verwandten zusammen war, die des Weinens und Jammers kein Ende fanden, sprach er zu ihnen: „Ach, sparen wir doch unsere Tränen für einen viel würdigeren Gegenstand und beweinen wir den Tod Jesu Christi, unseres Vaters, unseres Bruders, des Bräutigams unserer Seelen, der aus Liebe zu uns gestorben ist.“ In solchen Fällen sollen wir das Beispiel des frommen und geduldigen Job nachahmen, der bei der Nachricht, daß seine Söhne getötet wurden, sich ganz in den Willen Gottes ergab, und ausrief: „Der Herr hat es gegeben, der Herr hat es genommen; wie es dem Herrn gefallen hat, so ist es geschehen, der Name des Herrn sei gebenedeit“ (Job 1,21).

15. Der dritte Punkt endlich, der die Übung großer Geduld erfordert, ist die Verachtung, die uns von den Menschen widerfahrt, und die wir, um zu beweisen, daß wir Gott wahrhaft lieben, willig ertragen sollen. Wenn eine Seele sich ganz Gott geschenkt hat, so kann sie sicher darauf rechnen, daß sie über kurz oder lang verachtet oder verfolgt werden wird; Gott selbst wird die Gelegenheit hierzu herbeiführen oder doch zulassen. Dem seligen Heinrich Seuse erschien eines Tages ein Engel und sagte ihm: „Bisher hast du dich abgetötet, wie es Dir gefiel, von nun an aber wirst Du abgetötet werden, wie es anderen gefällt.“ Als er nun den Tag darauf zum Fenster hinausblickte, sah er einen Hund, der mit einem Tuchlappen spielte und ihn in Stücke zerriß, und vernahm zugleich eine Stimme, welche sprach: „Ebenso wirst du in dem Munde der Menschen zerrissen werden.“ Als der Selige diese Worte hörte, ging er hinab und holte sich den zerrissenen Lappen, um ihn aufzubewahren und sich zur Zeit der Trübsale zu seinem Trost zu erinnern, daß sie ihm schon voraus angekündigt wurden.

16. Unbilden und Beleidigungen sind die Genüsse, nach denen die Heiligen sich sehnen. Der heilige Philipp Neri wohnte dreißig Jahre lang in Rom in dem Hause zum heiligen Hieronymus, wo er von einigen sehr übel behandelt wurde. Dessen ungeachtet wollte er es nicht verlassen, selbst dann nicht, als das neue Haus der Kongregation, die er gestiftet hatte, schon vollendet und von seinen Schülern schon bezogen war. Sie luden ihn zwar dringend ein, zu ihnen zu ziehen; allein er konnte sich nicht dazu entschließen, bis es ihm endlich der heilige Vater unter dem Gehorsam befahl. Als dem heiligen Johannes vom Kreuz wegen einer Krankheit, die ihm auch den Tod brachte, von den Ärzten eine Luftveränderung verordnet wurde, schlug er das Anerbieten aus, sich in ein Kloster zu begeben, das größere Bequemlichkeiten darbot und unter einem Prior stand, der ihn sehr liebte, sondern wählte ein ganz armes Kloster, dem überdies ein Prior vorstand, der sein Feind war. In der Tat behandelte dieser Prior ihn durch lange Zeit und fast bis zu seinem Tode auf das Geringschätzigste, fügte ihm viele Kränkungen zu und verbot sogar den übrigen Brüdern, ihn zu besuchen. Hieraus sehen wir, daß die Heiligen in ihrer Liebe zur Verachtung so weit gingen, daß sie die Verachtung sogar aufsuchten. Die heilige Theresia stellt in dieser Beziehung folgende denkwürdige Regel auf: „Wer nach Vollkommenheit strebt, hüte sich zu sagen: man hat mir dies ohne allen Grund angetan. Wenn du nur jene Kreuze tragen willst, die dir auf einem gerechten Grund zu beruhen schienen, so mußt du auf die Vollkommenheit verzichten.“ Bekannt ist die Antwort, die der Herr dem heiligen Petrus, dem Märtyrer, gab, als dieser sich beklagte, daß man ihn in den Kerker geworfen habe, ohne das er etwas Strafwürdiges begangen hätte: „Und was hatte denn ich verbrochen, daß ich an diesem Kreuze für die Menschen hätte leiden und sterben müssen?“ O welchen Trost schöpfen die Heiligen, wenn sie beschimpft und mißhandelt werden, aus der Schmach, die Jesus Christus für uns gelitten hat! Als der heilige Eleazar von seiner Gemahlin gefragt wurde, wie er es anstelle, um mit solcher Geduld die Unbilden, die ihm von seinen eigenen Dienern zugefügt wurden, zu ertragen, antwortete er: „Ich werfe einen Blick auf den verachteten Jesus und erkenne dann, wie alles, was ich leide, nichts ist im Vergleiche mit dem, was Er für mich gelitten hat, und so gibt Gott mir die Kraft, alle Unbilden in Geduld zu ertragen.“ Kurz, Verachtung, Armut, Schmerz und jede Art von Trübsalen sind für die Seelen, die Gott nicht lieben, Anlässe, sich noch weiter von Gott zu entfernen; die Gott liebenden Seelen dagegen finden darin nur neue Antriebe, sich noch inniger an Gott anzuschließen und ihn noch mehr lieben. „Viele Wässer vermögen die Liebe nicht auszulöschen“ (Hl 8,7). In einem Herzen, das Gott über alles liebt, vermögen die Leiden und Trübsale dieses Lebens, wie schwer und vielfach sie auch seien, die Flammen der Liebe nicht nur nicht auszulöschen, sondern sie fachen diese Flammen nur noch mehr an.

17. Aber warum belädt uns Gott mit so vielen Kreuzen, und warum hat Er Freude daran, uns bedrängt, verachtet, verfolgt und von der Welt mißhandelt zu sehen? Ist Gott vielleicht wie ein Tyrann, dessen grausame Gemütsart ein Wohlgefallen daran hat, andere leiden zu sehen? Nein, ein solcher Gedanke sei ferne, Gott ist kein grausamer Tyrann; Er ist die Barmherzigkeit und die Liebe selbst, und um die Größe seiner Liebe zu beweisen, genügt es zu sagen, daß Er für uns leiden und sterben wollte. Er freut sich, uns leiden zu sehen; aber nur um unseres Wohles willen, weil wir durch die Leiden des Lebens von den Strafen befreit werden, die wir für unsere Sünden in dem anderen Leben überstehen müßten, um der göttlichen Gerechtigkeit genugzutun. Er freut sich über unsere Leiden, weil wir dadurch von den Freuden dieser Welt losgerissen werden und weil Er es wie eine Mutter macht, die ihren Säugling entwöhnen will und deshalb ihre Brust mit bitterer Galle bestreicht, damit das Kind einen Abscheu fasse vor seiner bisherigen Nahrung. Er freut sich über unsere Leiden, weil wir ihm durch unsere Ergebung und Geduld im Leiden einen Beweis geben, daß wir Ihn wahrhaft lieben. Er freut sich endlich über unsere Leiden, weil wir uns dadurch eine schönere Krone und eine größere Glorie im Himmel verdienen. Dies sind die Gründe, warum Gott sich über unsere Leiden erfreut; und es sind dies lauter Gründe, die aus seiner Liebe und aus seiner Barmherzigkeit hervorgehen.

18. Wir wollen dieses Kapitel beschließen. Um in allen Leiden und Trübsalen dieses Lebens die heilige Geduld zu üben, müssen wir überzeugt sein und uns immer vor Augen halten, daß sie alle unmittelbar oder wenigstens mittelbar von Gott kommen. Wir müssen daher Gott dafür danken und seinen Fügungen uns mit freudigem Herzen überlassen; denn Er ordnet alles nur zu unserem Besten an, das Tröstliche wie das Schmerzliche. Denen die Gott lieben, gereicht alles zum Besten. Ferner wenn uns ein Leiden besonders schwerfällt, ist es sehr heilsam, einen Blick in die Hölle zu werfen und uns zu erinnern, daß wir für unsere früheren Sünden die Hölle verdient haben; denn wie groß auch eine Pein hier auf Erden sein möge, so ist sie doch nichts im Vergleich zu den Peinen, welche die Verworfenen zu erleiden haben. Noch nützlicher aber als alle Betrachtungen, um jeden Schmerz, jede Schmach, jede Widerwärtigkeit in Geduld zu ertragen, ist das Gebet; denn der Beistand der göttlichen Gnade, den wir auf unsere Bitten erhalten werden, wird uns jene Kraft verleihen, die wir aus uns selbst nicht besitzen. So haben es die Heiligen gemacht; sie haben Gott um seinen Beistand angerufen, und darum sind sie aus allen Verfolgungen, Trübsalen und Martern siegreich hervorgegangen.

Gebet

Herr, ich weiß es, und ich bin bereits von der Überzeugung durchdrungen, daß ich ohne Leiden und ohne geduldiges Leiden die Krone der Herrlichkeit nicht erlangen kann; aber gleichwie dein Prophet gesprochen hat: Von ihm kommt meine Geduld, so spreche auch ich: Du, o Herr mußt mir die Geduld im Leiden verleihen. Ich nehme mir zwar öfters vor, alle Leiden und Trübsale willig anzunehmen; allein wenn sie dann hereinbrechen, so bin ich bestürzt und verzagt, und wenn ich leide, leide ich ohne Liebe und ohne Verdienst, weil ich Dir das Leiden nicht zu deinem größeren Wohlgefallen aufzuopfern weiß. O mein Jesus, gedenke der Geduld, mit der Du so große Peinen aus Liebe zu mir erlitten hast, und verleihe mir durch die Verdienste dieser Geduld die Gnade, alle Kreuze aus Liebe zu Dir auf mich zu nehmen. Ich liebe Dich aus dem Grunde meines Herzens, mein Erlöser; ich liebe Dich, mein höchstes Gut; ich liebe Dich, meine Liebe, die Du einer unendlichen Liebe würdig bist. Ich bereue über alles die Beleidigungen, die ich Dir zugefügt habe; und ich verspreche Dir, alle Leiden und Trübsale, die Du mir zuschicken wirst, in Geduld zu ertragen; aber ich hoffe auf den Beistand deiner Gnade, um meinen Vorsatz auszuführen, und besonders, um die Schmerzen des Todeskampfes und den Tod aus deinen Händen willig anzunehmen. O Maria, meine Königin und meine Mutter, erbitte mir die Gnade einer vollkommenen Ergebung in alle Leiden, die mir noch bevorstehen im Leben und in der Stunde des Todes.